Ein total verrücktes Jahr


Kolumne: Ein total verrücktes Jahr für E-Learning-Anbieter

Es war ein aufregendes Jahr 2020: Die Corona-Krise hat die E-Learning-Branche durchgerüttelt. Kolumnistin Gudrun Porath blickt zurück auf schwankende Stimmungslagen – und wagt einen Ausblick, wer von der Krise profitieren könnte.

Von Webinar zu Webinar, von Videokonferenz zu Videokonferenz, alles selbstverständlich im Homeoffice – das Covid-19-Virus wirkt weltweit und hat die digitale Transformation mit Überschallgeschwindigkeit vorangetrieben. Das gibt Verwerfungen, von denen auch die E-Learning-Branche nicht unberührt bleibt. Für die einen gibt es frisches Geld, Lernmarktplätze erzielen enorme Wachstumsraten. Die anderen darben mit ihren Kunden. Dennoch: Wer jetzt durchhält, hat gewonnen.

Meeting-Tools explodieren

"Es hat Zoom gemacht" – diese Überschrift war nicht nur einmal zu lesen. Vielmehr war das Jahr geprägt von lauter virtuellen Veranstaltungen. Die Learntec Ende Januar 2020, da waren wir noch hoffnungsfroh. Blickten mit Interesse darauf, dass die Messe dem Lernen mit Virtual Reality viel Ausstellungsfläche eingeräumt hatte und hörten im Kongress Beispiele, wie Unternehmen neue E-Learning-Strategien umsetzen, Chatbots zum Lernen eingesetzt werden können oder KI digitales Lernen zukünftig beeinflusst. Im Liegestuhl auf dem improvisierten Sandstrand vor den Messehallen war das Virus noch eine Meldung aus dem weit entfernten China. Wie nah wir der Globalisierung auch in der Verbreitung von Viren und damit wie persönlich wir alle betroffen sein würden, wusste allenfalls Christian Drosten schon oder ahnte es zumindest.

Die Tage gingen ins Land und das Virus kam in Deutschland an, der Lockdown folgte und mit ihm die Umleitung zahlreicher Events und Veranstaltungen mit dem Schwerpunktthema Weiterbildung in den virtuellen Raum. Die Aufmerksamkeit wanderte weg von LMS und LXP. Tools für Online-Meetings, Videokonferenzen und Webinare konnten den Ansturm gerade noch bewältigen. Ständig gab es neue Tools und wer schnell war und aufgepasst hatte, konnte beim Corporate Learning Camp im Mai 2020 von Zoom über Adobe Connect bis "Go to Webinar" gleich mehrere in einer einzigen Veranstaltung ausprobieren.

Stimmungswandel im Herbst

Auch die Branchenveranstaltungen wie L&D Pro oder Zukunft Personal konnten nicht live stattfinden und probierten virtuelle Konferenzformate aus. Es gab Live-Keynotes auf Vimeo, per Zoom aufgezeichnete Vorträge, virtuelle Messehallen und für einzelne Programmpunkte wurde die virtuelle Welt von Tricat genutzt. Die jüngste Ausgabe der L&D Pro lud zum virtuellen Fahrstuhlfahren ein. Weil nicht alle Aussteller auf einer Ebene im Tool "Remo" Platz hatten, ging es per Klick von Ebene zu Ebene.

Während die Stimmung am Anfang der Pandemie und mit Blick auf den Sommer noch recht positiv war, wandelte sich das Bild im Herbst 2020 mit steigender Infektionskurve, sowohl auf Seiten der Anbieter wie der Kunden. Anbieter, die nicht gerade ein Meeting- oder Konferenztool im Portfolio haben, berichteten hinter vorgehaltener Hand von gestoppten und verschobenen Projekten, Personalentwickler fragten in Workshops nach digitalen Lösungen für kleines Geld. "Können wir das intern auch selbst machen?", so eine Frage. Die Messe- und Konferenzveranstalter hoffen, Kunden und Besucher 2021 wieder vor Ort begrüßen zu können und kommen dennoch nicht umhin, auch die virtuellen Formate weiterzuentwickeln.

Konsolidierung und frisches Geld

Zu diesem Zeitpunkt hatte einer der weltweit größten Anbieter von E-Learning das Schlimmste schon hinter sich. Im Juni war einer der weltweit größten und bekanntesten E-Learning-Anbieter Skillsoft in eine wirtschaftliche Schieflage geraten. Dem Unternehmen, zu dessen Portfolio auch der Lernplattform-Anbieter Sumtotal gehört, gelang es, sich zu restrukturieren und die Pleite abzuwenden. Das wurde jetzt belohnt: Insgesamt 500 Millionen Dollar erhält die an der New Yorker Börse notierte Churchill Capital Corp II von Prosus, einem Internet-Investor, um mit Skillsoft fusionieren und die Global Knowledge Training LLC kaufen zu können.

