Leitsatz (amtlich)

1. Ein die Erwerbsfähigkeit einschränkender regelwidriger Körper- oder Geisteszustand ist auch dann eine im Sinne der knappschaftlichen Rentenversicherung bedeutsame Krankheit, wenn er nicht behandlungsbedürftig ist und keine Arbeitsunfähigkeit bedingt.

2. Für einen knappschaftlichen Versicherten, dessen Hauptberuf Lehrhauer ist, sind die Tätigkeiten der Lohngruppe 1, nicht aber die der Lohngruppe 2 über Tage der Lohnordnung für den Aachener Steinkohlenbergbau (Steinkohlenbergbau der Ruhr) vom 1956-02-15 im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig.

3. Die Gewährung der Rente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit nach RKG nF § 45 Abs 1 Nr 1 hängt in der Zeit vom 1. Januar bis zum 1957-05-31 davon ab, ob der Versicherte berufsunfähig nach RKG aF § 35 ist.

 

Normenkette

RVO § 1247 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23; RKG § 47 Abs. 2 Fassung: 1957-05-21; RVO § 1246 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23; RKG § 45 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1957-05-21, § 46 Abs. 2 Fassung: 1957-05-21, § 35 Fassung: 1934-05-17

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagtes wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16. Juni 1959 mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

 

Tatbestand

Der im Jahre 1925 geborene Kläger war vom 15. April bis zum 22. Juli 1947 und vom 1. September 1951 bis zum 25. November 1953 als Gedingeschlepper vom 27 November 1953 bis zum 17. Januar 1957 als Lehrhauer und vom 18. bis zum 30. Januar 1957 als Hauer im Aachener Steinkohlenbergbau beschäftigt; seit dieser Zeit ist er über Tage als Verlader tätig.

Den Arbeitsplatzwechsel vom 30. Januar 1957 führte die Arbeitgeberin des Klägers auf Veranlassung der Bergbau-Berufsgenossenschaft (BBG) durch, nachdem Dr. H., Facharzt für innere Medizin in A., den Kläger in einem im September 1956 ausgestellten Gesundheitszeugnis wegen einer beginnenden bis stellenweise leichten Silikose für alle Arbeiten im Untertagebetrieb für untauglich erklärt hatte und der von der BBG noch gehörte Dr. in seiner Stellungnahme vom 14. Januar 1957 zu demselben Ergebnis gekommen war. Der Kläger erhielt von der BBG wegen des durch die Verlegung in den Tagesbetrieb verursachten Lohnausfalls vom 31. Januar 1957 an eine Übergangsrente nach § 5 der Berufskrankheiten-Verordnung (BKVO).

Am 31. Januar 1957 hat der Kläger die Gewährung der Knappschaftsrente beantragt. Die von der Beklagten gutachtlich gehörten Ärzte der oberärztlichen Abteilung des Knappschaftskrankenhauses Bardenberg bezeichneten in ihrem Gutachten vom 10. Juli 1957 die silikotischen Veränderengen als beginnenden bis leichten Grades; Ausfallserscheinungen seitens der Atmung wurden nicht festgestellt; der Kläger sei noch fähig, im Tagesbetrieb alle vorkommenden Arbeiten, bei denen er keinem quarzhaltigen Steinstaub ausgesetzt sei, zu verrichten; als 1. Anschläger über Tage könne er nicht mehr tätig sein. Mit Bescheid vom 6. August 1957 hat die Beklagte, ausgehend vom Hauptberuf des Hauers, die Gewährung der Bergmannsrente abgelehnt, weil sie den Kläger noch für fähig hielt, die der Hauertätigkeit im wesentlichen gleichwertige Tätigkeit eines Reserve-Fördermaschinisten zu verrichten.

Gegen diesen ihm am 13. August 1957 zugegangenen Bescheid hat der Kläger am 21. August 1957 Widerspruch eingelegt. Die Widerspruchstelle hat den Widerspruch durch Bescheid vom 5. September 1957 zurückgewiesen. Sie ging - anders als die Verwaltung der Beklagten - vom Hauptberuf des Lehrhauers aus und hielt den Kläger noch für fähig, alle Tätigkeiten über Tage zu verrichten.

Gegen den ihm am 10. September 1957 zugegangenen Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 2. Oktober 1957 Klage mit dem Antrag erhoben, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 6. August 1957 und des Widerspruchsbescheides vom 5. September 1957 zu verpflichten, den Antrag des Klägers vom 31. Januar 1957 erneut zu bescheiden.

Das Sozialgericht hat diesem Antrag mit Urteil vom 22. Mai 1958 entsprochen. Der Kläger sei im Hauptberuf Hauer. Er sei nicht mehr fähig, Tätigkeiten unter Tage zu verrichten, zur Ausübung von Übertagetätigkeiten, mit Ausnahme der des 1. Anschlägers, sei er jedoch noch in der Lage. Die Tätigkeiten der Lohngruppe I über Tage seien gegenüber der Hauertätigkeit im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig; von den vom Kläger noch ausübbaren Tätigkeiten dieser Lohngruppe sei aber lediglich die des Reserve-Fördermaschinisten noch gleichartig. Eine Verweisung des Klägers auf diese Tätigkeit käme aber nicht in Betracht, weil sie im Aachener Bergbau zu selten vorkomme.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung eingelegt.

