Leitsatz (amtlich)

Auf einer Dienstreise ist der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung nicht schon deshalb ohne weiteres gegeben, weil sich der Beschäftigte in einer fremden Stadt aufhalten muß. Vielmehr kommt es auch hierbei darauf an, ob seine Betätigung jeweils mit dem Beschäftigungsverhältnis in einem rechtlich wesentlichen Zusammenhang steht.

hiernach ist auch ein Unfall zu beurteilen, der sich bei Gelegenheit des Wohnens in einem Hotel während der Dienstreise ereignet. Nach räumlichen Merkmalen ist der Versicherungsschutz -anders als beim eigenen häuslichen Bereich des Beschäftigten -in einem solchen Fall nicht abzugrenzen. (vergleiche BSG 1956-03-13 2 RU 124/54 = BSGE 2, 239-244)

 

Leitsatz (redaktionell)

Auch das BSG hält daran fest, daß ein Dienstreisender nicht schlechthin während der gesamten Dauer der Reise und bei jederlei Betätigung unter Versicherungsschutz steht.

Vielmehr ist auch bei einer Dienstreise zu unterscheiden zwischen Betätigungen, die mit dem Beschäftigungsverhältnis rechtlich wesentlich zusammenhängen und deshalb versichert sind, und solchen Verrichtungen, die der privaten Sphäre des Reisenden angehören.

Bei der Prüfung des rechtlich wesentlichen inneren Zusammenhangs aber ist bereits vom RVA ausgesprochene Erwägung zu berücksichtigen, daß der dienstlich bedingte Aufenthalt in einer fremden Stadt nicht in demselben Maße von rein eigenwirtschaftlichen Belangen beeinflußt ist wie derjenige am Wohnort und daß deshalb bei Unfällen während eines solchen durch den Betrieb bedingter Aufenthalts ein innerer Zusammenhang mit dem Beschäftigungsverhältnis auch außerhalb der eigentlichen dienstlichen Tätigkeit im allgemeinen eher anzuerkennen sein wird als am Wohn- und Betriebsort.

 

Normenkette

RVO § 542 Abs. 1 Fassung: 1942-03-09

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 25. Mai 1955 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat den Klägern die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I

Die Kläger sind die Witwe und die Kinder des Journalisten H..., der hauptamtlich bei der Industriegewerkschaft Druck und Papier als Redakteur des Gewerkschaftsblattes tätig war. Dieser nahm am Verbandstag seiner Gewerkschaft teil, der vom 11. bis zum 15. September 1950 in Freiburg stattfand; während der Tagung war er mit mehreren Teilnehmern im Hotel M. untergebracht. Der eigentliche Verbandstag endete am 14. September 1950; am 15. September 1950 wurde für alle 225 Teilnehmer eine Autobusfahrt in den Schwarzwald veranstaltet. Nach Beendigung dieser Fahrt gegen 23,30 Uhr begab sich H... mit drei ebenfalls dort wohnenden Gewerkschaftskollegen ins Hotel M. . Dort nahmen sie in dem im Erdgeschoß liegenden Speisesaal einen Kaffee zu sich, wobei sie sich etwa eine halbe Stunde aufhielten. H... dessen Zimmer sich im dritten Stock befand, wurde sodann vom Nachtportier im Fahrstuhl hinaufgebracht. Zwischen dem zweiten und dritten Stock riß das Seil, der Fahrstuhl stürzte in den Keller und H... wurde schwer verletzt; er starb im Krankenhaus am 18. September 1950.

Durch Bescheid vom 18. Juni 1951 lehnte die Beklagte den Entschädigungsanspruch der Hinterbliebenen ab: Ein Unfall bei einem Aufenthalt im Hotel sei nach der Rechtsprechung selbst dann nicht als Arbeitsunfall anzusehen, wenn dem Versicherten das Hotel zur Unterkunft auf der Reise vorgeschrieben worden sei.

