Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 11. Mai 1995 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander für das Revisionsverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand
I
Der Kläger begehrt die rentensteigernde Berücksichtigung der Bergmannsprämie, auch soweit sie zusammen mit dem Arbeitsentgelt die jeweilige Beitragsbemessungsgrenze überstieg.
Der im Jahre 1937 geborene Kläger, der zuvor Bergmannsrente bezog, erhält seit dem 1. Januar 1993 Knappschaftsausgleichsleistung (Bescheid der Beklagten vom 22. Januar 1993 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Juli 1993) sowie ab 1. April 1993 Rente wegen Berufsunfähigkeit nach Aufgabe der knappschaftlich versicherten Beschäftigung (während des Klageverfahrens ergangener Bescheid der Beklagten vom 14. Januar 1994). Bei beiden Leistungen berücksichtigte die Beklagte die Bergmannsprämie bei der Ermittlung der Entgeltpunkte nur insoweit, als hierdurch die Beitragsbemessungsgrenze nicht überschritten wurde.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage mit Urteil vom 4. Oktober 1994 abgewiesen; das Landessozialgericht hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 11. Mai 1995). Es hat zur Begründung ausgeführt, die Rechtslage nach § 54 Abs 1a und Abs 9a Reichsknappschaftsgesetz (RKG), wonach die Bergmannsprämien in voller Höhe ohne Berücksichtigung der Beitragsbemessungsgrenze zu berücksichtigen waren (BSG vom 27. März 1984, BSGE 56, 230), sei nicht mehr einschlägig. Nach der nunmehr geltenden Bestimmung des § 83 Abs 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) sei auch bei Berücksichtigung der Bergmannsprämie die Beitragsbemessungsgrenze maßgebend. Diese Neuregelung verstoße auch nicht gegen Verfassungsrecht, insbesondere nicht gegen Art 3 Abs 1 oder Art 14 Grundgesetz (GG).
Hiergegen richtet sich die Revision des Klägers. Er rügt eine Verletzung des § 83 Abs 2, § 265 Abs 2 SGB VI sowie Art 14 Abs 1 und Art 3 Abs 1 GG. Bei der Berechnung der Rente des Klägers seien auch die gemäß § 265 Abs 2 SGB VI zu ermittelnden Beträge für die Bergmannsprämie der Jahre 1972 bis 1991 zu berücksichtigen, soweit die jeweilige Beitragsbemessungsgrenze überschritten worden sei. Dies folge aus der Sonderregelung des § 265 SGB VI. Die diesem Ergebnis entgegenstehende Vorschrift des § 83 Abs 2 SGB VI sei lediglich auf die ab 1992 gezahlten Bergmannsprämien anzuwenden. Eine andere Auslegung der genannten Vorschriften verstieße auch gegen Art 14 GG.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
die angefochtenen Bescheide und Urteile abzuändern bzw aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, bei der Berechnung der Knappschaftsausgleichsleistung bzw der Rente wegen Berufsunfähigkeit die Bergmannsprämie für die Zeit vom 1. Januar 1972 bis 31. Dezember 1991 jeweils ohne Begrenzung auf die Beitragsbemessungsgrenze rentensteigernd zu berücksichtigen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist unbegründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine höhere Knappschaftsausgleichsleistung bzw Rente wegen Berufsunfähigkeit unter rentensteigernder Berücksichtigung der Bergmannsprämie über die Beitragsbemessungsgrenze hinaus.
Für beide genannten Leistungen (Knappschaftsausgleichsleistung ab 1. Januar 1993; Rente wegen Berufsunfähigkeit ab 1. April 1993 aufgrund des gemäß § 96 Abs 1 SGG zum Gegenstand des Verfahrens gewordenen Bescheides vom 14. Januar 1994) gelten die Vorschriften des SGB VI (§ 300 Abs 1 SGB VI; die Ausnahme des § 300 Abs 2 SGB VI hat lediglich für Zeiträume bis zum 31. März 1992 Bedeutung). Das frühere Recht – § 54 Abs 1a und 9a RKG (hierzu BSG vom 27. März 1984, BSGE 56, 230 = SozR 2600 § 54 Nr 4) – ist auf den Fall des Klägers nicht mehr anwendbar.