Der Kläger hat Anschlußberufung eingelegt und beantragt, in Abänderung des angefochtenen Urteils die Beklagte kostenpflichtig zu verurteilen, ihr die beantragte Rente zu gewähren.

Das Landessozialgericht hat mit Urteil vom 16. Juni 1959 für Recht erkannt: "Auf die Anschlußberufung des Klägers und unter Zurückweisung der Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Köln - Zweigstelle Aachen - vom 22. Mai 1958 abgeändert. Die Beklagte wird unter Aufhebung ihres Bescheides vom 6. August 1957 und des Widerspruchsbescheides vom 5. September 1957 verurteilt, dem Kläger ab 1. Januar 1957 die Knappschaftsrente alten Rechts (§ 35 des Reichsknappschaftsgesetzes - RKG-aF) nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten auch für die Berufungsinstanz zu erstatten. Die Revision wird zugelassen."

Der Verurteilung der Beklagten auf Gewährung der Knappschaftsrente alten Rechts stehe nicht entgegen, daß der Kläger in erster Instanz den Antrag gestellt habe, die Beklagte zu verpflichten, seinen Rentenantrag vom 31. Januar 1957 erneut zu bescheiden. Denn selbst wenn der Übergang von diesem Antrag zu dem im Berufungsverfahren gestellten. Antrag eine Klageänderung darstellen sollte, sei sie zulässig, weil sich die Beklagte, ohne dieser Änderung zu widersprechen, auf die geänderte Klage eingelassen habe (§ 99 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-). Im übrigen sei eine solche Klageänderung auch sachdienlich im Sinne von § 99 Abs. 1 SGG, weil es bei beiden Klagen im wesentlichen um dasselbe Ziel gehe. Der im Berufungsverfahren vom Kläger somit zulässig gestellte Antrag sei eindeutig auf Verurteilung zur Gewährung der beantragten Rente, also auf eine Leistung, gerichtet. Dieser Antrag sei am 31. Januar 1957 gestellt, so daß angenommen werden müsse, daß die Gewährung der Knappschaftsrente nach dem damals geltenden Recht, d.h. also nach § 35 RKG aF beantragt worden sei. Obwohl die Vorschriften des Knappschaftsrechts durch das Knappschaftsversicherungs-Neuregelungsgesetz (KnVNG) rückwirkend vom 1. Januar 1957 an geändert worden seien, sei das Rentenbegehren des Klägers noch nach den Vorschriften des alten Rechts, insbesondere also noch unter Zugrundelegung des Begriffs der Berufsunfähigkeit im Sinne des § 35 RKG aF zu beurteilen.

Der Rentenantrag des Klägers sei begründet. Die versicherungstechnischen Voraussetzungen seien erfüllt. Der Hauptberuf des Klägers sei der des Lehrhauers. Er habe zwar die Ausbildung zum Hauer mit der Ablegung einer entsprechenden Prüfung vorschriftsmäßig abgeschlossen und habe danach - wenn auch nur kurze Zeit - noch als Vollhauer gearbeitet. Er sei aber schon im September 1956, also noch vor Beginn seiner Hauertätigkeit, von Dr. H. für grubenuntauglich erklärt worden, so daß der Versicherungsfall bereits vor Aufnahme der Hauertätigkeit eingetreten sei.

Der Kläger sei wegen der silikotischen Einlagerungen zur Verrichtung von Tätigkeiten unter Tage nicht mehr in der Lage. Silikotische Lungenveränderungen seien ein regelwidriger Körperzustand und daher eine Krankheit im Sinne des § 35 RKG aF. Diese Vorschrift stelle es nur darauf ab, ob ein Versicherter die Fähigkeit zur Verrichtung bestimmter Tätigkeiten "infolge von Krankheit" verloren habe, eine Einbuße an Erwerbsfähigkeit sei nicht notwendig. Hierbei könne es dahingestellt bleiben, ob der Kläger zur Verrichtung der Lehrhauertätigkeit und sonstiger Tätigkeiten unter Tage schon rein physisch nicht mehr fähig sei, entscheidend sei, daß er nach § 7 der Bergverordnung (BVO) für die der bergpolizeilichen Aufsicht unterstehenden Betriebe im Verwaltungsbezirk des Oberbergamts Bonn zum Schutz der Gesundheit gegen Staubschäden vom 19. April 1950 nur entsprechend dem ärztlicherseits bei ihm festgestellten Tauglichkeitsgrad beschäftigt werden dürfe. Der zur Durchführung der erforderlichen Tauglichkeitsuntersuchungen befugte, d.h. hierzu gemäß § 5 der angeführten Verordnung vom Oberbergamt Bonn zugelassene Dr. med. H. habe den Kläger ausweislich des Gesundheitszeugnisses vom September 1956 wegen der bei ihm festgestellten Frühsilikose für alle Untertagetätigkeiten untauglich erklärt. Entscheidend sei also, ob der Kläger noch in der Lage sei, der Lehrhauertätigkeit im wesentlichen

gleichartige und wirtschaftlich gleichwertige Tätigkeiten über Tage zu verrichten.

