KI-Werkzeuge für das Recruiting

In welcher Form unter­stützen Jobportale, Startups und die Anbieter von Bewerber­management-Systemen mit Tools, die auf Künstlicher Intelligenz basieren? Eine Um­frage zeigt, was heute schon für welche Recruiting-Aufgaben genutzt werden kann und woran die Unter­nehmen aktuell arbeiten. 

Überall wird über Künstliche Intelligenz gesprochen, aber welche Funktionalitäten können im Recruiting heute schon genutzt werden? Welche KI-Tools stellen die Anbieter zur Verfügung? Was planen sie? Diesen und weiteren Fragen ging das Personalmagazin zusammen mit Wolfgang Brickwedde, Director des ICR Institute of Competitive Recruiting, in einer Umfrage nach. Angeschrieben wurden namhafte Anbieter von Bewerbermanagement-Systemen, Jobportale sowie Startups aus dem Recruiting-Bereich. Insgesamt rund 40 Unternehmen wurden kontaktiert. Nicht alle haben geantwortet, nicht alle haben schon KI-basierte Tools in ihre Produktpalette integriert. Aber die Umfrageergebnisse zeigen, dass sich sehr viele der etablierten Software-Anbieter und Startups sowie zahlreiche große Jobportale mit dem Thema beschäftigen. (Hier geht es zur Übersicht "Diese KI-Tools unterstützen bei Recruiting-Aufgaben").

"Wir evaluieren aktuell verschiedene seriöse KI-Anbieter und prüfen mögliche Anwendungsfälle sowie datenschutzrechtliche Auswirkungen. Insbesondere beim Thema Datenschutz sehen wir momentan noch Hindernisse", antwortete beispielsweise Steffen Michel, Geschäftsführer von MHM HR. Er will seine Entscheidung nicht überstürzen und stellt Sicherheit und Vertrauenswürdigkeit der Lösungen in den Fokus. 

Künstliche Intelligenz hilft bei den Stellenanzeigen

17 der befragten Anbieter stellen heute KI-basierte Tools für das Recruiting zur Verfügung. Besonders häufig unterstützen die Tools dabei, Texte von Stellenanzeigen zu verfassen (13 Anbieter), beim Optimieren der Stellenanzeigen für Suchmaschinen (zehn Anbieter) und bei der Veröffentlichung von Stellenanzeigen auf Jobportalen und in Social Media (neun Anbieter). Offenbar ist gerade rund um die Stellenanzeige viel Verbesserungsbedarf vorhanden. Dazu kommt: Für das Schreiben und SEO-Optimieren von Jobinseraten kann gut bestehende generative KI eingesetzt werden. Zahlreiche Anbieter haben Tools, die auf Chat GPT basieren, in ihre Lösungen integriert. Für die Anwender in den Recruitingabteilungen ist das durchaus von Vorteil, denn so müssen sie nicht das System wechseln, sondern können direkt auf der gewohnten Nutzeroberfläche weiterarbeiten.

Schon seit Längerem können die Nutzerinnen und Nutzer von Bewerbermanagement-Systemen aus ihrem System heraus bestimmen, wo Stellenanzeigen geschaltet werden sollen, werden aber normalerweise nicht bei der Entscheidung unterstützt, welche Medien die besten für die jeweilige Vakanz sind. Eine KI setzt genau hier an und hilft dabei, das Ausspielen der Stellenanzeigen laufend zu optimieren. 

Erstaunlich ist, dass nur fünf der Unternehmen, die KI-Tools für ihre Kunden entwickelt haben, Chatbots im Angebot haben, die im Bewerbungsprozess eingesetzt werden können. Und lediglich vier Unternehmen bieten Chatbots an, die auf der Karriereseite eingebunden werden. Diese relativ geringe Zahl mag damit zusammenhängen, dass die Nachfrage nach Chatbots nach einer ersten Euphorie abgenommen hat, weil die Unternehmen feststellten, dass diese Bots nicht immer die gewünschten Erfolge bringen, sondern nur dann, wenn sie sorgfältig konzipiert und laufend weiter trainiert werden. Sie mag auch damit zusammenhängen, dass zahlreiche Firmen bereits Chatbots einsetzen, auch solche, die ohne KI einfache Fragen beantworten. Immerhin sind laut Umfrage weitere KI-basierte Chatbots in Planung. Sieben Anbieter wollen in nächster Zeit eine solche Unterstützung für den Bewerbungsprozess in ihre Leistungen mit aufnehmen, neun planen KI-basierte Chatbots für die Karriereseite.

Download-Tipp: Chatbots in der Personalabteilung

In diesem kostenlosen Haufe-Whitepaper erfahren Sie, was Chatbots genau sind und wie sie den Arbeitsalltag in der Personalabteilung entlasten können. Hier geht es zum Download.

