Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende: Leistung für eine Maßnahme zur beruflichen Weiterbildung. Auswirkungen eines Entzugs der Zertifizierung durch die sachkundige Stelle auf die Rechtmäßigkeit der Bewilligungsentscheidung. Sicherung des Lebensunterhalts als Bewilligungsvoraussetzung bei einem Grundsicherungsempfänger

 

Orientierungssatz

1. Bei Bewilligung von Leistungen für eine Maßnahme der beruflichen Weiterbildung an einen Grundsicherungsempfänger bewirkt allein die Erklärung über die Aufhebung der Zertifizierung dieser Maßnahme durch eine fachkundige Stelle noch nicht die Annahme einer Änderung der Verhältnisse, die zur Aufhebung des Bewilligungsbescheides berechtigt. Vielmehr ist im Rahmen der Entscheidung über eine mögliche Aufhebung der Bewilligungsentscheidung zu prüfen, ob der Wegfall der Zertifizierung tatsächlich gerechtfertigt war.

2. Bei einem Empfänger von Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende ist es im Rahmen der Bewilligung einer Maßnahme zur beruflichen Weiterbildung nicht geboten, eine Sicherstellung der Finanzierung des Lebensunterhaltes im letzten Drittel der Ausbildung als Bewilligungsvoraussetzung anzunehmen.

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 23. Juni 2016 aufgehoben.

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Bescheid vom 1. Juni 2016 wird angeordnet.

Der Antragsgegner hat der Antragstellerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten des gesamten Verfahrens zu erstatten.

 

Gründe

Die Beschwerde ist zulässig und begründet.

Der mit der Beschwerde weiterverfolgte Antrag ist statthaft. Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Vorliegend hat der erhobene Widerspruch nach § 39 Nr. 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) keine aufschiebende Wirkung kraft Gesetzes.

Bei der Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist das Interesse am Vollzug des angefochtenen Verwaltungsaktes mit dem Interesse des Antragstellers an der Aussetzung des Vollzugs abzuwägen. Das Aussetzungsinteresse überwiegt stets, wenn sich der angefochtene Verwaltungsakt im Rahmen der im vorläufigen Rechtsschutz gebotenen summarischen Prüfung als rechtswidrig erweist oder zumindest ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit bestehen (vgl. zu diesem Maßstab § 80 Abs. 4 Satz 3 der Verwaltungsgerichtsordnung), weil ein Interesse am Vollzug solcher Verwaltungsakte regelmäßig nicht besteht. Auch ansonsten kommt es auf die Erfolgsaussichten einer gedachten Anfechtungsklage in der Hauptsache an, die in die Interessenabwägung einzustellen sind.

In Anwendung dieses Maßstabs ist die aufschiebende Wirkung vorliegend anzuordnen, weil die vom Senat durchzuführende Interessenabwägung zu Gunsten der Antragstellerin ausfällt.

Die Anfechtung des Bescheides vom 1. Juni 2016 hat jedenfalls nach der gegenwärtig möglichen Prüfung durch den Senat mehr als unerhebliche Erfolgsaussichten, ohne dass eine abschließende Bewertung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits möglich ist.

Gegenwärtig leidet der Bescheid vom 1. Juni 2016 am Fehlen einer Anhörung nach § 24 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X). Diese ist als Ausprägung des Anspruchs auf rechtliches Gehör im Verwaltungsverfahren auch nicht deshalb entbehrlich, weil es für die von dem Antragsgegner angenommene Rechtsgrundlage nicht auf subjektive Umstände ankommt. Eine Nachholung der Anhörung ist gegenwärtig noch nicht erfolgt. Eine solche kann frühestens nach Offenbarung aller seitens des Antragsgegners für entscheidungserheblich gehaltenen Umstände stattfinden, da die Antragstellerin hierzu Gelegenheit zur Äußerung haben muss. Diese Situation ist durch den Bescheid vom 1. Juni 2016 noch nicht eingetreten. Vielmehr hat der Antragsgegner im Schriftsatz vom 16. Juni 2016 den Verwaltungsakt auf vollständig neue Gründe (Entzug der Zertifizierung) gestützt. Gegenwärtig ist nicht erkennbar, dass sich der Antragsgegner mit dem hierauf folgenden Vortrag der Antragstellerin im Verfahren hinreichend auseinandergesetzt hätte. Erforderlich wäre eine Prüfung in Hinblick auf den erlassenen Verwaltungsakt außerhalb des gerichtlichen Verfahrens.

Gegenwärtig bestehen zudem Zweifel, dass der angefochtene Bescheid auf § 48 SGB X gestützt werden kann. Voraussetzung hierfür wäre der Eintritt einer wesentlichen Änderung in den rechtlichen oder tatsächlichen Verhältnissen seit Erlass des Bewilligungsbescheides.

Insoweit kommt als Änderung der Verhältnisse allein der vom Antragsgegner behauptete Entzug der Zertifizierung der von der Klägerin absolvierten Maßnahme in Betracht mit Schreiben der G vom 18. März 2016. Die Rechtmäßigkeit und Wirksamkeit dieses Entzugs begegnet jedoch erheblichen Bedenken.

Die Rechtmäßigkeit dieses Entzugs ist vorliegend nach summarischer Einschätzung inzid...

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