Es kämen für den Lehrhauer ebenso wie für den Hauer nur die Arbeiten eines 1. Anschlägers oder eines Reservefördermaschinisten in Betracht. Die Tätigkeit des 1. Anschlägers scheide schon aus gesundheitlichen Gründen aus. Zudem habe der Kläger nicht die für diesen Beruf vorgeschriebene Ausbildung erfahren und könne sie auch nicht mehr nachholen. Nach § 74 der BVO für die Seilfahrt des Oberbergamts Bonn vom 14. Juli 1927/23. Dezember 1936 (jetzt § 83 der BVO für Hauptseilfahrtanlagen vom 24. Juni 1957) könne als 1. Anschläger über Tage nur beschäftigt werden, wer mindestens sechs Monate im Schachtförderbetrieb unter Tage gearbeitet habe. Diese Voraussetzung erfülle der Kläger aber nicht, da er nie im Schachtförderbetrieb gearbeitet habe. Er könne diese Voraussetzung auch jetzt nicht mehr erfüllen, weil er nicht mehr unter Tage beschäftigt werden dürfe. Auch die Tätigkeit des Reservefördermaschinisten scheide für den Kläger wegen Fehlens der für diesen Beruf von der Bergbehörde gestellten Bedingungen aus. Zwar sei der Kläger früher als Schlosser tätig gewesen, so daß er insoweit nicht gehindert wäre, als Reservefördermaschinist zu arbeiten, es fehle aber die zwölfmonatige praktische Ausbildung für diesen Beruf. Solange diese Ausbildung aber nicht erfolgt sei, könne der Kläger nicht auf diese Tätigkeit verwiesen werden.

Die Unfähigkeit des Klägers, eine dem Lehrhauerberuf im wesentlichen gleichartige und wirtschaftlich gleichwertige Tätigkeit auf die Dauer zu vorrichten, bestehe seit dem 14. September 1956, da Dr. H. an diesem Tage eine beginnende bis stellenweise leichte Silikose und die Untauglichkeit des Klägers für Untertagearbeiten festgestellt habe. Hieran ändere der Umstand, daß er danach noch vier Monate unter Tage gearbeitet und die Hauerprüfung abgelegt habe, nichts. Er sei somit seit September 1956 berufsunfähig im Sinne von § 35 RKG aF, so daß ihm die Knappschaftsrente alten Rechts zustehe, und zwar vom 1. Januar 1957 an. Der Rentenbeginn ergebe sich aus § 82 RKG nF in Verbindung mit Art. 2 § 18 KnVNG. Danach beginne die Rente bei einem Versicherungsfall, der vor dem Inkrafttreten des KnVNG eingetreten, bei dem der Antrag auf Gewährung von Rente aber erst nach dem Inkrafttreten des KnVNG gestellt worden sei, frühestens mit dem Inkrafttreten des KnVNG. Die Beklagte habe nicht etwa die Bergmannsrente, sondern die Knappschaftsrente alten Rechts zu gewähren. Dies folge aus Art. 2 § 22 KnVNG, wonach für Versicherungsfälle, die vor dem 1. Januar 1957 eingetreten seien und für die noch keine Rente angewiesen sei, für die Berechnung der Rente das vor dem Inkrafttreten des KnVNG geltende Recht anzuwenden sei. Dem Kläger stehe sonach eine Rente in Höhe der Knappschaftsrente alten Rechts zu, weshalb schon aus Gründen der Klarheit angezeigt sei, die zu erbringende Leistung entsprechend zu kennzeichnen. Dem stehe nicht entgegen, daß § 45 Abs. 1 RKG rückwirkend seit dem 1. Januar 1957 in Kraft getreten sei. Die Bergmannsrente könne schon deshalb nicht in Frage kommen, weil der Versicherungsfall der Berufsunfähigkeit alten Rechts bereits eingetreten gewesen sei, bevor der Versicherungsfall der verhinderten bergmännischen Berufsfähigkeit gesetzlich überhaupt vorgesehen gewesen sei.

Das Ergebnis würde auch dann dasselbe sein, wenn als Zeitpunkt des Versicherungsfalles die Aufforderung der BBG an die Arbeitgeberin des Klägers, diesen nach über Tage zu verlegen, oder der Verlegungszeitpunkt selbst zugrunde gelegt werde. Beide Ereignisse fielen in den Monat Januar 1957. Nach Art. 3 § 6 KnVNG sei zwar § 45 Abs. 1 RKG nF mit Wirkung vom 1. Januar 1957 in Kraft getreten. Dies habe aber nicht zur Folge, daß bei Versicherungsfällen, die vor Verkündung des KnVNG eingetreten seien, grundsätzlich die Bergmannsrente bzw. eine Rente in Höhe der Bergmannsrente zu gewähren sei. § 45 Abs. 2 RKG sei nämlich erst am 1. Juni 1957 in Kraft getreten (Art. 3 § 6 Satz 2 KnVNG), so daß es den Begriff der verminderten bergmännischen Berufsfähigkeit erst seit diesem Zeitpunkt gebe. Die Feststellung, ein Versicherter sei vor dem 1. Juni 1957 vermindert bergmännisch berufsfähig gewesen, lasse sich somit begrifflich nicht treffen. Das habe aber zur Folge, daß für die Zeit vor dem 1. Juni 1957 auch keine Bergmannsrente festgesetzt werden könne. Der Kläger könne also vor dem 1. Juni 1957 nur berufsunfähig im Sinne von § 35 RKG aF gewesen sein. Da entgegenstehende Übergangsvorschriften fehlten, sei ihm die mit dem Versicherungsfall der Berufsunfähigkeit alten Rechts korrespondierende Knappschaftsrente alten Rechts zu gewähren. Diese Rente sei nach Art. 2 § 23 KnVNG umzustellen. Die umgestellte Leistung dürfe den nach altem Recht festgestellten Rentenzahlbetrag nicht unterschreiten (Art. 2 § 24 Abs. 5 KnVNG).

