Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtskraft einer erfolgreichen Anfechtungsklage. Erstattungsanspruch gegen die Betreuerin bei Rentenzahlung nach dem Tod. Abgrenzung zwischen der Bindungswirkung und der Feststellungswirkung eines Verwaltungsaktes

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Betreuerin einer verstorbenen Rentenempfängerin genießt keinen besonderen Vertrauensschutz als Leistungsempfängerin nach § 118 Abs 4 SGB VI (Anschluss an BSG vom 14.12.2016 - B 13 R 9/16 R = BSGE 122, 192 = SozR 4-2600 § 118 Nr 15).

2. Die Rechtskraft einer erfolgreichen Anfechtungsklage endet bei einer wesentlichen Änderung, welche vorliegt, wenn durch den Gesetzgeber eine Neuregelung erfolgt (hier: Erlass von § 102 Abs 6 SGB VI).

 

Orientierungssatz

Bei der Feststellungswirkung handelt es sich um ein Rechtsinstitut, das die Rechtsordnung zur Verhütung eines ständigen Wiederaufgreifens rechtlich geklärter Lebenssachverhalte und zur Vermeidung divergierender Entscheidungen entwickelt hat. Durch die Feststellungswirkung werden Gerichte und Verwaltungsbehörden gegenseitig und untereinander an Entscheidungselemente, an tatsächliche Feststellungen und rechtliche Wertungen in Urteilen und Verwaltungsakten gebunden. Eine solche Drittbindungswirkung kann deshalb über die Maßgeblichkeit der Entscheidung einer Behörde für den unmittelbar davon betroffenen Adressaten mit Drittbindungswirkung gegenüber einer anderen Behörde (vgl BSG vom 13.12.2000 - B 6 KA 26/00 R = SozR 3-2500 § 95a Nr 2) hinaus bestehen und ein und dieselbe Behörde aus einem Verwaltungsakt zugunsten des einen Adressaten auch gegenüber einem anderen Adressaten binden, sofern die erste Entscheidung einen entsprechenden Tatbestands- oder Feststellungsinhalt hat und eine gesetzliche Regelung eine einheitliche Behandlung des Tatbestands oder der Feststellung gebietet.

 

Normenkette

SGB VI § 49 Sätze 1, 3, § 102 Abs. 6 S. 1, § 118 Abs. 4 S. 1, Abs. 4a S. 1; SGB X § 12 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2, §§ 45, 48, 50 Abs. 1, § 2 S. 2; SGB I §§ 48, 53, 54 Abs. 1; SGB IV § 27; BGB §§ 812, 1698 Abs. 1 S. 1, § 1893 Abs. 1, § 1908i Abs. 1 S. 1; SGG § 54 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, §§ 77, 160 Abs. 2 Nrn. 1-2

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 19. Februar 2020 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird auf 5.046,- Euro festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Erstattungsbescheides der Beklagten.

Frau C L(Rentenempfängerin) geboren im Jahre 1941 bezog von der Beklagten seit 1991 eine damalige Erwerbsunfähigkeitsrente. Sie litt seit dem Sommer 1960 an einer psychischen Erkrankung - paranoide Schizophrenie. In der Zeit zwischen 2003 und 2005 war sie insgesamt neunmal polizeilich als vermisst gemeldet. Achtmal wurde sie von der Polizei wieder aufgefunden.

Nach der Beendigung eines Krankenhausaufenthalts in Eberswalde am 8. Juli 2005 kehrte die Rentenempfängerin nicht in ihre Wohnung zurück und hatte keinen Kontakt zu ihrem Bruder. Seit dem 12. Juli 2005 wurde sie vermisst.

Die Klägerin (geboren im Jahre 1953) wurde im Juli 2005 zur Betreuerin für die Rentenempfängerin bestellt. Sie teilte der Beklagten laut Aktenvermerk vom 18. Januar 2006 mit, dass die Rentenempfängerin bereits seit längerer Zeit nicht auffindbar sei und eine europaweite Fahndung laufe. Auch eine Durchsuchung der Wohnung nach Unterlagen oder weiteren Hinweisen sei ohne Erfolg geblieben.

Der Bruder der Rentenempfängerin, Herr ML, teilte mit Schreiben vom 20. August 2010 der Beklagten zu den Umständen des Verschwindens mit, dass die Rentenempfängerin nach der Entlassung am 8. Juli 2005 nicht an ihren Wohnort zurückgekehrt sei. Es gebe seit diesem Zeitpunkt kein Lebenszeichen.

Am 23. Januar 2006 beantragte die Klägerin für die Rentenempfängerin die Gewährung einer Regelaltersrente bei der Beklagten. Mit Bescheid vom 10. Februar 2006 gewährte die Beklagte eine Rente wegen Alters mit dem Rentenbeginn am 1. März 2006 und einem Zahlbetrag von 412,16 Euro monatlich. Die Rentenzahlung erfolgte auf das Konto der Rentenempfängerin bei der Postbank D.

Mit Beschluss vom 4. August 2010 hob das zuständige Betreuungsgericht die Bestellung der Klägerin als Betreuerin für die Rentenempfängerin auf. Es führte zur Begründung aus, dass die Rentenempfängerin seit 2005 vermisst sei und eine Betreuung praktisch nicht erfolgen könne.

Die Beklagte stellte die Rentenzahlung zum 30. September 2010 ein. In der Zeit von Juli 2005 bis zu diesem Zeitpunkt zahlte die Beklagte insgesamt einen Betrag von 25.434,55 Euro auf das Konto der Rentenempfängerin. Die Postbank überwies - dem Kontostand zum 4. Februar 2011 entsprechend - einen Betrag von 11.780,03 Euro an die Beklagte zurück.

Mit Beschluss vom 28. März 2012 bestellte das Amtsgericht C Frau Rechtsanwältin P in dem Abwesenheitspflegschaftsverfahren für die vermisste Rentenempfängerin zur Pflegerin. Gegenüber der Pflegerin stellte die Bekla...

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