Frauenquote: Talente-Pipeline ist nicht ausreichend gefüllt

Die Frauenquote ist ein Schritt in die richtige Richtung, sie wird aber das Thema mehr Frauen in Führungspositionen nicht alleine lösen. Es gilt jetzt, die richtigen Hebel in der Personalpolitik zu stellen, um die Gleichstellung in den Unternehmen umzusetzen. Die Talente-Pipeline an Nachwuchsfrauen muss weiter gefüllt werden.

Der neue Ton in der Debatte war an den Hashtags in den sozialen Medien ablesbar. Unter "#ichwill" und "#jetztreichts" machen fünf prominente Frauen, darunter Janina Kugel als einzige (ehemalige) Top-Managerin, ihren Unmut laut, dass zahlreiche Vorstände weiterhin reine Männerclubs sind. Die Wut haben insbesondere diejenigen Unternehmen angeheizt, die sich die Zahl null als Zielvorgabe für Vorstandsfrauen gaben und auf die Unionsfraktion vertrauten, die seit einem Jahrzehnt ein Gesetz zur Frauenquote verhinderte.

Frauen-Netzwerk als entscheidender Faktor für Umschwenken der Politik

Den prominenten Frauen gelang es diesmal aber, die Ablehnungsfront aufzubrechen. Ihr Frauen-Netzwerk in die Politik war dafür ein entscheidender Faktor, sodass CSU-Chef Markus Söder als Erster signalisierte, dass er die Einführung einer Frauenquote unterstützt. Der von Bundesfamilienministerin Franziska Giffey ausgearbeitete Gesetzentwurf "FüPoGII" soll jetzt nochmals überarbeitet und auf den Weg gebracht werden – zu erwarten ist eine gegenüber dem ersten Gesetzentwurf stark abgeschwächte Quotenvorgabe, über die Details wird in den nächsten Wochen noch gerungen werden.

Das falsche Narrativ: Wirkmechanismus ist empirisch nicht belegt

Doch ist das wirklich der Durchbruch für die Gleichstellung in den Unternehmen, den viele schon vorzeitig feiern? Zwanzig Jahre lang haben sich die Unternehmen selbst verpflichtet, die Gleichstellung voranzubringen. Es wurden Frauenbeauftragte ernannt, Förderprogramme gestartet, es wurde viel in Gang gesetzt, doch in der ersten und zweiten Führungsebene der Unternehmen sind Frauen nach wie vor stark unterrepräsentiert. Je größer das Unternehmen ist, desto größer wird die Kluft. Das zeigen die Zahlen des IAB-Betriebspanels, die repräsentativ für die Gesamtwirtschaft sind ( zum Kurzbericht der IAB-Analyse zu Frauen in leitenden Positionen gelangen Sie hier).

In der "Diversity-Community", die das Thema treibt, gibt es derzeit ein Narrativ, das inzwischen auch von großen Unternehmensberatungen wie BCG oder McKinsey munter geteilt wird: Gemischte Führungsteams seien doch viel kreativer, offener und innovativer als homogene Männercliquen. Auch das Familienministerium bedient sich im Kontext des neuen Gesetzesentwurfs für das "FüPoGII" einem ganz ähnlichen Narrativ. Hier wird gebetsmühlenartig wiederholt, dass gemischte Teams erfolgreicher sind, Innovationen fördern und überhaupt dem schleppenden Geschäft ganz neue Produktivitätsgewinne bescheren. Das Problem dabei: Der Wirkmechanismus ist empirisch nicht belegt, es könnte auch so sein, dass wirtschaftliche erfolgreiche Unternehmen mehr Diversity umsetzen (hier erfahren Sie mehr zur empirischen Forschung darüber, ob Frauen Unternehmen wirklich erfolgreicher machen).

