Entscheidungsstichwort (Thema)

Anfechtung des Arbeitsvertrages bei Verschweigen einer demnächst zu vollziehenden mehrmonatigen Freiheitsstrafe

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein Arbeitnehmer, der sich um einer Daueranstellung bewirbt, muß von sich aus und ungefragt eine bereits rechtskräftige und demnächst zu verbüßende mehrmonatige Freiheitsstrafe dem einstellenden Arbeitgeber offenbaren.

2. Dabei kommt es nicht darauf an ob die zur Verbüßung anstehenden, abgeurteilten Straftaten ihrerseits für das vorgesehene Arbeitsverhältnis „einschlägig” sind. Entscheidend ist insoweit allein das aus der sicher zu erwartenden, mehrmonatigen Nichterfüllung des Vertrages für den (einstellenden) Arbeitgeber resultierende, außergewöhnliche und atypische Vertragsrisiko.

3. Das „Erschleichen” einer „Normal”-Beschäftigung ohne Offenlegen des vom Arbeitnehmer sofort angestrebten „Freigänger”-Status (offener Strafvollzug) ist auch im Verhältnis zu einem resozialisierungsverpflichteten öffentlichen Arbeitgeber nicht zu billigen.

 

Normenkette

BGB § 123

 

Verfahrensgang

ArbG Kassel (Urteil vom 08.01.1986; Aktenzeichen 6 Ca 296/85)

 

Tenor

Auf die Berufung des beklagten Landes wird das Urteil des Arbeitsgerichts Kassel vom 08.01.1986 – 6 Ca 296/85 – abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten, ob der zwischen ihnen letztabgeschlossene Arbeitsvertrag vom beklagten Land wirksam angefochten ist.

Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Der jetzt 50-jährige, geschiedene Kläger ist seit dem 1.8.1983 beim Hessischen Straßenbauamt in K. als technischer Zeichner beschäftigt. Er erhielt zunächst drei befristete ABM-Verträge (1.8.1983 – 31.3.1984; 1.4.1984 –30.4.1984; 1.5.1984 – 30.4.1985), die voll aus Mitteln der Bundesanstalt für Arbeit gefördert wurden. Für die Zeit vom 1.5.1985 – 31.10.1985 schlossen die Parteien einen aus Mitteln des Landes finanzierten Vertrag.

Mit Schreiben vom 12.9.1985 beantragte der Kläger die Übernahme in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis. Am 9.10.1985 vereinbarten die Parteien die unbefristete Weiterbeschäftigung des Klägers ab dem 1.11.1985 (Bl. 6, 7 d.A.).

Mit Schreiben vom 4.11.1985 focht das beklagte Land diesen letztgeschlossenen Vertrag vom 9.10. 1985 wegen arglistiger Täuschung an, weil der Kläger demnächst eine Haftstrafe von 8 Monaten anzutreten habe. Diesen Sachverhalt habe er bei den mit ihm geführten Einstellungsgesprächen verschwiegen (Bl. 5 d.A.).

Der Kläger war am 21.1.1985 vom AG Kassel wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs infolge Trunkenheit und wegen unerlaubten Sich-Entfernens vom Unfallort zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 8 Monaten verurteilt worden. Wegen gleicher Delikte waren gegen ihn zuvor bereits viermal Geldstrafen und Fahrerlaubnisentzug sowie eine Freiheitsstrafe mit Bewährungsfrist verhängt worden (Bl. 26, 27 d.A.). Das Amtsgericht führte u. a. in seinen Urteilsgründen aus, die am 15.9.1984 begangene erneute Straftat offenbare „zweifellos eine bedenklich laxe Einstellung (des Klägers) zu Recht und Gesetz” und Elemente von Rechtsblindheit.

Die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers wurde am 22.4.1985 vom LG Kassel im wesentlichen verworfen (Bl. 18 ff (23)). In diesem Verfahren erklärte der Kläger, Ziel seiner Berufung sei die Aussetzung der in erster Instanz ausgeworfenen Freiheitsstrafe zur Bewährung. Es sei seitens des ihn noch in einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme beschäftigenden Straßenbauamts K. eine „Übernahme auf Dauer” beabsichtigt. „Infolge einer Straf verbüßung würde dies jedoch nicht erfolgen” (Bl. 20 d.A.).

Die gegen das Berufungsurteil eingelegte Berufung wurde vom OLG Frankfurt am 6, 8.1985 verworfen (Bl. 42 d.A.).

Vor seiner ersten ABM-Beschäftigung hatte der Kläger am 30.7.1983 einen Personalbogen ausgefüllt, in dem er die Vorstrafen wegen diverser Verkehrsdelikte nicht angegeben hatte. Diese wurden erst durch das Führungszeugnis bekannt. Darauf gab der Kläger bei einer Anhörung am 16.8, 1983 an, diese Strafen bewußt nicht aufgeführt zu haben (Bl. 13 d.A.).

Vor Abschluß des unbefristeten Anstellungsvertrages am 9.10.1985 wurde der Kläger nicht nach zwischenzeitlich verhängten Strafen befragt. Er hatte auch vor diesem Vertrag und vor dem vorangehenden Vertragsabschlüssen kein weiteres Einstellungsgespräch bzw. keinen neuen Personalbogen auszufüllen.

Im Zusammenhang mit seinem Antrag auf Übernahme in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis bemühte sich der Kläger mithilfe seines Prozeßvertreters beim zuständigen Staatsanwalt alsbald um eine Strafverbüßung nur im offenen Vollzug (Freigänger-Status), um das in Aussicht stehende Dauerarbeitsverhältnis nicht zu gefährden.

Am 1.11.1985 teilte der Staatsanwalt dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers mit, der Kläger werde gerade wegen seiner unbefristeten Beschäftigung durch das beklagte Land in den offenen Strafvollzug übernommen (Bl. 96/97 d.A.).

Der zuständige Personalsachbearbeiter des Straßenbauamts Kassel oder der zuständige personalbea...

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