Hürden auf dem Weg zum demokratischen Unternehmen

Thomas Sattelberger, Ex-Personalvorstand der Telekom, ist überzeugt: "Ein Teil der Gesellschaft wartet doch längst darauf, dass Unternehmen sich verändern" – hin zur Demokratisierung. Doch Kritiker sehen dabei viele Hindernisse. Im Interview relativiert der Management-Vordenker diese.

Was sind die größten Hindernisse oder Widerstände, die im ersten Moment bei einer Demokratisierung der Unternehmen zu überwinden sind?

Thomas Sattelberger: Unternehmensführungen, Personalmanager und Betriebsräte haben die Menschen viel zu lange in einer angelernten Unmündigkeit gehalten. Den Aufbruch zu mehr Freiheit haben viele Unternehmen den Mitarbeitern jahrzehntelang in tayloristischen Strukturen ausgetrieben. Hier ist Verlernen und Neu-Lernen angesagt. Die, die es sich leisten konnten, sind zu Unternehmen gewechselt, die ihnen mehr Freiheit bieten. Sie sind mit dem Kopf durch die Wand der Gefängniszelle gestoßen, fanden sich aber oft nur in der nächsten Zelle wieder. Das Management muss lernen, dass Befehl und Gehorsam und das Bestimmen von Ort, Zeit und Inhalt der Arbeit von oben nach unten nicht mehr funktionieren. Betriebsräte und Gewerkschaften müssen lernen, dass die Unmenge an Schutzrechten in den Zeiten des industriellen Turbo-Kapitalismus nötig war, im Übergang zur digitalisierten Ökonomie jedoch zunehmend untauglich oder gar kontraproduktiv ist.

Die, die es sich leisten können, verschaffen sich also mehr Freiheit. Besteht die Gefahr, dass die Demokratisierung Ungleichheit unter den Mitarbeitern verschärft, weil Hochqualifizierte mehr profitieren, während in weniger qualifizierten Jobs alles so bleibt, wie es ist?

Sattelberger: Je gebildeter und qualifizierter Menschen sind, umso mehr beteiligen sie sich an Willensbildungsprozessen. Die Art der Demokratisierung wird in unterschiedlichen  Unternehmensbereichen unterschiedlich verlaufen. Der Mitarbeiter in einer getakteten Fertigung zum Beispiel kann nicht souverän über seinen Arbeitsort entscheiden. Aber natürlich gibt es Möglichkeiten zur Demokratisierung der "Blue Collar Work". In den 1980er Jahren hatten wir in Deutschland die erste Welle zur Humanisierung der Arbeit. Als ich junger Mitarbeiter im Bildungsbereich von Daimler-Benz war, haben wir den damals noch quicklebendigen Chemie-Riesen Hoechst besucht. In jeder Fabrikhalle gab es einen abgegrenzten Bereich, in dem Mitarbeiter zum Beispiel ihre Vorarbeiter gewählt haben oder sich selbst und ihre Kollegen zur Arbeit oder zum Urlaub eingeteilt haben. Das Thema der demokratischen Organisation ist nicht neu. Wir haben schon überprüfbare Ergebnisse aus der Vergangenheit: Demokratisierung ist auch auf dem "Shopfloor" möglich. Die 1980er Jahre waren in Deutschland für das Thema Humanisierung der Arbeit eine Blütezeit. Diese war mit dem Einzug der "Shareholder Value"-Ideologie in den 1990er Jahren vorbei. Die Projekte wurden damals eingestellt, nicht etwa weil sie keine positiven Ergebnisse gebracht haben, sondern weil sich das ideologische Paradigma verändert hat.

Sehen Sie grundsätzliche Unterschiede zwischen der Umsetzung einer Demokratisierung im inhabergeführten Mittelstand und in Konzernen?

Nein. Ein börsennotierter Konzern ist bei der Unternehmensführung allerdings dem Aktionär verpflichtet. Das schließt Möglichkeiten wie etwa eine rollierende Geschäftsführung aus, die ein Start-up vielleicht realisieren kann. Auch die Diskussion um die Vergütungsstruktur im Top-Management bleibt außen vor, weil darüber grundsätzlich die Hauptversammlung entscheidet. Trotzdem haben auch börsennotierte Unternehmen große Gestaltungsbereiche. Im Mittelstand gibt es häufig autokratische oder patriarchalische Unternehmensführer. Auch in kleineren Unternehmen können Ansätze zu Demokratisierung schwierig sein. Es hängt einfach ganz viel davon ab, ob die Unternehmensführung zu Experimenten bereit ist oder nicht. Dies setzt die Fähigkeit zur  Selbstreflexion, eine gute Sensorik für den inneren Zustand der Organisation und die  Unternehmenskultur sowie die Courage, auch zu scheitern, voraus.

Wandelt sich der Betriebsrat in der digitalen Ära zum "Shop Stewart" nach dem angelsächsischen Modell, also zu einem Berater und Coach von souveränen Individuen?

Sattelberger: Auch die Manager verlieren an Macht. Wie will man das Home Office kontrollieren? Hier wird die Eigenverantwortung des Einzelnen gestärkt. Auch ein Thema wie der Arbeitsschutz muss neu definiert werden oder soll es etwa Betriebsbegehungen durch Arbeitsschützer im Privatbereich geben? Der Mitarbeiter ist kein unmündiges, zu schützendes und zu kontrollierendes Wesen mehr, sondern ein souveräner, eigenverantwortlicher Akteur. Das Ich betritt wieder den Platz. Unternehmen und Gewerkschaften verlieren an Macht, der Co-Unternehmer gewinnt neue Freiheiten. Dafür braucht man Anpassungen in der Gesetzgebung: im Sozialversicherungsrecht, im Arbeitsrecht, im Arbeitsschutz und im Betriebsverfassungsrecht.

Was bedeutet das für die Sozialpartnerschaft?

Sattelberger: Interessant ist, dass die, die jetzt die Macht über das Individuum haben, immer nervöser werden und nur in ihrer eigenen Logik argumentieren. Gewerkschaften und Arbeitgeber führen klassische Duopol-Diskussionen und verteidigen ihre Pfründe. Das Ziel ist es jedoch, Individuen zu stärken. Die Sozialpartnerschaft wird nicht abgeschafft, sondern es wird eine neue Konfiguration geben. Trio statt Duo – Arbeitgeber, Gewerkschaften und das Individuum.


Hinweis: Dies ist ein Auszug aus einem Interview mit Thomas Sattelberger, das im Buch "Das demokratische Unternehmen" erschienen ist. Das Buch wurde gerade auf der Buchmesse in Frankfurt am Main als "Managementbuch des Jahres 2015" ausgezeichnet. Sie können es hier im Haufe Shop bestellen.

Schlagworte zum Thema:  New Work