Verfahrensgang

SG Marburg (Urteil vom 04.11.1982)

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 16.11.1984; Aktenzeichen 1 BvR 142/84)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 4. November 1982 wird zurückgewiesen

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Der Rechtsstreit betrifft die durch das Kostendämpfungs-Ergänzungsgesetz (KVEG) vom 22. Dezember 1981 (BGBl I 1578) eingeführte Begrenzung des Mutterschaftsgeldes für Mütter, die nicht der gesetzlichen Krankenversicherung angehören.

Die Klägerin ist seit November 1977 als Diplom-Psychologin beschäftigt. Ihr Gehalt übersteigt die in der gesetzlichen Krankenversicherung für Angestellte geltende Versicherungspflichtgrenze. Sie ist bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen versichert. Ende Januar 1982 stellte sie beim Bundesversicherungsamt (BVA) Antrag auf Mutterschaftsgeld. Als voraussichtlicher Entbindungstag wurde der 14. März 1982 ärztlich bescheinigt. Das BVA bewilligte daraufhin Mutterschaftsgeld nur als einmalige Leistung in Höhe von 400,– DM, weil das zum 1. Januar 1982 in Kraft getretene KVEG das Mutterschaftsgeld nach § 13 Abs. 2 des Mutterschutzgesetzes (MuSchG) für die Zeit der Schutzfristen auf diesen Betrag begrenzt habe und die Neuregelung auf alle Fälle anzuwenden sei, in denen die Schutzfrist nach dem 31. Dezember 1981 beginne.

Der Widerspruch der Klägerin und ihre Klage hatten keinen Erfolg. Das Sozialgericht (SG) hat zur Begründung seines Urteils ausgeführt: § 13 Abs. 2 MuSchG idF des KVEG sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Art. 6 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) enthalte nur einen allgemeinen Auftrag an den Gesetzgeber, ein konkretes Leistungsrecht könne daraus nicht abgeleitet werden. Auch Art. 3 Abs. 1 GG sei nicht verletzt, denn für die der gesetzlichen Krankenversicherung angehörenden Frauen werde zu Lasten des Bundes derselbe Betrag geleistet. Diese Frauen erhielten zwar während der Schutzfristen gemäß §§ 200, 200a der Reichsversicherungsordnung (RVO) in Form des laufenden Mutterschaftsgeldes eine höhere Leistung, es handele sich aber insoweit um eine Leistung aus der gesetzlichen Krankenversicherung. Auf eigentumsähnliche Rechte könne sich die Klägerin ebenfalls nicht berufen. Dem Gesetzgeber müsse es überlassen sein, bisherige Sozialleistungen, zumal solche, die neben den auf Beiträgen beruhenden Leistungen der gesetzlichen Sozialversicherung gewährt werden, zu ändern.

