Flüchtlinge an Hochschulen und in akademischen Berufen

Hochschulen und Unternehmen kooperieren bei der akademischen Ausbildung geflüchteter Menschen – nicht nur finanziell, sondern mit Zugängen zur Arbeitswelt. Wie dies gelingt und welche Erfahrungen die Unternehmen bisher gemacht haben.

Das Team um Markus Kreßler ist auf der Suche: nach Unternehmen, die Kiron, seine Bildungsplattform für Geflüchtete, finanziell unterstützen. Aber der Kiron-Gründer und -Geschäftsführer sucht vor allem Mitarbeiter dieser Firmen, die Mentoren für Flüchtlinge werden wollen – und zwar online. Dafür müssen sie zwei Stunden pro Monat kalkulieren. Kiron trainiert die Online-Mentoren, bevor sie ins Matching-Programm mit Studierenden gehen. Stehen die Paare fest, kommunizieren sie per Video-Chat.

Bildungsplattform für Flüchtlinge will Hochschulzugang erleichtern

Die Plattform hat sich darauf spezialisiert, Geflüchteten den Zugang zum Hochschulstudium zu erleichtern. Ohne sofort die formalen Zugangsvoraussetzungen beweisen zu müssen, können sie sich in Sprache, Mathematik und wissenschaftlichem Arbeiten weiterbilden. Videovorlesungen in Ingenieurwissenschaften, Architektur, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften sowie Informatik bietet das Berliner Start­-up ebenso an wie Deutschkurse. Aktuell studieren bei Kiron 2.700 Geflüchtete. Die Leistungen können von über 20 Partnerhochschulen anerkannt werden. Wechseln die Geflüchteten ins Studium, können sie oft ein Jahr überspringen. Stiftungen, Unternehmen und private Spender von Allianz über H&M, Telekom, UBS und Schöpflin listet die Online-Plattform als Unterstützer auf.

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung garantiert eine Millionen-Förderung für weitere Studienplätze, Personal und eine wissenschaftliche Evaluierung des Projekts. „Wir verkaufen Mentorenplätze an Firmen“, beschreibt Kreßler, „einzeln, aber gerne auch als Paket.“ So finanziert die Berliner Wirtschaft 200 Plätze; VW ist mit 100 Mentoren dabei.

Zahl der Flüchtlinge an Hochschulen steigt

Zu erfassen, wie viele Geflüchtete es insgesamt an die Hochschule geschafft haben, ist schwierig. Das Statistische Bundesamt zählt die Studierenden nicht nach ihrem Flüchtlingsstatus, sondern nach Staatsangehörigkeit – eine Ungenauigkeit bleibt also, wenn man die Hauptherkunftsländer der Geflüchteten als Beispiele auswählt. Im Wintersemester 2016/17 kamen an Universitäten 844 Studierende aus Afghanistan, 749 aus dem Irak, 6.495 aus dem Iran, 4.249 aus Syrien. Auch in den Fachhochschulen stiegen die Zahlen: 524 Studierende kamen aus Afghanistan, 419 aus dem Irak, 1.562 aus dem Iran und 1.169 aus Syrien. Hinzu kamen Gasthörer (die in diesem Status keinen Abschluss machen können). Deren Zahl stieg vom WS 2015/16 auf WS 2016/17 um sechs Prozent auf 36.900, unter ihnen stieg die Zahl der ausländischen Gasthörer um 58 Prozent auf 4.900. 1.600 davon kamen aus Syrien – viermal mehr als im Vorjahr.

Flüchtlinge im Studium: Hoher Betreuungsbedarf

Was auch steigt, ist der Betreuungsbedarf, denn das deutsche Hochschulwesen hat seine nationalen Eigenheiten. Deshalb fördert die Evonik Stiftung in Essen über fünf Jahre die akademische Ausbildung von Geflüchteten an der Ruhr-Universität Bochum. Zu den sieben Stipendiaten aus dem vergangenen Jahr kommen im aktuellen Wintersemester acht junge Syrer, die Ingenieur-, Natur- oder Wirtschaftswissenschaften studieren. „In beiden Gruppen ist jeweils eine Stipendiatin“, sagt Heike Bergandt, Geschäftsführerin der Evonik Stiftung. „Junge Frauen unter den Geflüchteten, die eine akademische Ausbildung anstreben, sind derzeit in der Minderheit.“ Nicht alle Studierenden sind Uni-Anfänger. Einige besuchten bereits in Syrien die Hochschule. Jetzt sind sie im Bachelor- und Masterstudium und erhalten die monatliche Unterstützung von 300 Euro, die sich Evonik und das Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen des Deutschlandstipendiums teilen.

