Der Fall

Der Arbeitnehmer verlangt Vergütung wegen Annahmeverzugs für den Zeitraum 17.8.2020 bis 28.8.2020.

Der Arbeitnehmer reiste während des ihm von der Beklagten gewährten Urlaubs vom 11.8.2020 bis zum 14.8.2020 aufgrund des Todes seines Bruders in die Türkei, die zu dieser Zeit vom RKI als Corona-Risikogebiet ausgewiesen war. Vor der Ausreise aus der Türkei unterzog er sich einem Corona-PCR-Test, der ebenso wie der erneute Test nach Ankunft in Deutschland einen negativen Befund aufwies. Der Arbeitnehmer suchte den Betrieb auf, füllte die von der Arbeitgeberin geforderte Selbstauskunft zur Gesundheitsfürsorge COVID-19 aus und erklärte, er sei am 15.8.2020 aus einem Risikogebiet zurückgekehrt. Darauf wurde er am Werkstor abgewiesen und durfte seinen Arbeitsplatz nicht aufsuchen. Mit Schreiben vom selben Tag wies der Arbeitnehmer auf seine negativen Corona-Testergebnisse hin und bot seine Arbeitskraft an. Hierauf teilte die Arbeitgeberin mit Schreiben vom 21.8.2020 unter Verweis auf das Infektionsrisiko mit, er dürfe bis einschließlich 29.9.2020 das Werksgelände nicht betreten und habe der Arbeit fernzubleiben. Für diese Zeit habe er keinen Vergütungsanspruch, er könne aber Urlaub in Anspruch nehmen.

Die Corona-Taskforce der Muttergesellschaft der Arbeitgeberin erstellte ein Hygienekonzeptmit Stand vom 3.8.2020 und regelte u. a.:

"1. Allgemeine Hygiene- und Verhaltensregeln, Rückkehr aus dem Urlaub

  • Unterzeichnung einer Selbsterklärung auf Basis des Vordruckes der Personalabteilung […]
  • Ohne vorliegende Selbsterklärung ist das Betreten der Betriebsstätte nicht gestattet, […]
  • Rückkehrer aus Risikogebieten (nach RKI) bleiben 14 Tage zu Hause
  • Eine einmalige PCR-Testung im Rahmen der Rückkehr aus einem Risikogebiet wird Seitens S nicht anerkannt […]"

Nach der zu diesem Zeitpunkt geltenden Corona-VO des Landes Berlin musste der Arbeitnehmer als Reiserückkehrer aus einem Risikogebiet nicht in häusliche Quarantäne, weil er einen höchstens 48 Stunden alten PCR-Test bei der Rückeinreise vorlegen konnte.

Mit seiner Klage hat der Arbeitnehmer Vergütung wegen Annahmeverzugs für den Zeitraum 17.8. bis 28.8.2020 verlangt und geltend gemacht, die Beklagte habe zu Unrecht die Entgegennahme seiner Arbeitsleistung verweigert.

Die Entscheidung (BAG, Urteil v. 10.8.2022, 5 AZR 154/22)

Der Arbeitnehmer kann für den Zeitraum 17. bis 28.8.2020 gemäß § 615 Satz 1, § 611a Abs. 2 i. V. m. §§ 293 ff. BGB Vergütung wegen Annahmeverzugs der Arbeitgeberin verlangen.

Der Arbeitnehmer hat seine Arbeitsleistung tatsächlich angeboten, indem er am 17.8.2020 nach dem Ende des ihm gewährten Urlaubs seine Arbeit bei der Beklagten wiederaufnehmen wollte und hierzu persönlich am Betrieb erschienen ist. Dieses Angebot hat die Beklagte nicht angenommen, dem Kläger wurde der Zutritt zum Werksgelände verweigert. Der Annahme eines wirksamen tatsächlichen Angebots steht das bei der Beklagten geltende Hygienekonzept nicht entgegen. Soweit danach Rückkehrer aus einem Risikogebiet einem 14-tägigen Zutrittsverbot zum Betrieb unterliegen, handelt es sich nicht um eine Weisung, welche die Arbeitsleistung betrifft[1] und damit bei der Prüfung der Wirksamkeit des Arbeitsangebots zu berücksichtigen wäre. Die Anordnung bezieht sich vielmehr auf Ordnung und Verhalten der Arbeitnehmenden im Betrieb.[2] Denn hierzu gehören Weisungen zum arbeitsbegleitenden Verhalten, welche die reibungslose Zusammenarbeit, das ungestörte Zusammenleben der Arbeitnehmenden im Betrieb sowie den Schutz der Betriebs- und Arbeitsmittel und der geschäftlichen Interessen des Arbeitgebers gewährleisten sollen. Der Arbeitnehmer war im Streitzeitraum nicht außerstande, die geschuldete Leistung zu bewirken, § 297 BGB. Er war vielmehr im Streitzeitraum auch leistungsfähig. Leistungsfähigkeit setzt voraus, dass der Arbeitnehmer tatsächlich und rechtlich zur geschuldeten Arbeitsleistung in der Lage ist. Sie bestimmt sich nach objektiven Kriterien.

Annahmeverzug tritt auch dann ein, wenn der Arbeitgeber die tatsächliche oder rechtliche Leistungsunfähigkeit des Arbeitnehmers herbeiführt.

Ausgehend von diesen Grundsätzen ist der Einwand der Arbeitgeberin, der Arbeitnehmer sei im Streitzeitraum nicht leistungsfähig gewesen, unbegründet. Sie hat dem Arbeitnehmer für die Dauer von 14 Tagen untersagt, den Betrieb zu betreten. Ziff. 2 des Hygienekonzepts und die Mitarbeiterinformation vom 17.6.2020 geben den Arbeitnehmenden ausdrücklich vor, nach der Rückkehr aus einem Risikogebiet – wie der Türkei – für die Dauer von 14 Tagen zu Hause zu bleiben. Unabhängig davon, dass die Beklagte als Arbeitgeberin keine Quarantäne für die Arbeitnehmenden anordnen kann, weil eine solche Anweisung diese in ihrer Privatsphäre betrifft und durch das Direktionsrecht nach § 106 Satz 2 GewO nicht in den Bereich der privaten Lebensführung eingegriffen werden darf, beinhaltet diese Anordnung für den Kläger zugleich ein Betretungsverbot des Betriebs bzw. ein Hausverbot für die Dauer von 14 Tagen nach Rückkehr aus dem Risikogebiet Türkei. ...

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