3.1 Vorbemerkung

 

Rz. 10

Nach § 74 Abs. 2 Satz 1 sind Maßnahmen des Arbeitskampfs zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat unzulässig. Die Betriebsparteien sind verpflichtet, Meinungsverschiedenheiten über betriebsverfassungsrechtliche Fragen friedlich ohne Kampfmaßnahmen, wie z. B. Streik, Betriebsbesetzung oder Aussperrung, auszutragen. Es besteht eine umfassende Friedenspflicht zwischen den Parteien.[1] Diese Friedenspflicht resultiert aus der besonderen Ausgestaltung der Mitwirkung und Mitbestimmung des Betriebsrats nach den Regelungen des Betriebsverfassungsgesetzes.

 

Rz. 11

Nicht vom Arbeitskampfverbot erfasst werden dagegen Arbeitskämpfe tariffähiger Parteien, also solche zwischen Gewerkschaften einerseits und Arbeitgebervereinigungen oder einzelnen Arbeitgebern andererseits. Dies stellt die Regelung in Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 ausdrücklich klar. Die Zulässigkeit derartiger Arbeitskämpfe – z. B. zur Durchsetzung höherer Lohnforderungen im Rahmen von Tarifverhandlungen – richtet sich ausschließlich nach den von der Rechtsprechung entwickelten allgemeinen arbeitskampfrechtlichen Grundsätzen.[2] Auch das BAG hat klargestellt, dass sich das Verbot des § 74 Abs. 2 ausschließlich an die Betriebspartner richtet und Arbeitskämpfe der Tarifvertragsparteien nicht erfasst.[3]

[1] Fitting/Schmidt, § 74 BetrVG Rz. 12.
[2] Fitting/Schmidt, § 74 BetrVG Rz. 13.

3.2 Adressaten des Arbeitskampfverbots

 

Rz. 12

Das Arbeitskampfverbot richtet sich zum einen an den Arbeitgeber in seiner betriebsverfassungsrechtlichen Funktion, zum anderen an den Betriebsrat als Organ sowie an seine einzelnen Mitglieder in ihrer Eigenschaft als Betriebsratsmitglied. Nicht von diesem Verbot erfasst werden dagegen die einzelnen Arbeitnehmer.[1] Ihnen gleichgestellt sind die Mitglieder des Betriebsrats, wenn sie sich an Arbeitskampfmaßnahmen nicht in dieser Funktion, sondern ausschließlich als Arbeitnehmer persönlich und als Gewerkschaftsmitglied beteiligen.[2] Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitskampf zur Regelung einer betriebsverfassungsrechtlichen oder betrieblichen Frage oder zum Abschluss eines Haustarifvertrags geführt wird.[3]

[1] ErftK/Kania, § 74 BetrVG Rz. 12.
[2] LAG Düsseldorf, ArbuR, 107.
[3] Richardi, § 74 BetrVG Rz. 26.

3.3 Betriebsrat und Arbeitskampf

 

Rz. 13

Wie ausgeführt, erfasst das Arbeitskampfverbot des Abs. 2 Satz 1 nur den Betriebsrat als Organ sowie seine Mitglieder in ihrer Eigenschaft als Betriebsratsmitglieder. In diesen Funktionen haben sie sich neutral zu verhalten und jeder Tätigkeit im Arbeitskampf zu enthalten.[1] Sie dürfen sich daher insoweit weder aktiv an Arbeitskampfmaßnahmen beteiligen – etwa selbst streiken – noch diese passiv – etwa durch die Sammlung von Geld zugunsten der streikenden Arbeitnehmer – unterstützen.[2] Auch zur Teilnahme an einem Arbeitskampf dürfen der Betriebsrat und seine Mitglieder in ihrer Funktion als Betriebspartei nicht aufrufen.

 
Praxis-Beispiel

Das Mitglied M. des Betriebsrats der X-GmbH, die bestreikt wird, verteilt vor den Werkstoren Handzettel mit folgender Aufschrift: "Ich rufe alle Mitarbeiter der X-GmbH auf, sich an dem von der Gewerkschaft Y organisierten Streik zu beteiligen". Unterschrift: M., Mitglied des Betriebsrats der X-GmbH.

Stattdessen ist der Betriebsrat auf die Mittel zur Streitbeilegung, die das Betriebsverfassungsgesetz zur Verfügung stellt (z. B. Anrufung der Einigungsstelle oder Betreiben eines arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahrens) beschränkt. Beteiligen sich der Betriebsrat oder einzelne Betriebsratsmitglieder unter Verstoß gegen ihre Friedenspflicht an einem Arbeitskampf, ist diese Beteiligung rechtswidrig und verpflichtet zu Schadensersatz.

Aus der Neutralitätspflicht des Betriebsrats nach Abs. 2 Satz 1 folgt auch, dass er verpflichtet ist, seine Beteiligungsrechte nicht als zusätzliche Kampfmaßnahme zur Unterstützung des Arbeitskampfs einzusetzen. Als eine solche "zusätzliche Kampfmaßnahme" stellt sich jedoch das Handeln des Betriebsrats nur dann dar, wenn dadurch ein zusätzlicher Druck auf den Arbeitgeber ausgeübt wird.[3] Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn eine schnelle Entscheidung des Arbeitgebers nötig ist und sich der durch eine verzögernde Beratung oder Anhörung des Betriebsrats für den Arbeitgeber ergebende Druck als eine unzulässige Kampfmaßnahme darstellt. In diesen Fällen entfällt das Zustimmungserfordernis, der Betriebsrat ist lediglich über die Maßnahme zu unterrichten.[4] Wann die Ausübung eines Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats eine zusätzliche, den Druck auf den Arbeitgeber erhöhende Kampfmaßnahme darstellt, hängt von den konkreten Umständen im Einzelfall ab.[5]

 

Rz. 14

Die vorstehenden Ausführungen gelten jedoch nur dann, wenn sich Mitglieder des Betriebsrats in dieser Funktion an Arbeitskampfmaßnahmen beteiligen. Als Arbeitnehmer unterliegen sie dagegen persönlich nicht der Friedenspflicht, sodass sie insoweit an von ihrer Gewerkschaft organisierten Kampfmaßnahmen teilnehmen können. Ein ausdrücklicher Hinweis darauf, dass ihre Beteiligung nur persönlich als Arb...

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