Das Oberversicherungsamt (OVA.) hat durch Urteil vom 19. Januar 1953 die Berufung der Kläger zurückgewiesen: Nach der Rechtsprechung des Reichsversicherungsamts (RVA.) sei bei Dienstreisen der Aufenthalt im Hotel unversichert, weil er vorwiegend der Befriedigung der eigenen Bedürfnisse (Nahrung, Ruhe, Erholung) diene. Nach diesen, auch von der späteren Rechtsprechung bestätigten Grundsätzen habe sich im vorliegenden Fall H... beim Aufsuchen des Hotelspeisesaals in seine private Sphäre begeben und danach den inneren Zusammenhang mit seiner Betriebstätigkeit nicht wieder hergestellt, da er mit dem Aufsuchen seines Zimmers erneut nur eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit verfolgt habe. Die Umstände, unter denen sich die Befriedigung des Bedürfnisses nach Ruhe vollzog, seien auch nicht durch besondere betriebsbedingte Gefahren beeinflußt worden.

Auf den fristgerechten Rekurs der Kläger, der mit dem Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) gemäß § 215 Abs. 3 SGG auf das Landessozialgericht (LSG.) übergegangen ist, hat dieses mit Urteil vom 25. Mai 1955 das Urteil des OVA. sowie den Bescheid der Beklagten aufgehoben und die Beklagte verurteilt, den Unfall vom 16. September 1950 als Arbeitsunfall anzuerkennen und den Klägern die gesetzlichen Leistungen aus der Unfallversicherung zu gewähren: Die Grundsätze der bisherigen Rechtsprechung über den Versicherungsschutz bei Gasthaus- oder Hotelaufenthalt während einer Betriebsreise seien zu eng. Im Gegensatz zu den Wegen nach und von der Arbeitsstätte gemäß § 543 der Reichsversicherungsordnung (RVO) bestehe bei Betriebswegen eine feste Bindung des Versicherten mit dem Unternehmen. Eigenwirtschaftliche Tätigkeiten auf Betriebswegen seien daher bezüglich einer Lösung vom Unternehmen nicht nach den strengen Maßstäben des § 543 RVO zu beurteilen. Insbesondere könnten die zu dieser Vorschrift entwickelten Grundsätze über die Grenze des häuslichen Wirkungskreises nicht uneingeschränkt angewandt werden auf Betriebsreisen, bei denen der Versicherte im Hotel logiert. H... habe auf dem Weg vom Speisesaal zum Hotelzimmer noch Versicherungsschutz genossen. Gasthäuser oder Hotels seien mehr oder weniger der Öffentlichkeit zugänglich und würden, ähnlich öffentlichen Verkehrsmitteln, von einem ständig wechselnden Besucherkreis benutzt; sie seien daher mit dem Wohnhaus, das dem Versicherten zum dauernden Aufenthalt dient, nicht zu vergleichen. Grenze des häuslichen Wirkungskreises sei bei einem Hotelgast grundsätzlich die Tür des Hotelzimmers. Die übrigen Hotelräume seien dem Gast fremd und einer Einflußnahme durch ihn unzugänglich. Er sei damit unter Umständen einem besonderen Gefahrenbereich ausgesetzt, dem er sich mit Rücksicht auf seine Betriebsreise nicht entziehen könne. Diese besondere Gefahrensphäre dem Gebiet der unversicherten, eigenwirtschaftlichen Tätigkeiten zuzurechnen, wäre unbillig. H... Fahrt im Aufzug sei zwar auf das Schlafengehen als eigenwirtschaftliche Besorgung gerichtet gewesen. Diese eigenwirtschaftliche Tätigkeit habe aber im Zeitpunkt des Unfalls noch nicht begonnen gehabt, vielmehr habe sich H... noch in dem durch den Hotelaufzug geschaffenen besonderen Gefahrenbereich befunden. Zusammenfassend meint das LSG., der Hotelaufenthalt stehe zumindest so lange mit der Unternehmenstätigkeit in wesentlich innerem Zusammenhang, wie der Versicherte nicht rein eigenwirtschaftliche Tätigkeiten (Essen, Ruhen, Schlafen im Hotelzimmer) ausübe. Die Revision ist zugelassen worden.

