Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruch aus konkludenter Vertragsänderung. Vorrang individueller Vertragsabreden vor Allgemeinen Geschäftsbedingungen

 

Leitsatz (amtlich)

Ein in AGB vereinbarter vertraglicher Freiwilligkeitsvorbehalt ist nur dann wirksam, wenn er ausdrücklich darauf hinweist, dass spätere Individualabreden über vertraglich nicht geregelte Gegenstände oder über Sonderzuwendungen nicht vom Freiwilligkeitsvorbehalt erfasst werden (im Anschluss an BAG, Urteil vom 14. September 2011 - 10 AZR 526/10, Rn. 38 - 40; anders LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 12. Oktober 2021 - 11 Sa 33/21, S. 17 der Gründe).

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ein Anspruch auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld kann durch eine konkludente Vertragsänderung entstehen. Diese Vertragsänderung kann sich darauf stützen, dass der Arbeitnehmer das Verhalten des Arbeitgebers, über Jahre hinweg vorbehaltlos eine bestimmte Leistung zu erbringen, als ein Angebot auf eine entsprechende Vertragsänderung verstehen darf, die der Arbeitnehmer nach § 151 BGB annimmt.

2. Nach § 305b BGB haben individuelle Vertragsabreden Vorrang vor Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Individualabreden können grundsätzlich alle Abreden zwischen den Vertragsparteien außerhalb der einseitig vom Verwender vorgegebenen Geschäftsbedingungen sein. Sie können sowohl ausdrücklich als auch konkludent getroffen werden.

 

Normenkette

BGB § 307 Abs. 1, §§ 305b, 133, 157, 151, 315, 611a Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Villingen-Schwenningen (Entscheidung vom 23.09.2021; Aktenzeichen 1 Ca 234/21)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 25.01.2023; Aktenzeichen 10 AZR 109/22)

 

Tenor

  • I.

    Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Villingen-Schwenningen vom 23.09.2021 - 1 Ca 234/21 - abgeändert:

    1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 3.062,50 € brutto nebst Zinsen i. H. v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 1.522,50 € brutto seit dem 01.07.2020 und aus 1.540,00 € brutto seit dem 01.12.2020 zu bezahlen.
    2. Die Beklagte wird verurteilt, nach Zahlung der mit Klageantrag Ziff. 1 geltend gemachten Forderung dem Kläger eine Lohnabrechnung zu erteilen.
    3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtstreits.
  • II.

    Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über Urlaubs- und Weihnachtsgeld.

Der Kläger ist seit dem 18. Juli 2014 als Prozessbegleiter bei der Beklagten aufgrund schriftlichen Arbeitsvertrages vom 12. Januar 2015, beschäftigt.

Dort ist geregelt:

3. Vergütung

a) Der Arbeitnehmer erhält einen Stundenlohn von 10,00 € netto

...

e) Die Zahlung von Sonderzuwendungen insbesondere von Weihnachts- und/ oder Urlaubsgeld liegt im freien Ermessen des Arbeitgebers und begründet keinen Rechtsanspruch für die Zukunft, auch wenn die Zahlung mehrfach und ohne ausdrücklichen Vorbehalt der Freiwilligkeit erfolgt.

Scheidet der Arbeitnehmer innerhalb von 3 Monaten nach Zahlung der Sonderzuwendung aufgrund eigener Kündigung oder einer Kündigung des Arbeitgebers aus dem Betrieb aus, ist der Arbeitnehmer zu Rückzahlung der erhaltenen Sonderzahlung in voller Höhe verpflichtet. Dies gilt nicht im Falle einer betriebsbedingten Kündigung des Arbeitgebers.

10. Nebenabreden und Vertragsänderung:

Mündliche Nebenabreden bestehen nicht. Änderung und Ergänzungen dieses Vertrages bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform.

Die Zahlung eines Weihnachts- oder Urlaubsgeldes Regel der Arbeitsvertrag im Übrigen nicht.

Die Beklagte hat vom Kalenderjahr 2015 an bis 2019 jeweils mit dem Lohnlauf Juni ein Urlaubsgeld zuletzt in Höhe von 1.522,50 € brutto und mit Lohnlauf November ein Weihnachtsgeld in Höhe von zuletzt 1.540,00 € brutto ohne Vorbehalt an den Kläger bezahlt.

Mit seiner am 04. Juni 2021 beim Arbeitsgericht Villingen-Schwenningen erhobenen Klage verlangt der Kläger Urlaubsgeld und Weihnachtsgeld für das Kalenderjahr 2020 nebst entsprechender Abrechnung und macht geltend, die Beklagte habe seit 2015 über die gesamte Beschäftigungsdauer hinweg ohne jede Erklärung und ohne Vorbehalt immer mit dem Lohnlauf Juni des laufenden Kalenderjahres ein Urlaubsgeld mit dem Lohnlauf November ohne weitere Erklärungen und ohne Vorbehalt ein Weihnachtsgeld bezahlt. Die Freiwilligkeitsklausel in 3 e) des Arbeitsvertrages sei unwirksam, was der Kläger näher ausführt. Sie sei zu unbestimmt, weil sie nicht erkennen lasse, was unter einer Sonderzuwendung zu verstehen sei. Zudem sei sie überraschend, da sie sich unter der Überschrift "Vergütung" verberge.

Der Kläger hat vor dem Arbeitsgericht beantragt:

  1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 3.062,50 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz aus 1.522,50 € brutto seit dem 01.07.2020 und aus 1.540,00 € brutto seit dem 01.12.2020 zu bezahlen.
  2. Die Beklagte wird verurteilt, nach Zahlung der mit Klageantrag Ziffer 1 geltend gemachten Forderung dem Kläger eine Lohnabrechnung zu erteilen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor, der Kläger habe keinen Anspruch auf die Zahlungen. Richtig sei zwar, dass dem Kläger seit 2015 jährlic...

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