Rz. 24

Nach dem Wortlaut des § 21 Abs. 1 Nr. 9 handelt ordnungswidrig, wer als Arbeitgeber entgegen § 20 MiLoG das Mindestentgelt nach § 1 Abs. 2 MiLoG i. V. m. der jeweils geltenden MiLoV je Zeitstunde nicht oder nicht rechtzeitig, d. h. nicht spätestens zu dem in § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 MiLoG genannten Zeitpunkt, zahlt. Bußgeldrechtlich betrachtet ist der Mindestlohn noch rechtzeitig gezahlt, wenn die Zahlung spätestens bis zum letzten Bankarbeitstag des Monats, der auf den Monat der Arbeitsleistung folgt, erfolgt ist, auch wenn arbeitsvertraglich ein früherer Zahlungstermin vereinbart ist oder wenn der Lohn bei Fehlen eines ausdrücklich vereinbarten Fälligkeitstermins nicht spätestens nach der Arbeitsleistung gezahlt wurde.

Wenn ein Arbeitgeber das Arbeitsentgelt entgegen § 20 nicht spätestens zum Fälligkeitstermin nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 gezahlt hat, ist der Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit nach Abs. 1 Nr. 9, 1. Alt. – "nicht" gezahlt – vollendet. D.h. wenn der Mindestlohn nicht am letzten Bankarbeitstag des Monats, der auf den Monat der Arbeitsleistung folgt, gezahlt ist, ist das Tatbestandmerkmal der Nichtzahlung erfüllt. Der Tatbestand bleibt auch dann erfüllt, wenn der Arbeitgeber den Mindestlohn nachzahlt und damit letztlich nicht rechtzeitig gezahlt hat. An der Erfüllung des Tatbestandsmerkmals der Nichtzahlung ändert eine spätere Nachzahlung nichts, sodass eine nachträgliche Zahlung des Mindestlohns die Ordnungswidrigkeit nicht wieder entfallen lässt.[1] Wenn eine Ordnungswidrigkeit wegen Nichtzahlung des Mindestlohnes nicht durch nachträgliche Zahlung entfallen kann, dürfte es für das Tatbestandsmerkmal "nicht rechtzeitig" nach Abs. 1 Nr. 9, 2. Alt. keinen Anwendungsfall geben. Die Leistung des Arbeitgebers nach dem Fälligkeitstermin führt nicht zu einer Ordnungswidrigkeit wegen nicht rechtzeitiger Zahlung und verdrängt nicht die bereits vollendete Ordnungswidrigkeit wegen Nichtleistung. Die nachträgliche Gewährung der geschuldeten Arbeitsbedingung kann jedoch im Rahmen der Bußgeldzumessung und insbesondere bei der Abschöpfung des wirtschaftlichen Vorteils nach § 17 Abs. 4 OWiG berücksichtigt werden.[2]

 

Rz. 25

Immer dann, wenn der Mindestlohn nicht gezahlt wird, kann nicht nur der Tatbestand des § 21 Abs. 1 Nr. 9, sondern auch der des § 266a StGB erfüllt sein. Aufgrund des im Sozialversicherungsrecht aus § 22 Abs. 1 SGB IV folgenden Anspruchsprinzips schuldet der Arbeitgeber Sozialversicherungsbeiträge auf der Basis des Mindestlohns. Hinsichtlich der Differenz zwischen dem tatsächlich gezahlten Lohn und dem geschuldeten Mindestlohn hält er der Einzugsstelle Sozialversicherungsbeiträge vor.

 
Praxis-Beispiel

Der Arbeitgeber, der 100 Arbeitnehmer 40 Stunden je Woche beschäftigt, zahlt je Stunde nicht den Mindestlohn von 12,41 EUR, sondern nur 10 EUR. Auf Grundlage von 12,41 EUR je Stunde entrichtet er die Sozialversicherungsbeiträge, sodass die Einzugsstellen Sozialversicherungsbeiträge für 2,41 EUR je Stunde zu wenig erhalten. Ausgehend von einem durchschnittlichen Beitragssatz für Renten-, Kranken-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung von 38,5 % des Bruttoentgelts betragen die im 1. Quartalen 2024 vorenthaltenen Beiträge 46.446,40 EUR (100 Arbeitnehmer X 40 Stunden/Woche X 13 Wochen X 1 Quartal X 2,41 X 38,5 %).

Geschieht die Beitragsvorenthaltung vorsätzlich, ist der Tatbestand des § 266a StGB erfüllt. Gleichzeitig ist der Tatbestand des § 21 Abs. 1 Nr. 9 OWiG wegen der Mindestlohnunterschreitung verwirklicht. Der BGH[3] ist nach einer Entscheidung zu § 5 Abs. 1 Nr. 1 AEntG a. F., die auf Mindestlohnfälle nach dem MiLoG übertragbar ist, der Auffassung, dass die Beitragsvorenthaltung und der Mindestlohnverstoß nicht nur materiellrechtlich, sondern auch prozessual selbstständige Taten sind. Der Arbeitgeber ist aus dem Arbeitsverhältnis zur Lohnzahlung verpflichtet und aus § 28e Abs. 1 SGB IV zur Beitragsleistung an die Einzugsstellen. Die Handlungen sind innerlich nicht so miteinander verknüpft, dass eine getrennte Würdigung und Ahndung als unnatürliche Aufspaltung eines einheitlichen Lebensvorganges empfunden würde. Daher liegen die Voraussetzungen für eine Abgabe nach den §§ 21 bzw. 41 OWiG an die Staatsanwaltschaft nicht vor. Vielmehr kann der Zoll die Ordnungswidrigkeit durch Bußgeldbescheid wegen des Mindestlohnverstoßes ahnden und der Staatsanwalt wegen Beitragsvorenthaltung nach § 266a StGB anklagen.

Die Staatsanwaltschaft kann allerdings nach § 42 OWiG die Verfolgung der Ordnungswidrigkeit nach § 21 Abs. 1 Nr. 9 übernehmen, die mit einem Vergehen nach § 266a StGB zusammenhängt.

 

Rz. 26

Ein Arbeitgeber, der den Tatbestand des § 266a Abs. 2 Nr. 1 oder 2 StGB zwar nicht vorsätzlich, jedoch leichtfertig begeht, handelt nach § 8 Abs. 3 SchwarzArbG ordnungswidrig. Diese Ordnungswidrigkeit kann nach § 8 Abs. 6 SchwarzArbG mit Geldbuße bis zu 50.000 Euro geahndet werden.

[1] Riechert/Nimmerjahn, a. a. O., § 21, Rz. 32; Lakies, a. a. O., § 21, Rz. 11.
[2] Göhler, a. a. O., § 17, Rz. 42; KK-OWiG-Mitc...

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