Nach § 83 Abs 2 Satz 1 SGB VI ist für „Zeiten nach dem 31. Dezember 1971, in denen Versicherte eine Bergmannsprämie bezogen haben, … die Beitragsbemessungsgrundlage, aus der die Entgeltpunkte ermittelt werden, bis zur Beitragsbemessungsgrenze um einen Betrag in Höhe der gezahlten Bergmannsprämie” zu erhöhen. Hieraus aber ergibt sich, daß sowohl für die Knappschaftsausgleichsleistung (§ 239 SGB VI) als auch für die Rente wegen Berufsunfähigkeit (§ 43 iVm § 82 Nr 2b SGB VI) die Berechnungsvorschrift des § 83 Abs 2 SGB VI – mit ihrer Beschränkung auf die Beitragsbemessungsgrenze – gilt.
Etwas anderes kann – entgegen der Meinung der Revision – auch nicht aus § 265 Abs 2 SGB VI hergeleitet werden. Hiernach ist für „Zeiten, in denen Versicherte eine Bergmannsprämie vor dem 1. Januar 1992 bezogen haben, … die der Ermittlung von Entgeltpunkten zugrunde zu legende Beitragsbemessungsgrundlage für jedes volle Kalenderjahr des Bezugs der Bergmannsprämie um das 200-fache der Bergmannsprämie und für jeden Kalendermonat um ein Zwölftel dieses Jahresbetrags” zu erhöhen. Diese Vorschrift modifiziert lediglich den Umfang der Erhöhung iS des § 83 Abs 2 Satz 1 SGB VI insoweit, als es für die Rentenberechnung bei Bergmannsprämien vor dem 1. Januar 1992 (noch) nicht – konkret – auf die „Höhe der gezahlten Bergmannsprämie”, sondern – pauschal – auf „das 200-fache der Bergmannsprämie” für das Kalenderjahr ankommt. Hingegen ist § 265 Abs 2 SGB VI keine Ausnahme von § 83 Abs 2 Satz 1 SGB VI in der Hinsicht zu entnehmen, daß für die Rentenberechnung auf der Grundlage von vor dem 1. Januar 1992 bezogenen Bergmannsprämien nicht auf die Beitragsbemessungsgrenze abzustellen wäre. Eine entsprechende Argumentation verkennt das Verhältnis der im Ersten Abschnitt des Fünften Kapitels des SGB VI normierten „Ergänzungen für Sonderfälle” (§§ 228 bis 299 SGB VI) im Verhältnis zu den allgemeinen Vorschriften über die Leistungen im Zweiten Kapitel des SGB VI (§§ 9 bis 124). Insoweit besagt § 228 SGB VI: „Die Vorschriften dieses Abschnitts ergänzen die Vorschriften der vorangehenden Kapitel für Sachverhalte, die von dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Vorschriften der vorangehenden Kapitel an nicht mehr oder nur noch übergangsweise eintreten können”. Insbesondere aus dem Wort „ergänzen” ergibt sich, daß jene Sonderregelungen nicht losgelöst von den Vorschriften der vorangegangenen Kapitel angewendet werden können (so auch die Begründung des § 228 SGB VI in BT-Drucks 11/4124 S 196, zu § 223).
Nichts anderes folgt aus den Worten „nach dem 31. Dezember 1971” in § 83 Abs 2 Satz 1 SGB VI. Diese sind auch angesichts der Regelung des § 265 Abs 2 SGB VI nicht überflüssig. Die hieraus folgende, erst im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens eingefügte Beschränkung bezweckt, den Rechtszustand des Art 2 § 10 Abs 2 Knappschaftsversicherungs-Neuregelungsgesetz (KnVNG) beizubehalten, wonach sich Bergmannsprämien rentensteigernd frühestens bei einem Bezug seit 1972 auswirkten (BT-Drucks 11/5530, S 45, zu § 82). Fehlten diese Worte, wären – entgegen dem durch das SGB VI abgelösten Rechtszustand – auch bereits vor dem 1. Januar 1972 gezahlte Bergmannsprämien rentensteigernd zu berücksichtigen.
