Christoph Quarch im Gespräch über Führung und Gartenbau

Unternehmen sind Maschinen. Dabei sollten sie Gärten sein! Das fordert der Philosoph Christoph Quarch. Im Interview spricht er darüber, wie sich eine Leitmetapher, die dem 18. Jahrhundert entstammt, auf die heutige Führungskultur auswirkt. Und er entwickelt dabei einen Ansatz, den er Horticultural Leadership nennt. Ein Gespräch zwischen Platon und Pflanzkübeln.

Personalmagazin: Herr Quarch, wie kommt ein Philosoph dazu, sich mit der Arbeitswelt zu beschäftigen?

Christoph Quarch: Von alters her befasst sich die Philosophie mit der Frage nach dem guten Leben. Die alten Griechen sprachen in diesem Zusammenhang von der „Eudaimonia“ – dem erfüllten und sinnvollen Leben, das sie in einem Zustand der Harmonie des Menschen mit sich und der Welt deuteten; ein immer noch plausibler Ansatz. Wenn man das Ganze für heute konkret machen will, landet man unweigerlich bei der Arbeit.

Personalmagazin: Das klingt etwas weit hergeholt.

Quarch: Im Gegenteil! Die Menschen beschäftigt, was sie täglich tun. Sie fragen nach dem Sinn ihrer Arbeit, gerade die jüngere Generation. Das bekommen auch die Unternehmen zu spüren. Sie sind daher gut beraten, die Frage nach ihrem Geist zu stellen und beantworten.

Personalmagazin: Und wie findet ein Unternehmen seinen Geist?

Quarch: Indem es zunächst einmal begreift, dass es ein lebendiges System ist, das wie jedes andere lebendige System auch eine eigene Identität besitzt. Diese Identität ist nicht dasjenige, was es sein will, nicht der gewollte Purpose, sondern das, was es geworden ist: in der Interaktion mit der Gesellschaft, mit dem Markt, mit Stakeholdern und Shareholdern. Diese Identität gilt es erst zu entdecken und dann zu versprachlichen. Das ist aber leichter gesagt als getan. Häufig fehlt in Unternehmen beides. Denn dem Business-Sprech verschließt sich die Dimension von Geist und Sinn. Hier kann ein Philosoph helfen.

Personalmagazin: Inwiefern?

Quarch: Als Gesprächspartner: als jemand, der eine andere Denke und eine andere Sprache mitbringt; als jemand, der schräge Fragen stellt, die in einem Unternehmen gemeinhin nicht gestellt werden.

Leitmetapher: Maschine oder Garten?

Personalmagazin: Nennen Sie uns eine!

Quarch: Wie ticken wir eigentlich? Welche Denkweise bestimmt unser Handeln? Wie verstehen wir uns als Unternehmen? In solchen Fragen liegt aus meiner Sicht der Schlüssel zu einem modernen Führungsverständnis. Die herrschende Denkweise in Unternehmen stammt jedoch aus dem 18. Jahrhundert und geht auf den französischen Philosophen und Naturwissenschaftler René Descartes zurück, der behauptete, der Mensch sei maître et possesseur de la nature (Anm. d. Red.: dt. Herr und Meister der Natur). Das war die Geburtsstunde des Homo Faber – einer Selbstdeutung des Menschen, nach der er sich als Techniker interpretiert. Mit dieser Mindmap deuten wir bis heute unser unternehmerisches Handeln:  Wir denken ein Unternehmen nach Maßgabe der Leitmetapher einer Maschine oder eines Apparates und verstehen Führung folglich als eine Ingenieurskunst, die darin liegt, die Maschine am Laufen zu halten. Doch das greift zu kurz! Es verkennt, ja zerstört die Lebendigkeit von Unternehmen. Deshalb brauchen wir eine neue Leitmetapher, die Unternehmen als lebedinge Systeme beschreibt, als Gärten.

Personalmagazin: Was versprechen Sie sich davon?

Quarch: Ein Mehr an Lebendigkeit und einen Reichtum an Leben. Nach dem Maschinenleitbild geht es für Mitarbeiter vornehmlich darum zu funktionieren und keine Fehler zu machen. Dabei ist es erwiesen, dass Kreativität durch rein funktionale Denkgewohnheiten verloren geht. Unternehmen brauchen aber den schöpferischen Geist ihrer Beschäftigten. Sie müssen von innen heraus leben, um neue Ideen zu entwickeln. Dafür braucht es ein passendes Ambiente, ein gutes Klima, eine nährende Kultur. All das suggeriert das Bild des Gartens.