Mit der zugelassenen Sprungrevision rügt die Klägerin, wie schon in der ersten Instanz, die Verletzung verfassungsrechtlicher Normen. Der durch das KVEG dem § 13 Abs. 2 Satz 1 MuSchG angefügte Halbsatz, der das nach jener Vorschrift zu gewährende Mutterschaftsgeld auf 400,– DM begrenze, verstoße gegen Art. 6 Abs. 4 GG. Diese Verfassungsnorm enthalte einen bindenden Auftrag an den Gesetzgeber. In Erfüllung dieses Auftrages hätten alle früheren Fassungen des MuSchG einen vollen Entgeltschutz der Mutter während der Schutzfristen gewährleistet. Ein Abweichen vom vollen Entgeltschutz sei nicht mehr möglich gewesen. Zudem habe keine Notwendigkeit bestanden, die Staatsfinanzen auf Kosten des grundrechtlich geschützten Mutterschaftsgeldanspruchs der nichtversicherten Frauen zu sanieren, denn die Aufwendungen hierfür fielen nicht ins Gewicht. Art. 6 Abs. 4 GG gewähre zudem einen unmittelbaren Anspruch gegen den Staat auf Fürsorge, ein soziales Teilhaberecht. Die Regelung dieses Anspruchs müsse der jeweiligen sozialen Situation der Mutter Rechnung tragen. Es verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG, daß das KVEG das Mutterschaftsgeld für nichtversicherte Frauen einheitlich auf 400,– DM begrenzt, also durch einen Pauschalbetrag ersetzt habe. Sinn des Mutterschaftsgeldes sei es, die Mutter in der sozialen und arbeitsmarktpolitischen Lage, in der sie durch die Geburt benachteiligt werde, zu unterstützen; die Unterstützung müsse deshalb dem Lebensstandard angepaßt sein. Eine Ungleichbehandlung sei auch darin zu sehen, daß nur den nichtversicherten Müttern eine Kürzung zugemutet werde. Die Neuregelung verletze ferner den Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit, denn sie treffe die nichtversicherten Mütter unverhältnismäßig hart. Auch werde der Grundsatz des Vertrauensschutzes mißachtet. Im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Neuregelung am 1. Januar 1982 sei sie (die Klägerin) bereits im 7. Monat schwanger gewesen. Sie habe keine Möglichkeit gehabt, dem vom Gesetzgeber verordneten Entzug (zB durch Wechsel in die gesetzliche Krankenversicherung) zu entgehen. Schließlich habe das Mutterschaftsgeld für nichtversicherte Frauen nicht durch das KVEG neu geregelt werden dürfen, weil es sich bei diesem Gesetz um ein krankenversicherungsrechtliches Gesetz handele, der Mutterschutz für nichtversicherte Frauen aber keine Angelegenheit der Krankenversicherung sei.

Die Klägerin beantragt,

das Verfahren auszusetzen und nach § 100 GG

die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen;

ferner stellt sie den Antrag, das Urteil des SG Marburg vom 4. November 1982 und den Bescheid des BVA vom 23. Februar 1982 idF des Widerspruchsbescheides vom 22. März 1982 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, Mutterschaftsgeld in Höhe von 25,– DM täglich für die Zeit vom 1. Februar 1982 bis zum 4. Mai 1982 abzüglich der bereits gewährten 400,– DM zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Sprungrevision der Klägerin ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Die Klage ist zwar zulässig, insbesondere ist der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit gegeben. Das hier umstrittene Mutterschaftsgeld für Mütter, die nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind, hat der Senat den Angelegenheiten der Sozialversicherung iS des § 51 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zugerechnet (BSGE 33, 127). Der Umstand, daß die zahlende Stelle nicht mehr die Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK), sondern das BVA ist, zwingt nicht dazu, die Frage des Rechtsweges heute anders zu beurteilen. Als entscheidendes Kriterium bleibt die Sachnähe des umstrittenen Anspruchs zu Leistungen der Sozialversicherung. Mutterschaftsgeld ist eine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung (§ 21 Abs. 1 Nr. 4 des Sozialgesetzbuches –Allgemeiner Teil– SGB I). Absatz 2 des des § 13 MuSchG räumt den in Absatz 1 erwähnten Anspruch auf Mutterschaftsgeld für versicherte Frauen – wenn auch in eingeschränktem Umfange und zu Lasten des Bundes – unter bestimmten Voraussetzungen auch den nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherten Frauen ein, wenn sie wie versicherungspflichtig Beschäftigte in einem abhängigen Arbeitsverhältnis stehen. Die sich daraus ergebende Sachnähe wird durch die angeordnete entsprechende Anwendung der Vorschriften der RVO unterstrichen.

Das Klagebegehren ist jedoch nicht gerechtfertigt. Der Klägerin steht für die streitbefangene Zeit nur das von der Beklagten als einmalige Leistung gewährte Mutterschaftsgeld in Höhe von 400,– DM zu.

