Entscheidungsstichwort (Thema)

Entgeltfortzahlung. Kreistags- und Ratsmitglied. Staatsbürgerliche Pflichten

 

Leitsatz (redaktionell)

1. § 29 Abs. 2 TV-L bestimmt, dass bei Erfüllung allgemeiner staatsbürgerlicher Pflichten nach deutschem Recht der Anspruch auf Fortzahlung des Entgelts besteht, wenn die Arbeitsbefreiung gesetzlich vorgeschrieben ist und soweit die Pflichten nicht außerhalb der Arbeitszeit, ggf. nach ihrer Verlegung, wahrgenommen werden können. Ein Anspruch auf Entgelt ist danach nur insoweit gegeben, als Beschäftigte nicht Ansprüche auf Ersatz des Entgelts geltend machen können.

2. Im staatlichen Gesetzesrecht gibt es einen allgemeinen Rechtsbegriff „staatbürgerliche Pflichten” außerhalb der staatsrechtlichen Bedeutung, die Art. 33 Abs. 1 GG im Auge hat, nicht. Unter „staatsbürgerlich” werde „zum Staatsbürger gehörend”, „ihn betreffend” verstanden. Der Begriff der „staatsbürgerlichen Pflicht” ist dahingehend auszulegen, dass die Tarifvertragsparteien dem üblichen und in der höchstrichterlichen Rechtsprechung weit verbreiteten Sprachgebrauch folgen wollten und mit der Tarifbestimmung gerade die ihnen geläufigen und häufig vorkommenden Bürgerpflichten erfassen wollten, sofern deren Erfüllung in zwingender Weise geregelt ist.

3. Die Tätigkeit im Kreistag ist keine Erfüllung einer allgemeinen staatsbürgerlichen Pflicht.

 

Normenkette

TV-L § 29; BGB § 616; BremBG § 90 Abs. 3

 

Verfahrensgang

ArbG Bremen-Bremerhaven (Urteil vom 23.04.2008; Aktenzeichen 9 Ca 9199/07)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bremen-Bremerhaven vom 23.04.2008 – 9 Ca 9199/07 – wird auf seine Kosten als unbegründet zurückgewiesen.

Die Revision wird gegen dieses Urteil zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Freistellung des Klägers unter Fortzahlung der Vergütung für die Tätigkeit als Mitglied des Kreistages und Rates der Stadt OS.

Der am 16.06.1951 geborene Kläger, der schwerbehinderter Mensch ist, ist bei der Beklagten als Angestellter zu einem durchschnittlichen Arbeitsentgelt von EUR 3.252,00 im Bundesland Bremen beschäftigt. Bzgl. der Arbeitszeit besteht zwischen den Parteien eine Gleitzeitregelung. Auf das Arbeitsverhältnis findet der TV-L Anwendung.

Der Kläger ist in der Kommunalwahl Niedersachsen zum Mitglied des Kreistages und des Rates der Stadt OS gewählt worden.

Im Rahmen dieser Tätigkeit hat der Kläger an verschiedenen Sitzungen teilzunehmen. Im Zeitraum vom 01.11.2006 bis zum 22.03.2007 hat der Kläger insgesamt 97,5 Stunden an verschiedenen Sitzungen und Ausschüssen teilgenommen. Insoweit wird bzgl. der konkreten Zeiten und der Tätigkeiten auf die die Auflistung in Bl. 3 d. A. verwiesen.

Der Kläger beantragte durch Einreichung verschiedener Korrekturbelege jeweils nach der Sitzung bei der Beklagten die Einstellung der Stunden, die er in den Sitzungen war, auf sein Gleitzeitkonto. Bzgl. der Anträge wird auf Bl. 5 – 23, 133 f d. A verwiesen.

Das Land Bremen hat bei einem Angestellten beim Senator für Justiz, der Ratsherr der Stadt OS ist, eine entsprechende bezahlte Freistellung vorgenommen.

Mit Schreiben vom 23.04.2007 (Bl. 24 f d. A.) teilte die Beklagte mit, dass sie bereit sei, den Kläger für die notwendige Zeit für die Ausübung der Mandate unbezahlt freizustellen. Eine Freistellung unter Fortzahlung der Vergütung wurde abgelehnt. Die Beklagte verlangt von dem Kläger keine Nacharbeit der ausgefallenen Arbeit; streitig ist zwischen den Parteien nur die Frage der Bezahlung.

Der Kläger hat vorgetragen:

Ihm stehe die Freistellung unter Fortzahlung der Vergütung zu. Sofern dies nicht erfolge, würde ihm die Möglichkeit entzogen, kommunalpolitische Wahlämter auszuüben. Es sei nicht nachvollziehbar, dass Mitglieder einer bremischen Kommunalvertretung und bremische Angestellte unter Belassung der Besoldung freigestellt würden, während der Kläger nur unter erheblichen finanziellen Verlusten sein Gemeinde- und Kreistagsmandat wahrnehmen könne.

Der Kläger hat beantragt:

Die Beklagte wird verurteilt 97:30 Stunden in das Gleitzeitkonto des Klägers einzustellen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten:

Der Freistellungszeitraum sei nicht dem Gleitzeitkonto gutzuschreiben. Nicht der Arbeitgeber, sondern der Landkreis bzw. die Gemeinde hätte den Freistellungszeitraum zu vergüten.

Das Arbeitsgericht Bremen-Bremerhaven hat am 23.04.2008 folgendes Urteil verkündet:

  1. Die Klage wird abgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
  3. Der Streitwert wird auf EUR 1.867,12 festgesetzt.
  4. Die Berufung wird zugelassen.

Wegen der Einzelheiten der Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts wird auf Bl. 72 ff. d. A. Bezug genommen.

Gegen dieses ihm am 27.06.2008 zugestellte Urteil hat der Kläger am 23.07.2008 Berufung beim Landesarbeitsgericht eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 29.09.2008 durch Beschluss des Landesarbeitsgerichts vom 26.08.2008 am 29.09.2008 begründet.

Der Kläger wiederholt sein erstinstanzliches Vorbringen und t...

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