0 Rechtsentwicklung

 

Rz. 1

Durch Art. 1 des Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz – BTHG) v. 23.12.2016 (BGBl. I S. 3234) wurden die Vorschriften des SGB IX mit Wirkung zum 1.1.2020 neu gefasst. Die Vorgängervorschrift des § 142 SGB XII wurde gemäß Art. 12 Nr. 7 i. V. m. Art. 26 BTHG als Übergangsregelung für die Zeit vom 1.1.2018 bis zum 31.12.2019 als Teil des 18. Kapitels des SGB XII eingefügt. Sie ist gemäß Art. 13 Nr. 41 BTHG am 1.1.2020 außer Kraft getreten. § 118 ist weitgehend wortgleich mit § 142 SGB XII a. F.

1 Allgemeines

 

Rz. 2

Die Ermittlung des Bedarfs steht am Beginn eines Gesamtplanverfahrens nach § 117. Die Vorschriften der §§ 117 bis 122 beschreiben die Aufeinanderfolge im Gesamtplanverfahren. Zunächst benennt § 117 als Ziele des Gesamtplanverfahrens die Ermittlung des individuellen Bedarfs (§ 117 Abs. 1 Nr. 4) und die Gesamtplankonferenz (§ 117 Abs. 1 Nr. 5). Dann definiert § 118 die Instrumente der Bedarfsermittlung. Nachdem der Bedarf ermittelt wurde, kann eine Gesamtplankonferenz stattfinden (vgl. § 119). Anschließend werden die in Betracht kommenden Leistungen festgestellt (vgl. § 120). Sodann wird der Gesamtplan aufgestellt (vgl. § 121) und zu dessen Umsetzung werden schließlich Teilhabezielvereinbarungen abgeschlossen (vgl. § 122).

2 Rechtspraxis

2.1 Bedarfsermittlung

2.1.1 Wünsche des Leistungsberechtigten

 

Rz. 3

Gemäß Abs. 1 Satz 1 erfolgt die Bedarfsermittlung unter Berücksichtigung der Wünsche des Leistungsberechtigten. Dieser Grundsatz durchzieht das Gesamtplanverfahren insgesamt. Er steht in engem Zusammenhang mit der Feststellung des individuellen Bedarfs nach Maßgabe der internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) aus dem Jahr 2005 . Sie dient fach- und länderübergreifend als einheitliche und standardisierte Sprache zur Beschreibung des funktionalen Gesundheitszustandes, der Behinderung, der sozialen Beeinträchtigung und der relevanten Umgebungsfaktoren eines Menschen. Mit der ICF können die bio-psycho-sozialen Aspekte von Krankheitsfolgen unter Berücksichtigung der Kontextfaktoren systematisch erfasst werden. Der Deutsche Verein empfiehlt ein persönliches und leitfadengestütztes Bedarfsermittlungsgespräch mit dem Betroffenen. Damit soll gewährleistet werden, dass die Gesamtplanung unter ganzheitlicher Perspektive erfolgt und sich ausschließlich am individuellen Bedarf und den persönlichen Lebensvorstellungen orientiert (NDV 2019 S. 337, 339).

2.1.2 Instrument zur Bedarfsermittlung

 

Rz. 4

Der Begriff des Instruments wird in § 13 Abs. 1 legaldefiniert. Es handelt sich um standardisierte Arbeitsmittel nach den für sie geltenden Leistungsgesetzen. Nach § 13 Abs. 2 sollen die Instrumente eine individuelle und funktionsbezogene Bedarfsermittlung gewährleisten und die Dokumentation und Nachprüfbarkeit der Bedarfsermittlung sichern. Zu diesem Zweck sollen sie insbesondere erfassen,

  1. ob eine Behinderung vorliegt oder einzutreten droht,
  2. welche Auswirkung die Behinderung auf die Teilhabe der Leistungsberechtigten hat,
  3. welche Ziele mit Leistungen zur Teilhabe erreicht werden sollen und
  4. welche Leistungen im Rahmen einer Prognose zur Erreichung der Ziele voraussichtlich erfolgreich sind.

Das Instrument muss sich gemäß Abs. 1 Satz 2 an der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit – ICF orientieren. Es hat die nicht nur vorübergehende Beeinträchtigung der Aktivität und Teilhabe in bestimmten Lebensbereichen vorzusehen, die anschließend in Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 bis 9 im Einzelnen benannt werden. Die Anknüpfung an die ICF ist vor dem Hintergrund des gewandelten Verständnisses von Behinderung in § 2 Abs. 1 weg von einer defizitorientierten und hin zu einer ressourcenorientierten Sichtweise zu verstehen (Wehrhahn, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 3. Aufl., § 118 Rz. 12; BT-Drs. 18/9522 S. 198).

2.1.3 Lebensbereiche

 

Rz. 5

Vor dem Hintergrund der personenzentrierten Ausrichtung der Eingliederungshilfe müssen die Leistungsberechtigten in allen Schritten der Leistungsgewährung und -erbringung, beginnend bei der Antragsprüfung und beim Zugang zu den Leistungen ganzheitlich in den Blick genommen werden. Daher erfolgt eine Orientierung an allen Lebensbereichen, die auch in die ICF aufgenommen wurden und dort bei der Beurteilung der Teilhabemöglichkeiten eine Rolle spielen (BT-Drs. 18/9522 S. 198 f.). In Abs. 1 Satz 3 wird die Klassifikation der Aktivitäten und Partizipation (Komponente d) des ICF Version 2005 wortgleich übernommen.

 

Rz. 6

Die einzelnen begrifflich aufgelisteten Lebensbereiche werden in der ICF weitergehend differenziert und die zugeordneten Aktivitäten im einzelnen erläutert:

Der Bereich Lernen und Wissensanwendung (d1) umfasst Bewusste sinnliche Wahrnehmungen, Elementares Lernen, Wissensanwendung sowie Lernen und Wissen anwenden.

Die Komponente allgemeine Aufgaben und Anforderungen (d2) umfasst die Übernahme von Einzelaufgaben und Mehrfachaufgaben, die Durchführung der täglichen Routine, der Umgang mit Stress und anderen psychischen Anforderungen.

Die Komponente Kommunikation (d3) umfasst das Kommunizieren al...

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