Ökonomische Argumente für mehr Vorstandsfrauen führen in Sackgassen

Was viele Akteurinnen dabei anscheinend nicht sehen, diese ökonomische Begründung braucht es überhaupt nicht. Chancengerechtigkeit ist nicht nur ein Grundrecht, sondern kann viel einfacher gelingen. Denn wer nur auf vermeintlich ökonomische Argumente setzt und nicht in sein Unternehmen hineinhört, läuft am Ende in zwei Sackgassen: Erstens entkoppelt sich die Thematik Frauenkarrieren immer stärker vom echten unternehmerischen Bedarf. Öffentlichkeitswirksame Parolen werden zum Selbstzweck, wie das häufig in Social Media zu beobachten ist. Zweitens wird der wirtschaftliche Erfolg männlich geprägten Führungsriegen abgesprochen und gemischten Teams zugesprochen, womit wiederum Klischees bedient werden, die der empirischen Überprüfung nicht standhalten.

Gleichstellung in der Führung: Lösungen statt Betroffenheit

Kurzum: Diversity-Vorhaben im Speziellen und Gleichstellung in der Führung ist zu wichtig, um derart verpackt, belabelt und öffentlich verramscht zu werden. Wenn wir das Thema weiterhin derart emotional aufladen und oberflächlich behandeln, bleiben von vielen gut gemeinten Initiativen am Ende womöglich nur noch sauber gerankte Positiv- und Negativlisten à la Albright Stiftung übrig. Zu diesem Zeitpunkt dürften sich viele Top-Manager bereits vom Thema abgewandt haben. 

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Um wirksam Aussagen über den Zustand der Frauen in den Unternehmen machen zu können, braucht die Diversitätsdebatte einen neuen Fokus, der konkret, ehrlich und differenziert die aktuelle berufliche Situation der Führungsanwärterinnen spiegelt. Aus der ewigen Betroffenheitsdebatte muss eine Lösungsdebatte werden. HR-Fachleute und Diversity-Beauftragte müssen erkunden, wo genau die strategischen wie auch operativen Knackpunkte in ihrer Organisation liegen, die Frauen den beruflichen Aufstieg erschweren oder unmöglich machen.

Anstatt nur auf die Anzeigetafel zu schauen, sollten Unternehmen ihren Blick auf das Spielfeld lenken. Hier geht es dann nicht mehr um die Frage: Warum haben wir zu wenig Frauen im Top-Management? Sondern vielmehr um die Frage: Zu welchem Zeitpunkt und auf welcher Karrierestufe fallen uns die Frauen reihenweise aus der Talente-Pipeline? Und stehen dann logischerweise bei der Vorstandsbesetzung nicht mehr zur Verfügung.

Diversity auf Vorstandsebene: Wunsch und Wirklichkeit

Eine fragwürdige Antwort auf diese Frage fand vor kurzem eine Studie des Beratungsunternehmens BCG heraus. Die zentrale Erkenntnis aus rund 100 börsennotierten Unternehmen: "Die Talent-Pipeline ist gut gefüllt". Bei genauerer Betrachtung stellt sich allerdings heraus, dass die Beratung lediglich die erste und zweite Ebene unter dem Vorstand bei Großkonzernen abgefragt hatte. Den Frauenanteil von 19 Prozent in der ersten Ebene als "gut gefüllt" zu bezeichnen, ist schlicht falsch und verzerrt die Wahrnehmung. Es gibt Frauen, aber sie sind eben deutlich unterrepräsentiert und können noch nicht die Vielfalt der Funktionen abdecken.

Mit einer solchen Aussage wird gleichzeitig auch ein kontraproduktives Signal an "Thomas" und "Michael" gesendet: Sie seien schlicht unfähig, weibliche Talente in ihre Reihen aufzunehmen. Fachliche Themen werden damit einfach ausgeblendet. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Eine Frauenquote ist für die Unternehmen umsetzbar, wie das Beispiel der Aufsichtsräte zeigt. Anstatt alle Aufmerksamkeit auf die Vorstandsebene sowie die zwei darunterliegenden Ebenen zu lenken, sollten HR-Fachleute sich auch auf den "Mittelbau" in ihrem Unternehmen konzentrieren. Das ist ein entscheidender Hebel, wenn es darum geht, die  Gleichstellung von Frauen in Führungspositionen kontinuierlich voranzubringen.

