Rz. 24

Das BSG hat die lange umstrittene Frage bejaht, ob das Auswahlrecht in Abs. 2 HS 2 auch für Gutachten der Unfallversicherungsträger im sozialgerichtlichen Verfahren gilt (Urteile v. 5.2.2008, B 2 U 8/07 R und B 2 U 10/07 R). Diese Entscheidung hat erhebliche Auswirkungen, weil die Vorlage von beratungsärztlichen Stellungnahmen die Regel im sozialgerichtlichen Verfahren darstellt und das BSG hier zusätzlich annimmt, dass auch solche Stellungnahmen Gutachten darstellen können mit der Folge, dass diese bei Verstößen gegen das Auswahlrecht des Versicherten nicht verwertbar sind. Allerdings hat das BSG den Begriff des Gutachtens eng ausgelegt (dazu Rz. 35).

 

Rz. 25

Gegen die Geltung im sozialgerichtlichen Verfahren spricht, dass ein Eingriff in den Grundsatz der Amtsermittlung vorliegt, welcher Ausnahmecharakter hat und daher eng ausgelegt werden sollte. Die Gesetzgebungsgeschichte könnte nahelegen, dass die sozialpolitische Forderung eines Wahlrechts des Gutachters vorrangig gegenüber der Verwaltung und daher gerade nicht im Gerichtsverfahren gelten sollte (Behrens/Froede, NZS 2009 S. 128). Durch beratungsärztliche Stellungnahmen im gerichtlichen Verfahren, auch wenn diese gutachterlichen Inhalt haben, werden zunächst interne meinungsbildende Prozesse wiedergegeben, die einem Parteivortrag entsprechen und die dem Unfallversicherungsträger zur Wahrung der Rechtmäßigkeit der Verwaltung möglich sein müssen (vgl. Ricke, in: KassKomm. SGB VII, Stand 6/07, § 200 Rz. 4). Die Vorlage einer beratungsärztlichen Stellungnahme auch mit gutachterlichen Elementen kann daher auch als qualifiziertes Parteivorbringen gewertet werden (vgl. BSG, Urteil v. 6.4.1989, 2 RU 55/88). Die Einholung und Vorlage einer beratungsärztlichen Stellungnahme im sozialgerichtlichen Verfahren ist ein prozessrechtlich zulässiges Mittel zur Wahrnehmung des auch dem Sozialleistungsträger zustehenden grundgesetzlich verbrieften Anspruchs auf rechtliches Gehör. Demgegenüber sind die Gutachten, die von dem Tatbestand des Abs. 2 erfasst werden, im Gegensatz zu der beratungsärztlichen Stellungnahme im sozialgerichtlichen Verfahren keine "Parteigutachten", sondern können nach der Rechtsprechung des BSG im Wege des Urkundenbeweises im sozialgerichtlichen Verfahren verwertet werden und unter Umständen auch die alleinige medizinische Grundlage der gerichtlichen Entscheidung sein (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteile v. 14.7.2004, L 17 U 15/02 und L 17 U 106/02; Hessisches LSG, Urteil v. 20.6.2006, L 3 U 716/99 m. w. N.).

 

Rz. 26

Für die Geltung im sozialgerichtlichen Verfahren spricht, dass auch die internen meinungsbildenden Prozesse durch die Hinzuziehung von Beratungsärzten im Prozess eingeführt werden und damit grundsätzlich wie bei der Beauftragung eines Gutachers die Weitergabe und Verarbeitung von Daten, die dem Sozialgeheimnis unterliegen, darstellen können. Das sozialgerichtliche Verfahren ist kein datenschutzfreier Raum. Nach dem Wortlaut, der Gesetzesgeschichte und dem Zweck der Vorschrift liegen in der Tat keine Anhaltspunkte für eine Beschränkung des Anwendungsbereichs der Vorschrift vor.

 

Rz. 27

Der Grundsatz der Waffengleichheit im sozialgerichtlichen Verfahren erfordert es nicht, die Verwaltung vor Gericht von der Beschränkung des Abs. 2 im gerichtlichen Verfahren freizustellen (im Einzelnen hierzu BSG, Urteile v. 5.2.2008, B 2 U 8/07 R und B 2 U 10/07 R = SGb 2009 S. 40 mit zust. Anm. von Bieresborn, SGb 2009 S. 49; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 20.6.2007, L 17 U 125/04; Dahm, BG 2009 S. 93; vgl. auch die Stellungnahme des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit in seinem 20. Tätigkeitsbericht, Nr. 19.1.3, BT-Drs. 15/5252 S. 175 m. w. N.). Insbesondere gibt es auch keinen Beweisgrundsatz, dass ein Gutachten für sich genommen bereits einen höheren Beweiswert hat als etwa eine beratungsärztliche Stellungnahme, auch wenn diese formal als Parteivortrag zu werten ist; denn die Beweismittel im Sozialgerichtsprozess erhalten ihren Wert durch ihren Inhalt und ihre Überzeugungskraft, weswegen sie auch bereits durch einen fundierten Parteivortrag wie eine beratungsärztliche Stellungnahme erschüttert werden können (vgl. Thüringer LSG, Urteil v. 22.1.2009, L 1 U 1089/06, UV-Recht Aktuell 2009 S. 630). Daher ist es auch nicht zwingend, entsprechend dem Recht des Versicherten auf Gutacherwahl nach § 109 SGG der Verwaltung ein Gutachterwahlrecht im Gerichtsverfahren einzuräumen (dies fordern allerdings, unter Hinweis auf die überlasteten und angeblich häufig nur noch nach dem Ergebnis von Gutachten urteilenden Sozialgerichte, Behrens/Froede, NZS 2009 S. 128).

 

Rz. 28

Eine vermittelnde Meinung nimmt an, dass Abs. 2 zwar grundsätzlich auch im sozialgerichtlichen Verfahren anzuwenden ist; jedoch seien hiervon Ausnahmen aufgrund der atypischen Situation zu machen, dass die Verfahrensherrschaft nunmehr beim Gericht liegt und den Unfallversicherungsträgern eine wirksame Rechtsverteidigung und effektives rechtliches Gehör zu gewähren sin...

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