Rz. 6

Der Schwerpunkt der insoweit nach § 62 auf förmliche Rechtsbehelfe anwendbaren Vorschriften liegt in der Regelung des Vorverfahrens nach den §§ 77ff. SGG.

Grundsätzlich sieht § 78 SGG vor Klageerhebung die Nachprüfung von Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsaktes im Widerspruchsverfahren vor. Es gibt nur sehr begrenzte enumerativ genannte Ausnahmen. Durch das Vorverfahren soll die Verwaltung in die Lage versetzt werden, ihre Entscheidung im Wege der Selbstkontrolle zu überprüfen. Ferner wird der Rechtsschutz des Bürgers insofern verbessert, als das Vorverfahren bei Ermessensentscheidungen auch die Möglichkeit der Überprüfung der Zweckmäßigkeit in vollem Umfange – anders als bei der gerichtlichen Überprüfung – bietet. Letztlich werden die Gerichte durch die Filterwirkung des Vorverfahrens entlastet.

Die Durchführung des Vorverfahrens ist Prozessvoraussetzung (BSGE 4 S. 246). Eine Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage ist so lange unzulässig, wie das Vorverfahren nicht durchgeführt worden ist; das Gericht muss allerdings den Beteiligten Gelegenheit geben, das Vorverfahren nachzuholen (z. B. durch Aussetzung oder Vertagung – BSGE 20 S. 199; BSGE 25 S. 66).

Soweit die VwGO zur Anwendung kommt, gilt grundsätzlich nichts anderes. Jedoch haben einige Bundesländer (z. B. Nordrhein-Westfalen) durch landesgesetzliche Regelungen in zahlreichen Fallkonstellationen das Widerspruchsverfahren gestrichen (in Nordrhein-Westfalen durch das Gesetz zum Büürokratieabbau v. 9.10.2007, GV NRW S. 939). Damit kann in der Praxis der Grundsatz zur Ausnahme werden.

 

Rz. 7

Das Vorverfahren ist ein besonderes Verwaltungsverfahren, das sich mit Einlegung des Widerspruchs an das mit dem Erlass des Verwaltungsaktes beendete Verwaltungsverfahren anschließt. Auch der Widerspruchsbescheid ist Verwaltungsakt. Die (Nicht-)Abhilfeentscheidung ist kein Widerspruchsbescheid (von der gemäß § 85 Abs. 2 Nr. 2 i. V. m. § 36 a SGB IV zuständigen Stelle), sondern ein Verwaltungsakt der Ausgangsbehörde (BSG, Urteil v. 20.7.2010, B 2 U 19/09 R). Gegenstand der Klage ist der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat. In § 78 Abs. 1 Satz 2 SGG werden abschließend die Ausnahmetatbestände aufgeführt, die das Vorverfahren entbehrlich machen.

Die Vorschrift des § 84 SGG regelt die Form des Widerspruchs und die Frist für seine Einlegung. Der Widerspruch ist binnen eines Monats nach der Bekanntgabe schriftlich oder zur Niederschrift bei der Stelle einzureichen, die den Verwaltungsakt erlassen hat. Ist der Verwaltungsakt gar nicht bekannt gegeben worden, so läuft weder die Widerspruchsfrist noch die Jahres frist nach § 66 Abs. 2 SGG. Ausnahmsweise kommt aber eine Verwirkung des Widerspruchsrechts in Betracht. Bei Fristversäumung wegen tatsächlicher Schwierigkeiten oder bei Nachweisschwierigkeiten kann dem Widerspruchsführer ggf. Wiedereinsetzung gewährt werden (§ 84 Abs. 2 Satz 3 i. V. m. § 67 SGG), an die das Gericht gebunden ist. Der Widerspruch soll unterzeichnet sein; da § 92 SGG selbst für die Klage keine Unterschrift fordert, reicht es erst recht für den Widerspruch aus, wenn sich aus ihm die Person des Widerspruchsführers und sein Wille hinreichend sicher bestimmen lassen (zu weiteren Einzelheiten nebst Rechtsprechungsnachweisen vgl. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl., § 84 Rz. 3; Erkelenz, in: Jansen, SGG, 4. Aufl., § 84 Rz. 1).

Die Einlegungsfrist beträgt ein Monat nach Bekanntgabe an den Beschwerten, bei Zustellung oder Bekanntgabe außerhalb des Geltungsbereichs SGG in analoger Anwendung von § 67 Abs. 1 Satz 3 SGG 3 Monate.

Bei Form- und Fristverletzungen kann die Widerspruchsbehörde den Widerspruch als unzulässig durch Widerspruchsbescheid verwerfen oder in der Sache durch Widerspruchsbescheid (als unbegründet) zurückweisen. Im letzteren Fall sind Form- und Fristverletzung dann als geheilt anzusehen (BVerwG, DVBl. 1972 S. 423; Leitherer, a. a. O., Rz. 7 m. w. N.; Erkelenz, a. a. O., Rz. 6).

 

Rz. 8

§ 85 befasst sich mit dem Abhilfe- und Widerspruchsbescheid. Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder abgelehnt hat, muss zunächst in jedem Falle prüfen, ob sie dem Widerspruch abhelfen will. Sie ist damit auch zur Überprüfung etwaigen neuen Vorbringens und ggf. auch zu neuen Ermittlungen verpflichtet.

Es gilt grundsätzlich, dass eine Schlechterstellung des Widerspruchsführers (sog. reformatio in peius) durch die Widerspruchsentscheidung nicht zulässig ist (Leitherer, a. a. O., § 85 Rz. 5 m. w. N.). Eine Ausnahme muss aber insoweit gelten, als die Widerspruchsbehörde eine Schlechterstellung des Widerspruchsführers durch Rücknahme, Widerruf oder Aufhebung nach den §§ 45, 47, 48 vornehmen kann (Kopp, VwGO, § 68 Rz. 10 m. w. N.). Zuvor ist aber der Betroffene gemäß § 24 anzuhören; es gelten die Grundsätze des Vertrauensschutzes. § 45 Abs. 2 findet uneingeschränkte Anwendung.

 

Rz. 9

§ 86 a Abs. 1 Satz 1 SGG regelt die aufschiebende Wirkung des Widerspruches. Sie tritt n...

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