Nach § 13 Abs. 2 Satz 1 MuSchG idF des KVEG erhalten Frauen, die wie die Klägerin nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind, aber bei Beginn der Schutzfrist nach § 3 Abs. 2 MuSchG in einem Arbeitsverhältnis stehen oder in Heimarbeit beschäftigt sind oder ihr Arbeitsverhältnis während ihrer Schwangerschaft vom Arbeitgeber zulässig aufgelöst worden ist, für die Zeit der Schutzfristen des § 3 Abs. 2 und des § 6 Abs. 1 MuSchG Mutterschaftsgeld zu Lasten des Bundes in entsprechender Anwendung der Vorschriften der RVO über das Mutterschaftsgeld, höchstens jedoch insgesamt 400,– DM. Die Begrenzung dieses Mutterschaftsgeldes auf 400,– DM ist durch das am 1. Januar 1982 in Kraft getretene KVEG eingeführt worden (Art. 4 und Art. 7 KVEG). Sie gilt für den vorliegenden Fall, denn der Beginn der sechswöchigen Schutzfrist des § 3 Abs. 2 MuSchG lag unstreitig nach dem 1. Januar 1982 (BSGE 32, 270). Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die den § 13 Abs. 2 Satz 1 MuSchG abändernde Regelung des KVEG nicht verfassungwidrig; sie ist es auch insoweit nicht, als sie für Fälle der vorliegenden Art. keine Übergangsbestimmung enthält. Eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) nach Art. 100 GG ist daher nicht veranlaßt.

Die Klägerin rügt in erster Linie einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 4 GG. Wie das BVerfG bereits wiederholt ausgesprochen hat, enthält die genannte Verfassungsnorm den bindenden Auftrag an den Gesetzgeber, jeder Mutter Schutz und Fürsorge der Gemeinschaft angedeihen zu lassen (BVerfGE 60, 68, 74 mwN). Wenn dieses Schutzgebot auch das Ziel und die Tendenz hat, den Gesetzgeber zu verpflichten, wirtschaftliche Belastungen der Mütter, die im Zusammenhang mit ihrer Schwangerschaft und Mutterschaft stehen, auszugleichen, so bedeutet das nicht, daß der Gesetzgeber gehalten wäre, jede mit der Mutterschaft zusammenhängende Belastung auszugleichen (BVerfG aaO). Ferner hat das BVerfG auch in Bezug auf Art. 6 Abs. 4 GG darauf hingewiesen, daß der Gesetzgeber bei der Verwirklichung positiver Schutz- und Fürsorgepflichten nicht zu stark in seiner Gestaltungsfreiheit eingeengt werden darf und daß er insbesondere im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit bestimmen kann, auf welche Weise er den ihm aufgetragenen Schutz der Ehe verwirklichen will (BVerfGE 37, 121, 127). Hinsichtlich des Mutterschutzes hat das BVerfG entschieden, daß die finanziellen Lasten von Verfassungs wegen nicht ausschließlich vom Staat getragen zu werden brauchen und die vorgenommene Aufteilung der Kosten zwischen Bund, Krankenkassen und Arbeitgeber verfassungsrechtlich grundsätzlich nicht zu beanstanden ist (BVerfGE 37, 121, 126 ff). Unter Zugrundelegung dieser verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung ergibt sich im vorliegenden Fall, daß die hier maßgeblichen Regelungen das Schutzgebot des Art. 6 Abs. 4 GG nicht verletzen. Arbeitnehmerinnen, die in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind, erhalten von der Krankenkasse nach näherer Regelung des § 200 Abs. 2 RVO für die Zeit der Schutzfristen das um die gesetzlichen Abzüge verminderte Arbeitsentgelt, mindestens 3,50 DM, höchstens 25,– DM für den Kalendertag. An dieser Leistung beteiligt sich der Bund gemäß § 200d Abs. 1 RVO für jeden Leistungsfall mit einem Pauschbetrag von 400,– DM. Außerdem ist nach § 14 Abs. 1 MuSchG der jeweilige Arbeitgeber verpflichtet, einen Zuschuß in Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen 25,– DM und dem um die gesetzlichen Abzüge verminderten durchschnittlichen kalendertäglichen Arbeitsentgelt zu zahlen. Damit ist der durch die Schwangerschaft bedingte Einkommensverlust voll ausgeglichen. Die nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherten Arbeitnehmerinnen erhalten vom Bund und Arbeitgeber jeweils die gleichen Leistungen wie die versicherten Arbeitnehmerinnen. Lediglich der Anspruch aus der gesetzlichen Krankenversicherung besteht nicht. Da das MuSchG die durch die Schwangerschaft bedingten wirtschaftlichen Lasten in zulässiger Weise auf Bund, Krankenkassen und Arbeitgeber verteilt, ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, daß die Arbeitnehmerinnen, die nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind, den Anteil der Krankenversicherung am Ausgleich des Einkommensverlustes nicht erhalten. Dies ist vielmehr systemgerecht. Es wäre systemwidrig, wenn der Staat die Lasten der Mutterschaftsgeldgewährung an die Versicherten zum Teil der Versichertengemeinschaft aufbürdete und die gleichen Leistungen an die – zB wie im Fall der Klägerin wegen Überschreitens der Jahresarbeitsverdienstgrenze – nichtversicherten Arbeitnehmerinnen (Angestellten) in vollem Umfange aus dem allgemeinen Steueraufkommen erbrächte.