Gegen das ihr am 24. Januar 1961 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 8. Januar 1960, eingegangen beim Bundessozialgericht am 9. Januar 1960, - unter Stellung eines Revisionsantrages - Revision eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 28. Januar 1960. begründet.

Das Berufungsgericht habe seine Amtsermittlungspflicht verletzt. Es habe festgestellt, daß der Kläger wegen der silikotischen Einlagerungen nicht mehr in der Lage sei, Hauertätigkeiten zu verrichten. Hierbei habe es ohne Zuziehung eines Sachverständigen entschieden, daß es sich bei der anlagebedingten Empfindlichkeit des Klägers gegen silikogenen Staub und die hierdurch bedingten silikotischen Veränderungen um eine Krankheit handele, obwohl dies ein Richter aus eigener Sachkunde nicht entscheiden könne. Das Berufungsgericht habe hierbei auch die Grenzen des ihm bei der Beweiswürdigung zustehenden Ermessens überschritten.

Die Ansicht des Berufungsgerichts, daß die silikotischen Lungenveränderungen eine Krankheit darstellten und daß es auf die Einbuße an Erwerbsfähigkeit nicht ankomme, sei zudem rechtsirrig. Krankheit im Sinns der Rentenversicherung sei ein regelwidriger körperlicher oder geistiger Zustand, der sich auf die Fähigkeit zur Ausübung des versicherten Berufes auswirke. Dies sei hier aber nicht der Fall.

Die Herausnahme des Klägers aus dem Untertagebetrieb durch die BBG stelle eine Maßnahme zur Verhütung von Berufskrankheiten dar. § 5 der BKVO bestimme, daß der Unfallversicherungsträger den Versicherten zur Unterlassung der gefährlichen Beschäftigung anhalten und ihm zum Ausgleich einer hierdurch verursachten Minderung seines Verdienstes oder sonstiger wirtschaftlicher Nachteile eine Übergangsrente gewähren solle, wenn bei einer Weiterbeschäftigung in dem Unternehmen die Gefahr bestehe, daß eine Berufskrankheit entstehen, wiederentstehen oder sich verschlimmern werde. Hierauf sei auch im vorliegenden Falle die Aufgabe der Beschäftigung des Klägers und der Übergang zu einer Tätigkeit über Tage zurückzuführen, ohne daß der Kläger indessen "krank" im medizinischen Sinne sei. Die Auffassung des Berufungsgerichts, es bestehe nach § 7 der BVO für alle der bergpolizeilichen Aufsicht unterstehenden Betriebe im Verwaltungsbezirk des Oberbergamts Bonn zum Schutze der Gesundheit gegen Staubschäden vom 19. April 1950 ein Verbot, den Kläger unter Tage einzusetzen, unterliege einem Rechtsirrtum. Diese Vorschrift spreche nur von einer Beschäftigung entsprechend den festgestellten Tauglichkeitsgrad. Ein solcher sei bei dem Kläger nicht festgestellt worden, sondern die Ärzte hätten den Kläger, ohne im einzelnen Feststellungen zu treffen, ob er nicht möglicherweise an staubarmen Betriebspunkten unter Tage eingesetzt werden könne, allgemein für grubenuntauglich erklärt. Grundsätzlich könnten jedoch Bergleute mit derartigen Staublungenveränderungen, wie sie bei dem Kläger zu verzeichnen seien, an allen staubarmen Betriebspunkten unter Tage beschäftigt werden. Die Feststellungen der Ärzte, die das Berufungsgericht bedenkenlos und ohne eigene Würdigung übernommen habe, seien somit fehlerhaft.

