Flüchtlinge als Auszubildende: Erfahrungen aus der Praxis

Wenn Flüchtlinge den Schritt aus der Berufsvorbereitung in die duale Ausbildung schaffen, haben sie eine große Hürde genommen - auch wenn vor allem die Sprache weiterhin eine Herausforderung bleibt. Erfolgreiche Beispiele aus der Praxis zeigen, wie eine Integration durch Ausbildung gelingen kann.

Einige Auszubildende des Druckluftspezialisten Kaeser Kompressoren in Coburg haben eine adelige Adresse: Schloss Ketschendorf. Doch es ist lediglich ein neueres Nebengebäude im Park, das zu einem modernen Wohnheim mit 30 Zimmern umgebaut wurde, und nicht das mit Türmchen und Stuck verzierte Haupthaus. In sechs Wohngruppen leben hier Spanier und Syrer, Afghanen, Äthiopier und Italiener. Die Azubis sind in den Wohngruppen bunt gemischt, denn sie sollen Deutsch sprechen und unterschiedliche Kulturen erleben. Ein Sozialarbeiter unterstützt die jungen Männer dabei, den WG-Ordnungsplan aufzustellen und auch die eigene Freizeit zu organisieren. Es haben sich, zusätzlich zu den unterstützenden Maßnahmen von Kaeser, private Lerngruppen gebildet, zu denen auch die deutschen Kollegen stoßen. Dabei wird der Berufsschulstoff vertieft, es wird Deutsch gepaukt und Schulaufgaben werden gemeinsam erledigt. Aber es wird auch am Feierabend gegrillt und Fußball gespielt. Natürlich schaut der Sozialarbeiter auf das Seelenleben der jungen Mitarbeiter – wie auch alle Ausbilder im Betrieb.

Kaeser Kompressoren bildet 30 ausländische Azubis aus

Das Familienunternehmen im bayrischen Oberfranken an der A 73 zwischen Suhl und Bamberg ist es gewohnt, seine Mitarbeiter und Auszubildenden von nah und fern zu rekrutieren. Und weil 2016 zu den üblichen rund 80 Azubis in Coburg und Gera weitere 30 ausländische Kandidaten hinzukamen, wurde das Ausbildungszentrum vergrößert und es wurden neue Ausbilder eingestellt. Für seine gute Ausbildung wurde Kaeser schon mehrfach prämiert. Das liegt nicht zuletzt daran, dass Ausbildungsleiter Rüdiger Hopf und sein Team schon im Auswahlverfahren darauf achten, dass alles passt: „Die Flüchtlinge sollen gerne bei uns arbeiten und bei der Prüfung gute Ergebnisse erzielen wollen“, sagt Hopf. „Wir wollen niemanden permanent anschieben müssen.“

"Die Flüchtlinge sollen gerne bei uns arbeiten und bei der Prüfung gute Ergebnisse erzielen wollen“, sagt Rüdiger Hopf, Ausbildungsleiter bei Kaeser Kompressoren.

Was ihn leitet: „Die Auszubildenden vertreten unser Unternehmen nach draußen und wir wollen Enttäuschungen auf beiden Seiten verhindern.“ In der aktuellen Bewerbungsrunde mit 30 Stellen für den 1. September sind noch einige Plätze frei. Disziplin und Pünktlichkeit, ein höflich-freundliches Miteinander und Lernbereitschaft werden bei den jungen Menschen vorausgesetzt. Neben handwerklichem Geschick sind diese sozialen Kompetenzen ein Entscheidungskriterium für den Start in die Kaeser-Ausbildung in den Bereichen Metall- und Elektrotechnik sowie im Lager.

Über 8.600 Asylsuchende haben einen Ausbildungsplatz

Insgesamt sind rund 40 Prozent der Asylsuchenden, die Interesse an einem Ausbildungsplatz angemeldet und die Ausbildungsreife erlangt haben, untergekommen, berechnete die Bundesagentur für Arbeit (BA) in ihrem Migrations-Monitor Arbeitsmarkt Ende Juni. Das sind über 8.600 der Menschen, die hier Schutz und Arbeit suchen. Da aktuell noch viele junge Leute im Praktikum, in der Einstiegsqualifikation und diversen Programmen aus Spracherwerb und Berufspraxis sind, gibt es in der BA einen vorsichtigen Optimismus, dass mit dem neuen Ausbildungsjahr im September die Zahl der Azubi-Verträge stark ansteigt.