Dabei schließt die Garten-Metapher die Maschinen-Metapher nicht aus. Zwar käme niemand auf den Gedanken, einen Garten in eine Maschine zu pflanzen, aber umgekehrt können Maschinen in der Gartenarbeit durchaus nützlich sein und das Wachstum fördern. Der entscheidende Unterschied ist der: Gärten unterliegen natürlichen Zyklen. Daran ist nicht zu rütteln, das Gras wächst nicht schneller, wenn der Gärtner daran zieht. Ein Unternehmen, das nach diesen Prinzipien agiert, schafft etwas, das schwer zu messen ist: nicht nur monetäres, sondern auch humanes Wachstum. Langfristiger wirtschaftlicher Erfolg braucht beides.

Personalmagazin: Ist es das, was Sie als Horticultural Leadership bezeichnen?

Quarch: Ganz richtig, Führung nach Prinzip des Gartenbaus – als eine innovative Form des Ethical Leadership. Die Pointe dabei ist, dass die orientierenden Normen nicht von außen an das Unternehmen herangetragen werden, sondern sich aus den Grundprinzipien von Lebendigkeit, Wachstum und Natur herleiten: innere Stimmigkeit, offene Interaktion, Nachhaltigkeit – um nur ein paar Stichworte zu nennen. Unternehmen werden so zu Gewächshäusern menschlicher Potenzialentfaltung. Sie erschließen die wichtigste Ressource der Zukunft: echte Kreativität.

Personalmagazin: Eine schöne Utopie. Doch muss ein Unternehmen auch wirtschaftliche Ziele verfolgen, um im Markt zu bestehen.

Quarch: Selbstverständlich, auch im Gartenbau stehen Wachstum und Prosperität im Zentrum. Doch das Wie ist entscheidend. Die Kunst des gesunden Wachstums besteht darin, das System nicht aus dem Gleichgewicht zu bringen. Es geht um Geduld, Vertrauen und Zeit. Das lässt sich auf die Mitarbeiter übertragen. Potenziale müssen gleichmäßig verteilt sein, sie brauchen Raum und Zeit, sich zu entfalten. Ohnehin stellt sich heute mit Blick auf die Digitalisierung und die technischen Möglichkeiten Künstlicher Intelligenz die Frage, wie wir das genuin Menschliche bestimmen und fördern können. Woran hängt die Würde des Arbeitens? Nach meinen Verständnis geht es darum, Sinnhorizonte zu öffnen, in denen Menschen sich entfalten und ihr Bestes geben können: ihre Begeisterung und Leidenschaft.

Die Kunst der Konversation

Personalmagazin: Welche Anforderung stellt dieser Ansatz an Führungskräfte?

Quarch: Begeisterung entspringt der Begegnung. Dafür braucht es Unternehmertypen, die offen sind, die bereit sind, zuzuhören, was andere sagen – die Gesellschaft, Politik, den Markt und auch die Kultur. Führungskunst ist in meinem Verständnis vor allem eine Kunst der Konversation: Achtsam sein für das, was die Welt einem zu sagen hat. Sich den Ansprüchen der Welt stellen, um dann die passenden, stimmigen, sinnvollen Antworten zu finden. Darin liegt dann die Verantwortung der Führungskräfte: wirklich realistisch zu sein, sich an dem zu orientieren, was ist – und nicht an dem, was man will oder meint wollen zu sollen. Begeisterung und Leidenschaft kann man nicht willentlich erzwingen, sondern sie wachsen da, wo man ihnen Kulturräume öffnet – Räume, in denen Mitarbeiter vom Geist ergriffen werden – idealerweise vom spezifischen Geist des Unternehmens, von dem wir ja bereits sprachen.

Personalmagazin: Können Sie das erläutern?

Quarch: Unternehmen sollten Orte schaffen, die als Keimzellen für Begeisterung dienen. Das können Rückzugsräume sein, ein kleiner Garten oder ein Forum. Es müssen Inseln sein, die frei sind vom Zwang, dass dabei etwas „herauskommt“ – zweckfreie Spielräume des Menschlichen. Ich beobachte, dass viele Unternehmen das bereits tun und ihre Arbeitsräume entsprechend gestalten.

Personalmagazin: Neue Büros, neues Mindset. Das klingt zu einfach.

Quarch: Richtig, allein mit Äußerlichkeiten ist es nicht getan. Aber sie können helfen, einen begeisternden Unternehmensgeist zu entfesseln. Ein neues Mindset zu verinnerlichen dauert länger. Vielleicht müssten – frei nach Platon – dazu erst alle Unternehmer Philosophen oder die Philosophen Unternehmer werden. Aber das führt doch zu weit (lacht). Nein, es würde genügen, wenn der Lust am Denken wieder ein größerer Stellenwert beigemessen würde. Ich habe mitunter den Eindruck, dass das Denken in manchen Unternehmen aus der Mode gekommen ist. Umso mehr freut es mich, immer wieder mit mutigen Verantwortlichen zu sprechen, die sich auf das Wagnis des Fragens einlassen.


Das ungekürzte Interview ist im Personalmagazin Ausgabe 09/2019 erschienen. Sie können die gesamte Ausgabe auch in unserer Personalmagazin-App lesen.

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