Entscheidungsstichwort (Thema)

Entgeltfortzahlung. Arbeitsunfähigkeit. künstliche Befruchtung

 

Leitsatz (amtlich)

Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gemäß § 3 Abs. 1 EFZG besteht auch für Arbeitsunfähigkeit, die durch eine künstliche Befruchtung bedingt ist. Das gilt jedenfalls für Behandlungen, die aufgrund eines von der Krankenkasse genehmigten Behandlungsplans im Sinne des § 27 a SGB V erfolgt sind.

 

Normenkette

EFZG § 3 Abs. 1; SGB V § 27a

 

Verfahrensgang

ArbG Essen (Urteil vom 17.01.2008; Aktenzeichen 1 Ca 1805/07)

 

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Essen vom 17.01.2008 – Az.: 1 Ca 1805/07 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, Entgeltfortzahlung wegen Arbeitsunfähigkeit infolge einer künstlichen Befruchtung zu leisten.

Die Klägerin ist eine gesetzliche Krankenkasse, bei der eine Arbeitnehmerin der Beklagten versichert ist. Mit Bescheid vom 04.08.2006 bewilligte die Klägerin der Arbeitnehmerin Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung gemäß § 27 a SGB V für maximal drei Zyklen (Bl. 27 d. A.). Hieraufhin wurde die Arbeitnehmerin im Zeitraum vom 29.06. bis 18.10.2006 erfolglos und in der Zeit vom 07.03. bis 22.04.2007 mit Erfolg im Rahmen einer artifiziellen Insemination behandelt. Der Beklagten legte die Arbeitnehmerin jeweils Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor. Nachdem die Beklagte für den erstgenannten Zeitraum Entgeltfortzahlung geleistet hatte, verweigerte sie diese für den zweitgenannten Zeitraum, weil sie zwischenzeitlich von den Hintergründen der Arbeitsunfähigkeit erfahren hatte. Hieraufhin zahlte die Klägerin der Arbeitnehmerin für den genannten Zeitraum Krankengeld in Höhe von EUR 722,19.

Mit der am 23.05.2007 beim Arbeitsgericht Essen erhobenen Klage fordert die Klägerin Erstattung dieses Betrages.

Sie hat die Auffassung vertreten, aus übergegangenem Recht (§ 115 Abs. 1 SGB X) Anspruch auf Zahlung zu haben, weil die Beklagte ihrer Arbeitnehmerin aus § 3 Abs. 1 EFZG zur Zahlung von Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall verpflichtet sei. Unfruchtbarkeit sei eine Krankheit. Die Behandlung dagegen führe zu einer unverschuldeten Arbeitsunfähigkeit.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie EUR 722,19 nebst 5 v. H. über jeweiligem Basiszinssatz seit Zustellung der Klage zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Ansicht vertreten, Sterilität sei nur ein vermeintlich unnormaler körperlicher Zustand, der zudem die Arbeitsfähigkeit der Arbeitnehmerin nicht tangiere. Die Behandlung durch künstliche Befruchtung sei auch nicht geeignet, die vermeintliche Krankheit zu beseitigen. Die Entscheidung zu einer künstlichen Befruchtung beruhe auf einer freien Willensentscheidung der Arbeitnehmerin und sei nicht mit dem Schutzzweck des § 3 EFZG vereinbar. Die Arbeitnehmerin könne ihre persönlichen Lebensziele nicht auf Kosten des Arbeitgebers realisieren. Weder trage dieser Verantwortung für die affektive Ausrichtung der Arbeitnehmerin noch sei es gerechtfertigt, ihn für das gesellschaftspolitische Ziel in Anspruch zu nehmen, auch unfruchtbaren Menschen Kinder zu ermöglichen.

Mit Urteil vom 17.01.2008 hat das Arbeitsgericht Essen der Klage stattgegeben und seine Entscheidung wie folgt begründet:

Der der Höhe nach unstrittige und gemäß § 115 Abs. 1 SGB X wegen der Zahlung von Krankengeld auf die Klägerin übergegangene Anspruch der Arbeitnehmerin folge aus § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG, weil sämtliche Voraussetzungen dieser Norm auch im Falle der künstlichen Befruchtung erfüllt seien. Die Arbeitnehmerin sei unstrittig unfruchtbar. Bei Unfruchtbarkeit handele es sich um eine Krankheit im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 EFZG. Die Arbeitnehmerin sei infolge dieser Krankheit arbeitsunfähig gewesen, weil die Unfruchtbarkeit die alleinige Ursache der Arbeitsunfähigkeit gewesen sei. Entgegen der Argumentation der Beklagten könne ein anderer Grund jedenfalls nicht darin gesehen werden, dass nicht die Unfruchtbarkeit selbst, sondern erst der Wunsch der Arbeitnehmerin, diese zu überbrücken, Grund für die Arbeitsunfähigkeit gewesen sei. Der Wunsch, eine Krankheit zu behandeln, trete immer hinzu. Richtig sei zwar, dass die Unfruchtbarkeit nicht die direkte Ursache für die Arbeitsunfähigkeit gewesen sei, weil die Arbeitnehmerin auch mit ihrer Krankheit ohne Beeinträchtigungen weiter hätte arbeiten können. Der Arbeitgeber müsse aber auch für solche Zeiträume Entgeltfortzahlung nach § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG leisten, für die erst die Behandlung gegen eine Krankheit zur Arbeitsunfähigkeit geführt habe. Schließlich könne eine Leistung, die die Krankenversicherung als Krankenbehandlung nicht nur anerkenne, sondern für die sie sogar die Kosten übernehme, kein Verschulden des Arbeitnehmers im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG begründen. Ein solches sei nur bei einem groben Verstoß gegen das eigene Interesse eines verständigen Menschen gegeben. Hiervon könne i...

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