Nach wie vor Unsicherheit bei Unternehmen

Das hängt nicht nur von den Bewerbern, den Jobcentern und Arbeits­agenturen oder den Unternehmen ab, sondern auch von der jeweiligen Ausländerbehörde. Denn die Mitarbeiter dort entscheiden darüber, ob Asylsuchende, deren Verfahren noch nicht beendet, die also noch nicht anerkannt sind, oder die bereits abgelehnt wurden, eine Ausbildung aufnehmen dürfen. Zwar wurden die Bestimmungen derart präzisiert, dass jetzt eine Duldung für die Zeit der Ausbildung sowie zwei weitere Jahre nach dem erfolgreichen Berufsabschluss der Normalfall ist, aber es gibt Auslegungsprobleme: Gilt die Unterschrift unter dem Vertrag schon als Aufnahme der Ausbildung oder muss der erste Ausbildungstag beinahe direkt auf den Vertragstermin folgen? Kann der Passus auch für Menschen aus als sicher definierten Heimatländern gelten?

Die Ausländerbehörde entscheidet, ob Asylsuchende, deren Verfahren noch nicht beendet, die also noch nicht anerkannt sind, oder die bereits abgelehnt wurden, eine Ausbildung aufnehmen dürfen.

Der WDR berichtete über ein Unternehmen in Gronau, das zwischen Unterschrift und Ausbildungsstart die Abschiebung eines 19-jährigen Albaners nicht verhindern konnte. Die Zusammenarbeit zwischen Behörden und Arbeitgeberverbänden, Handwerkskammern und IHK sowie schließlich den Unternehmen beim Thema Geflüchtete und Ausbildung zu intensivieren, kann solche Friktionen verhindern.

"Chance plus" bei der Deutschen Bahn

So kooperiert die Deutsche Bahn (DB) bereits seit 2004 mit der Bundesagentur für Arbeit – bei der Einstiegsqualifizierung „Chance plus“ für Jugendliche ohne Ausbildungsreife. Seit 2015 gehören Geflüchtete dazu. Sie erhalten einen Extra-Deutschkurs. Und bereits im Herbst 2016 starteten elf der Flüchtlinge in die Ausbildung als Elektroniker, Mechatroniker und Koch in der Systemgastronomie. Für Herbst gibt es 50 zusätzliche Plätze, die noch nicht alle vergeben sind.

Die sprachlichen Hürden für Flüchtlinge in Ausbildung sind groß. "Abisolierzange ist schon ein besonderer Begriff", veranschaulicht Ulrike Stodt, Teamleiterin Bildungsprogramme bei der Deutschen Bahn.

Ulrike Stodt, Teamleiterin Bildungsprogramme, sieht in der Fachsprache eine Hürde: „Abisolierzange ist schon ein besonderer Begriff.“ Und doch unumgänglich, weil man mit ihr das Plastik abzieht, ehe das Kabel in die Lüsterklemme gesteckt wird. Die Koordinatorin des DB-Engagements in der Flüchtlingsintegration setzt auf das Zusammenspiel von Ausbildern, Deutschlehrern und Sozialarbeitern. „Wenn der Kennenlernbann erst gebrochen ist“, erzählt Stodt, „entsteht schnell eine vertrauensvolle Zusammenarbeit.“

Am Ausbildungsmarkt geht kein Weg vorbei

Wie positiv Erfahrung wirkt, zeigt das Beratungsunternehmen BCG in seiner Studie „Integrationskraft Arbeit“, für die im März rund 300 Firmen befragt wurden. 30 Prozent der Befragten wollen mehr, weitere 29 Prozent gleich vielen Flüchtlingen einen Lehrvertrag geben – und 34 Prozent sind unschlüssig.

Die formale Qualifikation und die anerkannte Berufserfahrung aus den Heimatländern stehen oft hinter den hohen Standards der dualen Ausbildung hier zurück.

Noch lernen die meisten Geflüchteten bei den Befragten in der Berufsvorbereitung Sprache und Berufsalltag kennen. „Doch der Weg geht in der Regel über den Ausbildungsmarkt“, sagt BCG-Studienleiter Alexander Baic, Experte für Gesellschafts- und Sozialfragen. „Und das wird auch so bleiben.“ Denn die formale Qualifikation und die anerkannte Berufserfahrung aus den Heimatländern stehen oft hinter den hohen Standards der dualen Ausbildung hier zurück oder sind mit der deutschen Berufsausbildung schwer vergleichbar. Auch deshalb fördert die BA personell und finanziell die assistierte Ausbildung und ausbildungsbegleitende Hilfen.