Gegen das am 2. Juli 1955 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 6. Juli 1955 Revision eingelegt und sie am 16. Juli 1955 begründet. Sie stützt sich gegen den Standpunkt des LSG. auf die langjährige Rechtsprechung des RVA. Auch auf Betriebsreisen sei die Nachtruhe als eigenwirtschaftliche Verrichtung unversichert. Schon der Aufenthalt des H... im Speisesaal habe der eigenwirtschaftlichen Erholung gedient, erst recht sei seine Fahrt in den dritten Stock unversichert gewesen. Da das LSG. nicht festgestellt habe, daß gerade das Hotel M... dem öffentlichen Verkehr besonders zugänglich gewesen sei, müsse der eigenwirtschaftliche Bereich hier an der Hoteltür beginnen. Bei seinem Vergleich zwischen Hotels und öffentlichen Verkehrseinrichtungen sei das LSG. einem zu allgemein gefaßten Erfahrungssatz gefolgt. Aber auch in reinen Durchganghotels (z.B. Bundesbahnhotels) gebe es längerwohnende Dauergäste, für die nicht nur ihr Zimmer, sondern das Hotel in seiner Gesamtheit zum eigenwirtschaftlichen Bereich gehöre. H... habe schon fünf Tage im Hause M... gewohnt. Daher habe - wie bei seiner eigenen Häuslichkeit - der private Bereich schon an der Straßentür begonnen. Die Beklagte beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen,

hilfsweise, die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.

Die Kläger beantragen,

die Revision als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise, sie als unbegründet zurückzuweisen.

Sie meinen, die Zulassung der Revision nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG sei unwirksam, weil die Revision durch § 214 Abs. 5 SGG ausgeschlossen sei. Zur Sache vertreten die Kläger den Standpunkt, auf Betriebsreisen sei die Aufrechterhaltung der körperlichen und geistigen Spannkraft eine Rechtspflicht des Arbeitnehmers und keineswegs eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit. Anderenfalls müßte auf Betriebsreisen Essen und Schlafen als unzumutbares persönliches Risiko unterbleiben. Die traditionellen Rechtsmeinungen müßten neu überprüft werden.

Beide Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet. Der Senat hat von der sich hieraus ergebenden Befugnis (§ 124 Abs. 2 SGG) Gebrauch gemacht.

II

Das LSG. hat die Revision wirksam zugelassen. § 214 Abs. 5 in Verbindung mit Abs. 4 Satz 1 SGG ist bei einer nach § 215 Abs. 3 SGG auf das LSG. Baden-Württemberg übergegangenen Sache - entgegen der Auffassung der Kläger - nicht anwendbar (BSG. 1 S. 62 [64]; Brackmann, Handbuch der Soz. Vers., 1. - 5. Aufl., S. 267). Die hiernach statthafte Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und somit zulässig.

Die Beklagte hat keine Verfahrensmängel gerügt, sondern lediglich vorgetragen, das LSG. habe § 542 RVO auf den hier gegebenen Sachverhalt des Unfalls während einer Dienstreise falsch angewandt. Diese Rechtsausführungen treffen im Ergebnis nicht zu.

Die Beklagte meint zwar, ihren Standpunkt, der Aufenthalt eines auf Dienstreise befindlichen Versicherten im Hotel oder Gasthof werde grundsätzlich nicht vom Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung umfaßt, aus einer weit zurückreichenden und auch noch in neuerer Zeit teilweise aufrechterhaltenen Rechtsprechung herleiten zu können (vgl. RVA. AN. 1895 S. 238 Nr. 1445; 1898 S. 168 Nr. 1690; EuM. 21 S. 275; 31 S. 421, 422; Bayer. LVAmt, Breith. 1952 S. 564 und S. 1220 = Amtsbl. Bayer. AM. 1952 Teil B, S. 39 und 169; LSG. Celle, BG. 1955 S. 83). Der Senat ist jedoch mit dem Vorderrichter der Auffassung, daß eine Überprüfung dieser Rechtsprechung auf Grund der heutigen rechtlichen und sozialen Anschauungen geboten ist.

