Entscheidungsstichwort (Thema)

Unterhaltsgeldanspruch und Kindergeld Ermessensausübung bei rückwirkender Aufhebung des Verwaltungsakts mit Dauerwirkung

 

Leitsatz (amtlich)

Der das Kindergeld bewilligende Verwaltungsakt kann mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, sofern darin keine unbillige Härte liegt.

 

Orientierungssatz

1. Nach § 2 Abs 2 S 3 Nr 1 BKGG kommt es nicht auf den Zeitpunkt der Auszahlung, sondern darauf an, von welchem Zeitpunkt an dem Kind das Unterhaltsgeld zustand, der Anspruch also bestand.

2. Für die Anwendung des § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB 10 ist es unerheblich wer das Einkommen oder Vermögen erzielt.

3. § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB 10 macht die rückwirkende Aufhebung des Bewilligungsbescheides nicht zur Pflicht, sondern stellt sie ins Ermessen des Leistungsträgers, das in Ausnahmefällen die Aufhebung des Bewilligungsbescheides nur für die Zukunft rechtfertigen kann.

 

Normenkette

BKGG § 2 Abs 2 S 3 Nr 1, § 9 Abs 1; SGB 10 § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 Fassung: 1980-08-18, § 45 Abs 4 Fassung: 1980-08-18

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 13.07.1982; Aktenzeichen L 13 Ar 19/82)

SG Düsseldorf (Entscheidung vom 09.02.1982; Aktenzeichen S 23 Ar 95/81)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte den das Kindergeld bewilligenden Bescheid wegen wesentlicher Änderung der Verhältnisse mit Wirkung für die Zeit vom 1. November bis zum 31. Dezember 1980 aufheben und die gezahlten Beträge zurückfordern durfte.

Der Kläger bezog außer für zwei eheliche Kinder auch für seinen im Haushalt der Mutter lebenden nichtehelichen Sohn D. das Kindergeld über dessen Vollendung des 18. Lebensjahres hinaus, weil dieser noch studierte. Nachdem die Beklagte auf Anfrage im Dezember 1980 von dem Kläger erfahren hatte, daß sein nichtehelicher Sohn das Studium aufgegeben hatte und seit dem 15. Oktober 1980 zum Chemielaboranten mit einem im Dezember 1980 rückwirkend bewilligten wöchentlichen Unterhaltsgeld von 246,-- DM umgeschult wurde, hob sie nach Anhörung des Klägers mit Bescheid vom 26. Februar 1981 die Bewilligung des Kindergeldes für D. mit Wirkung vom 1. November 1980 auf und forderte die für November und Dezember 1980 gezahlten Beträge in Höhe von insgesamt 400,-- DM zurück. Der Widerspruch, mit dem sich der Kläger gegen den Rückforderungsanspruch der Beklagten wendete, hatte keinen Erfolg.

Das Sozialgericht (SG) hat - dem Antrag des Klägers entsprechend - mit Urteil vom 9. Februar 1982 die Bescheide der Beklagten aufgehoben. Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 13. Juli 1982 das erstinstanzliche Urteil geändert und die Klage abgewiesen. Die Beklagte habe den das Kindergeld bewilligenden Bescheid mit Wirkung vom 1. November 1980 aufheben und die für November und Dezember 1980 gezahlten Beträge zurückfordern dürfen. Nach § 2 Abs 2 Satz 3 Nr 1 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) sei der nichteheliche Sohn des Klägers wegen Bezuges des die gesetzliche Grenze übersteigenden Unterhaltsgeldes nicht mehr als Kind zu berücksichtigen. Da die Voraussetzungen des § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB X) vorgelegen hätten, sei die Beklagte berechtigt gewesen, den Bewilligungsbescheid mit Wirkung vom 1. November 1980 aufzuheben. Dabei sei es ohne rechtliche Bedeutung, daß der Kläger der nach § 60 Abs 1 Nr 2 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (SBG I) bestehenden Mitteilungspflicht weder vorsätzlich noch grob fahrlässig nicht rechtzeitig nachgekommen sei. Zwar habe der Sohn des Klägers das Unterhaltsgeld erst im Dezember 1980 erhalten. Die Änderung der Verhältnisse sei jedoch schon im Oktober 1980 eingetreten, weil das Unterhaltsgeld rückwirkend für die Zeit vom 15. Oktober 1980 an gezahlt worden sei. Besondere Umstände, die es nahelegten, noch in eine besondere Ermessensprüfung einzutreten, seien nicht erkennbar. Insbesondere könne es nicht darauf ankommen, ob der betreffende Empfänger der Sozialleistung gut- oder bösgläubig gewesen sei.

Der Kläger hat dieses Urteil mit der vom LSG zugelassenen Revision angefochten. Er ist der Ansicht, das nicht dem Einkommensteuerrecht unterliegende Unterhaltsgeld könne nicht als Einkommen iS des § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X angesehen werden. Im übrigen sei es erst im Dezember 1980 an seinen nichtehelichen Sohn ausgezahlt worden, der es ebenso wie das an ihn weitergegebene Kindergeld verbraucht habe. Die Rückforderung verstoße gegen Treu und Glauben.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts aufzuheben.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für richtig und die Revision des Klägers für unbegründet.

