Entscheidungsstichwort (Thema)

Fehlversicherung. Beitragserstattung. Erstattung von Sozialleistungen. Ausschlußfrist. Erfüllungsfiktion

 

Leitsatz (amtlich)

Infolge einer Fehlversicherung zu Unrecht entrichtete Beiträge zur Krankenversicherung sind dem Versicherten nach § 26 SGB 4 auch zu erstatten, soweit der unzuständige Leistungsträger von dem zuständigen infolge der Ausschlußfrist des § 111 SGB 10 keine Erstattung erbrachter Leistungen erhalten kann.

 

Normenkette

SGB IV § 26 Abs. 2 Fassung: 1988-12-20; SGB X § 105 Abs. 1 Fassung: 1983-12-22, § 107 Abs. 1 Fassung: 1982-11-04, § 111 Fassung: 1982-11-04; SGB IV § 26 Abs. 1 Fassung: 1976-12-23

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 22.02.1990; Aktenzeichen L 5 K 46/89)

SG Speyer (Urteil vom 06.07.1989; Aktenzeichen S 9 K 123/87)

 

Tatbestand

Der Kläger beansprucht die Erstattung von Beiträgen, die er für die Zeit vom 4. Oktober 1984 bis Ende 1985 an die Beklagte gezahlt hat.

Seit 1964 war der Kläger freiwillig bei der beklagten Allgemeinen Ortskrankenkasse versichert. Ab 4. Oktober 1984 wurde er als landwirtschaftlicher Unternehmer versicherungspflichtig in der landwirtschaftlichen Krankenversicherung bei der beigeladenen Landwirtschaftlichen Krankenkasse. Das stellte diese jedoch erst Anfang 1987 fest. Mit Bescheid vom 2. Februar 1987 forderte sie Beiträge für die Zeit vom 4. Oktober 1984 bis zum 31. Januar 1987, die der Kläger zahlte. Die Beklagte erklärte die freiwillige Mitgliedschaft des Klägers bei ihr rückwirkend zum 3. Oktober 1984 für beendet. Durch Bescheid vom 22. Mai 1987 erstattete sie dem Kläger die ab 1. Januar 1986 von ihm gezahlten Beiträge. Für die Zeit vorher könne sie ihre Versicherungsleistungen von der Beigeladenen nicht erstattet bekommen, weil § 111 des Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren - (SGB X) das nicht zulasse. Die bis einschließlich Dezember 1985 gewährten Leistungen schlössen einen Anspruch auf Beitragserstattung daher nach § 26 des Sozialgesetzbuches - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (SGB IV) aus.

Der Widerspruch des Klägers ist dem Sozialgericht (SG) als Klage zugeleitet worden. Dieses hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger die vom 4. Oktober 1984 bis 31. Dezember 1985 gezahlten Beiträge in Höhe von 7.069,38 DM zu erstatten (Urteil vom 6. Juli 1989). Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 22. Februar 1990). In Fällen eines solchen Kassenwechsels sei eine Rückabwickelung nur in dem Umfang vorzunehmen, in dem der zuständige Versicherungsträger seine Erstattungspflicht nach § 105 SGB X tatsächlich erfüllt habe. Berufe er sich auf die Ausschlußfrist in § 111 SGB X, so bleibe es für die Zeit vorher bei der Gewährung von Leistungen durch den unzuständigen Versicherungsträger, und die Erstattung der an diesen gezahlten Beiträge sei dann ausgeschlossen.

Der Kläger hat dieses Urteil mit der vom LSG zugelassenen Revision angefochten. Er rügt sinngemäß eine Verletzung des § 26 SGB IV. Zwischen dieser Vorschrift und § 111 SGB X gebe es keine Wechselbeziehungen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 22. Februar 1990 wird aufgehoben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 6. Juli 1989 zurückgewiesen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision wird zurückgewiesen.

Sie hält das angefochtene Urteil des LSG für zutreffend.