Eine beginnende bis stellenweise leichte Silikose sei bei einem etwa 35 Jahre alten Bergmann nach allgemeiner Auffassung kein ausreichender Grund für die Herausnahme aus der Untertagearbeit. Es sei nach den Vorschriften des dritten Buches der Reichsversicherungsordnung (RVO) und der BKVO nur erforderlich, solche Bergleute an silikoseungefährlichen Betriebspunkten unter Tage zu beschäftigen. Nach dem derzeitigen Stand der Silikoseverhütungsmaßnahmen gälten als silikoseungefährlich die Betriebspunkte, bei denen auf Grund besonderer Staubmessungen nur eine geringe bis höchstens mittlere Staubbelastung festgestellt werde. Bei dem Kläger lägen allerdings besondere Umstände vor, da er schon in jungen Jahren eine beginnende Silikose aufweise, er also gegenüber silikogenem Staub besonders empfindlich sei. Er hätte also überhaupt nicht unter Tage angelegt werden dürfen. Diese Tatsache, die sich erst jetzt herausgestellt habe, nachdem der Kläger eine gewisse Zeit mit bergmännischer Untertagearbeit befaßt gewesen sei, zwinge dazu, besondere Maßnahmen zu ergreifen, um den Eintritt des Versicherungsfalles zu vermeiden. Hierzu gehöre die Herausnahme des Klägers aus der Untertagearbeit durch die BBG nach § 5 der fünften BKVO. Für den dem Kläger durch diese vorbeugende Maßnahme entstandenen Schaden habe aber die BBG allein und keineswegs die knappschaftliche Rentenversicherung einzutreten. In dieser sei man lediglich gegen das Risiko versichert, daß man infolge tatsächlich vorhandener Krankheiten oder anderer Gebrechen oder Schwäche der körperlichen oder geistigen Kräfte in seiner Erwerbsfähigkeit und, im Falle der Berufsversicherung nach § 35 RKG aF bzw. § 45 RKG, in der Ausübung seines knappschaftlichen Hauptberufes beeinträchtigt sei. Dabei könnten Tatsachen, die, wie hier, erst zu einem späteren Zeitpunkt zur Erwerbsunfähigkeit, Berufsunfähigkeit oder auch nur zur verminderten bergmännischen Berufsfähigkeit führten, nicht berücksichtigt werden. Der Umstand, daß die Arbeitsfähigkeit eines Versicherten nicht von Dauer sein werde, der Versicherungsfall jedoch möglicherweise erst in einem viel späteren Zeitpunkt eintreten werde, stelle keine Krankheit im Sinne der Rentenversicherung dar. Dasselbe ergebe sich auch aus der Überlegung, daß ein Versicherungsfall nur dann einen Rentenanspruch aus der Rentenversicherung auslöse, wenn sich der Gesundheitszustand des Versicherten seit dem Eintritt in die Versicherung wesentlich geändert habe. Die nach kurzer Zeit der Berufsausübung festgestellten geringfügigen, die Fähigkeit des Klägers zur Ausübung seines Berufs nicht beeinträchtigenden silikotischen Einlagerungen in seinen Lungen stellten aber keine solche wesentliche Änderung dar.

Selbst wenn man die Auffassung vertreten wolle, daß die Empfindlichkeit des Klägers gegen silikogenen Staub eine Schwäche des Lungengewebes und damit eine Schwäche dar körperlichen Kräfte sei, sei der Kläger mit dieser anlagebedingten Schwäche in den Bergbau und damit in die knappschaftliche Rentenversicherung eingetreten. Dieser Zustand hindere die Auslösung des Versicherungsfalles der Berufsunfähigkeit nach § 35 RKG aF.

Entgegen der Auffassung des Landessozialgerichts dürfe ein Lehrhauer zudem nicht einem Hauer gleichgestellt werden. Der Lehrhauer befinde sich nämlich noch in der Ausbildung zum Hauer. Wenn eine Verweisung des Klägers nur noch auf Übertagearbeiten für zulässig gehalten werden sollte, dürften mindestens alle qualifizierten Tätigkeiten der Lohngruppe I über Tage im wesentlichen gleichartig sein. Der Kläger wäre somit in der Lage, u.a. die Arbeiten eines Vorarbeiters oder Aufsehers zu verrichten, die auch der Tätigkeit eines Lehrhauers wirtschaftlich gleichwertig sind, da die Lohneinbuße weniger als 10% bzw. 14,5% betrage.

Davon abgesehen, träfe aber, selbst wenn man den Kläger für berufsunfähig halten wollte, jedenfalls die Annahme des Berufungsgerichts, der Kläger sei bereits seit 1956 berufsunfähig im Sinne des § 35 RKG aF und somit sei ein Anspruch auf diese Rente gemäß Art. 2 § 22 KnVNG begründet, keinesfalls zu. Der Versicherungsfall könne frühestens im Januar 1957 eingetreten sein. Der Kläger habe daher jedenfalls keinen Anspruch auf Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit im Sinne des § 3 der Verordnung vom 4. Oktober 1942 (BGBl I 569), da diese Vorschrift am 1. Januar 1957, also bereits vor Eintritt des Versicherungsfalles, außer Kraft und an ihrer Stelle § 45 Abs. 1 Nr. 1 RKG in Kraft getreten sei. Lediglich § 45 Abs. 2 RKG sei nach Art. 3 § 6 KnVNG erst mit Wirkung vom 1. Juni 1957 anzuwenden. Nur die Anspruchsvoraussetzungen für die Knappschaftsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit richteten sich also bis zu diesem Zeitpunkt noch nach § 35 RKG aF. Da die Rente somit von vornherein eine Bergmannsrente im Sinne des § 45 Abs. 1 RKG sei und § 4 der Verordnung vom 4. Oktober 1942 keine Anwendung mehr finden könne, sei für die Berechnung der Rente das vom 1. Januar 1957 an geltende Recht maßgebend.

