Kolumne Wirtschaftspsychologie: diagnostische Methoden auswählen

So mancher Mythos geistert durch die HR-Abteilungen - gerade wenn es um psychologisches Wissen geht. Uwe P. Kanning klärt in der Kolumne über Fakten auf. Heute zeigt er, welch fadenscheinige Kriterien Personaler bei der Entscheidung für ein Personalauswahlverfahren oft heranziehen.

Die Planung eines Personalauswahlverfahrens ist vergleichbar zur Durchführung einer medizinischen Behandlung. Ehe sich die Verantwortlichen für oder gegen eine bestimmte Intervention entscheiden, sind mehrere Fragen zu beantworten: Bei welcher Behandlungsform ist der größte Nutzen zu erwarten? Mit welchen Nebenwirkungen muss gerechnet werden? Wie erlebt der Patient die Anwendung? Wie kostspielig ist eine bestimmte Methode im Vergleich zu ihren Alternativen?

Fundierte Auswahl nötig - wie in der Medizin

Jede dieser Fragen ist legitim. Natürlich wünschen wir uns eine wirkungsvolle Behandlung ohne Nebenwirkungen, die möglichst auch noch zum Nulltarif zu haben ist. Wie so oft im Leben würden wir am liebsten alles realisieren, und zwar sofort. Wie fast immer im Leben ist dies aber leider nicht möglich. Daher gilt es, Prioritäten zu setzen - und zwar die richtigen.

Was hielten wir wohl davon, wenn sich ein Arzt bei der Wahl zwischen einer effektiven, aber gleichsam bitteren Medizin und einer Behandlung mit Smarties für eben die Smarties entscheiden würde, weil sie den Patienten ganz einfach besser schmecken? Sollten wir es gutheißen, wenn sich ein Internist bei der Festlegung seines Behandlungsplans nicht an wissenschaftlichen Erkenntnissen orientiert, sondern lieber im Tennisclub nachfragt, wie sich Juristen, Architekten und Bauunternehmer in einem solchen Fall verhalten würden? Die meisten von uns würde dies zumindest nachdenklich stimmen.

Auswahlverfahren: Meist genutzte Entscheidungskriterien

Aber stimmt es uns auch nachdenklich, wenn bei der Planung von Personalauswahlverfahren ganz ähnlich vorgegangen wird? Eine Studie aus dem Jahr 2010 ging der Frage nach, von welchen Prinzipien sich mehr als 500 befragte Personaler bei der Gestaltung von Auswahlverfahren leiten lassen und kam zu bemerkenswerten Erkenntnissen:

  • Den größten Einfluss hat die Überlegung, wie die Bewerber auf das Auswahlverfahren reagieren könnten. Im Prinzip ist es durchaus sinnvoll, sich über das Image diagnostischer Methoden Gedanken zu machen. Bewerber, die den Eindruck haben, dass man nicht fair mit ihnen umgeht, strengen sich weniger an und sind später auch weniger bereit, ein Stellenangebot anzunehmen. Wer dabei aber den eigentlichen Sinn des Auswahlverfahrens aus den Augen verliert, handelt wie ein Arzt, der den Smarties den Vorrang vor wirkungsvoller Medizin gibt.
  • Auf Platz zwei liegen die absoluten Kosten der Auswahlmethode. Je teurer eine Methode ist, desto weniger attraktiv erscheint sie den Entscheidungsträgern. Wäre nicht eigentlich die Kosten-Nutzen-Relation viel aussagekräftiger? Oder erwerben etwa auch die Kollegen im Einkauf immer nur die billigsten Rohstoffe, arbeiten die Informatiker an den billigsten Rechnern und fahren die Geschäftsführer die billigsten Autos?
  • Platz drei gebührt der Verbreitung einer Methode. Hier wirkt die allzu menschliche Heuristik: "Wenn viele es machen, kann es nicht verkehrt sein." Je mehr Kollegen genau so denken, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich selbst absurde Methoden unhinterfragt etablieren. Wenn A glaubt, eine Methode sei nur deshalb gut, weil B und C sie einsetzen und die beiden Kollegen dasselbe von allen anderen denken, ist die Kreisvalidierung perfekt. Alle sind glücklich und niemand bemerkt den Denkfehler.
  • Weit abgeschlagen auf dem vierten Platz folgt die prognostische Validität, also die Frage, inwieweit sich mit einer bestimmten Methode der berufliche Erfolg eines Menschen vorhersagen lässt. Weltfremde Wissenschaftler glauben, dass es sich hierbei um das wichtigste aller Kriterien handelt. Aber sie verstehen ja bekanntlich nichts von der Praxis.