Positive Azubi-Erfahrungen auch bei 3M in Neuss

Ein Unternehmen, das nach guten Azubi-Erfahrungen einen zweiten Versuch wagt, ist 3M in Neuss. Vor einem Jahr richtete der Multitechnologiekonzern eine zusätzliche Ausbildungsstelle für Diaa Almsouty ein. Der Syrer hatte in seiner Heimat Abitur gemacht, hier wurde das als Realschulabschluss anerkannt. Jetzt lernt er Industriekaufmann. Trotz des Zertifikats für B2 – dem Ziel der Kurse für Asylbewerber – braucht der Azubi zusätzliche Deutschstunden fürs Sprachverständnis. Sein Berufsschullehrer unterstützt den hochmotivierten 32-Jährigen, der kürzlich Vater wurde, ebenso wie 3M, das ihn für die ausbildungsbegleitende Hilfe freistellt. Bis Februar 2019 will Almsouty die komplexen kaufmännischen Textaufgaben sicher beherrschen, die in der Kammerprüfung im Multiple-Choice-Verfahren auf ihn zukommen. „Die Feinheiten und Unterschiede muss er unter Zeitdruck verstehen und das Kreuz an der richtigen Stelle setzen“, sagt Diana Klömpken, die mit dem ersten Zeugnis und den Noten im Mittelfeld zufrieden ist.

Flüchtlinge Ausbildung 3M

Die 3M-Ausbildungsleiterin betont, dass Geflüchtete das Bewerbungssystem durchlaufen müssen wie jeder andere: Schulleistung, persönliche Ausstrahlung, praktisch-handwerkliches oder kaufmännisches Interesse werden erfragt, getestet und bewertet. „Wir sind Profis und nur wenn einer uns überzeugt – auch menschlich –, erhält er einen Ausbildungsvertrag“, so Klömpken.

„Wir sind Profis und nur wenn einer uns überzeugt – auch menschlich –, erhält er einen Ausbildungsvertrag“, so Diana Klömpken, Ausbildungsleiterin bei 3M.

Das hat ein 29-Jähriger aus Sri Lanka im Status der Duldung nun geschafft und wird im September im Werk Hilden als Industriemechaniker-Azubi für Produktionstechnik starten. Dreieinhalb Jahre wird er mit den anderen, deutlich jüngeren Azubis zwischen der Herstellung von reflektierenden Folien und Automobilprodukten, dem Blockunterricht in der Ausbildungswerkstatt und Berufsschule pendeln.

Vor- und Nachmachen statt nur Erklären: So baut Rittal Sprachhürden ab

Das Sprachverständnis und die IHK-Prüfung sind das untrennbare Paar, für das in den Unternehmen Auszubildende und Ausbilder, Berufsschul- und Sprachlehrer hart arbeiten. Bilderwörterbücher oder selbst gebastelte Fotowände überwinden Sprachbarrieren: Hammer und Feile für Techniker, Messer und Suppentopf für Gastronomen sind als Bild eindeutiger als jede Erklärung.

„Wichtig ist es, auf jeden der Teilnehmer individuell einzugehen“, sagt Rittal-Ausbildungsleiter Matthias Hecker. Und: „Bei der Sicherheitsunterweisung darf es keine Lücken geben.“

Manchmal hat eine kleine Änderung des Gewohnten große Wirkung. Der Systemanbieter für Schaltschrank- und Klimatechnik Rittal im hessischen Herborn hat den Lernprozess aus Erklären und Üben um die Phasen Vor- und Nachmachen ergänzt. Wie man den Bohrer einspannt, den Brenner beim Schweißen hält und das Werkstück zum Fräsen fixiert, das muss sitzen. Dafür sorgen Ausbilder und Azubipaten. „Wichtig ist es, auf jeden der Teilnehmer individuell einzugehen“, sagt Ausbildungsleiter Matthias Hecker. Und: „Bei der Sicherheitsunterweisung darf es keine Lücken geben.“ Die beiden ersten von vier Flüchtlingen unter den Azubis hat er so schon durch die Prüfung zum Maschinen- und Anlagenbauer gebracht – in der Regelzeit von zwei Jahren.

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