Entscheidungsstichwort (Thema)

Pflicht des Arbeitnehmers zur Aktualisierung seiner Anschrift während eines laufenden Kündigungsschutzverfahrens. Einhaltung der Frist für eine außerordentliche Kündigung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Solange die Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch nicht feststeht, weil der Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage gegen eine Kündigung erhoben hat und über diese noch nicht rechtskräftig entschieden ist, dürfte ein Arbeitnehmer auch im gekündigten Arbeitsverhältnis jedenfalls dann verpflichtet sein, seinem bisherigen Arbeitgeber Anschriftenänderungen unverzüglich mitzuteilen, wenn er mit dem Zugang weiterer rechtserheblicher Erklärungen rechnen muss. Das kann beispielsweise der Fall sein, wenn in dem noch laufenden Kündigungsschutzverfahren eine erneute Kündigungsabsicht mitgeteilt wird und mithin mit dem Zugang einer weiteren rechtserheblichen Erklärung zu rechnen ist.

2. Selbst bei schweren Sorgfaltspflichtverstößen kann der Arbeitnehmer als Adressat einer neuerlichen Kündigungserklärung in Anwendung der Grundsätze der Zugangsvereitelung bzw. treuwidrigen Zugangsverzögerung regelmäßig aber nur dann so behandelt werden, als habe ihn die Willenserklärung des Arbeitgebers zu einem früheren Zeitpunkt erreicht, wenn der Arbeitgeber seinerseits alles Erforderliche und Zumutbare getan hat, damit seine Erklärung den Adressaten fristgerecht erreicht. Hierfür trägt derjenige, der sich auf den fristgerechten Zugang beruft, hier also der erneut kündigende Arbeitgeber, die Darlegungs- und Beweislast.

3. Ist Arbeitgeber eine Kommune und hat der Arbeitnehmer eine Anschriftenänderung zwar nicht der Personalabteilung gemeldet, jedoch unter Beachtung seiner Meldepflichten dem bei seinem Arbeitgeber bestehenden Einwohnermeldeamt, ist dem Arbeitnehmer eine Zugangsverzögerung nicht nach Treu und Glauben zuzurechnen, wenn der Arbeitgeber nach einem erfolglosen Zustellversuch unter der nicht mehr aktuellen Anschrift am letzten Tag der 2-Wochen-Frist nicht alle ihm zur Verfügung stehenden und zumutbaren Erkenntnismöglichkeiten zur Ermittlung der neuen Anschrift ausschöpft, um den Zugang der Kündigung noch innerhalb der Frist zu bewirken. Zu diesen Erkenntnismöglichkeiten gehört auch die Nachforschung bei dem eigenen Einwohnermeldeamt.

4. Stellt ein Arbeitnehmer in einem familiengerichtlichen Verfahren einen Sachverhalt unstreitig, bedeutet der Umstand, dass er ihn in einem späteren arbeitsgerichtlichen Verfahren streitig stellt, nicht automatisch, dass hier nun ein Prozessbetrug versucht wird. Die Verletzung der Wahrheitspflicht in dem arbeitsgerichtlichen Verfahren ist vielmehr weiterhin von dem wegen "Prozessbetrugs" kündigenden Arbeitgeber nachzuweisen, die von dem gekündigten Arbeitnehmer für den unterschiedlichen Sachvortrag konkret vorgebrachten Beweggründe sind zu widerlegen.

 

Normenkette

BGB § 626 Abs. 2, §§ 242, 130, 626 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Wesel (Entscheidung vom 06.04.2017; Aktenzeichen 2 Ca 418/16)

 

Tenor

  • I.

    Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wesel vom 06.04.2017 - Az.: 2 Ca 418/16 - wird zurückgewiesen.

  • II.

    Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

  • III.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses aufgrund einer außerordentlichen arbeitgeberseitigen Kündigung mit Schreiben vom 12.02.2016.

Der am 16.12.1977 geborene Kläger ist bei der beklagten Stadt, die regelmäßig mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigt und bei der ein Personalrat gebildet ist, seit 01.06.2004 als Müllwerker gegen ein Bruttomonatsentgelt in Höhe von zuletzt 2.400,00 € beschäftigt. Er ist unverheiratet und zwei Kindern gegenüber unterhaltspflichtig. Beide Kinder leben jeweils bei ihrer Mutter.

Für die Tochter M. F. besteht eine Beistandschaft durch das Jugendamt der beklagten Stadt zur Geltendmachung bestehender Unterhaltsansprüche. Der Sohn B. des Klägers stand bei der Beklagten laufend im Sozialleistungsbezug, da der Kläger seinen Unterhaltsverpflichtungen ihm gegenüber nicht nachkam. Im Zeitraum von Mai 2013 bis Juni 2014 erhielt das Kind von der Beklagten ergänzende Sozialhilfeleistungen in Höhe von 3.166,80 €. Die Zustellungen der diesbezüglichen Rechtswahrungsanzeige vom 27.05.2013, des Mahnbescheides und des Vollstreckungsbescheides vom 22.08.2014 sind zwischen den Parteien streitig. Mangels fristgerechten Einspruchs gegen den Vollstreckungsbescheid wurde dieser zunächst bestandskräftig.

Mit Schreiben vom 20.10.2014 legte der Kläger über seinen Prozessbevollmächtigten beim Amtsgericht Hagen (Mahngericht) Einspruch ein und beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen schuldloser Fristversäumnis. Zur Glaubhaftmachung legte der Kläger eine von ihm unterzeichnete eidesstattliche Versicherung vor, in der er unter anderem ausschließt, dass Briefe seitens des Amtsgerichts Hagen in den zu seiner Wohnung gehörenden Briefkasten eingelegt worden seien. Mit Beschluss vom 06.02.2015 gewährte das für die Aufrechterhaltung d...

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