Rz. 16

Im Hinblick auf das im MiLoG verankerte Arbeitsortprinzip findet das Gesetz auch auf alle Arbeitsverhältnisse Anwendung, bei denen aus dem Ausland entsandte Arbeitnehmer in Deutschland tätig werden. Hierbei ist auch nicht entscheidend, ob der ausländische Arbeitgeber seinen Sitz in einem Land der Europäischen Union oder in einem Drittstaat hat. Das MiLoG findet auf alle ausländischen Arbeitgeber Anwendung, gleich, wo deren Sitz ist.

 

Rz. 17

Umstritten ist die Frage, ob das MiLoG auch bei sog. Transit-Fahrten anzuwenden ist.

 
Praxis-Beispiel

Wenn ein ungarisches Speditionsunternehmen Waren nach Belgien befördert und dabei das deutsche Staatsgebiet durchquert, stellt sich die Frage, ob der Fahrer des ungarischen Speditionsunternehmens für die Dauer der Transit-Fahrt über deutsches Staatsgebiet den Mindestlohn gem. § 1 Abs. 1 beanspruchen kann.

Die damalige Bundesministerin für Arbeit und Soziales hat am 30.1.2015 erklärt, dass die Kontrollen durch die staatlichen Behörden zur Überprüfung des MiLoG für reine Transit-Fahrten bis zu einer abschließenden europarechtlichen Klärung, ob die Anwendung des Mindestlohns auf den reinen Transit durch Deutschland mit EU-Recht vereinbar ist, ausgesetzt werden. Ordnungswidrigkeitenverfahren nach dem MiLoG werden nicht eingeleitet. Bereits eingeleitete Verfahren werden eingestellt.[1]

Im Hinblick auf den Wortlaut des § 1 i. V. m. § 20 MiLoG ist diese Mitteilung jedoch unerheblich und kann nicht im Rahmen der Auslegung des Gesetzes herangezogen werden. Das Ziel des MiLoG ist es, den hierunter fallenden Arbeitnehmern eine Existenzsicherungsfunktion zu gewähren und die Sozialversicherungssysteme zu entlasten. Bei reinen Transit-Fahrten, d. h. reinen Durchfahrten ohne Tätigkeiten der Be- und Entladung, selbst wenn der Transit-Fahrer innerhalb Deutschlands eine Pause macht, wäre ein derartiger Schutz nach dem Regelungszweck des MiLoG nicht erforderlich. Insoweit spricht viel dafür, dass das MiLoG aufgrund des bei reinen Transit-Fahrten fehlenden Inlandsbezuges[2] keine Anwendung i. S. d. Art. 9 Rom-I-VO findet. Dies wäre vielmehr ein ungerechtfertigter Eingriff in fremde Vertragsstatute. Außerdem hat der EuGH in der Vergangenheit festgestellt, dass die Geltung eines Mindestlohns für Beschäftigte, die nur für kurze Zeit grenzüberschreitend tätig waren, unter Beachtung der im Einzelfall gegebenen Umstände die Dienstleistungsfreiheit nach Art. 56 AEUV unverhältnismäßig beeinträchtigen kann.[3] Auch die Verletzung der Warenverkehrsfreiheit der ausländischen Transit-Unternehmen nach Art. 34 AEUV spricht gegen eine derartige Auslegung des MiLoG. Die Beeinträchtigung der Grundfreiheiten wäre europarechtlich nur durch überwiegende Schutzzwecke zu rechtfertigen, die im Hinblick auf den reinen Transit wohl nicht begründbar sind.

 

Rz. 18

Anders sind die Fälle der ausländischen Speditionsunternehmen zu beurteilen, die in Deutschland Tätigkeiten erbringen, die über den reinen Transit und damit das Durchqueren des deutschen Staatsgebietes hinausgehen. So erklärte die Bundesministerin für Arbeit und Soziales auch, dass die Aussetzung der Kontrollen zur Überprüfung des MiLoG nicht für den Bereich der Kabotagebeförderung, d. h. der kompletten Abwicklung der Transporte in Deutschland durch ausländische Transportunternehmen, und nicht für den grenzüberschreitenden Straßenverkehr mit Be- und Entladung in Deutschland gilt.[4]

[1] Vgl. Erklärung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 30.1.2015, abrufbar auf der Website des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (Stand: Juli 2015).
[2] Vgl. auch BAG, Urteil v. 12.12.2001, NZA 2002, 736.
[3] Vgl. EuGH, Urteil v. 15.3.2001, C-165/98 (Rs. Mazzoleni), NZA 2001, 554.
[4] Vgl. Erklärung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales v. 30.1.2015.

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