Rz. 33

Die Möglichkeit, Verfahrensfehler nach Abs. 1 Nr. 2 bis 6 durch Nachholung zu heilen, war bis Ende 2000 auf die Dauer des Verwaltungsverfahrens, also bis zum Ende des Widerspruchverfahrens mit dem Erlass eines Widerspruchsbescheides begrenzt, was damit begründet wurde, dass während dieser Zeit die Verwaltung die Sachherrschaft über das Verwaltungsverfahren und die Entscheidungshoheit zur Bestätigung oder Aufhebung des VA bei nachgeholten Verfahrenshandlungen hatte. Diese Entscheidungshoheit bestand und besteht trotz der zeitlichen Ausdehnung der Heilungsmöglichkeit auch weiterhin, da die Behörde weiterhin über die materiellen Ansprüche in Form der Änderung oder Bestätigung ihrer Entscheidung zu befinden hat, wenn sich dafür ein Anlass aus der nachgeholten Verfahrenshandlung oder aufgrund sonstiger neuer Erkenntnisse (z. B. nach Beweiserhebung durch das Gericht) ergibt.

 

Rz. 34

Die Nachholung eines Antrages (Abs. 1 Nr. 1) war dagegen zeitlich nicht befristet auch noch im Klageverfahren möglich, woran sich aber aufgrund der Neufassung keine Änderung ergeben hat (vgl. Rz. 14).

 

Rz. 35

Durch Art. 10 Nr. 5 des Vierten Euro-Einführungsgesetzes ist mit Wirkung ab 1.1.2001 diese zeitliche Grenze für die Nachholung von Verfahrenshandlungen auf die Zeit bis zur letzten Tatsacheninstanz eines sozial- oder verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ausgedehnt worden, also bis zur Schließung der letzten mündlichen Verhandlung. Damit entspricht diese Regelung § 45 Abs. 2 VwVfG, nachdem mit Art. 1 Nr. 15 des Dritten Gesetzes zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften ab 1.2.2003 auch dort diese Begrenzung auf die letzte Tatsacheninstanz vorgenommen wurde. Eine Heilung von Verfahrensfehlern ist daher jedenfalls dann nicht mehr möglich, wenn sich das Verfahren in der Revisionsinstanz befindet und dort abschließend entschieden wird. Allerdings kann auch in der Revisionsinstanz noch ausdrücklich auf die Geltendmachung von Verfahrensfehlern verzichtet werden. Streitig zwischen verschiedenen Senaten des BSG ist die Frage, ob nach Zurückverweisung des Rechtsstreits an ein LSG eine (erneute) Heilungsmöglichkeit eröffnet wird. Die diese Frage bejahende Auffassung geht davon aus, dass bei einer Zurückverweisung nur scheinbar ein Abschluss der letzten Tatsacheninstanz vorgelegen habe (so der 10. Senat des BSG, Urteil v. 16.3.2017, B 10 LW 1/15 R, a. A. der 14. Senat des BSG, Urteile v. 7.7.2011, B 14 AS 144710 R und B 14 AS 153/10). Nach hiesiger Auffassung ist angesichts der ohnehin schon rechtspolitisch bedenklichen Ausdehnung der zeitlichen Grenzen der Anhörungsnachholung durch die Gesetzesänderung vom 1.1.2001 eine nochmalige Ausdehnung durch die Rechtsprechung abzulehnen. Nicht immer dürften die Zurückverweisungen des BSG auf Überlegungen beruhen, die unstreitig und zwingend sind, so dass auch unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit vieles dafür spricht, nach (erstmaligem) Abschluss der Instanz durch das LSG keine Heilungsmöglichkeit mehr zuzulassen.

 

Rz. 36

Die Ausdehnung der zeitlichen Grenze zur Nachholung von Verfahrenshandlungen relativiert die subjektiven Verfahrensrechte des Einzelnen. Es sollte damit aber nach den Gesetzesmaterialien keine ungerechtfertigte Privilegierung fehlerhaften Verwaltungshandelns geschaffen werden, weil die Behörde nach Beseitigung eines Verfahrensfehlers und der Erledigung des Rechtsstreits im Regelfall mit den Kosten des Klägers belastet werde (BT-Drs., 14/4375 S. 58). Letzteres dürfte allerdings nur dann gelten, wenn die Klage unmittelbar nach Heilung des Verfahrensfehlers vom Kläger für erledigt erklärt wird.

 

Rz. 37

Trotz der Ausweitung der Heilung in das Klageverfahren werden die Verfahrenshandlungen nicht im, sondern grundsätzlich außerhalb des Klageverfahrens nachgeholt. Wird die Rüge von Verfahrensmängeln jedoch während des Klageverfahrens an- oder ausgesprochen, wird sich eine solche strikte Trennung zwischen der Verwaltungstätigkeit und der Beteiligung als Partei im Klageverfahren nicht immer vornehmen lassen, zumal dann nicht, wenn erstmals Verfahrensmängel im Klageverfahren geltend gemacht werden oder erst dann erkannt werden, so dass die Nachholung auch im Klageverfahren durch Schriftsätze erfolgen kann. Bei der Anhörung ist jedoch zu beachten, dass die Gelegenheit zur Stellungnahme durch die Verwaltung und nicht allein durch das Gericht eingeräumt wird (BSG, Urteil v. 6.4.2006, B 7a AL 64/05 R). Ist die letzte Tatsacheninstanz einmal abgeschlossen, kann eine Heilung des Anhörungsfehlers nicht mehr erfolgen, auch nicht nach einer Zurückverweisung an das LSG (BSG, Urteil v. 7.7.2011, B 14 AS 144/10 R).

 

Rz. 38

Mit der Verlängerung der Heilungsmöglichkeit verbunden ist die Änderung des § 114 Abs. 2 Satz 2 SGG (durch Art. 21 des Vierten Euro-Einführungsgesetzes), wonach das Sozialgericht auf Antrag die Verhandlung zur Heilung von Verfahrens- oder Formfehlern aussetzen kann, wenn dies im Sinne der Verfahrenskonzentration sachdienlich ist. Soweit sich das Gerichtsverfahren na...

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