Die Investoren, die dann 30 Prozent an dem neuen Unternehmen halten, haben ambitionierte Ziele, die sie angesichts des wachsenden Marktes für digitales Lernen verwirklichen wollen. Durch Fusion und Kauf soll nichts weniger als der weltweit führende Anbieter für digitales Lernen entstehen. Was keine Illusion ist, wenn man sich die Investoren genauer ansieht. Prosus ist sowohl an der Börse Amsterdam als an der Börse in Kapstadt notiert und eng mit dem größten Medienkonzern auf dem afrikanischen Kontinent, Napsters, verbunden. Das Geschäft mit Edtech ist nicht neu für den Investor.  Der E-Learning-Marktplatz Udemy hat Geld von Prosus erhalten, ebenso Codecademy, der Anbieter von Executive Education Eruditus, das Nachhilfe-Netzwerk Brainly und die indische Schüler-App BYJU´s. Mit Skillsoft/Global Knowledge die weltweite Marktführerschaft anzustreben, ist keine Illusion. Vielmehr könnten dabei Synergieeffekte mit anderen Beteiligungen helfen. Mail.ru zum Beispiel, die größte russische Online-Plattform, gehört ebenfalls zum Einflussbereich von Prosus wie Tencent in China, deren App Wechat das chinesische Pendant zu Whatsapp darstellt.

Exponentielles Wachstum für Lern-Marktplätze

A propos Udemy. Der Marktplatz für digitales Lernen konnte massiv von der Pandemie profitieren. Die Anmeldungen für darüber verbreitete Kurse stiegen insgesamt um mehr als 425 Prozent, allein bei Udemy for Business um 90 Prozent. Die Chance, ihr Geschäft durch Udemy wenigstens halbwegs aufrechtzuerhalten, nutzten auch viele Trainer, deren Geschäft kurzfristig Lockdown-bedingt zusammengebrochen war. Die Anzahl der von diesen angebotenen Kurse stieg um 55 Prozent. In absoluten Zahlen verzeichnet Udemy aktuell weltweit über 400 Millionen Kursanmeldungen. Im Oktober 2020 gab das Unternehmen außerdem bekannt, im Business-Bereich  mit Kunden wie The Walt Disney Corporation, Apple, Unicef, Paypal, Accenture, Samsung, Unilever, Instacart, Survey Monkey, Okta und anderen einen jährlichen wiederkehrenden Umsatz von über 100 Millionen US-Dollar erzielt zu haben.

Das lockt weitere Investoren. Und so gab es in einer neuen Finanzierungsrunde noch einmal 50 Millionen Dollar, unter anderem von Learn Capital, einem US-amerikanischen Investor, der sich auf E-Learning-Anbieter für Schule, Hochschule und Weiterbildung spezialisiert hat und zu dessen bekanntesten Beteiligungen Coursera gehört. Letztere, also Coursera, vermeldet in der Pandemie ein ähnliches Wachstum wie Udemy. Von März bis September 2020 haben sich demnach 21 Millionen Lernende in Kurse auf der Plattform eingeschrieben, ein Wachstum von 353 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum.

Investoren denken global

Deutsche E-Learning-Anbieter sind weder im Portfolio von Prosus noch von Learn Capital zu finden. Sie spielen auf dem internationalen Investorenmarkt kaum eine Rolle. Dafür gibt es vor allen einen wichtigen Grund: Von globalen Investoren nachgefragt und mit viel Geld versorgt werden in erster Linie Anbieter, deren Geschäft per se global ausgelegt und hoch skalierbar ist, die sich an den individuellen Lernenden wenden und die Edtech adressieren, was besonders in Schwellenländern und Asien für enorme Wachstumsraten sorgt.

Hier wartet das große Geschäft – und das ist gleichzeitig die Chance für einen Markt, der so kleinteilig aufgestellt ist wie der deutschsprachige. Denn eines tun diese wohl finanzierten Anbieter nicht: Sie haben Schwierigkeiten, einen Markt zu bedienen, der maßgeschneiderte Plattformen und Lerninhalte für kleinere und mittlere Unternehmen anbietet.

Kunden denken lokal

Das Rückgrat des deutschsprachigen Marktes sind Kunden aus dem Mittelstand, teilweise hoch spezialisiert, international aufgestellt und vor allem mit ganz besonderen Ansprüchen. Hier sind benutzerfreundliche, individuelle Lösungen gefragt, Verhandlungen von Anbieter zu Kunde auf Augenhöhe, hohe Datensicherheit und ein optimales Preis-Leistungsverhältnis sowohl bei den Anschaffungs- wie den Folgekosten.

Das ist es, was die Kunden wünschen und was deutschsprachige Anbieter stark machen kann. Für beide gilt es, diese Krise zu überwinden und sich nicht auf vergangenen Lorbeeren auszuruhen. Sondern das Vertrauen ineinander zu bestätigen, sich gemeinsam weiterzuentwickeln. Wer es als Anbieter dann noch schafft, die Personalentwicklung dabei zu unterstützen, messbare Ergebnisse zu erzielen, dem gehört die Zukunft.


Über die Kolumnistin: Gudrun Porath ist freie Journalistin. Sie beobachtet unter anderem für das Haufe Personal-Portal und die Haufe-Zeitschrift "wirtschaft + weiterbildung" die Trends auf dem E-Learning-Markt.