Rz. 12

Nach § 26 Abs. 2 Satz 1 BetrVG vertritt der Vorsitzende den Betriebsrat im Rahmen der gefassten Beschlüsse. Er hat folglich keine eigene Entscheidungsbefugnis, er ist kein Vertreter im Willen, sondern lediglich in der Erklärung. Nur im Rahmen von Beschlüssen des Betriebsrats kann und darf der Vorsitzende Erklärungen abgeben. Ein Verstoß hiergegen stellt eine schwerwiegende Verletzung der betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten nach § 23 dar und kann zum gerichtlichen Ausschluss aus dem Betriebsrat führen. Davon darf nicht abgewichen werden; eine Delegation von Rechten des Betriebsrats auf den Vorsitzenden ist unzulässig. Allerdings kann der Betriebsrat dem Vorsitzenden z. B. für Verhandlungen mit dem Arbeitgeber einen Entscheidungsrahmen vorgeben, den der Vorsitzende nach eigenem Ermessen ausschöpfen kann. In Einzelfällen kann die Vertretungsbefugnis auch einem anderen Betriebsratsmitglied übertragen werden, insbesondere den Vorsitzenden von Ausschüssen im Rahmen deren Aufgabenbereichs.

Der Vorsitzende vertritt den Betriebsrat auch dann, wenn er bei der Abstimmung und Beratung wegen "Befangenheit" (z. B. die Höhergruppierung des Vorsitzenden) ausgeschlossen war (BAG, Beschluss v. 19.3.2003, 7 ABR 15/02[1]).

 

Rz. 13

Der Vorsitzende braucht bei Erklärungen, die er für den Betriebsrat abgibt, insbesondere gegenüber dem Arbeitgeber, den Beschluss des Betriebsrats nicht vorzulegen; nach früherer Rechtsprechung (BAG, Urteil v. 24.2.2000, 8 AZR 180/99) spricht grundsätzlich eine Vermutung, die aber widerlegt werden kann. Daran hat das BAG in neueren Entscheidungen (BAG, Urteil v. 8.6.2004, 1 AZR 308/03) nicht festgehalten und auch in der Fachliteratur[2] wird diese Vermutung infrage gestellt, weil es hierfür an einer gesetzlichen Grundlage fehle:

Handelt der Vorsitzende entweder ohne jede Rücksprache mit dem Betriebsrat eigenmächtig oder ist der Beschluss des Betriebsrats aus den in § 29 BetrVG und § 33 BetrVG genannten Gründen unwirksam, so handelt der Vorsitzende im rechtlichen Sinne als Vertreter ohne Vertretungsmacht i. S. d. §§ 177 ff. BGB mit der Folge, dass die Erklärungen, die er abgibt, grundsätzlich unwirksam sind und es auch keinen Gutglaubensschutz gegenüber dem Erklärungsempfänger – meist dem Arbeitgeber – gibt. Eine Ausnahme stellen lediglich die Grundsätze der Rechtscheinhaftung dar (dazu unten).

Im Einzelnen: Zunächst unwirksame Erklärungen des Vorsitzenden kann der Betriebsrat nachträglich durch Beschluss (nicht durch Stillschweigen) genehmigen, sofern zu diesem Zeitpunkt noch eine Beschlussfassung des Betriebsrats möglich ist (s. § 33 BetrVG Rz. 14).

 
Praxis-Beispiel

Der Vorsitzende teilt dem Arbeitgeber mit, der Betriebsrat habe beschlossen, das Mitglied A auf eine Schulung nach § 37 Abs. 6 BetrVG zu entsenden, obwohl es an einem entsprechenden Betriebsratsbeschluss fehlt. Bis zum Beginn der Schulung kann der Betriebsrat noch einen entsprechenden Beschluss fassen und damit die Erklärung des Vorsitzenden genehmigen, danach nicht mehr, denn danach wäre auch eine Heilung eines unwirksamen Betriebsratsbeschlusses nicht mehr möglich (BAG, Beschluss v.10.10.2007, 7 ABR 51/06[3]).

In welchem Umfang der "gute Glaube", also ein berechtigtes Vertrauen des Arbeitgebers in die Vertretungsmacht des Vorsitzenden geschützt wird, ist in der Rechtsprechung nicht abschließend geklärt.

 
Praxis-Beispiel

Im neunköpfigen Betriebsrat geht die Abstimmung über eine Betriebsvereinbarung zum Nichtraucherschutz im Betrieb, die ein allgemeines Rauchverbot in den Büroräumen regelt, wie folgt aus: 4 Ja-Stimmen, 3 Nein-Stimmen, 2 Enthaltungen. Der Vorsitzende meint, der Betriebsrat habe dem Abschluss der Betriebsvereinbarung zugestimmt (was wegen § 33 Abs. 1 BetrVG gerade nicht der Fall ist) und unterschreibt die entsprechende Betriebsvereinbarung für den Betriebsrat.

Diese Betriebsvereinbarung ist nicht wirksam zustande gekommen, denn es lag kein wirksamer Beschluss des Betriebsrats vor.

Spricht der Arbeitgeber eine Abmahnung wegen Verstoßes gegen das Rauchverbot aus, so wird in einem Prozess des Arbeitnehmers gegen die Abmahnung, auf dessen Rüge hin, die Wirksamkeit der Betriebsvereinbarung geprüft. Ob hier der Arbeitgeber einwenden kann, er habe nicht gewusst, dass der Betriebsrat keinen Beschluss gefasst hat, ist fraglich und von der Rechtsprechung nicht abschließend entschieden.

 

Rz. 14

Dabei kann es sich einerseits um Fälle handeln, in denen überhaupt kein Beschluss des Betriebsrats vorliegt, sondern der Vorsitzende eigenmächtig gehandelt hat oder um Fälle, bei denen der Beschluss des Betriebsrats unwirksam war. Beide Situationen sind vom Ausgangspunkt her grundsätzlich gleich zu behandeln: der Vorsitzende handelte ohne einen entsprechenden Beschluss des Betriebsrats.

Die Rechtsprechung ist hier völlig uneinheitlich und legt unterschiedliche Maßstäbe an, je nach Situation, in der der Arbeitgeber auf die Vertretungsmacht des Betriebsratsvorsitzenden vertraut. Grundsätzlich wird der gute Glaube des Arbeitgebers an die Vertretungs...

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