Entscheidungsstichwort (Thema)

Unwirksame Änderungskündigung wegen Einführung des Mindestlohnes bei unzureichenden Darlegungen der Arbeitgeberin zur Notwendigkeit einer Entgeltabsenkung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Bei der Änderungskündigung zum Zwecke der Entgeltabsenkung sind bei der Frage der Zumutbarkeit des Festhaltens an den bisherigen Vertragsbedingungen auch Dauer und Nachhaltigkeit der Gewinnerwartung zu berücksichtigen; ein Unternehmen kann und soll nicht zum ruinösen Wirtschaften gezwungen werden.

2. Angesichts des Umstands, daß der Mindestlohn grundsätzlich für alle in Deutschland tätigen Betriebe gilt, hat die Arbeitgeberin im Einzelnen darzulegen, weshalb es vor dem Hintergrund der sich durch den Mindestlohn für alle Unternehmen in Deutschland geänderten Bedingungen gerade für sie auf Dauer nicht möglich sein kann, höhere Preise zu erzielen; die Möglichkeit als solche, vor dem Hintergrund auslaufender Rahmenverträge unter gesetzlich geänderten Rahmenbedingungen (nämlich der Geltung des Mindestlohns) teilweise neu zu verhandeln, erscheint zumindest nicht ausgeschlossen.

3. Gegenüber der Vertragsanpassung nach § 313 BGB geht das Kündigungsrecht vor (lex specialis); Sachverhalte, die für eine Störung oder den Wegfall der Geschäftsgrundlage herangezogen werden können, sind im Rahmen der §§ 2, 1 KSchG zu würdigen.

 

Normenkette

KSchG § 2; MiLoG §§ 1-2; KSchG § 1 Abs. 2 S. 1 Alt. 3; BGB § 313; MindestlohnG §§ 1-2

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Entscheidung vom 31.03.2015; Aktenzeichen 36 Ca 13967/14)

 

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das am 31.03.2015 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Berlin - 36 Ca 13967/14 - wird zurückgewiesen.

II. Die Berufung der Beklagten gegen das am 31.03.2015 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Berlin - 36 Ca 13967/14 - wird zurückgewiesen.

III. Die Kosten der Berufungsinstanz hat die Beklagte zu 95 % und der Kläger zu 5 % zu tragen.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer Änderungskündigung in Zusammenhang mit der Einführung des gesetzlichen Mindestlohnes nach dem Gesetz zur Regelung eines allgemeinen Mindestlohngesetz (MiLoG) sowie um Zahlungsansprüche.

Der Kläger ist bei der Beklagten, die regelmäßig mit mehr als 10 Arbeitnehmern einen Betrieb zur Herstellung von Baugruppen und elektronischen Komponenten betreibt, seit dem 28.01.1997 als Handbestücker von elektronischen Baugruppen und Geräten bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 39 Stunden beschäftigt. In dem der Beschäftigung zu Grunde liegenden Arbeitsvertrag vom 22.06.1998 (Bl. 4 f. d.A.), der mit Änderungsvertrag vom 22..01.2001 teilweise, ua. wegen der Stundenlohnhöhe, geändert worden ist (Bl. 6 d.A.), ist unter § 4 - Arbeitsentgelt - folgendes geregelt:

"Als Arbeitsentgelt wird 11,98 DM/Stunde zzgl. max. 5 % Leistungszulage bei Erreichen der qualitativen und quantitativen Kennziffern vereinbart

Schichtzulage bei Wechselschichtarbeit:

2. Schicht (Spätschicht): 12%

3. Schicht (Nachtschicht): 15%

Der Anspruch auf Urlaubsvergütung beträgt 50% des Stundendurchschnittsverdienstes ohne Anrechnung von Mehrarbeits- oder sonstigen Vergütungen nur für die Zeit des Erholungsurlaubs und nicht für andere bezahlte Freistellungen.

Die Sonderzahlung zum Jahresende beträgt

20% des Stundendurchschnittsverdienstes nach 6 Monaten

30% des Stundendurchschnittsverdienstes nach 12 Monaten

40% des Stundendurchschnittsverdienstes nach 24 Monaten

50% des Stundendurchschnittsverdienstes nach 36 Monaten

Betriebszugehörigkeit

ohne Einrechnung von Mehrarbeits- oder sonstigen Vergütungen."

Die Beklagte zahlte dem Kläger zuletzt einen Stundenlohn in Höhe von 6,44 € brutto zuzüglich einer Leistungszulage in Höhe von 5 %, d.h. insgesamt 6,76 € brutto. In den Abrechnungen ab dem Monat August 2014 ist dieser Betrag als einheitlicher Betrag so ausgewiesen worden, dh. ohne dass eine Leistungszulage als solche kenntlich gemacht worden wäre. Im Jahre 2014 erzielte der Kläger aus seiner Tätigkeit für die Beklagte Gesamteinkünfte in Höhe von 15.088,14 € brutto.

Mit Schreiben vom 30.09.2014 (Bl. 7 d.A.) kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers zum 31.03.2015. Zugleich bot sie ihm an, das Arbeitsverhältnis ab dem 01.04.2015 ohne Leistungszulage, ohne zusätzliche Urlaubsvergütung und ohne Jahressonderzahlung bei einem auf 8,50 EUR brutto erhöhten Lohn unter Beibehaltung der bisherigen Schichtzulage fortzusetzen. Dieses Angebot nahm der Kläger mit Schreiben seines jetzigen Prozessbevollmächtigten vom 01.10.2014 (Bl. 8 d.A.) unter dem Vorbehalt an, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen nicht sozial ungerechtfertigt sei.

Mit seiner beim Arbeitsgericht am 07.10.2014 eingegangenen und der Beklagten am 15.10.2014 zugestellten Klage wendet sich der Kläger gegen die Änderung seiner Arbeitsbedingungen, die er nicht für sozial gerechtfertigt iSd. §§ 1,2 KSchG hält.

Ferner beansprucht er mit seiner Klageerweiterung vom 11.03.2015 (Bl. 52 ff. d.A.) die Zahlung von 69,15 Euro brutto für den Monat Januar 2015 und 66,...

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