Das Auslegungsergebnis des Senats ist auch mit dem GG zu vereinbaren. Insbesondere liegt in der Neuregelung der auf die Bergmannsprämie bezogenen Rentenberechnung keine Verletzung des grundrechtlich gewährleisteten Eigentums (Art 14 Abs 1 GG). Zwar zählen Anwartschaften auf Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung grundsätzlich zum Eigentum. Damit sind sie jedoch nicht jeglicher gesetzgeberischen Einwirkung entzogen. Denn nach Art 14 Abs 1 Satz 2 GG werden Inhalt und Schranken des Eigentums durch die Gesetze bestimmt. Um ein solches Gesetz handelt es sich bei der Neuregelung des § 83 Abs 2 SGB VI.
Die Neuregelung durch § 83 Abs 2 Satz 1 SGB VI bewirkt zum einen in keinem Fall den – totalen – Entzug einer Rentenanwartschaft, sondern lediglich ihre – geringgradige – Einschränkung. Zum anderen beruhen die hier betroffenen Leistungen nicht auf Beiträgen des Klägers (nach § 4 des Gesetzes über Bergmannsprämien idF der Bekanntmachung vom 12. Mai 1969 – BGBl I 434 – sind die aus Steuermitteln gezahlten Bergmannsprämien weder steuerpflichtig noch unterliegen sie der Sozialversicherung). Weiterhin fällt besonders ins Gewicht, daß der Eingriff durch die Neuregelung in § 83 Abs 2 SGB VI nur Leistungen betrifft, die über das hinausgehen, was regelmäßig in den Schutzbereich der gesetzlichen Rentenversicherung fällt – nämlich eine Absicherung auf der Grundlage von Entgelten bis zur Beitragsbemessungsgrenze. Schließlich trifft die zu prüfende Regelung den Kläger nicht im Übermaß. Bei einer Knappschaftsausgleichsleistung in Höhe von DM 3.602,85 bzw einer Rente wegen Berufsunfähigkeit in Höhe von DM 4.005,24/Monat (so jeweils der Netto-Zahlbetrag im Zeitpunkt der Bescheiderteilung) ist weder ersichtlich noch wird geltend gemacht, daß der Kläger durch die Neuregelung im SGB VI in eine unvorhergesehene Notsituation gekommen sei.
Bei dieser Ausgangslage aber ist die gesetzliche Neuregelung jedenfalls durch den auch vom Rentenreformgesetz 1992, mit dem das SGB VI eingeführt wurde, verfolgten Zweck gerechtfertigt, die Finanzen der gesetzlichen Rentenversicherung zu konsolidieren (vgl BT-Drucks 11/4124, Vorblatt; BT-Drucks 11/5530 S 31 f). Ist, wie hier, Art 14 Abs 1 GG an sich einschlägig, aber nicht verletzt, können weitere Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes keine Rolle spielen.
Auch der Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG ist nicht verletzt. Daß die Bergmannsprämie rentenrechtlich unberücksichtigt bleibt, soweit mit ihr die Beitragsbemessungsgrenze für das jeweilige Kalenderjahr überschritten wird, ist sachlich gerechtfertigt. Es ist nur folgerichtig, wenn die Bergmannsprämie zu keiner höheren Rente führt als zusätzliches versicherungspflichtiges Entgelt über die Beitragsbemessungsgrenze hinaus. Ebenfalls verfassungsrechtlich unbedenklich ist die mit der Gesetzesänderung verbundene Stichtagsregelung.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1064893 |
SozSi 1998, 75 |