Entscheidungsstichwort (Thema)

Unbegründete außerordentliche Kündigung eines Betriebsratsmitgliedes bei zumutbarer Weiterbeschäftigung bis zum ordentlichen Kündigungstermin. unbegründeter Antrag der Arbeitgeberin auf Zustimmungsersetzung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Bei der Prüfung, ob der Arbeitgeberin eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse der Arbeitgeberin an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen; es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen.

2. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil der Arbeitgeberin sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind; einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten ist oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch die Arbeitgeberin offensichtlich (auch für den Arbeitnehmer erkennbar) ausgeschlossen ist.

3. Diese Grundsätze gelten grundsätzlich auch bei Störungen im Vertrauensbereich.

4. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob der Arbeitgeberin die Weiterbeschäftigung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen; zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung (etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen), der Grad des arbeitnehmerseitigen Verschuldens, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf.

5. Hat der in einer Spielbank beschäftigte Arbeitnehmer pflichtwidrig am Rechner eines Kollegen auf für ihn nicht bestimmte Daten zugegriffen und diese ausgedruckt, ist der Umstand zu berücksichtigen, dass es durch die Zugriffsgewährung und die geschaffene Arbeitsplatzsituation für Dritte ein Leichtes war, an die Daten zu gelangen, und der Arbeitnehmer keine besonderen Anstrengungen unternehmen musste, um die Dokumente einsehen und ausdrucken zu können, weil sich der betroffene Rechner in seinem Arbeitsbereich befand und die Dokumente zur Technikerprüfung dort geladen waren, obwohl das für die eigentliche Arbeit an der Rezeption nicht nötig war.

 

Normenkette

BetrVG § 103 Abs. 1, 2 S. 1; KSchG § 15 Abs. 1; BGB § 626 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Lübeck (Entscheidung vom 19.04.2012; Aktenzeichen 1 BV 119/11)

 

Tenor

Die Beschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Lübeck vom 19.04.2012

1 BV 119/11 - wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I.

Die Arbeitgeberin begehrt die Ersetzung der vom Betriebsrat nicht erteilten Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3).

Die Arbeitgeberin betreibt eine Spielbank. Der am ....1956 geborene, verheiratete Beteiligte zu 3) trat am 09.09.1987 in die Dienste der Arbeitgeberin bzw. deren Rechtsvorgängerin. Er war zuletzt als Saalservicekraft mit Technikerfunktion im Automatenspielsaal tätig. Der Beteiligte zu 3) gehört dem bei der Arbeitgeberin gewählten fünfköpfigen Betriebsrat an.

Am Montag, den 14.11.2011, arbeitete der Beteiligte zu 3) zusammen mit Herrn P. im Automatensaal. Der Beteiligte zu 3) war an der Kasse eingesetzt, Herr P., der Leiter des Automatensaals, an der Rezeption.

Beide Arbeitsplätze sind mit einem PC ausgestattet. An der Rezeption werden die persönlichen Daten der Besucher aufgenommen, wenn sie den Automatenspielsaal betreten.

Die im Automatensaal eingesetzten Mitarbeiter gehen nicht gleichzeitig, sondern nacheinander in die Pause. Gegen 18.30 Uhr begab sich Herr P. in die Pause. Zuvor schloss er die im PC an seinem Arbeitsplatz geöffneten Dokumente, die er zur Vorbereitung der Technikerprüfung durchgesehen hatte. Allerdings unterließ er es, sich mit seinem Benutzernamen abzumelden. Während Herr P. sich in der Pause befand, ging der Beteiligte zu 3) an den PC-Arbeitsplatz an der Rezeption, öffnete die dort gespeicherten Dokumente zur Technikerprüfung und druckte insgesamt vier Seiten aus.

Nachdem Herr P. aus der Pause zurückgekehrt war, stellte er fest, dass in seiner Abwesenheit Dokumente geöffnet und ausgedruckt worden waren. Zusammen mit dem diensthabenden Betriebsleiter, Herrn M., stellte er den Beteiligten zu 3) zur Rede. Am Ende des Gesprächs, dessen Ablauf zwischen den Beteiligten im Einzelnen streitig ist, räumte der Beteiligte zu 3) ein, Dokumente ausgedruckt zu haben und gab diese heraus. Anschließend vernichtete Herr M. die Ausdrucke. Welchen Inhalt die ausgedruckten Dokumente im Einzelnen hatten, war im Verfahren nicht mehr feststellbar.

Im November 2011 l...

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