Echte Entscheidungskriterien in der richtigen Reihenfolge

Wer der Meinung ist, dass die wichtigste Aufgabe der Personalauswahl darin besteht, mit möglichst wenig Geld zufriedene Bewerber zu erzeugen, ohne bei Kollegen anzuecken, der darf sich im Kreis der Studienteilnehmer geborgen fühlen. All diejenigen, die sich der Vision hingeben wollen, die Personalauswahl diene dazu, die Eignung der Bewerber kritisch zu hinterfragen, sollten vielleicht lieber über eine Hochschullaufbahn nachdenken. Dort können sie dann jedes Semester aufs Neue den angehenden Personalern beibringen, wie die Prioritäten eigentlich gesetzt werden müssten:

  1. Für die Auswahl einer diagnostischen Methode ist primär ihre Validität entscheidend. Weniger valide Methoden sind eigentlich nur dann sinnvoll, wenn ohnehin fast alle Bewerber geeignet sind oder aber der künftige Stelleninhaber weitgehend unbedeutende Aufgaben zu erledigen hat, bei denen er keinen Schaden anrichten kann. Dies dürfte nicht allzu oft der Fall sein.
  2. Unterscheiden sich die Methoden nennenswert hinsichtlich der Kosten, so wird über eine monetäre Nutzenanalyse grob abgeschätzt, mit welchen finanziellen Folgen jeweils zu rechnen ist. Dabei wird sich in der Regel zeigen, dass die absoluten Kosten fast zu vernachlässigen sind, wenn die neu eingestellten Mitarbeiter einige Jahre im Unternehmen verbleiben und ein nennenswertes Gehalt beziehen.
  3. Sollten unter den ausgewählten Methoden solche sein, die bei Bewerbern wenig Freude hervorrufen, so erklärt man den Kandidaten, dass sich die Aussagekraft einer Methode per Augenschein ungefähr genau so gut erkennen lässt, wie die Wirkung einer Tablette an ihrer Farbe. Valide Personalauswahl ist nicht nur im Interesse der Arbeitgeber, sondern auch im Interesse der Mitarbeiter. Bewerber, die keine Bereitschaft haben, sich einem anspruchsvollen Verfahren zu unterziehen, sind bei der Konkurrenz allemal besser aufgehoben als im eigenen Unternehmen.
  4. Die Verbreitung einer Auswahlmethode ist unerheblich. Wer sich an der Masse orientiert, muss früher oder später weitgehend unvorbereitet ins Einstellungsinterview gehen, jedem Bewerber andere Fragen stellen, sodass die Kandidaten untereinander nicht zu vergleichen sind und vielleicht noch einen Test einsetzen, der 80 Millionen Menschen in vier Farbtypen einteilt – absurd.  

So, und nun entscheiden Sie sich...


Prof. Dr. phil. habil. Uwe P. Kanning ist seit 2009 Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Osnabrück. Seine Schwerpunkte in Forschung und Praxis: Personaldiagnostik, Evaluation, Soziale Kompetenzen & Personalentwicklung.

Schlagworte zum Thema:  Personalauswahl, Personalarbeit