Entscheidungsstichwort (Thema)

Verhandlungsanspruch des Betriebsrates bei Betriebsänderungen. Unterlassungsanspruch

 

Leitsatz (amtlich)

1. Dem Betriebsrat steht bei einer geplanten Betriebsänderung, die durch erheblichen Personalabbau erfolgen soll, ein Anspruch auf Beratungen und Verhandlungen über einen Interessenausgleich gegenüber dem Arbeitgeber zu, der durch einen Unterlassungsanspruch gegenüber solchen Maßnahmen (Kündigungen) gestützt wird, mit denen die Betriebsänderung durchgeführt werden soll und die den Verhandlungsanspruch des Betriebsrates, der nach Durchführung der Betriebsänderung nicht mehr gegeben ist, zunichte machten.

2. Dieser Anspruch kann durch einstweilige Verfügung gem. § 940 ZPO gesichert werden.

3. Ein im Sinne des § 111 Satz 2 Nr. 1 BetrVG erheblicher Personalabbau kann auch vorliegen, wenn der Zahlenschlüssel des § 17 KSchG „geringfügig” unterschritten wird (Übereinstimmung mit BAG vom 07. 08. 90 – 1 AZR 445/89).

 

Normenkette

BetrVG §§ 111-112; ArbGG § 85 Abs. 2; ZPO §§ 935, 940

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Beschluss vom 01.08.1995; Aktenzeichen 52 BVGa 22551/95)

 

Tenor

Die Beschwerde des Arbeitgebers und die Anschlußbeschwerde des Betriebsrates gegen den Beschluß des Arbeitsgerichts Berlin vom 01. August 1995 – 52 BVGa 22551/95 – werden zurückgewiesen.

 

Tatbestand

I.

Der Betriebsrat begehrt den Erlaß einer einstweiligen Verfügung, mittels derer der Arbeitgeberin untersagt werden soll, betriebsbedingte Kündigungen bis zum Abschluß eines Einigungsstellenverfahrens über einen Interessenausgleich bzw. bis zum Abschluß eines Interessenausgleiches zu untersagen sowie keine entsprechenden Aufhebungsverträge abzuschließen.

Die Arbeitgeberin beschäftigt in ihrer Berliner Betriebsstätte 488 Arbeitnehmer. Im Juli 1995 fanden Gespräche zwischen Bereichsleiter und Betriebsrat statt, innerhalb derer der Bereichsleiter von der Absicht sprach, zwischen 25 und 32 Arbeitnehmer aus den Bereichen Baufachwerker, Bauwerker und Ausbaumaurer zu kündigen Der Betriebsrat, der zunächst auf die Anzeigepflicht bei Massenentlassungen hingewiesen hatte, vertrat schließlich die Auffassung, daß die angekündigte Maßnahme als Betriebsänderung anzusehen sei; er forderte die Aufnahme von Verhandlungen über einen Interessenausgleich und Sozialplan.

Nachdem die Arbeitgeberin dem Betriebsrat; mit Schreiben vom 24.07.1995 (Bl. 15 d.A.) mitgeteilt hatte, daß die Maßnahme dringend erforderlich sei und dem Betriebsrat als Anlage zu diesen Schreiben die Anhörungsschreiben zur beabsichtigten betriebsbedingten Kündigung von mindestens 23 Baufachwerkern und Ausbaumaurern übersandt hatte, begehrt der Betriebsrat mit dem vorliegenden Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung, der am 27.07.1995 bei Gericht eingegangen ist, der Arbeitgeberin den Ausspruch von Kündigungen sowie den Abschluß von Aufhebungsverträgen bis zum Abschluß eines Einigungsstellenverfahrens über den Interessenausgleich zu untersagen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Partei Vorbringens wird auf den Tatbestand des angefochtenen Beschlusses Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat mit Beschluß vom 01.08.1995 dem Antrag im Hinblick auf auszusprechende Kündigungen und unter Festsetzung einer Frist bis zum 25.10.1995 als längstem Zeitraum der Verfügungsanordnung entsprochen; der Antrag hinsichtlich des Abschlusses von Aufhebungsverträgen wurde zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, dem Betrieb rat stehe ein Anspruch auf Unterlassung einer wesentlichen Betriebsänderung zur Sicherung seiner Beteiligungsrechte im Hinblick auf den Versuch eines Interessenausgleiches gem. §§ 112 Abs. 2, 2 BetrVG zu. Diesem Unterlassungsanspruch stehe § 113 Abs. 3 BetrVG nicht entgegen, da diese individualrechtliche Sanktion nicht unmittelbar der Sicherung des kollektivrechtlichen Anspruches des Betriebsrates diene und insbesondere von diesem als Organ der Betriebsverfassung nicht selbst betrieben werden könne. Ein Anspruch des Betriebsrates auf Verhandlung über einen Interessenausgleich sei im Hinblick darauf gegeben, daß die Arbeitgeberin eine wesentliche Betriebsänderung i. S. des § 111 Satz 2 Ziff. 1 BetrVG im Wege des Personalabbaues plane. Bei der Frage, ob eine Personalreduzierung im Sinne dieser Vorschrift erheblich sei, könnten die Zahlen und Prozentangaben des § 17 Abs. 1 KSchG als Richtschnur dienen; nach dar Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts könnten sie allerdings geringfügig unterschritten werden, was im Streitfalle gegeben sei, da die Arbeitgeberin nur um einen Arbeitnehmer hinter der vorgegebenen Richtschnur zurückbleibe. Der Verfügungsgrund liege darin, daß der Erlaß der einstweiligen Verfügung die einzige Möglichkeit sei, dem Verhandlungsanspruch des Betriebsrates Geltung zu verschaffen. Denn die Arbeitgeberin habe bereits die Anhörungsverfahren eingeleitet, so daß Gefahr bestehe, daß der Anspruch des Betriebsrates letztlich vereitelt würde. Indes sei die Geltungsdauer der Verfügung auf einen Zeitraum von drei Monaten nach Bekann...

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