Die Beigeladene stellt keinen Antrag. Sie teilt aber die Rechtsauffassung des Klägers.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision des Klägers ist begründet. Die Beklagte hat ihm - wie vom SG entschieden - auch die Beiträge für die Zeit vom 4. Oktober 1984 bis zum 31. Dezember 1985 zu erstatten.

Rechtsgrundlage für die vom Kläger beantragte Beitragserstattung ist hier noch der Abs 1 des § 26 SGB IV in alter Fassung (aF), der bis zum 31. Dezember 1988 galt und nun als Abs 2 neue Fassung (nF) unverändert weitergilt. Nach dieser Vorschrift sind zu Unrecht entrichtete Beiträge zu erstatten. Die vom Kläger für den umstrittenen Zeitraum an die Beklagte gezahlten Beiträge sind zu Unrecht entrichtet worden; denn der Kläger war ab 4. Oktober 1984 kraft Gesetzes versicherungspflichtig in der landwirtschaftlichen Krankenversicherung (§ 2 Abs 1 Nr 1 des Gesetzes über die Krankenversicherung der Landwirte - KVLG). Mit Beginn der Pflichtmitgliedschaft bei der Beigeladenen am 4. Oktober 1984 endete die freiwillige Versicherung des Klägers bei der Beklagten. Nach § 312 Abs 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) - abgelöst seit dem 1. Januar 1989 durch § 191 Nr 2 des Sozialgesetzbuches - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) erlischt die Mitgliedschaft, sobald der Versicherte Mitglied einer anderen Krankenkasse wird. Das hat die Beklagte im angefochtenen Bescheid vom 22. Mai 1987 dem Kläger mitgeteilt. Mit dem Ende der freiwilligen Mitgliedschaft endete auch die Pflicht des Klägers zur Beitragszahlung, so daß die Beklagte ab 4. Oktober 1984 die Beiträge zu Unrecht erhalten hat.

Zu Unrecht entrichtete Beiträge sind aufgrund der sog "Verfallklausel" in § 26 Abs 1 SGB IV aF nicht zu erstatten, wenn der Versicherungsträger bis zur Geltendmachung des Erstattungsanspruchs aufgrund dieser Beiträge oder für den Zeitraum, für den die Beiträge zu Unrecht entrichtet worden sind, Leistungen erbracht hat. Leistungen hat die Beklagte während der umstrittenen Zeit zwar gewährt, sie sind nun aber wie Leistungen der Beigeladenen zu behandeln.

§ 26 Abs 1 SGB IV aF macht das Wirksamwerden der Verfallklausel davon abhängig, daß der Versicherungsträger Leistungen "erbracht" hat. Dabei kann nicht allein auf den tatsächlichen Vorgang abgestellt und als allein maßgebend angesehen werden, ob der Empfänger die Leistungen entgegengenommen hat. Vielmehr müssen dem Versicherungsträger, an den die Beiträge zu Unrecht entrichtet worden sind, die Leistungen noch zuzurechnen sein, wenn der Erstattungsanspruch aus § 26 SGB IV geltend gemacht wird. Sie dürfen nicht inzwischen als Leistungen eines anderen Versicherungsträgers gelten. Das kann durch die Erfüllungsfiktion des § 107 Abs 1 SGB X bewirkt werden. Nach dieser Vorschrift gilt der Anspruch des Berechtigten gegen den zur Leistung verpflichteten Leistungsträger als erfüllt, soweit ein Erstattungsanspruch besteht. § 107 SGB X ist für das Verständnis des rechtlichen Zusammenhangs von Leistungs- und Erstattungsanspruch grundlegend (so Wannagat-Eichenhofer, SGB, § 107 SGB X Rz 3). Hat ein Versicherungsträger anstelle eines anderen Trägers geleistet und gegen diesen einen Anspruch auf Erstattung der Leistung zB nach § 105 SGB X, so wirkt die Verfallklausel nicht (vgl Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, 3. Aufl, § 26 SGB IV, Rz 15). Die Rückabwickelung auf der Leistungsebene beseitigt die Grundlage für die Verfallklausel in § 26 Abs 1 SGB IV aF. Davon geht auch die Beklagte aus; denn sie hat dem Kläger im angefochtenen Bescheid die ab 1. Januar 1986 gezahlten Beiträge erstattet. Sie will allerdings auf der Beitragsseite bei einer Leistungsgewährung die Erstattung der Beiträge auf den Zeitraum begrenzen, für den die Erstattung auf der Leistungsseite von der in Wirklichkeit zuständigen Beigeladenen durchgeführt worden ist. Darin vermochte der Senat der Beklagten nicht zu folgen.

