Rz. 1

Nach § 612 Abs. 1 BGB "gilt" eine Vergütung unter bestimmten Voraussetzungen "als stillschweigend vereinbart". Die Formulierung deutet darauf hin, dass es sich bei der Norm um eine gesetzliche Fiktion handelt.[1] Andere deuten sie unzutreffend als Auslegungsregel, durch die die unentgeltliche Geschäftsbesorgung von dem entgeltlichen Dienstverhältnis abgegrenzt werden soll.[2] § 612 Abs. 1 BGB enthält zwar eine Fiktion; diese bezieht sich allerdings auf die Rechtsgeschäftlichkeit der in Wirklichkeit nicht rechtsgeschäftlich begründeten, sondern qua Gesetz eintretenden Anordnung der Entgeltlichkeit.[3] Die Konsequenz ist, dass die fingierte Entgeltlichkeits-"Abrede" den Regeln über Rechtsgeschäfte unterliegt, obwohl sie originär auf dem Gesetz als Rechtsgrund beruht. Dies hat zur Folge, dass sie das Schicksal des mit ihr verbundenen Rechtsgeschäfts der Vereinbarung der Erbringung von Diensten teilt und damit in derselben Weise unter dem Vorbehalt von Geschäftsfähigkeit, Wirksamkeit einer Stellvertretung und dergleichen steht. § 612 Abs. 1 BGB ist lex specialis zu § 154 Abs. 1 Satz 1 BGB und verdrängt daher das ansonsten einschlägige Bereicherungsrecht. Da Letzteres für den Arbeitnehmer ungünstiger ist als ein vertraglicher Anspruch, kommt § 612 Abs. 1 BGB insoweit eine Schutzwirkung zu. Bei Absatz 2 handelt es sich zum einen um eine Konkretisierung der Rechtsfolge des Absatzes 1. Zum anderen gelangt die Vorschrift zur Anwendung, wenn allein in Bezug auf die Höhe der Vergütung eine Vereinbarung fehlt.

[1] Staudinger/Richardi/Fischinger, 2016, § 612 BGB Rz. 5.
[2] Canaris, BB 1967, 165 ff.; dazu Lieb, Ehegattenmitarbeit, S. 71 ff., 81 ff.; Fenn, FamRZ 1968, 291 ff.; vgl. auch MünchKomm/Müller-Glöge, 7. Aufl. 2016, § 612 BGB Rz. 1.
[3] HWK/Thüsing, 9. Aufl. 2020, § 612 BGB Rz. 3 ff.; a. A. ErfK/Preis, 22. Aufl. 2022, § 612 BGB Rz. 1.

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