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Es ist bekannt, dass der Frauenanteil bei den Hochschulabsolventinnen und Berufseinsteigerinnen noch bei satten 50 Prozent liegt. Und der Trend geht nach oben. Schaut man sich dann aber den Frauenanteil im mittleren Management an, also die Zeit, in der die meisten an die Familienplanung denken, stellt man schnell fest: Genau hier liegt das eigentliche Problem für die weibliche Führung. Denn die meisten Frauen (rund 80 Prozent) landen beim Wiedereinstieg in der "falschen Pipeline", nämlich der Teilzeitfalle.

Sie werden meist nach bis zu drei Jahren Elternzeit in Supportfunktionen "geparkt" und sind damit für den Führungskader nicht mehr vorgesehen. Einzig kinderlose Frauen oder Frauen, deren Männer die Familienarbeit übernehmen, haben hier grobgesprochen die Chance, bis ganz nach oben zu kommen. Aber für das Gros der Frauen bedeutet Familie immer noch das Karriere-Aus, denn die Vereinbarkeit von Vollzeit-Karrieren und Familienplanung ist in Deutschland immer noch der wahre Karrierekiller.

Ansatzpunkte für HR: Qualifizierte Frauen von der Reservebank holen

Genau hier liegen die personalstrategischen Hebel, die uns den Gleichstellungszielen merklich näherbringen und hochqualifizierte Frauen von der Reservebank holen. Unternehmen, die genau wissen, wo sie auf weiblichen wie männlichen Karrierepfaden ihre Führungskräfteentwicklung flexibilisieren können, profitieren nicht nur bei der Frauenführung, sondern ebenfalls in der Nachfolgeplanung. Gleichzeitig gilt es, sich konsequent mit den Wirkungszusammenhängen in Bezug auf die Frage nach mehr Frauen in Führung auseinanderzusetzen.

Was sind die wirklichen kritischen Punkte bei der Pipeline? Ab welcher Karrierestufe stehen keine oder nicht genügend interne Kandidatinnen zur Verfügung? Lohnt es sich, Teilzeit-Karrieremodelle anzubieten, um auf verantwortlichen Positionen eine durchgängige zeitliche Verfügbarkeit zu haben, oder um die Arbeitgeberbindung beim Wiedereinstieg zu verstärken? Wird bei der Talente-Entwicklung durchgehend an Vereinbarkeit gedacht? Herrscht im Top-Management eine Art "Closed-Circle-Mentalität", deren Führungskräfte nur noch neue Top-Managerinnen von extern rekrutieren? Wo werden möglicherweise falsche Impulse gesetzt, die in puncto Beförderungsziel einfach verpuffen?

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Die Antworten auf diese Fragen zum "Blindspot Mutter" mögen zwar im Vergleich zu den glamourösen Geschichten der Vorstandsfrauen nicht so "sexy" klingen, aber sie bilden die Realitäten in den Unternehmen ab und helfen Personalmanagement und Führung ganz praktisch dabei, die Talent-Pipeline wirklich zu füllen. Denn ohne eine durchgängige weibliche Talente-Pipeline wird die Quote zum zahnlosen Tiger.


Zu den Autoren: Silvia Hänig ist strategische Beraterin mit dem Schwerpunkt Führungs- und HR-Kommunikation. Sie ist Gründerin und Geschäftsführerin der Kommunikationsberatung Ikom. Reiner Straub ist Herausgeber des Personalmagazins.


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Schlagworte zum Thema:  Diversity, Frauenquote