Bislang keine Videointerviews per KI

Noch weitaus zurückhaltender sind die Anbieter beim Thema Videointerviews. Keiner der Umfrageteilnehmer bietet derzeit die Möglichkeit an, Videointerviews mit Bewerberinnen und Bewerbern durch eine Künstliche Intelligenz führen zu lassen. Auch die Möglichkeit, Videointerviews mithilfe der KI auszuwerten, indem diese die Interviews mithört und zusammenfasst, wird derzeit nicht angeboten. Das Gleiche gilt für eine KI-gestützte Bewerbervorauswahl anhand von Sprachproben. "Das liegt sicherlich auch daran, dass die Kandidatinnen und Kandidaten das nicht besonders gut finden", sagt Wolfgang Brickwedde vom ICR. Dennoch könnte sich künftig einiges bei den Angeboten ändern. Jeweils zwei Unternehmen gaben an, daran zu arbeiten, dass eine Künstliche Intelligenz die Videointerviews durchführt beziehungsweise auswertet. Dass die KI Videointerviews mithört und zusammenfasst, steht sogar bei drei Anbietern auf der Agenda. 

Bei diesen Funktionalitäten steht allerdings die Frage im Raum, inwieweit sie datenschutzrechtlich überhaupt zulässig sind beziehungsweise was der EU AI Act für konkrete Anwendungsfälle vorsieht. "In der DSGVO ist unter anderem festgelegt, dass ein solches Tool auf wissenschaftlicher Basis beruhen muss. Daran werden vermutlich viele Anbieter scheitern", meint Wolfgang Brickwedde. Mit Blick auf den EU AI Act steht bereits heute fest: Der geplante europäische Rechtsrahmen stuft KI-Systeme, die ein Risiko für die Gesundheit, die Sicherheit oder für die Grundrechte natürlicher Personen darstellen, als hoch riskant ein. Dazu gehören auch KI-basierte Recruiting-Systeme, die Bewerbungen analysieren und die Bewerbenden in bestimmte Kategorien einstufen oder aussortieren.

Viele Eigenentwicklungen bei KI-basierten Tools

Zwei Drittel der Unternehmen, die an der Befragung teilgenommen haben und KI-basierte Tools im Angebot haben, geben an, dass sie diese selbst entwickelt haben. Oftmals werden hierbei zusätzlich Drittanbieter mit einbezogen – in den meisten Fällen wurde Chat GPT genannt. Mit ihren KI-Tools wollen die Anbieter ihren Kunden vor allem ermöglichen, ihre Produktivität und Qualität im Recruiting zu erhöhen. Und das scheint sich schon bei ihren Kunden zu verwirklichen. Fast 90 Prozent erkennen eine Produktivitätssteigerung, gut 80 Prozent eine verbesserte Qualität im Recruiting ihrer Kundenunternehmen. Zudem gehen zwei Drittel von Kostensenkungen aus. 

Ein Blick in die Angaben der einzelnen Anbieter macht deutlich: Manche haben schon sehr viele KI-Copiloten entwickelt, die ihren Kunden Arbeit abnehmen, Aufgaben automatisieren und Vorschläge erstellen. Ein Beispiel sind die Software-Lösungen der New Work SE: Acht Recruiting-Aufgaben werden bereits mit KI-basierten Tools unterstützt, weitere neun Funktionalitäten sind geplant. "Unsere KI-basierten Anwendungen im Recruiting-Bereich bieten eine vielfältige Palette von Lösungen, die die gesamte Recruiter-Journey effizienter gestalten werden", fasst Andrew Mairon, Director Product bei der New Work SE, zusammen. Sein Fazit lautet: "KI bringt enorme Chancen, den Recruiting-Prozess zu revolutionieren und die Effizienz sowie die Qualität der Ergebnisse zu steigern. Ein umsichtiger Umgang mit der Technologie hat für uns dabei natürlich höchste Priorität." Deshalb spiele in seinem Unternehmen der Datenschutz eine wichtige Rolle, um die Sicherheit der Bewerberdaten zu gewährleisten. "Das gilt auch für alle Weiterentwicklungen und Anpassungen unserer KI-Algorithmen", so Andrew Mairon.

Ähnlich groß ist die Angebotspalette bei Stepstone, die bald um weitere sieben Funktionalitäten von der SEO-Optimierung der Karriereseite bis zu Diversitätsanalysen ergänzt werden soll. Zusätzlich zu den Tools, die sich an Unternehmen richten, gibt es weitere für Stellensuchende. Dazu eine Sprecherin des Unternehmens: "Für Kandidatinnen und Kandidaten bieten unsere KI-Tools beispielsweise die Möglichkeit, Bewerbungsunterlagen zeitsparend zu erstellen, indem individuelle Lebensläufe und Anschreiben automatisch generiert werden. Zudem ermöglicht das Chat GPT-Plugin Jobsuchenden eine effiziente Jobsuche." Mit der Bandbreite an KI-basierten Tools soll für beide Seiten der Recruiting-Prozess einfacher, schneller, effizienter und transparenter gestaltet werden. Die Tools sind Eigenentwicklungen, beziehen aber bestehende generative KI wie Chat GPT mit ein.