Sie beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen in Essen vom 16. Juni 1959 sowie das Urteil des Sozialgerichts in Köln, Zweigstelle Aachen, vom 22. Mai 1958 aufzuheben, die Klage abzuweisen und zu entscheiden, daß die Beteiligten sich gegenseitig keine Kosten zu erstatten haben.

Der Kläger beantragt,

die Revision kostenpflichtig zurückzuweisen.

Die Rüge mangelnder Sachaufklärung sei nicht genügend substantiiert, da nicht angegeben sei, inwiefern der Sachverhalt weiter hätte aufgeklärt werden sollen. Gemeint sei wohl, es sei die Anhörung weiterer ärztlicher Sachverständiger erforderlich gewesen. Das wäre aber nur dann notwendig gewesen, wenn das Berufungsgericht sich noch keine überzeugende Meinung hatte bilden können oder wenn im Sachverhalt noch Unklarheiten bestanden hätten. In Wirklichkeit lägen aber sich widersprechende Gutachten medizinischer Sachverständiger nicht vor. Sowohl Dr. H. als auch Dr. W... und Dr. W... hätten die Silikose fast übereinstimmend beurteilt. Zweifel an der Richtigkeit dieser Beurteilung seien im Verfahren vor dem Berufungsgericht nicht vorgetragen worden. Das Berufungsgericht habe auch bedenkenfrei die beginnende bis leichte Silikose bei der Rechtsfindung zugrunde legen dürfen, da hierüber kein Streit bestehe.

Auch die materiellen Rügen, der Beklagten griffen nicht durch. Zutreffend habe das Berufungsgericht darauf hingewiesen, daß nach Rechtsprechung und Rechtslehre eine Minderung der Erwerbsfähigkeit im Sinne der Rentenversicherung gegebenenfalls trotz Vorliegens voller körperlicher und geistiger Kräfte angenommen werden könne. Wenn er wegen dieser Staubeinlagerungen auf Grund von bergbehördlichen Vorschriften seine bisher von ihm verrichtete knappschaftliche Tätigkeit nicht mehr verrichten dürfe, sei er erwerbsbeschränkt.

Das Landessozialgericht habe ebenfalls zutreffend entschieden, daß er keine im wesentlichen gleichartigen und wirtschaftlich gleichwertigen Tätigkeiten über Tage sehr verrichten könne. Sein Hauptberuf sei der des Hauers. Allerdings komme es hierauf nicht entscheidend an, da die Tätigkeit eines Lehrhauers nicht anders zu beurteilen sei als die eines Hauers. Als verweisbare Tätigkeiten über Tage kämen für beide Hauptberufe nur die des 1. Anschlägers und des Reservefördermaschinisten in Frage. Auf diese Tätigkeiten könne er aber nicht verwiesen werden, weil er die hierfür erforderlichen Voraussetzungen nicht erfülle und nicht mehr erfüllen könne, wie das Berufungsgericht zu Recht festgestellt habe.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Da das Landessozialgericht sie zugelassen hat, ist sie auch statthaft. Bedenken gegen ihre Zulässigkeit bestehen somit nicht. Es konnte ihr auch zum Teil der Erfolg nicht versagt bleiben.

Die Rüge mangelnder Sachaufklärung greift nicht durch. Das Berufungsgericht brauchte entgegen der Ansicht der Beklagten kein ärztliches Gutachten über die Frage, ob eine beginnende bis leichte Silikose, die keine Beschränkung der Arbeitsfähigkeit bedingt, eine Krankheit im Sinne des § 35 RKG aF ist, einzuholen, da insoweit medizinische Fragen keiner Klärung bedürfen; denn es ist unzweifelhaft, daß es sich bei diesem Zustand um einen regelwidrigen Körperzustand handelt. Zweifelhaft könnte nur sein, ob es sich hierbei um eine Krankheit im Sinne des § 35 SKG aF handelt. Dies aber ist eine rein rechtliche Frage, bei deren Beantwortung ärztliche Gutachter dem Gericht keine Unterstützung angedeihen lassen könnten.

Es war weiter zu prüfen, ob das Revisionsgericht dem Kläger zu Recht Knappschaftsrente alten Rechts (§ 35 RKG aF) vom 1. Januar 1957 an zugesprochen hat.