§ 13 Abs. 2 Satz 1 MuSchG idF des KVEG verstößt auch nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG ist diese Verfassungsnorm nur dann verletzt, wenn der Gesetzgeber es versäumt, tatsächliche Gleichheiten oder Ungleichheiten der zu ordnenden Lebensverhältnisse zu berücksichtigen, die so bedeutsam sind, daß sie bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise beachtet werden müssen. Es steht dem Gesetzgeber also auch hier eine weitgehende Gestaltungsfreiheit zu, vor allem ist er innerhalb jener Grenzen frei, die Merkmale zu wählen, an denen er Gleichheit und Ungleichheit der gesetzlichen Regelung orientiert (BVerfGE 60, 113, 119 mwN). Bei der Regelung der Ansprüche auf Mutterschaftsgeld hat der Gesetzgeber auf die Arbeitnehmereigenschaft und die Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung abgestellt. Er hat diese Regelungsmerkmale entsprechend seiner verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Regelungsabsicht, die in einem Arbeitsverhältnis stehende Frau während der Schutzfristen wirtschaftlich abzusichern und die dadurch entstehenden Kasten auf Bund, Krankenkassen und Arbeitgeber zu verteilen, sachgerecht gewählt. Es entspricht daher den zu ordnenden Lebensverhältnissen, wenn die versicherten Arbeitnehmerinnen aus ihrer gesetzlichen Krankenversicherung eine zusätzliche Leistung und damit insgesamt eine höhere Leistung erhalten als diejenigen Arbeitnehmerinnen, die nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind. Eine verfassungsrechtlich zu beanstandende Ungleichbehandlung kann auch nicht darin gesehen werden, daß der Gesetzgeber die dem Bund nach § 13 Abs. 2 MuSchG obliegende Leistung einheitlich auf 400,– DM begrenzt und darüber hinaus bei dieser Leistung die unterschiedlichen Einkommensverhältnisse der Anspruchsberechtigten unberücksichtigt läßt. Der Gesetzgeber hat den individuellen Einkommensausgleich für die Zeit der Schutzfristen im wesentlichen den Krankenversicherungsträgern und Arbeitgebern übertragen (§ 200 Abs. 2 RVO, § 14 Abs. 1 MuSchG; Ausnahme: § 14 Abs. 2 MuSchG). So ist auch der Einkommensausgleich (Mutterschaftsgeld und Arbeitgeberzuschuß) für die Arbeitnehmerinnen, die nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind, je nach dem vorher erzielten Arbeitsentgelt unterschiedlich hoch. Ein voller Einkommensausgleich wird nur deshalb nicht erreicht, weil diesen Arbeitnehmerinnen kein Anspruch aus der gesetzlichen Krankenversicherung zusteht.

