Entscheidungsstichwort (Thema)

Besonderer Kündigungsschutz für Mandatsträger. Keine Betriebsstilllegung bei Fortführung von Teilen eines durch einen Strukturtarifvertrag gebildeten Gemeinschaftsbetriebs. Besonderer Kündigungsschutz für Mandatsträger im Gemeinschaftsbetrieb. Soziale Auswahl bei Kündigung von Mandatsträgern im Falle einer Betriebsstilllegung

 

Leitsatz (amtlich)

Für Mitglieder (und Ersatzmitglieder) des nach § 3 Abs. 1 Nr. 1a BetrVG gebildeten Betriebsrates gelten die besonderen Kündigungsschutzbestimmungen des § 15 Abs. 4 KSchG mit der Folge, dass der Gemeinschaftsbetrieb nicht endgültig stillgelegt wurde.

 

Normenkette

KSchG § 15 Abs. 4-5; BetrVG § 3 Abs. 1 Nr. 1a; KSchG § 15 Abs. 1 S. 2; BetrVG § 3 Abs. 5 S. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Entscheidung vom 28.03.2018; Aktenzeichen 54 Ca 15017/17)

 

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 28.03.2018 - Az.: 54 Ca 15017/17 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

II. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung.

Der Kläger war bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängern seit dem 1. September 1980, zuletzt als R & D Engeneer (3) gegen ein durchschnittliches Bruttomonatsentgelt von 5.004,82 Euro beschäftigt. Der Kläger ist 54 Jahre alt, verheiratet und hat drei volljährige Kinder. Er ist Ersatzmitglied des Betriebsrats und nahm am 20. April 2017 an der 5. Betriebsratssitzung des teil.

Die Beklagte ist ein finnisches Unternehmen der Telekommunikationsbranche, zugehörig zur Metall- und Elektroindustrie mit Sitz in München. In Berlin unterhielt die Beklagte eine Betriebsstätte "Am W. 28".

Mit Wirkung zum 1. Mai 2016 gliederte die Beklagte den Bereich Kundendienst / Customer aus und übertrug ihn auf die zuvor gegründete N. S. und Services GmbH. Dazu schloss sie mit dem Gesamtbetriebsrat einen Interessenausgleich zur Betriebsspaltung und Überleitung der Beschäftigungsbedingungen zur N. S. and Services GmbH. Die Arbeitsverhältnisse der in diesen Organisationseinheiten Kundendienst / Custumer gingen im Wege des Betriebsübergangs auf die N. S. and Services GmbH über. Diese unterhält seit dem 1. August 2016 eine Betriebsstätte: Am S. 11.

Die Beklagte und weitere Unternehmen des N.-Konzerns verhandelten mit der Industriegewerkschaft Metall "anlässlich der gesellschaftsrechtlichen Ausgliederung des Bereichs S. and Services und der Bildung einer eigenständigen Leitungs- und Organisationsstruktur einschließlich der geplanten Anmietung eigener Betriebsräume für die N. S. und Services GmbH" einen Strukturtarifvertrag N.. Danach wurden die in Hamburg, Berlin und Leipzig gelegenen Betriebsstätten der tarifschließenden Unternehmen zu einer betriebsverfassungsrechtlichen Organisationseinheit zum 1. Mai 2016 nach § 3 BetrVG zusammengefasst.

Mit E-Mail vom 2. Juni 2017 unterrichtete die Beklagte den Kläger darüber, dass sie die Geschäftstätigkeit des Betriebs in Berlin zum 1. Juni 2017 eingestellt habe und wies den Kläger an, die verbleibenden Tätigkeiten im Rahmen eines Homeoffice zu verrichten. Ab dem 7. Juni 2017 war die Betriebsstätte geschlossen und die verbliebenen Arbeitnehmer konnten die Betriebsstätte nicht mehr betreten.

Die Beklagte hörte den Betriebsrat mit Schreiben vom 22. November 2017 zur betriebsbedingten Kündigung und zur hilfsweisen außerordentlichen Kündigung an. In dieser Anhörung gab sie die Personalnummer des Klägers falsch an sowie dessen Geburtsdatum. Der Betriebsrat widersprach der Kündigung (Blatt 9 der Akte).

Mit Kündigungsschreiben vom 28. November 2017, zugegangen am 30. November 2017 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum Kläger ordentlich betriebsbedingt. Sie stellte den Kläger unwiderruflich von der Pflicht zur Erbringung der Arbeitsleistung frei.

Mit seiner am 5. Dezember 2017 erhobenen Klage hat der Kläger die Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung begehrt. Er hat dazu die Ansicht vertreten, die Betriebsratsanhörung sei fehlerhaft, weil dem Betriebsrat ein falsches Geburtsdatum sowie eine falsche Personalnummer mitgeteilt worden seien. Der Kläger genieße auch Sonderkündigungsschutz, weil er noch am 20. April 2017 als Ersatzmitglied an einer Sitzung des Betriebsrats teilgenommen hätte. Es lägen keine dringenden betrieblichen Erfordernisse vor, denn es bestehe ein Gemeinschaftsbetrieb Nord-Ost. Die Betriebsstätte "Am W." sei lediglich eine von zwei Betriebsstätten in Berlin, ein Inhaberwechsel hätte tatsächlich nicht stattgefunden. Das abgebende Unternehmen, die Beklagte hätte die Verantwortung für den Betrieb nicht tatsächlich abgegeben, auch nicht für den Bereich Kundendienst / Custumer. Auch sei völlig unklar, zu welcher Abteilung oder Organisationseinheit der Kläger gehöre. Die Organisationseinheit sei lediglich mit Kennziffern bezeichnet.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch das Kündigungsschreiben der Beklagten vom 28. November 2017 nicht zum 30. Juni 2018 aufgelöst w...

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