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kann der Versicherungsfall erst am 30. Januar 1957 eingetreten sein. Da bei dem Kläger keine Ausfallserscheinungen an Herz und Kreislauf festgestellt sind und somit seine Arbeitsfähigkeit nicht eingeschränkt ist, könnte Berufsunfähigkeit nach § 35 RKG aF nur vorliegen, weil der Kläger auf Grund bergbehördlicher Vorschriften nicht mehr unter Tage beschäftigt werden darf und er dadurch in seiner Erwerbsfähigkeit eingeschränkt ist (vgl. BSG 3, 171). Diese Einschränkung der Erwerbsfähigkeit ist aber erst am 30. Januar 1957 eingetreten, da sich das Verbot der Untertagetätigkeit erst in diesem Zeitpunkt ausgewirkt hat. Es ist also entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht richtig, anzunehmen, daß der Versicherungsfall bereits im Zeitpunkt der Silikoseentstehung oder der Feststellung durch den vom Oberbergamt beauftragten Arzt eingetreten sei. Das Erstere ist unzutreffend, weil die Erwerbsfähigkeit des Versicherten nicht schon durch die Krankheit allein, sondern erst durch das wegen dieser Krankheit ergangene bergbehördliche Verbot von Untertagetätigkeit eingeschränkt worden ist. Das Letzte wäre nur dann zutreffend, wenn - wie allerdings in der Regel - in diesem Zeitpunkt auch die Untertagetätigkeit eingestellt worden wäre. Gibt der Versicherte aber erst später die Untertagetätigkeit auf, so wirkt sich erst zu diesem Zeitpunkt das bergbehördliche Verbot der Untertagetätigkeit auf seine Erwerbsfähigkeit aus. Man kann nicht davon sprechen, daß ein Versicherter an der Verrichtung von Untertagetätigkeiten gehindert gewesen sei, solange er sie tatsächlich noch ausgeübt hat. Da der Versicherungsfall danach also erst nach dem 31. Dezember 1956 eingetreten sein kann, ist neues Recht anzuwenden. Hierbei ist es - was das Berufungsgericht verkennt - gleichgültig, daß das KnVNG erst später verkündet worden ist; maßgebend allein ist, daß es, wenn auch erst rückwirkend, vom 1. Januar an anzuwenden ist und damit alle Versicherungsfälle ergreift, die nach dem 31. Dezember 1956 eingetreten sind. Nach Art. 3 § 6 KnVNG ist Abs. 2 des § 45 RKG allerdings erst am 1. Juni 1957 in Kraft getreten. Auf den vorliegenden Fall ist also § 45 Abs. 1 Nr. 1 RKG in Verbindung mit § 35 BKG aF anzuwenden. Der Kläger erhält somit eine Bergmannsrente nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 RKG, falls er seit dem 30. Januar 1957 berufsunfähig nach § 35 RKG aF ist. Es fällt zwar auf, daß es in § 45 Abs. 1 Nr. 1 RKG "verminderte bergmännische Berufsfähigkeit" heißt, daß es aber für Versicherungsfälle, die in der Zeit vom 1. Januar bis zum 31. Mai 1957 eintreten, noch auf die Berufsunfähigkeit nach § 35 RKG aF ankommt. Nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes ist dies aber Rechtens. Die entgegenstehende Ansicht des Berufungsgerichts ist somit rechtsirrig.

Es war zu prüfen, ob die hiernach maßgebenden Anspruchsvoraussetzungen vorliegen.

Da die Wartezeit nach § 49 Abs. 1 RKG von (mindestens) 60 Beitragsmonaten zweifelsohne erfüllt ist, war allein fraglich und streitig, ob der Kläger berufsunfähig nach § 35 RKG aF ist. Es kann hierbei dahingestellt bleiben, ob der Kläger im Hauptberuf Hauer oder Lehrhauer ist, da dies im vorliegenden Fall auf die Entscheidung keinen Einfluß hat.

Die beginnende bis leichte Silikose ist, wie das Berufungsgericht zu Recht angenommen hat, eine Krankheit im Sinne des § 35 RKG aF; sie ist, wie nicht zweifelhaft sein kann, ein regelwidriger Körperzustand. Anders als in der Krankenversicherung (KrV) kommt es hier ebensowenig wie bei den entsprechenden Vorschriften der übrigen Rentenversicherungszweige darauf an, ob Behandlungsbedürftigkeit oder Arbeitsunfähigkeit besteht. Allerdings kann eine Krankheit im Rahmen dieser Vorschrift nur bedeutsam sein, wenn durch sie die Erwerbsfähigkeit des Versicherten eingeschränkt ist. Dies aber ist hier der Fall. Zwar sind bei dem Kläger keine Ausfallserscheinungen an Herz und Kreislauf festgestellt, so daß seine Arbeitsfähigkeit nicht eingeschränkt ist. Dagegen ist seine Erwerbsfähigkeit gemindert, da er keine Tätigkeiten unter Tage mehr verrichten kann, weil ihm dies wegen seiner Krankheit durch bergbehördliche Vorschrift untersagt ist (vgl. BSG 33, 171). Richtig ist, daß diese Anordnung aus vorbeugenden Gründen getroffen worden ist. Die Beklagte irrt jedoch, wenn sie daraus herleiten will, daß aus diesem Grunde nur die BBG und nicht sie versicherungsrechtlich einzutreten habe. Inwieweit die BBG Leistungen zu erbringen hat, bedarf hier keiner Untersuchung, jedenfalls hat daneben auch der zuständige Rentenversicherungsträger Leistungen zu erbringen, wenn deren Voraussetzungen im einzelnen gegeben sind, wenn also die Krankheit in Verbindung mit dem bergbehördlichen Verbot weiterer Untertagetätigkeit hier die Erwerbsfähigkeit des Versicherter so stark einschränkt, daß dieser berufsunfähig ist. Die Beklagte verkennt weiter, daß es in der Rentenversicherung allein auf den derzeitigen Gesundheitszustand des Versicherten ankommt, und zwar auch dann, wenn dieser darauf zurückzuführen ist, daß der Versicherte von Hause aus für eine solche Krankheit anfällig war und eigentlich überhaupt nicht im Untertagebergbau hätte beschäftigt werden sollen.

