Rz. 66a

In jedem Lohn steckt auch der allgemeine gesetzliche Mindestlohn nach dem MiLoG bzw. der ggf. einschlägige branchenspezifische Mindestlohn auf Grundlage von §§ 7, 7a, 11 AEntG bzw. § 3a AÜG.[1] Soweit der Arbeitnehmer in Auflösungsvereinbarungen – z. B. im Rahmen von Erledigungs- bzw. Ausgleichsklauseln – auf Entgeltansprüche verzichtet, ist daher die den Schutz des allgemeinen Mindestlohns bezweckende Vorschrift des § 3 MiLoG bzw. die für den jeweiligen branchenspezifischen Mindestlohn vorrangig (vgl. § 1 Abs. 3 MiLoG) geltende Parallelvorschrift (insb. § 9 AEntG[2]) zu beachten: Nach § 3 Satz 1 MiLoG sind alle individual- oder kollektivvertraglichen[3] Vereinbarungen "insoweit" unwirksam, als sie den Anspruch auf den Mindestlohn in der Höhe (vgl. § 1 Abs. 2 MiLoG) unterschreiten oder seine Geltendmachung zum maßgeblichen Fälligkeitstermin (vgl. §§ 2, 20 MiLoG) beschränken oder ausschließen. Zudem kann der Arbeitnehmer auf den entstandenen Anspruch nach § 1 Abs. 1 MiLoG nur durch gerichtlichen Vergleich verzichten; im Übrigen ist ein Verzicht ausgeschlossen (§ 3 Satz 2 MiLoG). Arbeitnehmer können auf Mindestlohnansprüche durch Erledigungs-/Ausgleichsklauseln in außergerichtlichen Aufhebungs- oder Abwicklungsverträgen also nicht wirksam verzichten.[4]

 

Rz. 66b

Vor diesem Hintergrund fragt es sich bei vorformulierten Ausgleichsklauseln in Auflösungsvereinbarungen, ob sie einer AGB-Prüfung standhalten, wenn sie nicht explizit unverzichtbare Ansprüche nach dem MiLoG bzw. nach den einschlägigen branchenspezifischen Mindestlohnregelungen ausnehmen.

 

Rz. 66c

Man könnte argumentieren, dass dies nicht erforderlich ist, da das BAG davon ausgeht, dass bedeutsame bzw. unverzichtbare Ansprüche (wie z. B. Betriebsrentenansprüche) nicht von einer Ausgleichsklausel erfasst werden (s.o. Rz. 54). Außerdem ergibt die Gesetzesauslegung, dass § 3 MiLoG den Sonderfall einer gesetzlich angeordneten "geltungserhaltenden Reduktion" darstellt und insoweit lex specialis gegenüber §§ 305 ff. BGB ist.[5] Verstößt eine Vereinbarung gegen die Schutznormen des MiLoG, so ist sie nur "insoweit" unwirksam, als der Anspruch auf Zahlung des Mindestlohns zum vorgegebenen Fälligkeitszeitpunkt betroffen ist. Soweit Entgeltansprüche über den Mindestlohn hinaus betroffen sind, bleibt die Vereinbarung nach Maßgabe der allgemeinen Vorschriften wirksam.

 

Rz. 66d

Im Hinblick auf die systematisch parallel gelagerte Problematik der Wirksamkeit von individualvertraglichen Ausschlussfristenregelungen geht das BAG allerdings davon aus, dass Arbeitsverträge, die nach Inkrafttreten bzw. Wirksamwerden der jeweiligen Mindestlohnbestimmung abgeschlossen werden, in ihren Ausschlussklauseln den jeweiligen Mindestlohnanspruch klar und deutlich ausnehmen müssen. Sonst liegt ein Verstoß gegen das Transparenzgebot vor, und die Ausschlussklausel ist nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB insgesamt unwirksam. Demgemäß verstößt eine vom Arbeitgeber vorformulierte arbeitsvertragliche Verfallklausel, die entgegen § 3 Satz 1 MiLoG auch den gesetzlichen Mindestlohn erfasst, gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB und ist insgesamt unwirksam, wenn der Arbeitsvertrag nach dem 31.12.2014 geschlossen wurde.[6] Nach Auffassung des 5. Senats des BAG kann auch der Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach gesetzlichen Vorschriften nach dem Lohnausfallprinzip (wie § 3 f. EFZG, § 615 BGB – wohl auch § 616 BGB, § 11 BUrlG, § 18 MuSchG) in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns einer Ausschlussfrist nicht unterworfen werden. Die Unwirksamkeit folgt nach dem BAG aus einer analogen Anwendung von § 3 Satz 1 MiLoG. Sie gilt nach dem 5. Senat nur "insoweit", als der Mindestlohnanspruch von der Ausschlussfrist erfasst ist (d.h. die Ausschlussfristenregelung ist nur teilunwirksam, und der über den Mindestlohn hinausgehende Teil der fortzuzahlenden Vergütung kann aufgrund der Ausschlussfristenregelung verfallen).[7]

 

Rz. 66e

Überträgt man diese Grundsätze auf Ausgleichsklauseln im außergerichtlichen Aufhebungsvertrag, müssen unverzichtbare Ansprüche auf Mindestlohn vom Geltungsbereich der Ausgleichsklausel ausgenommen werden.

 
Hinweis

Tatsachenvergleiche werden von § 3 Satz 2 MiLoG nach umstrittener Auffassung nicht erfasst, sind also auch in außergerichtlichen Vereinbarungen zulässig.[8] Daher sollte in der Auflösungsvereinbarung vorsorglich ein Tatsachenvergleich aufgenommen werden, dass abgesehen von den in der Vereinbarung geregelten Entgeltansprüchen keine weiteren Entgeltansprüche mehr bestehen bzw. die tatsächlichen Voraussetzungen insoweit nicht gegeben sind.

Außerdem sollte zur Vermeidung eines Verstoßes gegen das Transparenzgebot (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB) vorsorglich geregelt werden, dass die Erledigungs-/Ausgleichsklausel nicht für Ansprüche gilt, soweit diese unverzichtbar sind.

Klauselvorschlag:

§ … Ausgleichsklausel

Mit Abschluss dieser Vereinbarung sind alle wechselseitigen Ansprüche zwischen den Parteien aus und in Verbindung mit dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung, gleich welch...

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