Entscheidungsstichwort (Thema)

Mutmaßliche Einkommensverhältnisse

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Senat hält an seiner Rechtsprechung fest, daß eine nach dem Tode des Unfall-Versicherten mutmaßlich eingetretene wesentliche Änderung der Verhältnisse (wahrscheinlicher Wegfall der Unterhaltsfähigkeit infolge anzunehmender Gründung einer eigenen Familie) die Neufeststellung (Entziehung) der Elternrente nach RVO § 622 Abs 1 rechtfertigt.

2. Bei einem - verstorbenen - Hilfsarbeiter und in der Regel auch bei einem solchen Facharbeiter mit tariflichem oder ortsüblichem Einkommen, der sich zu einem bestimmten Zeitpunkt wahrscheinlich verheiratet und später 2 Kinder hätte, ist bei der Ermittlung seiner - fiktiven - Unterhaltsfähigkeit nach der Lebenserfahrung davon auszugehen, daß sein angemessener Lebensbedarf das erzielte Nettoeinkommen nicht unterschreiten würde. Soweit der Einzelfall keine konkreten Besonderheiten aufweist, ist daher ein Anspruch auf Weitergewährung der Elternrente zu verneinen.

3. Dies gilt auch für einen Spanier, der ohne den Unfalltod wahrscheinlich weiterhin in der Bundesrepublik gelebt hätte.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Bei der Prüfung der mutmaßlichen Einkommensverhältnisse des Versicherten für die Zeit nach dem Tode muß nicht der mutmaßliche angemessene Lebensbedarf zahlenmäßig festgestellt werden. Regelmäßig ist vielmehr davon auszugehen, daß der angemessene Lebensbedarf einer jungen Familie das erzielte Einkommen jedenfalls dann nicht unterschreitet, wenn es sich um einfache Verhältnisse handelt. Die Richtlinien des BSHG oder die sogenannte "Düsseldorfer Tabelle" sind nicht von ausschlaggebender Bedeutung.

2. Die Frage, ob der in Spanien lebende Vater einen Unterhaltsanspruch gegen seinen verstorbenen Sohn hätte geltend machen können, richtet sich an sich nach spanischem Recht. Da die Unterhaltsregelungen in Titel VI (Art 142-153) des Codigo civil aber in wesentlichen Punkten, insbesondere auch hinsichtlich der Unterhaltsfähigkeit des leistungspflichtigen Verwandten, dem deutschen Unterhaltsrecht (ua dem § 1603 BGB) entsprechen, kann die Frage, ob spanisches oder deutsches Recht maßgebend ist, offenbleiben.

 

Normenkette

RVO § 596 Abs. 1 Fassung: 1963-04-30, § 622 Abs. 1 Fassung: 1963-04-30, § 623 Abs. 2 Fassung: 1963-04-30; BGB § 844 Abs. 2 Fassung: 1896-08-18, § 1603 Abs. 1 Fassung: 1961-08-11; SozSichAbk ESP Art. 3 Fassung: 1959-10-29, Art. 4 Fassung: 1959-10-29, Art. 39 Fassung: 1959-10-29

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 20. Mai 1974 aufgehoben. Der Bescheid der Beklagten vom 24. März 1970 wird dahin geändert, daß die Beklagte verurteilt wird, dem Kläger die Elternrente bis zum 30. Juni 1970 weiterzuzahlen; im übrigen werden die Klage abgewiesen und die Berufung zurückgewiesen.

Die Revision wird zurückgewiesen, soweit sie den Anspruch des Klägers für die Zeit vom 1. Januar bis 30. Juni 1970 betrifft.

Die Beklagte hat dem Kläger ein Viertel seiner Kosten aller Rechtszüge zu erstatten.

 

Tatbestand

Streitig ist die Berechtigung der Beklagten, dem Kläger die Elternrente zu entziehen.