Der vom Oberbergamt in Bonn für Untersuchungen dieser Art generell beauftragte Dr. H. hat festgestellt, daß der Kläger nicht mehr unter Tage eingesetzt werden darf. Ob diese ärztliche Entscheidung richtig oder falsch ist, kann dahingestellt bleiben, weil hier eine solche ärztliche Feststellung nach § 7 BVO des Oberbergamts Bonn vom 19. April 1950 eine Tätigkeit des Klägers unter Tage zwingend ausschließt. Wenn die Beklagte meint, die ärztliche Beurteilung sei unrichtig, da der Kläger nach seinem Gesundheitszustand durchaus noch in nicht steinstaubgefährdeten Betriebspunkten unter Tage beschäftigt werden könne, ohne daß eine Verschlimmerung seines Leidens zu befürchten sei, so mag sie gegen dieses Verbot bei der Bergbehörde vorstellig werden, falls sie sich davon Erfolg verspricht; solange diese Einstufung aber nicht geändert ist, besteht das Verbot der Untertagetätigkeit für den Kläger, und sowohl die Beklagte wie die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit haben es zu berücksichtigen. Zu prüfen war nur noch, ob diese Einschränkung der Erwerbsfähigkeit des Klägers so erheblich ist, daß er berufsunfähig im Sinne des § 35 RKG aF ist. Dies hängt davon ab, ob nicht noch Tätigkeiten über Tage verbleiben, auf die der Kläger noch verwiesen werden kann. Durch Urteil vom 28. März 1957 (BSG 5, 84) hat der Senat entschieden, daß nach der Lohnordnung für der Steinkohlenbergbau der Ruhr vom 1. April 1955 (Untertage) - die für den Aachener Steinkohlenbergbau lautet entsprechend - nur die Tätigkeiten der Lohngruppe I der Hauertätigkeit im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig sind und von diesen Tätigkeiten die des Reservefördemaschinisten, des 1. Anschlägers und des Brückenaufsehers der Hauertätigkeit irr wesentlichen gleichartig sind, hierbei allerdings auf die des Brückenaufsehers wegen ihrer Seltenheit nicht verwiesen werden kann. Für den Lehrhauer hat dasselbe zu gelten. Eine Verweisung auf die Lohngruppe II über Tage ist auch bei dem Lehrhauer nicht möglich, weil die Lohndifferenz nach der hier maßgeblichen Lohnordnung vom 15. Februar 1956 zu erheblich ist. Auch hinsichtlich der Frage der Gleichartigkeit gilt für den Lehrhauer dasselbe wie für den Hauer, da er im wesentlichen dieselbe Tätigkeit verrichtet wie der Hauer. Insoweit kann dem Berufungsgericht gefolgt werden. Nicht zweifelsfrei ist jedoch die vom Berufungsgericht vertretene Ansicht, daß im vorliegenden Fall auch die Tätigkeit des Reservefördermaschinisten als Verweisungstätigkeit nicht in Betracht kommen könne, weil ein Reservefördermaschinist nach bergbehördlichen Vorschriften Voraussetzungen erfüllen müsse, die der Kläger nicht mehr erfüllen könne. Das Berufungsgericht verkennt, daß § 80 der Bergverordnung des Oberbergamts in Bonn für Hauptseilfahrtanlagen in den der Bergaufsicht unterstehenden Betrieben vom 24. Juni 1957 nur die Fördermaschinisten - und Reservefördermaschinisten - an Hauptseilfahrtanlagen (vgl. dazu § 1 aaO) betrifft, nicht aber diejenigen, welche an Schächten beschäftigt sind, in denen keine Seilfahrt stattfindet und diejenigen, welche an Schächten beschäftigt sind, an denen zwar Seilfahrt stattfindet, die aber nach § 1 Abs. 3 aaO nicht unter diese Verordnung fallen. Es kommt also noch darauf an, ob und in welcher Zahl Arbeitsplätze für Reservefördermaschinisten dieser Art vorhanden sind, welche Voraussetzungen an diese Tätigkeit geknüpft werden und wie diese eingestuft sind. Da es an diesen Feststellungen mangelt, mußte das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden. Mangels dieser Feststellungen konnte der erkennende Senat keine eigene Entscheidung in der Sache treffen.

Bei Gelegenheit der erforderlichen erneuten Entscheidung sollte das Berufungsgericht auch seine Ansicht, daß der Kläger nicht als 1. Anschläger über Tage eingesetzt werden kann, einer erneuten Prüfung unterziehen, da zumindest zweifelhaft ist, ob die von dem Berufungsgericht angenommenen Gefahren für einen an Silikose erkrankten Versicherten tatsächlich an allen Schächten bestehen und ob für alle 1. Anschläger über Tage eine vorausgegangene halbjährige Tätigkeit im Schachtförderbetrieb unter Tage bergbehördlich gefordert wird (vgl. § 83 aaO).

 

Fundstellen

BSGE, 207

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