Das Bundessozialgericht (BSG) hat sich durch den erkennenden Senat im Urteil vom 25. April 1991 (vgl BSGE 68, 264, 267 = SozR 3-2400 § 26 Nr 3) mit dem Zweck der in § 26 Abs 1 SGB IV aF geregelten Verfallklausel befaßt. Dieser werde besonders bei Fehlversicherungen deutlich, bei denen eine Mitgliedschaft nicht bestanden habe und die Kasse daher zu Leistungen schon dem Grunde nach nicht verpflichtet gewesen sei, solche aber gleichwohl in Form von Sachleistungen erbracht habe. Diese "Versicherten" sollten sich auf der Beitragsseite nicht so verhalten, als habe eine Mitgliedschaft nicht bestanden, um so mit einem auf die vollen Beiträge gerichteten Erstattungsanspruch jede finanzielle Beteiligung an den Aufwendungen der Versichertengemeinschaft rückgängig zu machen. Dieser Gedanke habe als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben (Verbot widersprüchlichen Verhaltens, venire contra factum proprium) seinen Niederschlag in der gesetzlichen Regelung gefunden.

Überträgt man diese Erwägung auf den Fall des Klägers, so zeigt sich, daß er sich nicht seiner finanziellen Beteiligung an den Aufwendungen der Versichertengemeinschaft entziehen will. Er hat seinen Beitrag für seine Pflichtmitgliedschaft bei der Beigeladenen gezahlt. Er wendet sich nur gegen die doppelte Beitragsbelastung. Um den Sinn und Zweck sowie die Grenzen der Verfallklausel zu erkennen, kann der letzte Halbsatz des § 26 Abs 1 SGB IV aF herangezogen werden, wonach Beiträge für Zeiten zu erstatten sind, die wegen des Bezugs von Leistungen beitragsfrei waren. Wenn also bei bestehender Versicherung Beiträge erstattet werden müssen, die wegen der Beitragsfreiheit zu Unrecht entrichtet worden sind, dann hat Entsprechendes bei anderweitiger Pflichtversicherung für die Beiträge aufgrund einer Fehlversicherung zu gelten (vgl auch Urteil des Senats vom 24. April 1991, aaO 268).

Rechtsnorm für die Rückabwickelung auf der Leistungsseite ist hier § 105 Abs 1 SGB X, wonach der zuständige oder zuständig gewesene Leistungsträger erstattungspflichtig ist, wenn ein unzuständiger Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat und es sich nicht um vorläufige Leistungen iS des § 102 Abs 1 SGB X handelt. Ein solcher Erstattungsanspruch steht der Beklagten gegen die Beigeladene zu. Die Beklagte war unzuständig für die ab 4. Oktober 1984, dem Beginn der Pflichtversicherung bei der Beigeladenen, aus der Krankenversicherung dem Kläger gewährten Leistungen. Diese hatte in Wirklichkeit die Beigeladene als zuständiger Versicherungsträger zu erbringen.

Würden die bereits erbrachten Leistungen in vollem Umfang rückwirkend ausgeglichen, so wäre auch der Ausgleich auf der Beitragsseite unproblematisch. Die gesetzlichen Regelungen über die Erstattungsansprüche in den §§ 102 ff SGB X lassen jedoch in manchen Fällen nur einen unvollständigen Ausgleich zwischen den beteiligten Versicherungsträgern zu, der dann zu Diskrepanzen zwischen der Beitrags- und der Leistungsseite führen kann. Die Erfüllungsfiktion des § 107 Abs 1 SGB X bewirkt, daß durch die Leistung des erstattungsberechtigten Trägers, hier der Beklagten, die Verpflichtung des endgültigen Leistungsträgers, der Beigeladenen, als erfüllt gilt. Die von der unzuständigen Beklagten aus der freiwilligen Versicherung des Klägers, der Fehlversicherung, gewährten Leistungen sind so zu behandeln, als ob die Beigeladene sie gewährt hätte. Dann aber sind die Leistungen rechtlich iS des § 26 Abs 1 SGB IV aF der Beigeladenen zuzurechnen.