Auch Hey Jobs setzt auf selbstentwickelte KI, mit teilweiser Einbeziehung von Drittanbietern. "Die Kernbestandteile unserer Produkte Hire und Reach für zielgenaues Recruiting-Marketing, Zielgruppenerstellung, Social-Media-Ausspielung, Kanalbudgetdistribution und Job-Empfehlungen sind selbst entwickelt. Für andere Tools wie die Erstellung von Stellenanzeigen arbeiten wir mit verschiedenen Large Language Modellen, unter anderem Open AI", sagt HeyJobs-Gründer Marius Luther.

Hier können Sie die Übersicht "Diese KI-Tools unterstützen bei Recruiting-Aufgaben" als PDF herunterladen.

Risiko: Mangelnde Diversität

Die Jobbörse setzt seit ihrer Gründung auf das Prinzip: Arbeitgeber stellen ihre Stellenbeschreibung ins System ein, HeyJobs kümmert sich um die Optimierung der Stellenanzeige und eine zielgerichtete Verbreitung. Oder wie Marius Luther erklärt: "Insbesondere das zielgenaue Targeting von passiv Stellensuchenden auf Social Media ist KI-gestützt. Es geht darum zu wissen, wer in der Zielstadt und der Zielberufsgruppe die richtigen Kandidatinnen und Kandidaten sind."

Durch die verbesserte Möglichkeit der personalisierten Kandidatenansprache ergebe sich für die Unternehmen die Chance, immer zielgenauer rekrutieren zu können. "Die Risiken sind, dass eine KI zu sehr diskriminiert auf Basis dessen, was in der Vergangenheit erfolgreich war und somit als gelernt gilt", gibt er zu bedenken. "Hier muss aufgepasst und aktiv gegengesteuert werden, um Diversität und Chancengerechtigkeit in Unternehmen sicherzustellen", sagt Marius Luther. Sein Unternehmen arbeitet deshalb auch an Diversitätsanalysen, die neben sieben weiteren Funktionalitäten bald angeboten werden sollen. 

Diversität sieht Felix Altmann, Senior Corporate Communications Manager DACH bei Indeed, ebenfalls als wichtigen Punkt an: "Der Umgang mit Biases und Diskriminierung ist zugleich größte Herausforderung und Chance beim Einsatz von KI im Recruiting", sagt er. Sein Unternehmen habe deshalb eigene "Responsible AI Prinzipien" aufgestellt, in denen es sich verpflichte, ein besonderes Augenmerk darauf zu haben, Ungleichheiten aller Art zu vermeiden und die Stellensuchenden in den Mittelpunkt zu stellen. Auch bei Indeed sind sieben weitere KI-basierte Tools in Arbeit, ein Tool für Diversitätsanalysen gehört noch nicht dazu. Überhaupt stellen erst zwei der befragten Anbieter KI-gestützte Diversitätsanalysen zur Verfügung. Bei zwei weiteren gibt es konkrete Planungen hierzu.

Klare Signale an die Stellensuchenden

Während die etablierten Anbieter von Bewerbermanagement-Systemen und die großen Jobportale KI-basierte Anwendungen nach und nach in ihre Angebotspalette integrieren, setzen Startups häufig von Anfang an auf Künstliche Intelligenz. Ein Beispiel ist Jobninja: "KI ist seit der Gründung im Jahr 2016 ein zentraler Bestandteil von Jobninja. Wir haben mit unserem Traffic Optimizer eine eigene KI entwickelt, die das Multiposting von Stellenanzeigen und die Performance-Überwachung weitgehend automatisiert", sagt CEO Mircea Popa. 

Er ist davon überzeugt, dass Chat GPT und andere KI-Tools das Recruiting nachhaltig verändern werden. Sein Unternehmen hat mittlerweile vier Chat GPT-Anwendungen im Angebot, für Unternehmen und Stellensuchende. Geplant sind weitere Angebote wie Erfolgsprognosen von Bewerbenden, Kandidatenempfehlungen auf Basis von Bewerbungsunterlagen und das Erstellen von Interviewfragen. Das große Plus für Unternehmen sieht er darin, die Aufgaben im Recruiting effizienter zu gestalten, indem repetitive Aufgaben automatisiert werden, wie etwa das Screening von Lebensläufen, Terminvereinbarungen für Interviews und die Bewerberkommunikation. Aber er sieht auch die Herausforderungen, zu denen aus seiner Sicht nicht nur Datenschutz und der Umgang mit Voreingenommenheit gehören, sondern auch Transparenz – also die Information, dass und an welchen Stellen im Bewerbungsprozess KI zum Einsatz kommt. Sein Unternehmen rät den Kunden, dies auf jeden Fall an die Bewerberinnen und Bewerber zu kommunizieren. 

