Das demokratische Unternehmen: Aus der Vergangenheit lernen

Die Diskussion zum Thema Demokratie wird seit der Antike geführt. Zum Abschluss unserer Serie blicken wir zurück  in die Geschichte der  demokratischen Organisationsformen und wagen einen Ausblick.

Wer die Zukunft erforschen will, muss die Vergangenheit kennen; und wer die Gegenwart nicht versteht, kann die Zukunft nicht gestalten. Grund genug, vor dem Hintergrund der aktuellen Debatte einen Blick in die Geschichte demokratischer Organisationsformen zu werfen. Professor Dörre von der Universität Jena hat genau dies im Sammelband "Das demokratische Unternehmen" getan. Anfangen sollte man, so seine Empfehlung, in der klassischen Zeit, denn dort liegen die Wurzeln der Demokratie: Der Begriff selbst ist aus der Antike überliefert und stammt vom altgriechischen „dēmos“, dem Staatsvolk, ab. Gemeint war damit im antiken Griechenland, das als Wiege der Demokratie gilt, eine Regierungsform, in der das Volk herrscht. Schon in der griechischen Demokratie hatte nicht jeder ein Mitspracherecht. Damit weist Professor Dörre darauf hin, dass Partizipationsrechte völlig unterschiedlich verteilt sein können. Das ist auch für Unternehmen relevant, da sich auch hier die Frage nach der Verteilung von Mitspracherechten stellt.  

Fortlaufende Entwicklung: Vier wesentliche Demokratisierungsschübe

Seit der Antike hat sich viel getan: Die Demokratie hat sich weiterentwickelt. Professor Dörre vollzieht diese Entwicklung anhand von vier wesentlichen Demokratisierungsschüben nach:

  • Ein erster Demokratisierungsschub im 18. Jahrhundert, der zur Einführung rechtsstaatlicher Grundsätze wie etwa allgemeiner Bürger- und Menschenrechte führte.
  • Eine zweite Entwicklungsetappe vom 19. bis hinein ins 20. Jahrhundert, bei der es wesentlich um die Durchsetzung politischer Bürgerrechte wie Wahlrecht, Koalitions- und Meinungsfreiheit ging.
  • Eine dritte Phase, die in Deutschland erst nach 1945 zur vollen Blüte gelangte und die betriebliche Unternehmensmitbestimmung ebenso einschloss wie Tarifautonomie, Kollektivverträge sowie die Anerkennung von Gewerkschaften als Vertretung der Arbeitnehmerinteressen in- und außerhalb der Unternehmen.
  • Viertens ein mit der Zäsur von 1968 verbundener Demokratisierungsschub, der eine verstärkte Mitbestimmung am Arbeitsplatz einforderte und mit der Vorwegnahme gewerkschaftlicher Organizing-Projekte einherging.   

Wiederentdeckung der Partizipation: Demokratische Manager

Obwohl die sich Leitideen in den 1960er-Jahren im Gewerkschaftsumfeld entwickelt hatten, waren es letztlich die Manager, die die Demokratisierung wiederentdeckten.  Eine Neuentdeckung erfolgt, so Dörre, während der 90er-Jahre: Zu dieser Zeit kamen  Konzepte auf, die große Spielräume ließen und Entscheidungskompetenzen an Teams oder Gruppen delegierten. Letztlich konnten sich diese Ansätze allerdings nicht gegen die im Vergleich dazu weniger partizipative Lean-Production durchsetzen. Hier wurde versucht, Rationalisierung der Prozesse in begrenzter Eigenregie und ohne allzu viele Zugeständnisse an demokratische Verfahren umzusetzen.

Hierarchie und Demokratie: Ein Gegensatz?

 Als Grund für das vorläufige Scheitern demokratischer Unternehmenskonzepte in den 90er-Jahren nennt Professor Dörre ein unbegründetes Festhalten an althergebrachten Strukturen. So sei es nicht gelungen, die oft auf informellen Regelungen und Praktiken aufbauende Funktionslogik der entsprechenden Ansätze gewinnbringend mit hierarchischen Strukturen zu verbinden – angesichts der internationalen Standortkonkurrenz fehlte bisher schlicht der Mut zur Veränderung.

Demokratische Unternehmen: Charakteristika und Merkmale

 Heute hingegen ist die Idee der demokratischen Unternehmen wieder aktuell – Firmen wie Google und Co. machen es vor. Wie die Unternehmen diese Idee umsetzten, ist unterschiedlich. Professor Dörre hat einige demokratische Unternehmen untersucht und fünft Bezugspunkte ausgemacht, an denen Demokratisierungsprozesse ansetzten können:

  • die Eigentumsform, die mit dem jeweiligen Betriebszweck stark variieren kann –  etwa genossenschaftlich organisierte Unternehmen oder Mitarbeitergesellschaften
  • das Partizipationsniveau, das von der Gestaltung des Arbeitsplatzes über die demokratische Wahl des Vorgesetzten bis zum Einbezug der Mitarbeiter in Investitionsentscheidungen reichen kann.
  • der Einbezug von sozialen Netzwerken, mit denen Konzepte wie Liquid Democracy auf die Betriebsorganisation übertragen werden.
  • ein ambivalentes Verhältnis zur formalisierten Mitbestimmung, das sich in den wenig ausgeprägten Strukturen und einer flexiblen Unternehmensorganisation niederschlägt. Oftmals kommen die entsprechenden Unternehmen auch ohne Mitgliedschaft etwa in Arbeitgeberverbänden aus.
  • expandierende Unternehmen mit dezentralen Strukturen im IT-Bereich.

Ambivalente Prozesse: Austausch ist geboten

 Entgegen der landläufigen Vorstellung bedeutet Demokratisierung nicht das Überbordwerfen alles Bekannten und erfolgreich Erprobten. Im Gegenteil sind es oft Mischformen aus verschiedenen Modelle, mit denen derzeit – teils sehr erfolgreich – experimentiert wird. Dabei sind es gerade die technologischen Neuerungen, die für Verunsicherung sorgen: Auf der einen Seite sind Unternehmen auf die Kreativität der Mitarbeiter angewiesen und versuchen daher Innovation durch Partizipation zu ermöglichen. Auf der anderen Seite gibt es jedoch ebenso Beispiele, bei denen Technologien einsetzt werden, um zum Beispiel um Mitarbeiter zu überwachen.

Mit Blick auf die Ambivalenz der aktuellen Entwicklungen fordert Professor Dörre daher Manager und Mitarbeiter auf, die Initiative zu ergreifen: „Einen Erfahrungsaustausch zwischen den Unternehmen, die sich Demokratisierung auf die Fahnen schreiben, das Aufzeigen von Beispielen und einen hartnäckigen Kampf gegen die Vorstellung, dass mehr Demokratie zulasten der Effizienz und Effektivität von Unternehmen gehen muss, könnte ein erster Schritt sein, um Demokratie als Leitbild für eine zeitgemäße Unternehmensverfassung zu verankern,“ so der Professor.


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Schlagworte zum Thema:  New Work