Leitsatz (amtlich)

Ein freiwilliger Beitrag zur Invalidenversicherung ist erst im Zeitpunkt des Einklebens der Beitragsmarke in die Quittungskarte, nicht bereits mit der Einzahlung des entsprechenden Betrages bei dem Versicherungsträger entrichtet.

 

Normenkette

RVO § 1413 Fassung: 1936-12-23, § 1442 Fassung: 1937-12-21, § 1444 Fassung: 1937-12-21

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 18. Dezember 1956 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Tatbestand

Die im September 1894 geborene Klägerin beantragte im Dezember 1953 die Gewährung von Invalidenrente bei der Beklagten. Die Beklagte lehnte auf Grund ärztlicher Gutachten diesen Antrag ab, da die Klägerin noch nicht invalide sei; das Sozialgericht schloß sich nach Einholung weiterer Gutachten dieser Auffassung an; es wies die von der Klägerin erhobene Klage ab.

Während des Berufungsverfahrens beantragte die Klägerin am 31. Juli 1955 hilfsweise auch die Gewährung der Altersrente wegen Vollendung des 60. Lebensjahres (nach § 1253 der Reichsversicherungsordnung a. F. - RVO - in Verb. mit § 48 des Berliner Rentenversicherungsüberleitungsgesetzes) vom 1. August 1955 an; gleichzeitig mit diesem Antrag überwies die Klägerin der Beklagten den Betrag von 136,60 DM, den sie für von ihr nach Zahl und Höhe angegebene Beiträge für die Jahre 1952 bis 1955 zu verwenden bat; mit diesen Beiträgen wurde ihrer Ansicht nach die längere Wartezeit für die Altersrente erfüllt.

Nachdem die Klägerin auf Anfordern der Beklagten die Höhe ihres sonstigen Einkommens (zweier Sozialrenten) mitgeteilt hatte, wies die Beklagte die Klägerin am 22. Februar 1955 darauf hin, daß freiwillige Beiträge in der diesem Einkommen entsprechenden Lohnklasse zu leisten wären; zur Verwendung rechtswirksamer Beiträge für die von der Klägerin gewünschte Zeit müsse demnach noch ein Betrag von 208,30 DM nachgezahlt werden. Nachdem die Klägerin diesen Unterschiedsbetrag am 27. März 1956 bei der Beklagten eingezahlt hatte, lies diese durch ihre Markenregelungsstelle am 18. April 1956 Beitragsmarken in der von ihr für die einzelnen Monate errechneten Höhe in der Quittungskarte der Klägerin verwenden und gewährte dieser durch Bescheid vom 7. Juni 1956 die Altersrente vom 1. April 1956 an.

Das Landessozialgericht verurteilte die Beklagte unter Abänderung dieses Bescheides vom 7. Juni 1956 entsprechend dem Hilfsantrag der Klägerin zur Gewährung der Altersrente bereits vom 1. August 1955 an; im übrigen (hinsichtlich des ursprünglichen Bescheides) wies es die Berufung zurück. Die Abweisung des Anspruchs auf Invalidenrente stützt das Landessozialgericht darauf, daß die Klägerin weder im Zeitpunkt ihrer Antragstellung noch später invalide gewesen sei. Hinsichtlich der Altersrente stellte das Landessozialgericht zunächst - insoweit mit der Revision von keiner Seite angefochten - fest, daß die längere Wartezeit durch die nachentrichteten Beiträge erfüllt sei. Das Landessozialgericht ist weiter der Auffassung, die Klägerin habe durch ihre Überweisung Ende Juli 1955 Beiträge in einer zu niedrigen Lohnklasse entrichtet; diese Beiträge seien jedoch durch die spätere Zahlung nachträglich berichtigt worden. Die berichtigte Marke trete in derartigen Fällen vollständig an die Stelle der früher entrichteten unrichtigen Marke; damit sei rückwirkend die Anrechenbarkeit der richtigen Beitragszahlung herbeigeführt. Dieser Grundsatz gelte auch bei freiwilligen Beiträgen. Der Klägerin stehe die Altersrente vom 1. August 1955 jedenfalls auch deshalb zu, weil in der in Unkenntnis zu niedrig erfolgten Beitragszahlung eine Bereiterklärung zur Beitragszahlung in der erforderlichen Höhe nach § 1444 Abs. 1 Nr. 2 RVO a. F. liege. Da die Klägerin in einer angemessenen Frist nach der Beanstandung die erforderlichen Beiträge nachentrichtet habe, gelte auch aus diesem Grunde die Wartezeit bereits im Juli 1955 als erfüllt.