Noch spricht allerdings weniger als die Hälfte der Anbieter eine solche Empfehlung aus. Häufig heißt es: "Wir überlassen es den Kunden, ob sie das kommunizieren wollen oder nicht." 

Arbeitgeber sind sehr interessiert an KI-Tools

Die Umfrage macht deutlich: Die Unternehmen, die KI-Tools im Angebot haben oder planen, sehen große Chancen für das Recruiting. Die meisten (56 Prozent) gehen von einer hohen Nachfrage aus, 39 Prozent immerhin von einer mittleren Nachfrage. Ein Anbieter spricht sogar von sehr hoher Nachfrage. Manche haben ihre Einschätzung mit einer Befragung untermauert, zum Beispiel MHM HR: "Eine Kundenumfrage lässt auf eine hohe Nachfrage schließen", sagt Steffen Michel. Sein Unternehmen hat wie bereits beschrieben noch keine Angebote, sondern befindet sich gemeinsam mit seinen Kunden in der Evaluation. Acht Recruiting-Aufgaben vom Verfassen und der SEO-Optimierung von Stellenanzeigen bis zur Personalisierung der Ansprache im Active Sourcing sollen KI-basiert unterstützt werden. Er sagt: "Wir wollen nichts überstürzen, gehen jedoch bereits heute von einem hohen Einfluss auf die Performance im Recruiting aus."

Das Recruiting muss umdenken

Einen Schritt weiter ist das Jobportal Jobvector, das heute sieben Tools zur Verfügung stellt, deren Effekte es evaluiert hat: "Die gezielte Bewerbung der Stellenanzeige im Portal und auf Social Media führt im Durchschnitt zur dreifachen Anzahl an Bewerbungen und zu fünffachen Zugriffszahlen", weiß CEO Eva Birkmann. Sie sieht besondere Chancen in der fachspezifischen Optimierung der Stellenanzeige und in präzisem Targeting: "Die Zielgruppe wird auf zahlreichen Medienkanälen in Social Media, Suchmaschinen und Displays präzise angesprochen. Dies ermöglicht eine hohe Quantität an qualitativen Bewerberinnen und Bewerbern."

Ein Faktor könnte allerdings verhindern, dass die Tools ihre positive Wirkung voll und ganz ausspielen: Wenn die Recruiterinnen und Recruiter nicht umdenken, Themen aus anderen Perspektiven betrachten und ihre Aufgaben teilweise neu organisieren, wird es schwierig sein, die gewünschten Effekte zu erreichen. Oder wie Laura Slade, CIO bei Catch, formuliert: "Ein mögliches Hindernis ist die Akzeptanz in den HR-Teams. Hier steht schon immer das Bauchgefühl einer professionellen Eignungsdiagnostik gegenüber. Nun geht es darum, sich darauf einzulassen, dass die KI Vorschläge bei der Kandidatenauswahl erstellt und Videointerviews auswertet", sagt sie und ergänzt: "Oftmals bestehen auch Ängste, dass zu viele passende Kandidatinnen und Kandidaten ermittelt werden und es dadurch zur Überforderung kommt. Vor zu vielen Kandidatinnen und Kandidaten braucht sich allerdings niemand zu fürchten, denn die KI kann bei der Priorisierung beispielsweise mit Matching-Scores unterstützen."

Aber nicht nur die Akzeptanz in den HR-Teams ist relevant, sondern auch die der Stellensuchenden. Was halten Bewerberinnen und Bewerber von den Tools? Für welche Recruiting-Prozessschritte wünschen sich Arbeitgeber KI-Unterstützung? Diesen Fragen geht Wolfgang Brickwedde in seinen erweiterten Analysen nach. Auch die gemeinsame Umfrage mit dem Personalmagazin wird von ihm fortgeführt und detailliert ausgewertet.

Zum Download: Diese KI-Tools unterstützen bei Recruiting-Aufgaben


Dieser Beitrag ist erschienen in Personalmagazin 4/2024. Als Abonnent haben Sie Zugang zu diesem Beitrag und allen Artikeln dieser Ausgabe in unserem Digitalmagazin als Desktop-Applikation oder in der Personalmagazin-App.


Das könnte Sie auch interessieren:

Booklet zum Download: "Trends im Recruiting 2024: Ideen, Lösungen, Tools"

HR und KI: Wo die rechtlichen Fallen lauern

Inserate optimieren mit KI (Personalmagazin digital)

Wie KI Jobsuche und Bewerbung verändert