Die Erfüllung nach § 107 Abs 1 SGB X erfolgt, "soweit ein Erstattungsanspruch besteht". Nicht in jedem Fall bekommt der unzuständige Leistungsträger vom zuständigen vollen Ersatz seiner Aufwendungen. Weniger kann zB in folgenden Fällen zu erstatten sein:

1.

Der Umfang des Erstattungsanspruchs richtet sich gemäß § 105 Abs 2 SGB X nach den für den zuständigen Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften, und es kann sein, daß dieser geringere Leistungen oder bestimmte überhaupt nicht erbringt.

2.

Der Erstattungsanspruch kann an der in § 110 Satz 1 und 2 SGB X vorgeschriebenen Pauschalierung scheitern.

3.

Der Anspruch kann nach Ablauf der Ausschlußfrist des § 111 SGB X ausgeschlossen sein.

4.

Schließlich kann der Anspruch verjährt sein (§ 113 SGB X).

Durch die Begrenzung der Erstattungspflicht auf das, was der zuständige Träger selbst zu leisten gehabt hätte (§ 105 Abs 2 SGB X, vgl BSGE 58, 128, 133 = SozR 1300 Nr 4; die Sonderregelung in § 102 Abs 2 SGB X kommt hier nicht in Betracht), kann es bei unterschiedlichen Leistungskatalogen nur zur teilweisen Erstattung kommen. Somit haben in einem solchen Fall beide Versicherungsträger geleistet, der zuständige mit dem unter die Erfüllungsfiktion (§ 107 Abs 1 SGB X) fallenden Teil, der unzuständige mit dem verbleibenden Rest. Für § 26 Abs 1 aF und Abs 2 nF SGB IV kann sich daraus jedoch nicht als Konsequenz ergeben, daß nun beide Versicherungsträger dem Versicherten die Verfallklausel entgegenhalten und seine Beiträge beanspruchen bzw behalten können.

Bei einer solchen Fallgestaltung würde das Risiko der Fehlversicherung dem Versicherten auch ohne sein Verschulden aufgebürdet. Er hätte doppelte Beiträge zu zahlen, erhielte aber nur einmal Leistungen - allerdings die höheren. Diese Lösung ist mit dem gesetzgeberischen Konzept in § 26 SGB IV, §§ 105 Abs 1 und 2, 107 Abs 1 SGB X nicht zu vereinbaren. Für die Erstattungsansprüche der Versicherungsträger gelten in den §§ 102 ff SGB X besondere Regelungen, die nur das Verhältnis der Versicherungsträger untereinander betreffen und die nicht dafür maßgebend sind, ob die Voraussetzungen des § 26 Abs 1 aF bzw Abs 2 nF SGB IV erfüllt sind oder nicht. Das wird durch einen Hinweis auf die Pauschalierung in § 110 SGB X besonders deutlich. Die Vorschrift schreibt eine pauschale Abgeltung der Erstattungsansprüche vor, soweit dies zweckmäßig ist (Satz 1). Beträgt im Einzelfall der Erstattungsanspruch voraussichtlich weniger als 50,-- DM, erfolgt keine Erstattung (Satz 2). Die Leistungsträger können darüber hinaus auch höhere Beträge vereinbaren (Satz 3). Sinn dieser Regelung ist nicht, bei geringen Leistungen unter 50,-- DM den Erstattungsanspruch sowie die Erfüllungsfiktion (§§ 105 Abs 2, 107 Abs 1 SGB X) zu verneinen und den Anspruch auf Beitragserstattung wegen erbrachter minimaler Leistungen als "verfallen" iS des 26 SGB IV anzusehen. Ebensowenig kann eine Verzögerung, die zum Ausschluß von Ansprüchen nach § 111 SGB X führt, weil diese verspätet geltend gemacht worden sind, zu Lasten des Versicherten gehen.

Möglich ist eine Fallgestaltung derart, daß eine Fehlversicherung bei ein und demselben Versicherungsträger korrigiert werden muß (zB irrtümliche freiwillige Versicherung bei tatsächlich bestehender, verkannter Pflichtversicherung). Dann würde eine doppelte Beitragsbelastung des Versicherten schlechthin als undenkbar erscheinen. Nicht anders kann es hier sein.

Unterschiedliche Fristen im Gesetz führen dazu, daß der Kläger einerseits aufgrund der Pflichtversicherung für eine zurückliegende Zeit Beiträge an die Beigeladene zu zahlen hat, andererseits diese aber wegen der durch § 111 SGB X begrenzten Erstattungspflicht gegenüber der Beklagten nicht für denselben Zeitraum ausgleichspflichtig ist. Die Beitragsforderung der Beigeladenen verjährt in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden ist (§ 25 Abs 1 SGB IV). Die gleiche Verjährungsfrist gilt zwar auch für die Erstattungsansprüche der §§ 102 ff SGB X (§ 113 Abs 1 SGB X). Demgegenüber beträgt aber die Ausschlußfrist des § 111 SGB X, innerhalb der die Beklagte die Erstattung (§ 105 Abs 1 SGB X) bei der Beigeladenen geltend machen muß, nur 12 Monate nach Ablauf des letzten Tages, für den die Leistung erbracht worden ist. Diese unterschiedlichen Fristen sind vom Gesetzgeber nicht aufeinander abgestimmt worden. Die Absicht, die der Gesetzgeber mit der kurzen Ausschlußfrist in § 111 SGB X verfolgt hat, besteht darin, Erstattungsansprüche zwecks Klarstellung der Verhältnisse möglichst bald abwickeln zu lassen (vgl BT-Drucks 9/95 Seite 26 zu § 117 des Entwurfs). Die Verwaltungen sollen bei der Abwickelung dieser Ansprüche möglichst kostensparend und einfach arbeiten können (vgl Hauck/Haines/Nehls, SGB X/3 § 111 Rz 1). Die Regelung betrifft folglich nur den Ausgleich unter den Versicherungsträgern, der aus den genannten Gründen unter Vernachlässigung der materiellen Rechtslage vor allem schnell und unkompliziert erfolgen soll. Dagegen wollte der Gesetzgeber nicht in die Rechtsbeziehungen der Mitglieder oder Versicherten zu ihren Versicherungsträgern eingreifen. Der Verlust des Erstattungsanspruchs nach § 111 SGB X hat nicht zur Folge, daß sich der nach den Normen der §§ 102 ff SGB X Erstattungsberechtigte nun in irgendeiner Form beim Leistungsberechtigten "schadlos" halten könnte (vgl von Wulffen in Komm zum SGB X, Hrg. Schroeder-Printzen, 2. Aufl § 111 Anm 3.3). Da das Entstehen des Erstattungsanspruchs für die Erfüllungsfiktion des § 107 Abs 1 SGB X entscheidend ist, besteht diese auch dann fort, wenn der Erstattungsanspruch nach § 111 SGB X ausgeschlossen ist (so auch von Wulffen, aaO § 107 Anm 3.3; Adami/Schroeter in Gesamtkommentar § 111 SGB X Anm 7; Gemeinsames Rundschreiben der Spitzenorganisationen der Sozialleistungsträger vom 10. und 11. März 1983 zu 1., bei Grüner, SGB, zu § 107 SGB X Anm I).