 

Entscheidungsgründe

Die begründete Revision des Klägers führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückweisung der Berufung gegen das der Klage stattgebende Urteil des SG. Der angefochtene Bescheid, der nur Gegenstand des Rechtsstreits ist, soweit er die Aufhebung des Bewilligungsbescheides für die Zeit vom 1. November bis zum 31. Dezember 1980 und die Rückforderung betrifft, ist insoweit rechtswidrig und vom SG auf den vorliegenden Fall anzuwenden ist, soll ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung bei Änderung der Verhältnisse in den dort genannten Fällen mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden. Nach den Tatsachenfeststellungen des LSG ist davon auszugehen, daß die Tatbestandsmerkmale der Nrn 1, 2 und 4 nicht vorliegen, dagegen aber die der Nr 3. Das dem nichtehelichen Sohn des Klägers gewährte Unterhaltsgeld führte nach § 9 Abs 1 iVm § 2 Abs 2 Satz 3 Nr 1 BKGG zum Wegfall des Anspruchs auf Kindergeld. Zwar ist das Unterhaltsgeld erst im Dezember 1980 ausgezahlt worden, jedoch für die Zeit vom 15. Oktober 1980 an. Nach § 2 Abs 2 Satz 3 Nr 1 BKGG kommt es nicht auf den Zeitpunkt der Auszahlung, sondern darauf an, von welchem Zeitpunkt an dem Kind das Unterhaltsgeld zustand, der Anspruch also bestand. Die Änderung der Verhältnisse iS des § 48 Abs 1 Satz 2 SGB X war also bereits am 15. Oktober 1980 eingetreten, so daß unter den Voraussetzungen der Nr 3 die Bewilligung des Kindergeldes mit Wirkung vom 1. November 1980 aufgehoben werden durfte. Es kann dahingestellt bleiben, ob das Unterhaltsgeld Einkommen iS des § 16 Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (SGB IV) ist, denn jedenfalls fällt es unter § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X. Wie das gleichwertige Nebeneinander von Einkommen und Vermögen in dieser Vorschrift zeigt, fallen darunter auch die nicht zu den Einkünften iS des Einkommensteuerrechts gehörenden geldwerten Bezüge, die zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben. Das ist aber beim Unterhaltsgeld der Fall. Zwar ist nicht der Kläger, sondern sein Sohn derjenige, der das Unterhaltsgeld "erzielt" hat. Das ist jedoch für die Anwendung des § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X unerheblich, denn diese Vorschrift stellt es lediglich darauf ab, daß das Erzielen von Einkommen oder Vermögen zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde. Wer dieses Einkommen erzielt hat, ist dabei ohne Bedeutung. Das ergibt sich insbesondere daraus, daß diese Vorschrift - im Gegensatz zu den Nrn 1, 2 und 4 - den Betroffenen nicht nennt, sondern bewußt nicht darauf abstellt, wer das Einkommen oder das Vermögen erzielt hat, wenn es nur zum Wegfall des Anspruchs geführt hat. Zwar wird in den meisten Fällen der Anspruch nur dann wegfallen oder gemindert werden, wenn auch der Leistungsempfänger Einkommen oder Vermögen erzielt hat. Der Gesetzgeber hat die rückwirkende Aufhebung des Verwaltungsakts mit Dauerwirkung aber nicht auf diese Fälle beschränkt, weil nach Möglichkeit jeder Bezug von einander ausschließenden Leistungen vermieden werden soll, auch wenn nicht beide Leistungen einer Person zugeflossen sind.

Liegen danach die Voraussetzungen des § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X vor, so war die Beklagte grundsätzlich berechtigt, den Bewilligungsbescheid mit Wirkung vom 1. November 1980 aufzuheben, ohne dazu jedoch verpflichtet zu sein. Die Verweisung in § 48 Abs 4 SGB X auf § 45 Abs 4 SGB X bedeutet nicht, daß der Verwaltungsakt nur in den Fällen des § 45 Abs 2 Satz 3 und Abs 3 Satz 2 SGB X mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden darf. Wie die Entstehungsgeschichte zeigt, handelt es sich bei der Verweisung in § 48 Abs 4 SGB X auf den gesamten Abs 4 des § 45 SGB X um ein Redaktionsversehen. Der Gesetzgeber hat lediglich auf Satz 2, nicht aber auf Satz 1 des § 45 Abs 4 SGB X verweisen wollen. Die in § 45 Abs 4 Satz 1 SGB X in Bezug genommenen Voraussetzungen des § 45 Abs 2 Satz 3 und Abs 3 Satz 2 SGB X hat der Gesetzgeber nicht in die Regelung des § 48 SGB X übernehmen, sondern in seinem Abs 1 Satz 2 eine abschließende und selbständige Regelung darüber treffen wollen, welche Umstände die Aufhebung des Verwaltungsakts mit Wirkung für die Vergangenheit rechtfertigen können. Lediglich die in § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X genannte Frist für die rückwirkende Aufhebung soll auch für die Fälle des § 48 Abs 1 Satz 2 SGB X gelten.

War die Beklagte danach berechtigt, den Bewilligungsbescheid mit Wirkung vom 1. November 1980 aufzuheben, so war sie dazu jedoch nicht verpflichtet, denn § 48 Abs 1 macht in Satz 1 die Aufhebung des Verwaltungsakts mit Dauerwirkung der Behörde nur für die Zukunft zur Pflicht. Satz 2 schreibt demgegenüber die Aufhebung für die Vergangenheit nicht zwingend vor, sondern räumt durch das Wort "soll" der Behörde die Möglichkeit ein, unter bestimmten Umständen von der Aufhebung des Verwaltungsakts für die Vergangenheit abzusehen. Die Vorschrift enthält allerdings nicht eine bloße Ermächtigung mit einem weiten Ermessensspielraum. Vielmehr soll die Verwaltung im Regelfall den Verwaltungsakt auch mit Wirkung für die Vergangenheit aufheben. Lediglich in besonderen Ausnahmefällen, die insbesondere mit Rücksicht auf die sich aus § 50 Abs 1 SGB X ergebende Erstattungspflicht als unbillige Härten empfunden werden müssen, darf sie von der rückwirkenden Aufhebung des Verwaltungsakts absehen. Immerhin hat sie in jedem Fall zu prüfen und zu entscheiden, ob ein solcher Ausnahmefall vorliegt, der zur Ausübung des Ermessens zugunsten des Leistungsempfängers berechtigt. Von diesem Ermessen hat sie bisher keinen Gebrauch gemacht. Im Gegensatz zu der Ansicht des LSG können im vorliegenden Fall durchaus besondere Umstände vorliegen, die die Annahme einer unbilligen Härte und die positive Ausübung des Ermessens zugunsten des Klägers rechtfertigen könnten. Solche Umstände könnten insbesondere darin bestehen, wenn der Kläger - wie er vorträgt - das Kindergeld gutgläubig an seinen nichtehelichen Sohn weitergegeben hat und dafür keinen wirtschaftlichen Ausgleich erhalten kann. Zwar kommt es nach § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X nicht darauf an, ob der Leistungsempfänger auch das zum Wegfall des Anspruchs führende Einkommen erzielt hat, ob er beim Leistungsempfang gutgläubig gewesen und inzwischen entreichert ist. Allerdings können all diese Umstände bei der Ermessensausübung der Verwaltung eine Rolle spielen. Im Normalfall wird auch dann, wenn das für das Kindergeld zu berücksichtigende Kind das Einkommen erzielt, Kindergeld und Einkommen in den Familienhaushalt fließen, so daß zwar nicht unbedingt der Leistungsempfänger, wohl aber die Familie zwei einander ausschließende Leistungen erhalten hat. Das trifft im Falle des Klägers jedoch nicht zu, weil das Unterhaltsgeld seines bei der Mutter lebenden nichtehelichen Sohnes dem Kläger weder direkt noch über den Familienhaushalt zugute gekommen ist. Hat er aber auch das Kindergeld in gutem Glauben an seinen nichtehelichen Sohn weitergegeben, ohne dafür einen wirtschaftlichen Ausgleich erhalten zu können, so könnte darin ein von § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X abweichender Ausnahmefall liegen, der wegen der ihm innewohnenden unbilligen Härte, die der Beklagten nahelegen könnte, von einer Aufhebung des Bewilligungsbescheides für die Zeit vor dem 1. Januar 1981 abzusehen.

Da die Beklagte das ihr durch die Sollvorschrift eingeräumte - wenn auch eng begrenzte - Ermessen noch nicht ausgeübt hat, war der Verwaltungsakt in dem angefochtenen Umfang rechtswidrig und daher aufzuheben. Das SG hat zwar im Urteilstenor - dem Klageantrag entsprechend - die Bescheide der Beklagten vom 26. Februar 1981 und 4. Juni 1981 ohne Einschränkung aufgehoben. Wie die Urteilsgründe aber erkennen lassen, sollten diese Bescheide nur in dem Umfang aufgehoben werden, in dem sie angefochten waren und vom SG für rechtswidrig erachtet wurden. Die Urteilsgründe lassen deutlich erkennen, daß das nur für die Monate November und Dezember 1980 galt. Der erkennende Senat hat jedoch - um Mißverständnisse zu vermeiden - diese Wirkung im Urteilstenor klargestellt.

Die Beklagte wird nunmehr das ihr eingeräumte Ermessen auszuüben haben. Sollte sie zu dem Ergebnis kommen, daß es bei der Aufhebung des Bewilligungsbescheides für die Zeit vom 1. Januar 1981 an bewenden soll, so bedarf es nicht unbedingt des Erlasses eines Verwaltungsakts, weil es dann insoweit bei der Aufhebung ihrer Bescheide bleibt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Breith. 1983, 927

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