Die verfassungsrechtlichen Bedenken der Klägerin, die sich gegen die durch das KVEG eingetretene Verschlechterung ihrer Rechtsposition richten, greifen ebenfalls nicht durch. Soweit das KVEG § 13 Abs. 2 MuSchG geändert hat, wird nicht eine durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Rechtsposition beeinträchtigt. Beim Mutterschaftsgeld handelt es sich um eine Leistung, die der Staat in Erfüllung seiner Fürsorgepflicht gewährt; der Anspruch auf diese Leistung wird deshalb nicht vom verfassungsrechtlichen Eigentumsschutz erfaßt (BVerfGE 53, 257, 290 ff). Die Neuregelung als solche verletzt auch nicht den verfassungsrechtlichen Vertrauensschutz. Das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) verlangt, schutzwürdiges Vertrauen in ein gesetzlich geregeltes Dauerrechtsverhältnis nicht zu enttäuschen (BVerfGE 31, 94, 99). Das MuSchG trifft nur Regelungen für begrenzte Zeiten, nämlich für solche Zeiten, in denen die Arbeitnehmerin im Zusammenhang mit einer Schwangerschaft und Entbindung auf Schutz und Fürsorge der Gemeinschaft besonders angewiesen ist. Ein schutzwürdiges Vertrauen auf die Fortgeltung der gesetzlichen Regelung kann sich daher lediglich auf diese Zeiten beziehen. Die zu beantwortende Frage beschränkt sich dementsprechend darauf, ob durch das KVEG auch der Mutterschaftsgeldanspruch derjenigen Frauen beschränkt werden durfte, die bei Inkrafttreten des Gesetzes bereits schwanger waren und nicht mehr der geänderten Rechtslage Rechnung tragen konnten (zB durch Anpassung eventueller Versicherungsverhältnisse). Generell schließt das Rechtsstaatsprinzip eine Neuregelung des Mutterschutzes nicht aus.

Die durch das KVEG geänderte Fassung des § 13 Abs. 2 MuSchG findet, da eine Übergangsregelung fehlt, auf alle ab 1. Januar 1982 eingetretenen Leistungsfälle Anwendung, also auch auf die Leistungsfälle, bei denen zu diesem Zeitpunkt die Schwangerschaft schon bestanden hatte. Insoweit wirkte daß KVEG auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft ein. Diese sogenannte unechte Rückwirkung ist zwar grundsätzlich zulässig, der Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes kann aber je nach Lage der Verhältnisse im einzelnen Fall der Regelungsbefugnis Schranken setzen (BVerfGE 30, 392, 402; 39, 128, 144; 50, 386, 394 f; 55, 185, 203 f). Die verfassungsrechtlichen Grenzen von Gesetzen, die dem Vertrauen des Einzelnen auf den Fortbestand einer bestimmten gesetzlichen Regelung zuwiderlaufen, sind unter Abwägung des Einzelinteresses mit der Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens für das Allgemeinwohl zu bestimmen (BVerfGE 55, 185, 204 mwN). Nur wenn die an den Kriterien der Verhältnismäßigkeit und der Zumutbarkeit im Einzelfall vorzunehmende Prüfung ergibt, daß das Vertrauen auf die Fortgeltung der bestehenden Lage den Vorrang verdient, ist die Regelung unzulässig (BVerfGE 50, 386, 395; 59, 128, 166). Im vorliegenden Fall kann die Vereinbarkeit mit dem rechtsstaatlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes nur insoweit zweifelhaft erscheinen, als bezüglich der bei Inkrafttreten des KVEG bereits eingetretenen Sohwangerschaftsfälle keine Übergangsregelung getroffen worden ist.

Es kann hier dahingestellt bleiben, ob eine solche Übergangsregelung möglich oder wünschenswert gewesen wäre. Eine Abwägung der Interessen der Klägerin und der in gleicher Lage befindlichen Arbeitnehmerinnen einerseits mit den Belangen des Allgemeinwohls andererseits ergibt nicht, daß eine Übergangsregelung von Verfassungs wegen geboten war. Auch wenn die betroffenen Arbeitnehmerinnen bei rechtzeitiger Kenntnis von der am 1. Januar 1982 in Kraft getretenen Neufassung des § 13 Abs. 2 MuSchG den durch die Beschränkung des Mutterschaftsgeldes bedingten Einkommensverlust auf andere Weise hätten ausgleichen können – die Klägerin verweist in diesem Zusammenhang beispielweise darauf, daß sie durch einen Wechsel in die gesetzliche Krankenversicherung der Kürzung des Mutterschaftsgeldes hätte entgehen können –, so ist doch der Vertrauensschaden relativ gering. Er beschränkt sich auf das den versicherten Arbeitnehmerinnen für die Zeit der Schutzfristen des § 3 Abs. 2 MuSchG – 6 Wochen vor der Entbindung – und des § 6 Abs. 1 MuSchG – 8 bzw 12 Wochen nach der Entbindung – von der gesetzlichen Krankenkasse zu zahlende kalendertägliche Mutterschaftsgeld von höchstens 25,– DM abzüglich des den nichtversicherten Müttern zustehenden pauschalen Höchstbetrages von insgesamt 400,– DM. Wenn die Klägerin einen Vertrauensschaden darin sieht, daß sie während der Schwangerschaft nicht mehr der gesetzlichen Krankenversicherung habe beitreten können, so muß sie ferner den Mehraufwand für die Krankenversicherungsbeiträge in Abzug bringen. Bei ihrem Einkommen hätte sie in der gesetzlichen Krankenversicherung die Höchstbeiträge entrichten müssen. Ein eventueller Vertrauensschaden verliert weiter an Bedeutung, wenn man den auch den nichtversicherten Frauen zustehenden Arbeitgeberzuschuß nach § 14 Abs. 1 MuSchG berücksichtigt, der gerade bei einer Arbeitnehmerin wie der Klägerin, die wegen eines die Jahresarbeitsverdienstgrenze überschreitenden Einkommens nicht der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung unterliegt, einen großen Teil des durch die Schwangerschaft bedingten Entgeltausfalls ausgleicht. Schließlich hat das KVEG das Mutterschaftsgeld für den an die Schutzfrist des § 6 Abs. 1 MuSchG unter Umständen anschließenden Mutterschaftsurlaub nicht herabgesetzt. Die Neuregelung beschränkt sich also nur auf die Zeit der beiden Schutzfristen. Das BVerfG hat bei unechter Rückwirkung eines Gesetzes die Notwendigkeit einer Übergangsregelung dann in Betracht gezogen, wenn die Neuregelung die bisherige Rechtsposition im ganzen entwertet hat (BVerfGE 21, 173, 183; 32, 1, 22; 39, 128, 143 f; 43, 242, 288; 55, 185, 203 f). Ferner hat es den Grundsätzen des Vertrauensschutzes besondere Beachtung geschenkt, wenn der von der Neuregelung Betroffene aufgrund der bisherigen Regelung Dispositionen mit langfristigen Auswirkungen getroffen hat (BVerfGE 51, 356, 363). Mit diesen Fallkonstellationen sind die Verhältnisse des vorliegenden Falles nicht vergleichbar. Die Einzelinteressen, wie sie die Klägerin für sich in Anspruch nehmen kann, zwingen deshalb nicht dazu, von Verfassungs wegen eine Übergangsregelung zu fordern. Hinzu kommt, daß die Belange des allgemeinen Wohls, die für die Neuregelung maßgebend waren, eine ausnahmslose Anwendung des neuen Rechts auf alle neuen Leistungsfälle gerechtfertigt erscheinen lassen. Mit der Änderung des § 13 Abs. 2 MuSchG durch das KVEG verwirklichte der Gesetzgeber das Anliegen, eine Ungleichbehandlung der versicherten und der nichtversicherten Frau bei den Mutterschaftsgeldleistungen des Bundes zu beseitigen. Vor dem KVEG trug der Bund von dem Mutterschaftsgeld, das der versicherten Frau für die Zeit der Schutzfristen gewährt wurde, einen Betrag von insgesamt 400,– DM; dagegen zahlte er an die nichtversicherte Frau ein Mutterschaftsgeld bis zu 25,– DM täglich. Der Gesetzgeber hielt es nicht für gerechtfertigt, daß den Frauen, die nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind, höhere Bundesleistungen als den versicherten Frauen gewährt werden (BT-Drucks 9/845, S 16 f, zu Art. 4). Da der Gesetzgeber einen dem Gleichbehandlungsgrundsatz entsprechenden Rechtszustand herstellen wollte, hatte er ein berechtigtes Interesse daran, dafür zu sorgen, daß das neue Recht alsbald einheitlich angewendet wird (BVerfGE 53, 336, 350). Bei dieser Sachlage kann auch eine Verletzung des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nicht gesehen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI924021

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