Die Beklagte hat gegen das ihr am 4. Februar 1957 zugestellte Urteil vom 18. Dezember 1956 am 27. Februar 1957 die vom Landessozialgericht zugelassene Revision unter Antragstellung eingelegt und die Revision gleichzeitig begründet. Sie rügt die Beitragszahlung durch Überweisung des erforderlichen Betrages bis zur Nachholung der gesetzlich vorgeschriebenen Form als rechtsunwirksam; darüber hinaus ergebe sich die Unwirksamkeit auch daraus, daß die freiwilligen Beiträge in einer zu niedrigen Lohnklasse entrichtet seien; durch eine Berichtigung von Beiträgen könne rückwirkend kein früherer Rentenbeginn erreicht werden; selbst wenn man mit dem Reichsversicherungsamt aber eine derartige Wirkung der Nachentrichtung rückständiger Beiträge annehmen wolle, müsse diese Wirkung stets auf Pflichtbeiträge beschränkt bleiben, da dort der Versicherte - anders als bei freiwilliger Beitragszahlung - nicht selbst für die rechtzeitige und richtige Entrichtung verantwortlich sei. In Anwendung des § 1444 Abs. 1 Nr. 2 RVO a. F. komme ebenfalls nicht in Frage, daß diese Vorschrift nur der Ausschaltung der Fristen, der §§ 1442 und 1443 RVO a. F., nicht jedoch irgendeiner sonstigen Erleichterung dienen solle; schließlich könne bei der Klägerin auch nicht mehr von der Einhaltung einer "angemessenen Frist" bei dieser Nachzahlung gesprochen werden.

Die Beklagte beantragte,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragte demgegenüber

kostenpflichtige Zurückweisung der Revision.

Sie ist der Auffassung, daß die von der Beklagten vorgetragenen Bedenken wohl bei einer Nachentrichtung, nicht aber bei einer Berichtigung von Beiträgen zu berücksichtigen seien. Die Klägerin habe sich bei ihrer ursprünglichen Beitragsüberweisung nach den Grundsätzen der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte gerichtet, nach denen Sozialbezüge bis 75,- DM monatlich außer Ansatz blieben und habe demnach erst durch das Schreiben der Beklagten vom Dezember 1955 von deren abweichender Handhabung erfahren; sie habe die erforderlichen Beiträge dann unter großen Schwierigkeiten beschafft und alsbald eingezahlt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist vom Landessozialgericht zugelassen und daher statthaft.

Die Revision ist jedoch nicht begründet.

Entgegen der Auffassung des angefochtenen Urteils ist mit der Beklagten davon auszugehen, daß Invalidenversicherungsbeiträge nicht bereits durch die Einzahlung von Geldbeträgen, die nach dem Willen des absendenden Versicherten zur Entrichtung von Beiträgen verwendet werden sollen, sondern erst durch die Markenverwendung entrichtet werden (vgl. Urteil des BSG. vom 20.3.1959 in SozR. RVO § 1413 a. F. Bl. Aa 1 Nr. 1 nebst Literaturangaben). Dies ergibt sich bereits aus dem klaren Wortlaut des Gesetzes, das Ausnahmen von dem Grundsatz des § 1413 Abs. 1 a. F. nur in den hier nicht vorliegenden Fällen der Abs. 2 und 3 a. a. O. zuläßt; es ergibt sich überzeugend auch aus der Überlegung, daß immer erst im Augenblick der Markenverwendung feststeht, für welche Zeiten und in welcher Höhe Beiträge tatsächlich entrichtet sind, während vorher allenfalls von dem Wunsch des Versicherten die Rede sein kann, daß bestimmte Marken verwendet werden sollten. Die Beiträge sind demnach erst im April 1956 entrichtet worden.

Die vom Landessozialgericht und den Parteien angestellten Erwägungen über die Frage der Wirkung der nachträglichen Berichtigung zunächst zu niedrig gezahlter Beiträge liegen demnach neben der Sache und bedürfen hier keiner weiteren Erörterung.

Es bedarf auch weiterhin keiner Prüfung, ob die Hilfserwägung des angefochtenen Urteils zutrifft, die Klägerin habe nach ihrer Bereiterklärung zur Beitragszahlung Beiträge noch in angemessener Frist entrichtet (§ 1444 Abs. 1 Nr. 2 RVO a. F.) und diese Beiträge gälten auch hinsichtlich des Rentenbeginns als bereits im Zeitpunkt der Bereiterklärung entrichtet, da sich das angefochtene Urteil im Ergebnis aus einem anderen Grunde als zutreffend erweist.

Wie der erkennende Senat mit Urteil vom 28. November 1957 (BSG. 6 S. 136 f.) entschieden hat, sind nach den bis zum 31. Dezember 1956 geltenden Vorschriften gemäß § 1444 Abs. 2 RVO a. F. wirksam nachentrichtete Beiträge zur Invalidenversicherung auch hinsichtlich des Rentenbeginns wie rechtzeitig entrichtete Beiträge zu behandeln. Der Senat sieht keinen Anlaß, seine in jener Entscheidung begründete Auslegung zu ändern. Dann konnte jedoch die Klägerin, deren Verfahren über einen Invalidenrentenstreit bereits seit dem Jahre 1953 schwebte, nach der genannten Vorschrift auch im April 1956 noch wirksam freiwillige Beiträge für die Jahre 1952 bis 1955 nachentrichten, die dementsprechend so zu behandeln sind, als seien sie bereits in jenen Jahren entrichtet worden. Da die für die Gewährung der Altersrente erforderliche längere Wartezeit demnach bereits Ende Juli 1955 erfüllt war, hat das Landessozialgericht im Ergebnis zutreffend angenommen, daß jene Rente bereits vom 1. August 1955 an zu gewähren ist. Die Revision war demnach zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2391741

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