Der 1910 geborene, verwitwete Kläger ist Spanier und lebt in Spanien. Er ist der Vater des am 18. November 1934 geborenen und am 15. Dezember 1964 in der Nähe von N/Weinstraße bei einem Arbeitsunfall tödlich verunglückten ledigen José P L (P.). P. war vom 5. Februar 1962 bis 15. Dezember 1963 und ab 25. Mai 1964 als Plattenlegerhelfer in der Bundesrepublik beschäftigt. Die Beklagte hatte dem Kläger mit Bescheid vom 25. November 1965 ab 15. Dezember 1964 Elternrente gemäß § 596 der Reichsversicherungsordnung (RVO) in Höhe von monatlich 186,- DM gewährt, wobei sie einen Jahresarbeitsverdienst (JAV) von 11.154,96 DM zugrunde gelegt hatte.

Mit dem Bescheid vom 24. März 1970, dem Kläger zugestellt im Mai 1970, erklärte die Beklagte, die Rente falle mit Ablauf des Monats Dezember 1969 weg, weil der Kläger zwar noch unterhaltsbedürftig sei, er aber nunmehr gegen P. einen Anspruch auf Unterhalt nicht mehr hätte geltend machen können, weil dieser inzwischen wahrscheinlich geheiratet und Kinder gehabt hätte, so daß er nicht mehr in der Lage gewesen wäre, seinen Vater aus seinem Arbeitsverdienst wesentlich zu unterhalten.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 10. Mai 1973), weil P. spätestens mit Vollendung seines 35. Lebensjahres verheiratet und damit nicht mehr in der Lage gewesen wäre, seinem Vater Unterhalt zu gewähren. Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die mit Rücksicht auf die unrichtige Rechtsmittelbelehrung noch fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers das Urteil des SG Hannover vom 10. Mai 1973 und den Bescheid der Beklagten vom 24. März 1970 aufgehoben und zur Begründung u.a. ausgeführt: Nach § 623 Abs. 2 RVO hätte die Rente frühestens zum 1. Juli 1970 entzogen werden dürfen.

§ 631 RVO gelte nur für Fälle, in denen die Rente allein durch den Eintritt eines bestimmten Ereignisses kraft Gesetzes wegfalle, ohne daß es eines besonderen Verwaltungsaktes bedürfe. Das sei hier nicht der Fall. Die Entziehung der Rente sei nur nach § 622 Abs. 1 RVO wegen einer Änderung der Verhältnisse zulässig gewesen.

Es treffe nicht zu, daß der Kläger seit dem 1. Juli 1970 keinen Unterhaltsanspruch mehr gegen P. hätte geltend machen können. Die Unterhaltsbedürftigkeit des Klägers werde von keiner Seite bezweifelt. Der Kläger habe lediglich ein Renteneinkommen von 2.000 Pts, wogegen er 3.800 Pts für seinen Unterhalt benötige.

Als Unterhalt im Sinne von § 596 RVO sei etwa 25 v.H. des örtlich und zeitlich notwendigen Mindestbedarfs anzusehen, d.h. im Jahre 1970 950 Pts für den Kläger = etwa 45,- DM monatlich. Dieser Betrag sei bis 1974 auf höchstens 1.390 Pts = rd- 63,- DM gestiegen. Es sei ausgeschlossen, daß das Renteneinkommen des Klägers in der Zwischenzeit so gestiegen sei, daß er keinen Fehlbedarf mehr habe. Die Beklagte behauptet dies auch nicht.

Nach dem wahrscheinlichen Geschehensablauf wäre P. aber in der Lage gewesen, seinem Vater zwischen 45,- DM und 63,- DM monatlich als Unterhalt zu zahlen. Möglicherweise wäre P. inzwischen nach Spanien zurückgekehrt. Das sei aber nach den vorliegenden Unterlagen weder wahrscheinlich noch unwahrscheinlich. Es brauche daher nicht geklärt zu werden, ob die Lebensverhältnisse des P. sich in Spanien wahrscheinlich so ungünstig entwickelt haben würden, daß er seinem Vater keinen Unterhalt hätte leisten können.

Wäre er in der Bundesrepublik geblieben, so wäre er wahrscheinlich unterhaltsfähig geblieben. Trotz Aufforderung habe der Kläger keine Umstände vorgetragen, die gegen eine Heirat seines Sohnes P. sprächen, zumal Spanier in der Regel erst später heirateten. Selbst wenn P. jedoch inzwischen geheiratet und zwei Kinder hätte, und wie die Beklagte an Hand der durchschnittlichen Einkommensentwicklung errechnet habe, 1970 = 928,35 DM, 1971 = 963,- DM, 1972 = 1.056,- DM, 1973 = 1.182,- DM und 1974 = 1.293,- DM als Nettoeinkommen erzielt hätte, wäre er damit gegenüber seinem Vater noch unterhaltsfähig gewesen. Sein angemessener Lebensbedarf hätte nämlich nicht, wie die Beklagte meint, zwischen 1.055,50 DM und 1.572,50 DM in den Jahren 1970 bis 1974 gelegen, weil diese Beträge höher seien, als das Nettoeinkommen eines Beamten der Besoldungsgruppe A 6 in der Endstufe oder sogar eines Beamten der Besoldungsgruppe A 9 in der zweiten Dienstaltersstufe. Diese Beamtengruppen lägen jedoch in der sozialen Rangordnung deutlich über einem ungelernten Arbeiter, so daß für diesen ein erheblich niedrigeres Nettoeinkommen als angemessen anzusehen sei. Dabei könne es dahingestellt bleiben, ob für die Beurteilung des standesgemäßen Lebensunterhaltes für ausländische Arbeitnehmer andere Grundsätze als für deutsche Arbeitnehmer anzuwenden seien. Für deutsche Arbeitnehmer sei auch auf dem Gebiet des Sozialrechts von den allgemeinen Richtlinien auszugehen, wie sie die ordentlichen Gerichte für die Bemessung des Unterhaltes entwickelt hätten (BSG 32, 197). So etwa die Düsseldorfer Tabelle. Danach betrage der Unterhaltsbedarf im Jahre 1973 für zwei Kinder unter sieben Jahren 250,- DM, für den Haushaltungsvorstand 385,- DM und für die Ehefrau bis zu 2/5 des Nettoeinkommens nach Abzug des Kinderunterhalts, also hier bis zu 372,80 DM, insgesamt also höchstens 1.007,80 DM. Bei einem wahrscheinlichen Nettoeinkommen des P. von 1.182,- DM im Jahre 1973 hätte er somit mindestens 174,20 DM als Unterhalt für seinen Vater zur Verfügung gehabt, so daß er ohne Gefährdung seines eigenen standesgemäßen Unterhalts in der Lage gewesen wäre, seinem Vater monatlich zwischen 45,- DM (für 1969) und 63,- DM (für 1974) zu zahlen.

Mit der zugelassenen Revision trägt die Beklagte u.a. vor:

Gehe man, wie es das LSG getan habe, davon aus, daß der Sohn des Klägers (P.) 1970 verheiratet gewesen und zwei Kinder gehabt hätte, so sei er nicht mehr unterhaltspflichtig gegenüber seinem Vater gewesen. Nach den der Beklagten vom Sozialamt Karlsruhe mitgeteilten Mindestbedarfsätzen der Jahre 1970 bis 1974 für eine vierköpfige Familie, wäre P. nicht in der Lage gewesen, eine solche Familie zu ernähren. Es habe nämlich ein Fehlbetrag zwischen 145,- und 329,10 DM monatlich bestanden. Gastarbeiter könnten hinsichtlich ihrer Unterhaltsfähigkeit nach einigen Jahren des Aufenthalts in Deutschland nicht wesentlich anders beurteilt werden als deutsche Arbeitnehmer, und der Mindestbedarf eines verheirateten Hilfsarbeiters mit zwei Kindern könne nicht deshalb niedriger angesetzt werden, als es das Sozialamt errechnet habe, weil das Nettogehalt irgendwelcher Beamter niedriger sei. Ein solcher Vergleich verbiete sich schon mit Rücksicht auf die immateriellen Werte, die einem Beamten durch die besondere Sicherheit seiner Stellung, insbesondere durch die Alterssicherung geboten würden. Das LSG habe aber darüber hinaus das Nettogehalt der Endstufe der Besoldungsgruppe A 6 und das der zweiten Dienstaltersstufe der Besoldungsgruppe A 9 zu niedrig angegeben. Es betrage vielmehr in der Endstufe A 6 für einen verheirateten Beamten mit zwei Kindern 1973 1.502,45 DM und in der zweiten Dienstaltersstufe von A 9 1.508,43 DM. Die vom LSG zur Errechnung des angemessenen Lebensbedarfs einer vierköpfigen Familie herangezogene Düsseldorfer Tabelle könne der Berechnung nicht zu Grunde gelegt werden, weil die dort genannten Beträge nur einen Unterhaltsbeitrag darstellten, also nicht den Mindestunterhaltsbedarf des Berechtigten insgesamt.

Die Beklagte beantragt (sinngemäß),

das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 20. Mai 1974 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 10. Mai 1973 zurückzuweisen,

hilfsweise,

dem Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er bezweifelt, daß der verstorbene P. zwischenzeitlich verheiratet wäre und zwei Kinder hätte, denn er sei zur Zeit des Unfalls bereits 30 Jahre alt gewesen und es hätten keine Anzeichen für eine mögliche Verehelichung bestanden. Aber auch im Falle einer Verheiratung wäre seine Unterhaltspflicht nicht entfallen, was die Berechnungen des LSG überzeugend darlegten. Die Einkommensverhältnisse des P. hätten sich jedoch wahrscheinlich noch günstiger entwickelt, als es das LSG angenommen habe, denn er sei gelernter Maurer gewesen und wahrscheinlich später auch als solcher wieder beschäftigt worden. Wahrscheinlich hätte aber auch die Ehefrau des P. mitverdient. Zu berücksichtigen sei auch, daß spanische Gastarbeiter offensichtlich einen niedrigeren Mindestbedarf als deutsche Arbeitnehmer hätten, weil sie mehr sparten. Das ändere sich auch nicht während einer längeren Beschäftigungszeit in der Bundesrepublik. Im übrigen sei es in Spanien weit mehr selbstverständlich als in der Bundesrepublik, daß die Kinder ihre Eltern im Alter unterstützten. Die Alterssicherung sei dort nicht so weit entwickelt. Häufig bestehe sogar gar kein Anspruch auf eine Rente. Eine Unterhaltsleistung sei daher automatisch einkalkuliert. Wäre P. in der Bundesrepublik geblieben, so wären ihm seine Unterhaltszahlungen durch den günstigen Wechselkurs erleichtert worden.

 

Entscheidungsgründe

Die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Revision der Beklagten hatte im wesentlichen Erfolg.

Das LSG hat zu Unrecht angenommen, der Kläger habe weiterhin einen Elternrentenanspruch nach § 596 RVO gegen die Beklagte. Zuzustimmen ist dem LSG allerdings darin, daß die Beklagte nicht berechtigt war, die Rente bereits mit dem Ablauf des Monats Dezember 1969 wegfallen zu lassen. Die Elternrente war dem Kläger mit dem Bescheid vom 25. November 1965 ab 15. Dezember 1964 unbefristet bewilligt und mit Bescheid vom 26. April 1966 unbefristet erhöht worden. Eine derartige Rente kann mit der Begründung, die Unterhaltsfähigkeit des verstorbenen Sohnes wäre wahrscheinlich weggefallen, nur gemäß § 622 Abs. 1 RVO wegen einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse entzogen werden mit der Folge aus § 623 Abs. 2 RVO, daß die Entziehung erst mit Ablauf des auf die Zustellung des Entziehungsbescheides folgenden Monats wirksam wird. Das ist hier der 1. Juli 1970. § 631 RVO gilt nur bei Tatbeständen, die kraft Gesetzes den Wegfall der Leistung zur Folge haben, wie etwa der Tod des Berechtigten, die Erreichung des Höchstbezugsalters einer Waise oder die Wiederverheiratung einer Witwe (Lauterbach, Unfallversicherung, 3. Aufl., Stand Dezember 1974, Band II Anm. 4 a und c zu § 631 RVO).

Entgegen den von Zehe (SGb 1975, S. 134, 135) geäußerten Bedenken, hält der erkennende Senat an seiner Rechtsauffassung fest (vgl. Urteile vom 15. Mai 1974 und 27. Juni 1974 in SozR neu 2200 § 596 RVO Nrn. 1 und 3), daß eine die Entziehung einer Elternrente rechtfertigende wesentliche Änderung der Verhältnisse im Sinne von § 622 Abs. 1 RVO u.a. darin liegt, daß die Unterhaltsfähigkeit des Verunglückten, wenn er weitergelebt hätte, zu einem bestimmten Zeitpunkt wahrscheinlich weggefallen wäre. Mag auch der Grundgedanke der Unterhaltsersatzfunktion in den §§ 596 RVO und 844 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) der gleiche und eine Abänderung eines rechtskräftigen auf § 844 Abs. 2 BGB gestützten Urteils nur bei einer objektiven Änderung der Verhältnisse möglich sein, so kommt doch mit der in § 596 RVO gewählten Fassung "solange sie ... einen Anspruch auf Unterhalt hätten geltend machen können" hinreichend deutlich zum Ausdruck, daß in der Zukunft liegende ungewisse Verhältnisse maßgebende Anspruchsvoraussetzungen sind, die sich nach der Lebenserfahrung und den besonderen Umständen des Falles nach einer gewissen Zeit mit Wahrscheinlichkeit ändern können. Es ist nicht erkennbar, daß es sich insoweit nur um tatsächliche Verhältnisse handeln soll und nicht auch um für den Anspruch ebenso maßgebende künftige mutmaßliche Verhältnisse, wie insbesondere die anzunehmende Unterhaltsfähigkeit des Verstorbenen, bei der es sich - nach dessen Tod - immer um fiktive Annahmen handelt, für die die Lebenserfahrung ein entscheidender Maßstab ist. Auch deren Voraussetzungen können nicht in jedem Fall zur Zeit der Bewilligung der Rente mit demselben Grad an Wahrscheinlichkeit vorausgesehen werden wie zu einem späteren Zeitpunkt. So könnten etwa bei einer einschneidenden Änderung der Wirtschafts- und Beschäftigungslage die wahrscheinlichen späteren Verdienstmöglichkeiten anders beurteilt werden. Im übrigen könnte eine schon bei der Rentenbewilligung ausgesprochene zeitliche Begrenzung des Anspruchs nicht spätere Änderungen in den Verhältnissen des Berechtigten berücksichtigen und würde sich daher, etwa bei einer Besserung seiner Einkommensverhältnisse oder seinem früher eintretenden Tod, nachträglich als unrichtig erweisen. Es wäre deshalb mindestens unzweckmäßig, in jedem Falle zu verlangen, die mutmaßliche Entwicklung der Unterhaltsfähigkeit des Verstorbenen bereits bei der Bewilligung der Elternrente zu prüfen und bindend über den Endzeitpunkt des Anspruchs zu entscheiden, wie Zehe aaO meint. Darüber hinaus liegt es im Interesse der bedürftigen Eltern, wenn die Rente - ohne umständliche Prüfung von Fragen, die vorerst keine Rolle spielen (vgl. dazu BSG aaO Nr. 3) - möglichst schnell zugebilligt wird. Der Versicherungsträger muß daher die Möglichkeit haben, zunächst eine unbefristete Elternrente zu bewilligen und zu einem späteren Zeitpunkt zu entscheiden, ob, unter Berücksichtigung aller Umstände und der mutmaßlichen Entwicklung im Falle des Überlebens des Verstorbenen, eine wesentliche, die Entziehung der Rente rechtfertigende Änderung der Verhältnisse im Sinne von § 622 Abs. 1 RVO als eingetreten anzusehen ist. Das ist hier der Fall.

Der verstorbene Sohn des Klägers hätte am 18. November 1969 sein 35. Lebensjahr vollendet, und die Beklagte konnte unterstellen, er wäre verheiratet gewesen, hätte Kinder gehabt und wäre deshalb nicht mehr verpflichtet gewesen, seinem Vater, dem Kläger, Unterhalt zu leisten, so daß damit die Voraussetzungen des Elternrentenanspruchs gemäß § 596 RVO nicht mehr vorgelegen hätten. Als Spanier ist der Kläger hinsichtlich seiner Ansprüche gegen einen deutschen Träger der gesetzlichen Unfallversicherung deutschen Berechtigten gleichgestellt (Art. 3, 4, 39 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Spanischen Staat über Soziale Sicherheit vom 29. Oktober 1959 - BGBl II 1961 S. 598/99 -). Die Frage, ob der in Spanien lebende Kläger einen Unterhaltsanspruch gegen seinen verstorbenen Sohn hätte geltend machen können (§ 596 Abs. 1 letzter Halbs. RVO), richtet sich an sich nach spanischem Recht (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 27. Juni 1974 aaO Nr. 2). Da die Unterhaltsregelungen in Titel VI (Art. 142 bis 153) des Código civil aber in wesentlichen Punkten, insbesondere auch hinsichtlich der Unterhaltsfähigkeit des leistungspflichtigen Verwandten, dem deutschen Unterhaltsrecht u.a. dem § 1603 BGB (BSG aaO S. 7) entsprechen, kann die Frage, ob spanisches oder deutsches Recht maßgebend ist, offen bleiben (BSG aaO S. 7).

Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des LSG ist der Kläger nach wie vor unterhaltsbedürftig. Streitig ist lediglich, ob der Verstorbene, falls er noch lebte, ab Januar 1970 weiterhin unterhaltsfähig gewesen wäre. Das wäre dann der Fall, wenn er unter Berücksichtigung seiner mutmaßlichen Familien- und Einkommensverhältnisse, ohne seinen eigenen angemessenen Unterhalt (§ 1603 BGB) zu gefährden, in der Lage gewesen wäre, den Kläger aus seinem Arbeitsverdienst wesentlich zu unterhalten. Bei der Prüfung dieser Frage konnte das LSG ohne Rechtsverstoß davon ausgehen, der Verstorbene wäre inzwischen verheiratet und hätte zwei Kinder (vgl. Urteil des erkennenden Senats aaO Nr. 3). Anhaltspunkte dafür, daß er entgegen der Lebenserfahrung unverheiratet geblieben wäre, sind weder ersichtlich noch sind solche im Laufe des Verfahrens gegenüber der Beklagten oder den Gerichten vorgetragen worden. Der im Revisionsverfahren insoweit geäußerte Zweifel kann hierfür notwendige konkrete Anhaltspunkte nicht ersetzen. Die Tatsache, daß er, als er tödlich verunglückte, bereits 30 Jahre alt und nicht verlobt war, spricht nicht gegen eine solche Annahme. Zwar liegt das durchschnittliche Heiratsalter deutscher Männer bei etwa 26 Jahren (vgl. BSG aaO Nr. 3 S. 13), während, wie das LSG festgestellt hat, spanische Männer im Durchschnitt etwas später heiraten. Das bedeutet aber nicht, daß der Verstorbene wahrscheinlich unverheiratet geblieben wäre, denn wie das LSG ebenfalls festgestellt hat, heiraten auch viele Spanier (wie auch manche Deutsche) im Alter von über 30 Jahren. Erst bei einem erheblich höheren Lebensalter könnte der Schluß gerechtfertigt sein, ein tödlich Verunglückter hätte wahrscheinlich nicht mehr geheiratet.

Zutreffend hat das LSG mangels entsprechender statistischer Unterlagen oder Umstände des Einzelfalles auch nicht feststellen können, der Verstorbene wäre zwischenzeitlich nach Spanien zurückgekehrt, so daß davon auszugehen ist, er lebte mit seiner Familie und arbeitete weiterhin in der Bundesrepublik Deutschland.

Bei der Bemessung des angemessenen Lebensbedarfs muß daher von deutschen Verhältnissen ausgegangen werden. Dabei kann nicht, wie der Kläger meint, ein gegenüber einem vergleichbaren Deutschen niedrigerer Lebensbedarf zugrunde gelegt werden. Mag es auch zutreffen, daß spanische Gastarbeiter in der Regel bescheidener und sparsamer leben, um größere Ersparnisse anzusammeln oder ihre Angehörigen unterhalten zu können, so richtet sich das Maß auch ihres angemessenen Lebensbedarfs doch nach den gleichen objektiven Merkmalen, insbesondere der Lebensstellung (vgl. § 1610 Abs. 1 BGB, der den angemessenen Unterhalt - wenn auch für den Bedürftigen - bestimmt), d.h. vor allem nach der ausgeübten Erwerbstätigkeit und dem dadurch erzielten Einkommen. In welcher Weise der Einzelne seinen erzielten Verdienst tatsächlich verwendet und sich gegebenenfalls weitgehend einschränkt, um seine Eltern unterstützen zu können, ist jedenfalls dann unerheblich, wenn - wie hier - fiktive Verhältnisse (nach deutschen Maßstäben) zugrunde gelegt werden müssen und im Einzelfall keine konkreten Anhaltspunkte für ein von der Lebenserfahrung abweichendes wahrscheinliches Verhalten gegeben sind. Falls Spanier daher, wie die Revision behauptet, unabhängig von ihrem tatsächlichen Verdienst, gegenüber Deutschen ganz allgemein in größerem Umfang zum Unterhalt ihrer Eltern beitragen sollten, wird dadurch der ihnen gesetzlich zugebilligte angemessene eigene Unterhaltsbedarf nicht berührt. Bei der gleichartigen Gestaltung des deutschen und des spanischen Unterhaltsrechts und der Gleichbehandlung von Deutschen und Spaniern hinsichtlich ihrer Ansprüche aus der gesetzlichen Unfallversicherung (vgl. oben) wären unterschiedliche Bemessungsmaßstäbe nicht gerechtfertigt, weil andernfalls spanische Eltern in aller Regel günstiger behandelt würden als deutsche Eltern, was gegen den genannten Grundsatz der Gleichbehandlung verstoßen würde. Das LSG hat daher zutreffend untersucht, welchen Verdienst der Verstorbene mutmaßlich in den Jahren 1970 bis 1974 erzielt hätte und ob er damit bei einer inzwischen vierköpfigen Familie, ohne seinen nach deutschen Verhältnissen bemessenen eigenen angemessenen Unterhalt zu gefährden, den Kläger weiterhin hätte wesentlich unterhalten können. Wenn es dabei allerdings zu dem Ergebnis gelangt ist, der zur Zeit des Unfalls erzielte Verdienst hätte sich in gleichem Maße erhöht wie das Durchschnittseinkommen aller Erwerbstätigen und hätte den angemessenen Unterhaltsbedarf 1973 um 174,20 DM überschritten, was für die Jahre 1969 bis 1974 in ähnlicher Weise gelte, so vermag der Senat dem nicht zu folgen.

Zwar sind, wie der Senat in seinem Urteil vom 27. Juni 1974 (aaO Nr. 3) gefordert hat, die mutmaßlichen Einkommensverhältnisse für die Zeit nach dem Tode zu prüfen. Daraus folgt aber nicht, daß in jedem Falle auch der mutmaßliche angemessene Lebensbedarf zahlenmäßig festgestellt werden muß. Regelmäßig wird vielmehr davon auszugehen sein, daß der angemessene Lebensbedarf einer jungen oder wachsenden Familie das erzielte Arbeitseinkommen nicht unterschreiten, jedenfalls dann nicht, wenn es sich wie hier um einfache Verhältnisse handelt, woran sich auch nichts ändern würde, wenn der Verstorbene nicht, wie zur Zeit des Unfalls, als Hilfsarbeiter, sondern, wie der Kläger annimmt, später wahrscheinlich in seinem erlernten Beruf als Maurer beschäftigt gewesen wäre und deshalb ein entsprechend höheres Einkommen erzielt hätte. (Allerdings fehlt es insoweit an hinreichend zuverlässigen Anhaltspunkten). So hat etwa das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf im Jahre 1960 (NJW 1961 S. 1408) einen Unterhaltsersatzanspruch der Eltern nach § 844 Abs. 2 BGB bei einem tödlich verunglückten Kraftfahrzeugmechaniker für die Zeit verneint, nachdem er das 25. Lebensjahr vollendet gehabt haben würde, weil er dann wahrscheinlich verheiratet gewesen wäre und seinen und seiner Ehefrau Unterhalt hätte bestreiten müssen, wobei die Kosten für eine Wohnung und deren Einrichtung sein Leistungsvermögen selbst dann in hohem Maße beansprucht hätten, wenn die Ehefrau berufstätig gewesen und geblieben wäre. Später hätte er mit großer Wahrscheinlichkeit für die aus der Ehe entstammenden Kinder sorgen müssen. Ob dem OLG Düsseldorf auch dann zu folgen ist, wenn im Einzelfall anzunehmen ist, die Ehefrau würde auch nach erfolgter Eheschließung weiterhin erwerbstätig bleiben und aus der Ehe wären keine Kinder hervorgegangen, kann hier dahingestellt bleiben, denn insoweit sowie für andere vom Regelfall abweichende hinreichend konkrete Besonderheiten bieten die tatsächlichen Verhältnisse keinen Anhalt; daher ist von der mutmaßlichen regelmäßigen Entwicklung auszugehen (vgl. BSG aaO Nr. 3, S. 14). Diese Erwägungen, die der Senat bereits in der genannten Entscheidung angestellt hat, sind in den von dem LSG angestellten Berechnungen nicht ausreichend berücksichtigt. Weder der von dem Sozialamt Karlsruhe nach den Richtlinien des Bundessozialhilfegesetzes errechnete Eigenbedarf (Urt. S. 9) noch die Unterhaltssätze der sogenannten Düsseldorfer Tabelle (DRiZ 1973 S. 99) berücksichtigen etwa den höheren Anfangsbedarf einer jungen Familie oder den Eigenbedarf einer wachsenden Familie noch die Lebensstellung des Unterhaltspflichtigen. Allerdings machen die vom Sozialamt mitgeteilten Sätze deutlich, daß - wie auch schon die Lebenserfahrung zeigt - eine Unterhaltsfähigkeit des P. für die hier strittige Zeit verneint werden muß. Im übrigen kann dahinstehen, ob die Revision mit Recht die Feststellung des LSG angreift, das Nettoeinkommen eines Beamten der Besoldungsgruppe A 6 in der Endstufe und der Besoldungsgruppe A 9 in der zweiten Dienstaltersstufe sei niedriger als der von dem Sozialamt Karlsruhe errechnete Eigenbedarf, tatsächlich lägen diese Nettogehälter 1973 bei über 1.500,- DM monatlich; denn hierauf kann es nach den obigen Darlegungen ohnedies nicht entscheidend ankommen.

Der Grundsatz, daß nach der Lebenserfahrung der eigene angemessene Lebensbedarf dem tatsächlich erzielten Einkommen in etwa entspricht, kann allerdings, wie Wussow (Das Unfallhaftpflichtrecht, 11. Aufl. 1972 Rdnr. 1108 zu § 844 BGB) zutreffend betont, bei höherem Einkommen der Kinder trotz eigener Familie und auch bei unverheirateten Kindern nicht gelten. Das trifft aber weder für einen Hilfsarbeiter noch in der Regel für einen Facharbeiter mit tariflichem oder ortsüblichem Arbeitsentgelt zu, der verheiratet ist und vorrangig seiner Ehefrau und seinen Kindern den angemessenen Unterhalt zu gewähren hat (§§ 1360, 1360 a, 1609 BGB). Im übrigen ist auch dem Schreiben des Deutschen Konsulats in Vigo vom 9. Dezember 1969 (Bl. 199 der Unfallakten) zu entnehmen, daß der noch lebende Sohn und die Tochter des Klägers, die beide je 3 Kinder haben, wegen niedrigen Einkommens zum Unterhalt des Klägers "nicht herangezogen werden können".

Die Beklagte hat dem Kläger daher nur bis zum 30. Juni 1970 die Elternrente weiterzugewähren. Für die folgende Zeit ist sie von dem LSG zu Unrecht verurteilt worden, so daß die Revision insoweit Erfolg hatte und zu entscheiden war wie geschehen.

Die Kostenentscheidung folgt unter Berücksichtigung des Teilerfolgs des Klägers aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1649784

BSGE, 268

IPRspr. 1975, 81

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Personal Office Platin. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge