1.1.4.1 Störung der Geschäftsgrundlage

 

Rz. 93

Von einer Störung der Geschäftsgrundlage spricht man, wenn sich die Umstände, die Vertragsgrundlage geworden sind, nach Vertragsschluss geändert haben.

 

Rz. 94

Außerhalb des Arbeitsrechts gilt: Der Vertrag wird grds. nicht aufgelöst, sondern den veränderten Verhältnissen angepasst, vgl. § 313 Abs. 1 BGB. Ist die Anpassung nicht möglich oder einer Partei nicht zuzumuten, kann die benachteiligte Partei ausnahmsweise vom Vertrag zurücktreten oder das Dauerschuldverhältnis kündigen (vgl. § 313 Abs. 3 BGB).

 

Rz. 95

Im Arbeitsrecht ist der Anwendungsbereich dieser Vorschrift gering, weil bei veränderten Umständen eine Änderungskündigung (Kündigung des Arbeitsvertrags verbunden mit dem Angebot, das Arbeitsverhältnis zu geänderten Bedingungen fortzusetzen, vgl. § 2 KSchG) ausgesprochen werden kann und muss. Die Vertragsanpassung nach § 313 Abs. 1 BGB kommt lediglich dort in Betracht, wo eine Kündigung überhaupt nicht möglich ist, z. B. bei der Anpassung betrieblicher Ruhegelder an geänderte Verhältnisse.[1] Die endgültige Kündigung des Arbeitsverhältnisses gem. § 313 Abs. 3 Satz 2 BGB kommt nur in extremen Ausnahmefällen in Betracht (Krieg, Verschleppung etc.), wenn der Zweck des Arbeitsvertrags durch äußere Ereignisse endgültig oder doch für unabsehbare Zeit unerreichbar geworden ist.

[1] ErfK/Preis, 23. Aufl. 2023, § 611a BGB, Rz. 407.

1.1.4.2 Rücktritt

 

Rz. 96

Das Arbeitsverhältnis kann nicht durch Rücktritt vom Arbeitsvertrag gem. §§ 346 ff. BGB enden, weil das Rücktrittsrecht bei Dauerschuldverhältnissen durch das Recht zur Kündigung verdrängt wird, vgl. § 313 Abs. 3 Satz 2 BGB.

1.1.4.3 Abmahnung

 

Rz. 97

Mit der Abmahnung macht der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer deutlich, dass er an einem bestimmten Verhalten Anstoß nimmt (Rügefunktion) und dass eine Wiederholung den Inhalt oder den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdet (Warnfunktion). Die Abmahnung beendet also das Arbeitsverhältnis noch nicht, sondern bereitet allenfalls eine Kündigung vor.

 

Rz. 98

Erforderlich ist eine Abmahnung gem. § 314 Abs. 2 Satz 1 BGB vor der außerordentlichen Kündigung durch den Arbeitgeber oder den Arbeitnehmer wegen einer Vertragsverletzung des anderen Teils (Haupt- oder Nebenpflicht).

 

Rz. 99

Erforderlich ist die Abmahnung auch bei der ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung durch den Arbeitgeber, wenn § 1 KSchG Anwendung findet. Eine Kündigung ist nämlich nur dann sozial gerechtfertigt, wenn der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet wurde. D. h., die Kündigung muss geeignet, erforderlich und angemessen sein, um die Störung der vertraglichen Beziehungen zu beseitigen. Die Kündigung ist erforderlich, wenn sie das mildeste Mittel ist. Der Arbeitgeber muss also zunächst versuchen, den Arbeitnehmer zum vertragsgerechten Verhalten zu bewegen. Eben dazu dient die Abmahnung.

Die Abmahnung ist nur dann nicht erforderlich, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach einer Abmahnung nicht zu erwarten steht (etwa weil erkennbar ist, dass der Arbeitnehmer gar nicht gewillt ist, sich vertragsgerecht zu verhalten, vgl. LAG Schleswig-Holstein, Urteil v. 31.8.2021, 1 Sa 70 öD/21), oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist (BAG, Urteil v. 20.5.2021, 2 AZR 596/20).

1.1.4.4 Dauernde Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers

 

Rz. 100

Die dauernde Arbeitsunfähigkeit führt nicht automatisch zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses, kann aber eine personenbedingte Kündigung rechtfertigen.[1]

[1] Vgl. Volk, § 1, Rz. 613.

1.1.4.5 Das Erreichen einer bestimmten Altersgrenze durch den Arbeitnehmer

 

Rz. 101

Erreicht der Arbeitnehmer eine bestimmte Altersgrenze, führt dies nicht automatisch zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

Eine Kündigung durch den Arbeitgeber kann nicht allein auf das Erreichen einer bestimmten Altersgrenze gestützt werden (vgl. § 41 Satz 1 SGB VI).

Ist eine betriebsbedingte Kündigung erforderlich, wird das Lebensalter im Rahmen der Sozialauswahl berücksichtigt (vgl. § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG). Typischerweise sind ältere Arbeitnehmer mehr schutzbedürftig als jüngere Arbeitnehmer. Hat ein Arbeitnehmer aber bereits das Rentenalter erreicht und bezieht er sogar eine Altersrente, ist er – jedenfalls in Bezug auf dieses Auswahlkriterium – deutlich weniger schutzbedürftig (BAG, Urteil v. 27.4.2017, 2 AZR 67/16).

Es kann auch eine entsprechende Befristung im Arbeitsvertrag, in einer Betriebsvereinbarung (vgl. dazu BAG, Urteil v. 5.3.2013, 1 AZR 417/12) oder einem Tarifvertrag enthalten sein. Das BAG sieht die Altersgrenze nicht mehr als auflösende Bedingung an (vgl. BAG, Urteil v. 14.8.2002, 7 AZR 469/01). Die Altersgrenze ist vielmehr eine zeitliche Höchstbefristung.[1] Fraglich ist damit, ob die ordentliche Kündigung gem. § 15 Abs. 3 TzBfG ausgeschlossen ist, wenn die Kündigungsmöglichkeit nicht ausdrücklich vorgesehen ist. Teilweise wird angenommen, es handle sich zwar um ein befristetes Arbeitsverhältnis, aber keines i. S. d. TzBfG, oder es sei als unbefristet anzusehen, sodass die ord...

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