Diese Überprüfung ergibt, daß die hergebrachten Meinungen nicht uneingeschränkte Weitergeltung beanspruchen können. So erscheint es z.B. heute nicht mehr vertretbar, einen rechtlich wesentlichen Zusammenhang mit dem Beschäftigungsverhältnis auch dann abzulehnen, wenn der Versicherte in seinem Hotelzimmer schriftliche Arbeiten für das Unternehmen erledigt; dieser vom RVA. in einer Entscheidung vom 31. Mai 1927 (EuM. 31 S. 422) aufgestellte Grundsatz ist jedenfalls durch die Ausdehnung der Unfallversicherung auf Tätigkeiten aller Art (§ 537 RVO i.d.F. des 6. Gesetzes über Änderungen in der Unfallversicherung vom 9. März 1942) überholt (ebenso Knappschafts-OVA. Wiesbaden, BG. 1952 S. 317; a.M. noch Bayer. LVAmt. Breith 1952 S. 1220; LSG. Celle a.a.O.). Nicht unbedenklich erscheint dem Senat auch allgemein die Richtung, die in der Rechtsprechung seit dem Urteil des RVA. vom 5. Januar 1932 (EuM. 31 S. 421) eingeschlagen worden ist. In diesem Fall hätte es an sich nahegelegen, in Anknüpfung an frühere Entscheidungen (EuM. 5 S. 171; 9 S. 217; 15 S. 294) den Umstand, daß das dem Dienstreisenden von seinem Arbeitgeber zugewiesene Quartier besondere Gefahrenmomente herbeigeführt hatte, im Sinne einer Anerkennung des betrieblichen Zusammenhangs des Hotelaufenthalts zu würdigen. Vermutlich weil das RVA. diese Anknüpfungsmöglichkeiten erkannte, mußte es seinen ablehnenden Standpunkt in dieser Sache um so nachdrücklicher mit der Erwägung begründen, der Aufenthalt des Reisenden im Hotelzimmer diene stets nur der Befriedigung eigener Bedürfnisse und falle daher in den Bereich der privaten Sphäre; dadurch erfuhr diese Erwägung eine vordem nicht so ausgeprägt gewesene Zuspitzung. - Die bisherige Rechtsprechung, auf die sich die Beklagte berufen hat, ermangelt demnach hinreichender Überzeugungskraft und Geschlossenheit; das begrenzt aber - wie auch das LSG. zutreffend ausgeführt hat - ihre Brauchbarkeit für die Gegenwart

Auf der anderen Seite kann der Senat freilich den von den Klägern vertretenen Standpunkt nicht billigen, ein Dienstreisender stehe während der gesamten Dauer der Reise schlechthin bei jederlei Betätigung unter Versicherungsschutz. Die Erwägung, der Unfall wäre dem Reisenden nicht zugestoßen, wenn er zu Hause geblieben wäre, mag sich zwar angesichts des Unfallgeschehens im vorliegenden Fall aufdrängen; sie genügt aber in ihrer Allgemeinheit nicht zur Bejahung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Beschäftigungsverhältnis und Unfallereignis. Vielmehr muß auch hier - wie generell in der Unfallversicherung - zu der nicht hinwegdenkbaren Bedingung noch eine nähere Beziehung zur dienstlichen Sphäre treten, welche die Annahme eines wesentlichen inneren Zusammenhangs rechtfertigt. Auch während einer Dienstreise kommt es nach der Lebenserfahrung zu Gelegenheiten, bei denen der Reisende sich eindeutig außerhalb einer solchen Beziehung zum Unternehmen befindet; Besuch von Vergnügungsstätten, Spaziergänge in der Freizeit (vgl. RVA., Breith. 1940 S. 17; Hess. LSG., SozEntsch. IV § 542 - a - Nr. 84), Ruhepause mit Familienangehörigen im Hotelgarten (vgl. LSG. Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 18.7.1955, mitgeteilt in BB. 1958 S. 272). Unfälle, die sich bei solchen Gelegenheiten ereignen, können grundsätzlich nicht allein deshalb als Arbeitsunfälle angesehen werden, weil der Beschäftigte durch die Ausführung der Dienstreise genötigt war, sich außerhalb seines Wohnorts in einer fremden Umgebung aufzuhalten. Ausnahmefälle, in denen der Reisende allgemein wirkenden typischen Gefahren am Ort seines Reiseaufenthalts ausgesetzt ist, rechtfertigen allerdings eine Durchbrechung dieses Grundsatzes (vgl. EuM, 5 S. 171); hiervon abgesehen bedeutet aber die von den Klägern vertretene Ansicht eine Ausweitung des Versicherungsschutzes, welche mit dem Zweck der gesetzlichen Unfallversicherung nicht mehr vereinbar wäre.

Ist somit auch bei einer Dienstreise zu unterscheiden zwischen Betätigungen, die mit dem Beschäftigungsverhältnis rechtlich wesentlich zusammenhängen und deshalb versichert sind und solchen Verrichtungen, die der privaten Sphäre des Reisenden angehören, so erhebt sich die Frage, nach welchen Gesichtspunkten die Abgrenzung vorzunehmen ist. Der erkennende Senat hat bei der Abgrenzung zwischen dem Weg nach und von der Arbeitsstätte im Sinne des § 543 Abs. 1 RVO und dem sogenannten häuslichen Bereich ein räumliches Merkmal berücksichtigt, indem er die Haustür des vom Versicherten bewohnten Gebäudes im Regelfall als Grenze des häuslichen Bereichs bezeichnete (BSG. 2 S. 239). Daran sowie an die Entscheidungen der Vorinstanzen im vorliegenden Falle anknüpfend streiten die Beteiligten darüber, ob die Außentür des Hotels oder aber erst die Tür des Hotelschlafzimmers das "umfriedete Besitztum" des Hotelgastes abgrenzt. Der Senat ist demgegenüber der Auffassung, daß die Abgrenzung zwischen der privaten und der betrieblichen Sphäre hinsichtlich der Betätigungen auf einer Dienstreise von vornherein nicht unter dem Gesichtspunkt erfolgen kann, wo sich der Reisende im Zeitpunkt der unfallbringenden Betätigung gerade befand. Bezüglich der Vorgänge, die sich im Bereich eines während der Dienstreise zu Übernachtungszwecken benutzten Hotels abspielen, entfällt eine Abgrenzung nach räumlichen Merkmalen schon deshalb, weil das Hotel jedenfalls für den Tagesgast nicht den klar abgesonderten eigenen häuslichen Bereich darstellt (vgl. EuM. 47 S. 1) Vielmehr bildet in Fällen der hier vorliegenden Art, in denen während einer Tagung die auswärtigen Teilnehmer für einige Tage in Hotels, Gasthöfen oder sonstigen Beherbergungsunternehmen untergebracht sind, das Hotel insgesamt für die dienstlich dort weilenden Gäste einen Ersatz sowohl für die eigene Häuslichkeit als auch für die Arbeitsstätte. Der Reisende kann in seinem Hotelschlafzimmer mit der Tagung zusammenhängende Tätigkeiten ausführen, er kann andererseits in der Hotelhalle oder in sonstigen Gesellschaftsräumen außerhalb seines Zimmers sich rein privaten Dingen zuwenden. Hier irgendeine räumliche Grenze ziehen zu wollen, würde den tatsächlichen Gegebenheiten nicht gerecht. Dies hat auch das LSG. zutreffend erkannt und es deshalb mit Recht abgelehnt, den Versicherungsschutz ohne weiteres an der Außentür des Hotelgebäudes enden zu lassen. Es bedurfte dazu allerdings nicht des - wie die Beklagte richtig hervorhebt - etwas überspitzten Vergleichs zwischen den Räumlichkeiten eines Hotels und öffentlichen Verkehrseinrichtungen wie Bahnhöfen und dergleichen. Auch die Ansicht des LSG., als Grenze des eigenwirtschaftlichen Bereichs sei bei einem Hotelgast, der sich zur Ruhe begibt, jedenfalls die Tür des von ihm gemieteten Hotelzimmers anzusehen, erscheint auf Grund der obigen Erwägungen fragwürdig.

Mangels einer zuverlässigen räumlichen Grenze muß nach Auffassung des Senats der während einer Dienstreise bestehende Versicherungsschutz ausschlaggebend danach bestimmt werden, welchem Zweck jeweils die Konkrete Tätigkeit diente, die zu dem Unfall geführt hat. Stand diese Tätigkeit in einem rechtlich wesentlichen inneren Zusammenhang mit dem Beschäftigungsverhältnis, so liegt ein Arbeitsunfall vor, gleichgültig an welcher Stelle innerhalb oder außerhalb eines Hotels sich der Unfall ereignet hat. Der Senat verkennt nicht, daß der Nachweis dieses Zusammenhangs im Einzelfall zu Schwierigkeiten führen kann, zumal da - wie bereits ausgeführt - während einer Dienstreise sich dienstliche und private Anlässe oft eng berühren können. Derartige Schwierigkeiten sind aber bei der Beweiswürdigung durch die Tatsacheninstanzen zu meistern (vgl. LSG. Nordrhein-Westfalen und Knappschafts-OVA. Wiesbaden a.a.O.). Die Stelle, an der sich der Unfall ereignet hat, mag übrigens je nach Lage des Falles als Indiz dafür verwertbar sein, was für eine Tätigkeit der Reisende in diesem Zeitpunkt gerade ausführte.

Bei der Prüfung des rechtlich wesentlichen inneren Zusammenhangs ist die Erwägung des RVA. zu berücksichtigen, daß der dienstlich bedingte Aufenthalt in einer fremden Stadt nicht in demselben Maße von rein eigenwirtschaftlichen Belangen beeinflußt ist wie derjenige am Wohnort und daß deshalb bei Unfällen während eines solchen durch den Betrieb bedingten Aufenthalts ein innerer Zusammenhang mit dem Beschäftigungsverhältnis auch außerhalb der eigentlichen dienstlichen Tätigkeit im allgemeinen eher anzuerkennen sein wird als am Wohn- und Betriebsort (vgl. EuM. 15 S. 294 [296]). Der erkennende Senat billigt diese Erwägung, die einen gangbaren Mittelweg aufzeigt zwischen der allgemeinen - für Betätigungen am Wohnort des Versicherten geltenden - Rechtsprechung über die sogenannte Lösung vom Betrieb durch eigenwirtschaftliches Handeln einerseits und einer zu weitgehenden Ausdehnung des Versicherungsschutzes auf jedwede während einer Dienstreise denkbare Verrichtung andererseits. Eine Unterbrechung oder Lösung des Zusammenhangs mit dem Beschäftigungsverhältnis ist also beim unterwegs befindlichen Dienstreisenden nicht nach den gleichen Maßstäben zu beurteilen, die für sein Verhalten am Wohnort gelten würden. Aus dieser Sicht betrachtet, hat das LSG. die vorliegende Sache richtig entschieden. Nach seinen von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen war davon auszugehen, daß die Teilnahme an der Autobusfahrt am 15. September 1950 eine versicherte Tätigkeit war. Der Rückweg von der Autobushaltestelle in Freiburg zum Hotel hing mit dieser Tätigkeit zusammen. Der Zusammenhang wurde mit dem Durchschreiten der Hotelaußentür nicht beendet. Hätte H. sogleich sein Zimmer aufgesucht, so wäre der Versicherungsschutz erst mit den Vorbereitungen für die Nachtruhe erloschen. Daß nun H. erst noch mit den drei Kollegen einen Kaffee getrunken und dabei eine halbe Stunde im Hotelspeisesaal gesessen hat, mußte nicht zu einer vorzeitigen Beendigung des Versicherungsschutzes führen. Denn in dieser kurzen, zusammen mit anderen Tagungsteilnehmern verbrachten Erfrischungspause kann nicht eine so eindeutige und nachhaltige Hinwendung zu rein persönlichen Belangen erblickt werden, daß der anschließende Gang zum Hotelzimmer nicht mehr als Fortsetzung des Rückwegs von der versicherten Tätigkeit erscheint. Demgemäß stand die Fahrt des H. im Hotelfahrstuhl, bei der sich der Unfall ereignete, noch in einem rechtlich wesentlichen inneren Zusammenhang mit seiner versicherten Tätigkeit während des Verbandstags der Gewerkschaft. Das LSG. hat die Beklagte deshalb mit Recht verurteilt, den Klägern die gesetzlichen Leistungen aus der Unfallversicherung zu gewähren.

Die Revision ist hiernach unbegründet. Sie war deshalb zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 671972

BSGE, 48

NJW 1958, 1558

MDR 1958, 877

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Personal Office Platin. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge