Beteiligte

Klägerin und Revisionsklägerin

Beklagter und Revisionsbeklagter

 

Tatbestand

I

Die Klägerin, geboren am 13. Oktober 1921, war seit 1. November 1966 an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst S… tätig, anfänglich als Lehrbeauftragte und ab 1. Oktober 1973 als vollbeschäftigte, nichtbeamtete künstlerische Lehrkraft (Professorin) mit dem Lehrfach Unterricht in Klavier. Vom Jahre 1943 an war die Klägerin als freie Konzertpianistin aufgetreten, späterhin auch als Klavier-Duo gemeinsam mit ihrem Ehemann. Am 30. Oktober 1973 erlitt die Klägerin einen Arbeitsunfall, bei dem sie sich einen Bruch des Kleinfingers links zuzog; ihre Lehrtätigkeit nahm die Klägerin am Tage nach dem Unfall wieder auf. Nach dem vom Beklagten eingeholten Rentengutachten vom 8. September 1978 wurde als Unfallfolge eine durch Beugen des linken Kleinfingers im Grund- und Mittelgelenk deutlich werdende Abweichung des Kleinfingers zur Ellenseite hin um 15 Grad festgestellt, die die Klägerin in ihrer beruflichen Tätigkeit als Professorin behindere und sie zur Aufgabe ihrer Tätigkeit als Konzertpianistin gezwungen habe; die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) wurde ab 1. April 1974 auf Dauer mit 10 v.H. angenommen.

Nachdem die Klägerin im Dezember 1977 die Unfallanzeige erstattet hatte, lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 19. Oktober 1978 die Gewährung einer Verletztenrente ab, für die Zeit ab 1. April 1974 mit der Begründung, eine MdE in rentenberechtigendem Grade liege von diesem Zeitpunkt an nicht mehr vor.

Mit der Klage hat die Klägerin insbesondere geltend gemacht, sie sei durch die Unfallfolgen in ihrem beruflichen Fortkommen beeinträchtigt, ohne den Unfall hätte sie sich für eine Professur der Gruppe H 4 beworben und diese mit Sicherheit auch erhalten. Das Sozialgericht (SG) Stuttgart hat mit Urteil vom 19. Oktober 1979 den Bescheid des Beklagten vom 19. Oktober 1978 aufgehoben und den Beklagten verurteilt, für die Zeit vom 30. Oktober 1973 bis zum 31. März 1974 Rente nach einer MdE um 100 v.H. und ab 1. April 1974 nach einer MdE um 20 v.H. zu gewähren.

Auf die Berufung des Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels das Urteil des SG geändert und die Entscheidung des SG hinsichtlich des Zeitraumes vom 31. Oktober 1973 bis 31. März 1974 bestätigt sowie im übrigen die Klage abgewiesen (Urteil vom 12. November 1981). Das LSG hat ausgeführt: Für die Zeit ab 1. April 1974 erreiche die MdE nicht mehr den rentenberechtigenden Grad von 20%; insoweit schließe sich der Senat der im Verwaltungsgutachten vorgenommenen Bewertung an. Umstände, die eine Höherbewertung der MdE gemäß § 581 Abs. 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) rechtfertigten, lägen nicht vor. Dabei werde unterstellt, daß die Klägerin unfallbedingt nicht mehr als Konzertpianistin wirken könne, es ihr unmöglich sei, bei einem hochschulöffentlichen Konzert aufzutreten und sie bei ihrer Tätigkeit als Hochschullehrerin beeinträchtigt werde, soweit sie beim Klavierspielen durch Vorspielen Griffe demonstrieren müsse, bei denen es auf den genauen Anschlag mit dem Kleinfinger links ankomme. Nach der vom Bundessozialgericht (BSG) vertretenen Auffassung seien die Voraussetzungen des § 581 Abs. 2 RVO nur erfüllt, wenn die Nichtberücksichtigung von Beruf und Ausbildung bei der Bewertung der MdE zu einer unbilligen Härte führen würde. Das sei bei der Klägerin nicht der Fall. Ausschlaggebend sei, daß die Klägerin ihren zum Unfallzeitpunkt ausgeübten Hauptberuf durch die Unfallfolgen nicht verloren habe. Ab Ende 1966 habe die Lehrtätigkeit ständig zugenommen, während die freiberufliche Tätigkeit der Klägerin zurückgegangen und zum Unfallzeitpunkt zur Nebentätigkeit geworden sei. Die Klägerin habe in den ersten 10 Monaten des Jahres 1973 freiberuflich nur noch zweimal bei Rundfunkaufnahmen mitgewirkt; im Jahre 1972 habe sie nur zwei Konzerte gegeben und vier Rundfunkaufnahmen gemacht. Entsprechend dieser Entwicklung hätten die nach Abzug der Werbungskosten verbliebenen Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit gegenüber den Einkünften aus unselbständiger Tätigkeit nach Abzug der Werbungskosten rechnerisch und für das Bestreiten des Lebensunterhalts unabhängig von der Erkrankung der Klägerin immer mehr an Bedeutung verloren. Werde neben diesen Umständen berücksichtigt, daß die freiberufliche Tätigkeit der Klägerin ab 1. Oktober 1973 auch ohne den Unfall weiter zurückgegangen wäre, zumindest aber nicht zugenommen hätte, dann stelle es keine unbillige Härte dar, wenn der Verlust der Fähigkeit, als Konzertpianistin aufzutreten, nicht durch eine Erhöhung der unfallbedingten MdE ausgeglichen werde. Der Vortrag der Klägerin, sie sei in ihrer Lehrtätigkeit aufs schwerste beeinträchtigt, erfordere ebensowenig eine andere Beurteilung wie die behauptete Minderung des Ansehens als Hochschullehrerin. Auch der Verlust beruflicher Aufstiegschancen führe schließlich allenfalls dann zu einer höheren MdE, wenn sich der berufliche Aufstieg aufgrund der bereits erworbenen beruflichen Kenntnisse zwangsläufig ergeben hätte. Die Klägerin hätte aber, nachdem sie erst mit 52 Jahren Hochschulprofessorin geworden sei, eine Professur nach der Besoldungsgruppe H 4 (jetzt C 4) nicht über eine Regelbeförderung erlangen können, sondern hätte sich dafür im Rahmen eines Berufungsverfahrens qualifizieren müssen. Das LSG hat die Revision zugelassen.

Die Klägerin hat dieses Rechtsmittel eingelegt. Sie rügt die fehlerhafte Anwendung des § 581 Abs. 2 RVO und macht Verfahrensverstöße geltend. Die Voraussetzungen des § 581 Abs. 2 RVO seien - so trägt sie zur Begründung vor - schon deshalb erfüllt, weil sie infolge des Unfalls ihre seit 30 Jahren währende Tätigkeit als über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannte Konzertpianistin abrupt habe beenden müssen; mit ihrem Ehemann zusammen habe sie auch ein ebenfalls international bekanntes Klavier-Duo gebildet. Die gesamte Konzerttätigkeit lasse sich nicht mehr im einzelnen feststellen, bei den Angaben für 1972 und 1973 handele es sich nicht um eine vollständige Aufstellung. Sie sei jedenfalls bis zum Unfall regelmäßig, teilweise krankheitsbedingt etwas eingeschränkt, konzertierend tätig gewesen. Bei der Betrachtung der Einkünfte müsse berücksichtigt werden, daß die Honorare seinerzeit wesentlich niedriger gewesen seien und z.B. bei Auslandsreisen wegen der hohen Aufwendungen zu keinem Gewinn geführt hätten. Wenn aber § 581 Abs. 2 RVO eine konkrete Berechnung des Minderverdienstes nicht zulasse, sei es andererseits unzulässig, letztlich bei der Beurteilung der unbilligen Härte rein finanzielle Gesichtspunkte zugrunde zu legen. So habe die Konzerttätigkeit entgegen den vom LSG geäußerten Zweifeln den Schwerpunkt ihres Lebens gebildet; das LSG habe die Fülle der Unterlagen so gut wie überhaupt nicht gewürdigt. Es habe überdies ohne weitere Ermittlungen unterstellt, daß die freiberufliche Tätigkeit ab 1. Oktober 1973 auch ohne den Unfall wegen der vollen Beschäftigung als Hochschullehrerin weiter zurückgegangen wäre oder zumindest nicht zugenommen hätte. Diese Unterstellung sei unzutreffend. Sie sei außerdem durch den Unfall auch im Bereich der Tätigkeit als Hochschullehrerin betroffen, weil sie ihren Schülern nicht mehr durch eigenes Vorspiel die Griffe demonstrieren könne und ihr Ansehen dadurch, daß sie keine Konzerte mehr geben könne, erheblich geschädigt sei. Den vorgelegten Bescheinigungen sei zudem zu entnehmen, daß sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine H 4 - Professur bekommen hätte. Wenn das LSG diesbezüglich Bedenken gehabt haben sollte, sei ein weiterer Hinweis und eine weitere Sachverhaltsaufklärung notwendig gewesen. Zu der vom BSG mit Urteil vom 18. Dezember 1974 entschiedenen Streitsache - 2 RU 155/74 - bestünden erhebliche Unterschiede. Entscheidend sei, daß es sich bei der Musikakademie H… nicht um eine Staatliche Hochschule wie bei der S… Hochschule handele und der Kläger des damaligen Verfahrens nicht konzertierender Pianist gewesen sei, sondern Organist und Klavierspieler, der gelegentlich bei anspruchslosen Konzerten gespielt hat und auch nach dem Unfall noch Konzerte habe geben können, wenn auch in geringerem Umfang.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 12. November 1981 aufzuheben, soweit die Klage abgewiesen worden ist, und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG Stuttgart vom 19. Oktober 1979 zurückzuweisen.

Der Beklagte beantragt , die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Seiner Auffassung nach genüge es, wenn ein Verletzter nach einem Arbeitsunfall eine von zwei etwa gleichwertigen Tätigkeiten weiter ausüben könne; für eine Anwendung des § 581 Abs. 2 RVO sei dann kein Raum.

II

Die Revision der Klägerin ist nicht begründet.

Das LSG hat zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf Gewährung von Verletztenrente für die Zeit ab 1. April 1974 verneint.

Nach den von der Revision insoweit nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des LSG liegt bei der Klägerin nach der im Rahmen des § 581 Abs. 1 RVO vorzunehmenden Schätzung von diesem Zeitpunkt an eine MdE im rentenberechtigenden Grade nicht mehr vor. Entgegen der von der Revision vertretenen Auffassung läßt sich ein Rentenanspruch auch nicht unter Heranziehung der in § 581 Abs. 2 RVO getroffenen Regelung begründen.

Nach § 581 Abs. 1 RVO ist Verletztenrente entsprechend dem Ausmaß der MdE zu gewähren. § 581 Abs. 2 RVO verdeutlicht diese Vorschrift dahin gehend, daß bei der Bemessung der MdE gemäß § 581 Abs. 1 RVO Nachteile zu berücksichtigen sind, die der Verletzte dadurch erleidet, daß er bestimmte, von ihm erworbene besondere berufliche Kenntnisse und Erfahrungen infolge des Unfalls nicht mehr oder nur noch in vermindertem Umfang nutzen kann, soweit sie nicht durch sonstige Fähigkeiten ausgeglichen werden, deren Nutzung ihm zugemutet werden kann. Diese unfallversicherungsrechtliche Regelung läßt eine allgemeine Berücksichtigung der besonderen beruflichen Betroffenheit - etwa entsprechend den Grundsätzen des § 30 Abs. 2 Bundesversorgungsgesetz (BVG) - nicht zu; eine derartige Auslegung widerspräche den Voraussetzungen und der gegenüber dem Versorgungsrecht anders gearteten Systematik des Unfallversicherungsrechts. Im Rahmen des § 581 Abs. 2 RVO eine Höherbewertung der MdE rechtfertigende Nachteile liegen vielmehr im allgemeinen nur dann vor, wenn die Nichtberücksichtigung von Ausbildung und Beruf bei der Bewertung der MdE im Einzelfall zu einer unbilligen Härte führte (ständige Rechtsprechung des erkennenden Senats seit BSGE 23, 253, 255; vgl. z.B. SozR Nr. 9 und Nr. 10 zu § 581 RVO; BSGE 31, 185, 188/189; 39, 31, 32, der sich der 5. Senat des BSG - SozR Nr. 12 zu § 581 RVO - und der 8. Senat, z.B. Urteil vom 22. August 1974 - 8 RU 66/73 = BG 1975, 521 angeschlossen haben).

Daß erst - wie im Falle der Klägerin - unter Heranziehung des § 581 Abs. 2 RVO ein Anspruch auf Verletztenrente begründet werden kann, stellt keine derartige unbillige Härte dar (BSG SozR Nr. 9 zu § 581 RVO sowie Urteil vom 31. Oktober 1972 - 2 RU 169/70 - nicht veröffentlicht; ebenso schon BSGE 4, 147, 150; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 9. Aufl., S. 569 a). Andererseits dürfen die Voraussetzungen des § 581 Abs. 2 RVO entgegen der vom Beklagten vertretenen Auffassung nicht schon deshalb verneint werden, weil der Verletzte nach dem Arbeitsunfall eine von etwa zwei gleichwertigen Tätigkeiten weiter ausüben kann. Denn § 581 Abs. 2 RVO verlangt nach der angeführten Rechtsprechung des BSG eine Einzelfallprüfung, bei der entscheidend darauf abzustellen ist, ob sich die Unfallfolgen spezifisch auf die Fähigkeit des Verletzten zum Erwerb auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens auswirken (BSG SozR a.a.O.). Dann soll in Fällen, in denen ein Unfallverletzter aufgrund seiner besonderen beruflichen Situation gravierend benachteiligt ist, die Rentenleistung ermöglicht werden (Gitter, Grundlagen der Sozialversicherung, Festschrift für Kurt Brackmann, 1977, S. 103, 115).

Als Ergebnis des anzustellenden Vergleichs der Erwerbsmöglichkeiten der Klägerin vor und nach dem Unfall lassen sich - wie auch das LSG zutreffend angenommen hat - keine als "unbillige Härte" zu wertenden Nachteile feststellen. Dabei ist davon auszugehen, daß § 581 Abs. 2 RVO zwar sicherstellen soll, daß bei der Feststellung des Grades der MdE neben der Art der MdE auch die besonderen Verhältnisse des Verletzten gewürdigt werden; das gilt aber nur, soweit diese Verhältnisse auch für das Erwerbsleben Bedeutung haben können (Begründung zum Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz BT-Drucks. IV/120 zu § 581 S. 58).

Nach dem vom LSG zugunsten der Klägerin unterstellten Sachverhalt hatte die Bewegungseinschränkung des Kleinfingers links sowohl auf ihre Tätigkeit als Hochschullehrerin, als auch insbesondere auf die weitere Tätigkeit als Konzertpianistin, zu deren Aufgabe sie sich gezwungen sah, erhebliche Auswirkungen. Diese Auswirkungen haben aber die im Rahmen des § 581 Abs. 2 RVO allein entscheidungserhebliche Fähigkeit der Klägerin, ihre Kenntnisse im Klavierspielen auf dem Gesamtgebiet des Arbeitslebens in Erwerb umzusetzen, insgesamt nicht so eingeschränkt, daß eine Bewertung der unfallbedingten MdE mit weniger als 20 v.H. eine unbillige Härte wäre. Die Klägerin hat nämlich wegen der Unfallfolgen ihre Tätigkeit als künstlerische Lehrkraft an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst S… nicht aufgeben müssen. Wenn sie bei dieser Tätigkeit konkret dadurch betroffen ist, daß sie ihren Schülern schwierige Griffe nicht mehr selbst demonstrieren kann und dadurch ihr Ansehen als Hochschullehrerin geschmälert ist, so handelt es sich dabei um Beeinträchtigungen, die zwar für die Klägerin schmerzlich sein mögen und auch innerhalb dieses Tätigkeitsbereichs berufliche Nachteile darstellen. Der Grundsatz der abstrakten Schadensberechnung, der durch § 581 Abs. 2 RVO in keiner Weise eingeschränkt ist (vgl. z.B. BSGE 23, 253, 254 sowie BSG, Urteil vom 4. Mai 1971 - 2 RU 128/69 - Breithaupt 1971, 910; Brackmann a.a.O. S. 568 m; Gitter a.a.O. S. 111), stellt aber grundsätzlich nicht auf die konkrete Beeinträchtigung des Verletzten in seinem Beruf, sondern auf den Unterschied der auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens bestehenden Erwerbsmöglichkeiten vor und nach dem Unfall ab (BSGE 21, 63, 67; 39, 31, 33).

Der Vergleich der für die Klägerin vor und nach dem Unfall bestehenden Erwerbsmöglichkeiten ergibt auch nicht eine aufgrund des § 581 Abs. 2 RVO auszugleichende unbillige Härte, wenn die Klägerin ohne die Folgen des Arbeitsunfalls eine Professur der Besoldungsgruppe H 4 erlangt hätte. Denn unfallversicherungsrechtlich wesentlich ist nur ein gegenwärtiges Betroffensein des Verletzten, erst künftig eintretende Schäden haben grundsätzlich unberücksichtigt zu bleiben (Brackmann a.a.O. S. 568 h m.w.N.). Anders als beim Schadensersatz nach bürgerlichem Recht ist deshalb versicherungsrechtlich grundsätzlich unerheblich, welchen Beruf der Versicherte nach seinen Lebensverhältnissen, Kenntnissen und Fähigkeiten ohne die Beeinträchtigung durch die Unfallfolgen hätte erreichen können (BSGE 31, 185, 187). Berufliche Aufstiegsmöglichkeiten haben damit auch im Rahmen des § 581 Abs. 2 RVO grundsätzlich außer Betracht zu bleiben (BSGE a.a.O. S. 188); sie können nur ausnahmsweise berücksichtigt werden, wenn der berufliche Aufstieg sich gleichsam zwangsläufig ergeben hätte (BSGE a.a.O. S. 189). Nach den vom LSG getroffenen, insoweit von der Revision nicht angegriffenen Tatsachenfeststellungen hätte sich die Klägerin zusammen mit anderen Bewerbern einem Berufungsverfahren unterziehen müssen, um eine Professur der Besoldungsgruppe H 4 zu erhalten. Die von der Klägerin angestrebte Professur stellt sich damit, ungeachtet dessen, wie sicher nach der Lebenserfahrung das Erreichen dieses Berufsziels gewesen sein mag, doch nur als Aufstiegschance dar und nicht als - bereits vor dem Unfall vorhandener - gesicherter zwangsläufiger beruflicher Aufstieg; einer weiteren Sachverhaltsaufklärung bedurfte dieser für die Beurteilung nach § 581 Abs. 2 RVO nicht erhebliche Gesichtspunkt entgegen der von der Revision vertretenen Auffassung daher nicht.

Auch der Umstand, daß die Klägerin, wie das LSG ebenfalls zu ihren Gunsten unterstellt hat, ihre zusätzlich vor dem Unfall ausgeübte Tätigkeit als Konzertpianistin aufgeben mußte, vermag die Voraussetzungen des § 581 Abs. 2 RVO nicht zu begründen. Zwar ist auch diese Tätigkeit Ausfluß der Fähigkeit der Klägerin, ihre Kenntnisse im Klavierspielen in Erwerb umzusetzen, und damit in den Vergleich der Erwerbsmöglichkeiten vor und nach dem Unfall mit einzubeziehen. Die Anwendung der Härteregelung des § 581 Abs. 2 RVO ist jedoch insoweit selbst in Fällen abgelehnt worden, in denen infolge des Unfalls ein Lehr- oder Anlernberuf nicht mehr ausgeübt werden konnte, weil eine Verwertung der vor dem Unfall bestehenden Kenntnisse infolge der Verletzung gänzlich ausgeschlossen war (ständige Rechtsprechung seit BSGE 23, 253 ff; vgl. insbesondere BSG, Urteil vom 4. Mai 1971 -2 RU 128/69 - Breithaupt 1971, 910). Im Unterschied dazu waren auch insoweit die vor dem Unfall bestehenden Erwerbsmöglichkeiten der Klägerin nach dem Unfall nicht wesentlich eingeschränkt. Denn die Klägerin war - jedenfalls hat sie das im gesamten Verfahren nicht behauptet - aufgrund der Unfallfolgen nicht außerstande gesetzt, Klavier zu spielen und damit ihre beruflichen Kenntnisse weiterhin auch außerhalb ihrer Lehrtätigkeit zu nutzen. Daß sie gehindert ist, wie vor dem Unfall als Konzertpianistin aufzutreten, mag zwar eine erhebliche Beeinträchtigung ihrer künstlerischen Tätigkeit darstellen, bildet jedoch jedenfalls nach den vom LSG gewürdigten besonderen Umständen des vorliegenden Falles keine unbillige Härte, die gemäß § 581 Abs. 2 RVO zu einer Bewertung der unfallbedingten MdE der Klägerin mit 20 v.H. führen könnte. Aufgrund der abstrakten Schadensberechnung rechtfertigt auch im Rahmen des § 581 Abs. 2 RVO der Verlust der Fähigkeit der Klägerin, wie früher als Konzertpianistin der Spitzenklasse tätig zu sein, als solcher nicht die Bewertung der MdE um 20 v.H.; dies könnte nur dann der Fall sein, wenn sich die Unfallverletzung spezifisch auf die Fähigkeit zum Erwerb auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (BSG SozR Nr. 9 zu § 581 RVO) so auswirken würde, daß die Bewertung der unfallbedingten MdE mit weniger als 20 v.H. eine unbillige Härte bedeuten würde. Den nicht wirksam mit Verfahrensrügen angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des LSG ist nicht zu entnehmen, daß die Klägerin durch die Aufgabe ihrer bisherigen Konzerttätigkeit in der Fähigkeit zum Erwerb auf dem hier maßgebenden Gesamtgebiet des Erwerbslebens so spezifisch getroffen ist, daß eine damit verbundene unbillige Härte im Rahmen des § 581 Abs. 2 RVO durch eine Bewertung ihrer unfallbedingten MdE mit 20 v.H. angemessen zu berücksichtigen wäre (vgl. BSGE 39, 31, 33). Die Klägerin kann trotz ihrer Unfallfolgen ihren Beruf als Hochschullehrerin und damit auch den einer Klavierpädagogin für entsprechende Klavierschüler außerhalb der Hochschule ausüben. Die Klägerin ist somit auch dann, wenn sie ihre frühere Konzerttätigkeit als Pianistin der Spitzenklasse wegen der Folgen des Arbeitsunfalles aufgeben mußte, weiterhin in der Lage, ihre besonderen beruflichen Kenntnisse und Erfahrungen im allgemeinen Erwerbsleben einzusetzen. Die Verwendungsfähigkeit der besonderen Kenntnisse und Erfahrungen der Klägerin ist durch die Unfallfolgen nicht so erheblich eingeengt, daß die durch die Aufgabe der früher ausgeübten Konzerttätigkeit bedingten beruflichen Nachteile durch eine höhere Bewertung der MdE gemäß § 581 Abs. 2 RVO ausgeglichen werden müßten. Das LSG ist insoweit aufgrund der von ihm getroffenen tatsächlichen Feststellungen insbesondere über die Einkünfte der Klägerin aus selbständiger und nichtselbständiger Tätigkeit zu dem Ergebnis gelangt, daß die Einkünfte aus der Konzerttätigkeit der Klägerin gegenüber ihrem Entgelt aus nichtselbständiger Tätigkeit rechnerisch auch für das Bestreiten des Lebensunterhaltes unabhängig von der Erkrankung der Klägerin immer mehr an Bedeutung verloren hatten. Damit hat das LSG nicht eine konkrete Schadensberechnung seiner Rechtsfindung zugrunde gelegt. Es hat vielmehr die Einkünfte der Klägerin aus selbständiger Tätigkeit den Einkünften aus der Lehrtätigkeit gegenübergestellt, um objektive Anhaltspunkte dafür zu erhalten, wie sich die Unfallfolgen der Klägerin auf die Verwertung ihrer besonderen beruflichen Kenntnisse und Erfahrungen auswirken. Die Revision hält das vom LSG gefundene Beweisergebnis zwar für unzutreffend; sie hat aber nicht dargelegt, daß das LSG die Grenzen seines Rechts auf freie richterliche Beweiswürdigung überschritten hat. Insbesondere hat die Revision nicht dargelegt, daß das Berufungsgericht gegen Erfahrungssätze oder Denkgesetze verstoßen hat, als es aufgrund der Gegenüberstellung der Netto-Einkünfte aus der Konzerttätigkeit und des Nettoentgelts (s. auch BSG SozR 2200 § 581 Nr. 8) aus der nichtselbständigen Hochschultätigkeit in rund fünf Jahren vor dem Arbeitsunfall geschlossen hat, die Konzerttätigkeit habe schon vor dem Arbeitsunfall im Verhältnis zur Tätigkeit als Hochschullehrerin jedenfalls nicht die Bedeutung gehabt, daß ein unfallbedingter Fortfall der Konzerttätigkeit im Rahmen des § 582 Abs. 2 RVO zu einer Bewertung der Unfallfolgen der Klägerin mit 20% führen müßte. Dies gilt auch hinsichtlich eines damit verbundenen Minderverdienstes der Klägerin. Der Grundsatz der abstrakten Schadensberechnung bedeutet auch, daß die Verletztenrente nicht den tatsächlichen Minderverdienst ausgleichen soll, was für die Rentenberechtigten - im großen und ganzen - einen nicht zu unterschätzenden Vorteil bildet (s. BSGE 28, 227, 229; 39, 31, 33; Brackmann a.a.O. S. 568 m).

Da keine als "unbillige Härte" zu berücksichtigenden Nachteile festzustellen sind, kann dahinstehen, ob die unfallbedingte Einstellung der Konzerttätigkeit schon deshalb unberücksichtigt bleiben muß, weil es sich bei der Konzerttätigkeit um eine Nebentätigkeit gehandelt hat (s. BSGE 38, 118, 122).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.2 RU 13/82

Bundessozialgericht

Verkündet am

23. Juni 1983

 

Fundstellen

Haufe-Index 518360

Breith. 1984, 297

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