Gesucht: Förderer, Mentoren, Paten

Vom Deutschlandstipendium, das im Juli 2017 bundesweit über 25.000 junge Talente an rund 300 Hochschulen mit 150 Euro monatlich unterstützt, wenn sich private Förderer auf die anderen 150 Euro verpflichten, können auch begabte Geflüchtete profitieren. Die Hochschulen übernehmen die Bewerberauswahl. Leistungsstärke, die Bereitschaft, sich ehrenamtlich zu engagieren und die Diskussion aktueller gesellschaftlicher Fragen sind Kriterien. Ob an der Technischen Universität Dresden oder der Hamburger Fernhochschule, Stipendiaten mit eigener Fluchterfahrung unterstützen Neuankömmlinge beim Gang zu den Ämtern oder betreuen geflüchtete Kinder. Die Studierenden erhalten die Förderung für ein Jahr, können aber Verlängerung beantragen.

Begleitprogramme zur Berufsvorbereitung für studierende Flüchtlinge

An der Ruhr-Uni trägt zu ihrer finanziellen Entspannung bei, dass die Evonik Stiftung die Kosten für die Semestersozialbeiträge und für Lernmittel übernimmt. Ein Begleitprogramm bringt den Studierenden sowohl das Arbeitsleben wie unterschiedliche Facetten der Gesellschaft nahe: Gemeinsam wurden der Evonik-Biotechnologiestandort im westfälischen Halle besucht – wie auch die Ruhrfestspiele in Recklinghausen. In den kommenden Semesterferien wird es ein Bewerbungscoaching geben und ein Seminar zum Thema „Business-Kommunikation“. Will Evonik über seine Stiftung den eigenen Fachkräftemangel mindern? Wohl kaum, denn die Geflüchteten studieren weder Chemie noch Physik oder Verfahrenstechnik, nur einer hat den Studiengang „Material Science“ gewählt. „Mit guten Studienabschlüssen haben die Stipendiaten eine gute Grundlage für ihre weitere berufliche Zukunft“, sagt Bergandt.

Der Weg an die Uni ist oft steinig

Zwar stellen die Bundesländer für die Integration von Flüchtlingen an Hochschulen Budgets bereit, darunter Nordrhein-Westfalen bis zu 30 Millionen Euro jährlich, doch Unternehmen mit Förderwillen ohne zu strikten Blick auf den eigenen Fachkräftemangel sind an den wissenschaftlichen Ausbildungsstätten durchaus gefragt. Der Deutsche Akademische Austauschdienst DAAD, die Akademischen Auslandsämter an den Hochschulen und die Hochschulrektorenkonferenz bieten eine Fülle von Informationen. Den Geflüchteten soll der Zugang zu den Hochschulen erleichtert werden. So ist TestAS, der standardisierte Test für Ausländische Studierende, für registrierte Flüchtlinge kostenlos. Auch die formale Vorprüfung „Uni-Assist“, ob die Hochschulzulassung in Deutschland möglich ist, kostet nichts. Dennoch bleiben bei aller Hilfsbereitschaft die Wege verschlungen.

Die Tür zur Wirtschaft öffnen

Die Randstad Stiftung hat an der privaten Hochschule der Wirtschaft für Management (HdWM) für drei Jahre zwei Patenschaften für syrische Studierende übernommen, die ihren Bachelor in IT-Management anstreben. „Wir wollen die Stipendiaten nicht zu eng an uns binden“, sagt Hanna Daum, Geschäftsführender Vorstand der Randstad Stiftung, die die Patenschaftsurkunden überreichte. „Die Hochschule begleitet die Studierenden kontinuierlich, wir korrespondieren und können aus unserer regionalen Niederlassung heraus auch Kontakte für Praktika vermitteln.“ Denn die Tür zur Wirtschaft zu öffnen, ist erklärtes Ziel der HdWM. Die Hochschule wirbt erfolgreich ein breites Spektrum an Förderern ein, darunter die Unternehmensberatung Hays, das Software Kontor und ABB. 2017 erhielt sie dafür als eine von bundesweit sieben Hochschulen 50.000 Euro vom Stiftungsfonds Deutsche Bank im Stifterverband – zum einen für Stipendien, zum anderen, um die Flüchtlingsarbeit mit Zusatzangeboten rund ums Studium noch weiter zu verbessern.


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