3.4.1 Begriff

 

Rz. 68

Der betriebsverfassungsrechtliche Begriff der Versetzung in § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist versteckt in § 95 Abs. 3 BetrVG definiert, der sich primär mit den Auswahlrichtlinien befasst. Danach ist Versetzung im Sinne dieses Gesetzes die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs, die voraussichtlich die Dauer eines Monats überschreitet oder die mit einer erheblichen Änderung der Arbeitsumstände verbunden ist, unter denen die Arbeit zu leisten ist. Die Betriebsverfassung enthält in dieser Bestimmung einen eigenen Versetzungsbegriff, dessen Inhalt nicht davon abhängig ist, ob der Arbeitgeber aufgrund des Einzelarbeitsvertrags zur Versetzung des Arbeitnehmers befugt ist oder nicht (BAG, Beschluss v. 26.5.1988, 1 ABR 18/87[1]). Das Einverständnis des versetzten Arbeitnehmers schließt daher das Beteiligungsrecht des Betriebsrats nicht aus (BAG, Beschluss v. 14.11.1989, 1 ABR 87/88[2]). Je nachdem, wie der Umfang der vom Arbeitnehmer auszuübenden Tätigkeit im Arbeitsvertrag festgelegt ist, kann die Versetzung kraft Direktionsrecht verfügt oder über eine Änderungskündigung durchgesetzt werden.

 

Rz. 69

Vom betriebsverfassungsrechtlichen Begriff ist der arbeitsvertragliche Versetzungsbegriff zu unterscheiden. Der individualarbeitsrechtliche Begriff der Versetzung ist gesetzlich nicht definiert. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch wird unter dem individualarbeitsrechtlichen Begriff der Versetzung jeder Wechsel des Arbeitsplatzes auf Anweisung des Arbeitgebers verstanden, wenn entweder der Ort der Arbeitsleistung oder die Art der Tätigkeit geändert wird.

 

Rz. 70

Der individualarbeitsrechtliche Begriff der Versetzung unterscheidet sich damit grundlegend von dem kollektivrechtlichen Versetzungsbegriff des § 95 Abs. 3 BetrVG. Auf der kollektiven Ebene wird nur geklärt, ob ein Arbeitgeber die Zustimmung des Betriebsrats zur Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs benötigt. Auf der individualarbeitsrechtlichen Ebene geht es demgegenüber um die Frage, ob der Arbeitgeber nach dem Inhalt des Arbeitsvertrags im Verhältnis zu dem betroffenen Arbeitnehmer verbindlich eine Weisung zum Wechsel des Arbeitsplatzes mit oder ohne Änderung des Arbeitsvertrags erteilen kann. Die arbeitsvertraglichen Voraussetzungen müssen also in jedem Fall vorliegen, damit ein Arbeitnehmer versetzt werden kann.

[1] NZA 1989, 438.
[2] NZA 1989, 438.

3.4.2 Recht zur Arbeitsverweigerung bei fehlender Zustimmung des Betriebsrats

 

Rz. 71

Ein Arbeitnehmer ist nicht verpflichtet, einer ohne Beteiligung des Betriebsrats ausgesprochenen Versetzung Folge zu leisten. Das Mitbestimmungsrecht bei der Versetzung dient auch dem Schutz des von der Versetzung betroffenen Arbeitnehmers (vgl. § 99 Abs. 2 Nr. 4 BetrVG). Die fehlende Zustimmung des Betriebsrats hat daher zur Folge, dass die Versetzung auch individualrechtlich unwirksam ist und der Arbeitnehmer das Recht hat, die Arbeit zu den geänderten Bedienungen zu verweigern (BAG, Urteil v. 7.11.2002, 2 AZR 650/00[1]; BAG, Urteil v. 5.4.2001, 2 AZR 580/99[2]; BAG, Urteil v. 26.1.1988, 1 AZR 531/86[3]).

[1] ARST 2003, 252.
[2] NZA 2001, 893.
[3] NZA 1988, 476.

3.4.3 Verhältnis zu § 164 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX

 

Rz. 72

Der schwerbehindertenrechtliche Beschäftigungsanspruch nach § 164 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX lässt Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats nach § 99 BetrVG unberührt. Soweit für die Erfüllung des schwerbehindertenrechtlichen Beschäftigungsanspruchs eine Versetzung erforderlich ist, hat der schwerbehinderte Mensch einen Anspruch darauf, dass der Arbeitgeber die Zustimmung nach § 99 BetrVG beim Betriebsrat einholt. Wird diese verweigert und steht nicht fest, dass dem Betriebsrat objektiv Zustimmungsverweigerungsgründe nach § 99 Abs. 2 BetrVG zustehen, hat der schwerbehinderte Mensch auch einen Anspruch auf Durchführung des gerichtlichen Zustimmungsersetzungsverfahrens nach § 99 Abs. 4 BetrVG.

Führt der Arbeitgeber das gerichtliche Zustimmungsersetzungsverfahren schuldhaft unzureichend durch, kann das einen Schadensersatzanspruch begründen (BAG, Urteil v. 3.12.2002, 9 AZR 481/01[1]).

[1] NZA 2003, 1215.

3.4.4 Versetzung und Änderungskündigung

 

Rz. 73

Will der Arbeitgeber individualrechtlich mit einer Änderungskündigung eine Versetzung bewirken, ist die Zustimmung des Betriebsrats gem. § 99 BetrVG Wirksamkeitsvoraussetzung nur für die tatsächliche Zuweisung des neuen Arbeitsbereichs nach Ablauf der Kündigungsfrist (BAG, Urteil v. 22.4.2010, 2 AZR 491/09[1]). Ist diese nicht erteilt oder ersetzt, führt dies nicht zu einer – schwebenden – Unwirksamkeit der Änderungskündigung. Der Arbeitgeber kann nur die Änderung nicht durchsetzen, solange das Verfahren nach § 99 BetrVG nicht ordnungsgemäß durchgeführt ist. Der Arbeitnehmer ist dann in dem alten Arbeitsbereich weiterzubeschäftigen, der ihm nicht wirksam entzogen worden ist (BAG, Urteil v. 30.9.1993, 2 AZR 283/93[2]). Das BAG hat aber zugleich darauf hingewiesen, dass die unter Missachtung des Mitbestimmungsverfahrens erteilten Arbeitsweisungen nach § 134 BGB unwirksam sind.

 
Praxis-Tipp

Wird eine Versetzung mit einer Änderungskündigung eingeleitet, muss der Arbeitgeber den Betriebsrat – neben der Beteiligung nach § 99 BetrVG – vor Ausspruch der ...

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