Diese Überlegungen führen zu folgendem Ergebnis: Erfüllung tritt auch durch solche Vorleistungen ein, die nur dem Grunde nach Erstattungspflicht begründen, für die aber im Einzelnen aus den genannten Gründen keine Erstattungspflicht besteht (so Wannagat-Eichenhofer, aaO Rz 7). Um die Verfallklausel aus § 26 Abs 1 SGB IV aF verneinen zu können, genügt folglich ein Erstattungsanspruch (§§ 102 ff SGB X) dem Grunde nach. Ob er im Einzelfall überhaupt oder nur zum Teil durchgesetzt werden kann, betrifft nur das Verhältnis der beteiligten Leistungsträger untereinander und ist auf den Anspruch auf Beitragserstattung ohne Einfluß.

Für den umstrittenen Zeitraum steht der Beigeladenen aus der Pflichtversicherung ein Anspruch auf Beitragszahlung gegen den Kläger zu. Zwar hat der erkennende Senat sich im Urteil vom 4. Juni 1991 (BSGE 69, 20, 22 = SozR 3-2200 § 381 Nr 2) mit der Frage befaßt, unter welchen Voraussetzungen Beiträge nicht mehr erhoben werden können, wenn die Mitgliedschaft in der Krankenversicherung rückwirkend festgestellt wird und bis dahin Sachleistungen nicht mehr in Anspruch genommen werden können. Aus solchen Erwägungen heraus läßt sich im Falle des Klägers eine doppelte Beitragsbelastung nicht vermeiden, weil etwa wegen fehlender Leistungsgewährung die Beigeladene keine Beiträge rückwirkend erheben könnte. Durch die Erfüllungsfiktion in Abs 1 des § 107 SGB X sind die von der Beklagten erbrachten Leistungen der Beigeladenen zuzurechnen. Die Fiktion ist dem in § 364 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) enthaltenen Rechtsgedanken nachgebildet worden, wonach ein Anspruch erlischt, wenn anstelle der geschuldeten Leistung eine andere erbracht worden ist (so Schreiben des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung vom 25. Oktober 1984 - IV a 1-43925-10 -, bei Grüner, aaO). Die von der Beigeladenen erhobenen Beiträge können dem Kläger daher nicht erstattet werden.

Das Ergebnis, zu dem der erkennende Senat gelangt ist, daß die Beklagte dem Kläger die streitigen Beiträge zu erstatten hat, stimmt mit der bisherigen Rechtsprechung des Senats, den von Spitzenverbänden der Krankenkassen geäußerten Ansichten sowie solchen in der Literatur überein. Zu dem vor dem Inkrafttreten des SGB IV (1. Juli 1977) geltenden Recht hat der Senat im Urteil vom 27. September 1983 (- 12 RK 23/82 - , USK 83144) bereits entschieden, ein Versicherter bekomme die für eine freiwillige Krankenversicherung entrichteten Beiträge erstattet, wenn nachträglich ein krankenversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis festgestellt werde. Dem stehe nicht entgegen, daß die Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge bei der Gewährung von Leistungen Einschränkungen unterliege, wie sie nun in § 26 SGB IV vorgeschrieben seien. Ob diese Vorschrift der Beitragserstattung entgegenstehen würde, hat der Senat damals ausdrücklich offen gelassen, aber auf § 105 Abs 1 SGB X hingewiesen. Unter Bezugnahme auf dieses Urteil haben Leistungsreferenten von Spitzenverbänden der Krankenkassen als Besprechungsergebnis am 15. und 16. Februar 1984 (Die Beiträge 1984, 302 = BKK 1984, 240 = Grüner, aaO § 111 Anm I) folgendes festgehalten: Fraglich sei, ob der Beitragserstattungsanspruch des Versicherten von dem Erstattungsanspruch der unzuständigen Krankenkasse, die irrtümlich Leistungen gewährt habe, abhänge, wenn bei einem Kassenwechsel erst nachträglich festgestellt worden sei, daß das der Mitgliedschaft zugrunde liegende Versicherungsverhältnis bereits weggefallen sei. Die Teilnehmer der Besprechung vertraten die Auffassung, der Beitragserstattungsanspruch des Versicherten werde nicht von § 111 SGB X tangiert.

Ob bei der hier gefundenen Lösung befriedigen kann, daß die Beigeladene die Beiträge des Klägers erhalten hat, aber für die streitige Zeit nicht durch Leistungen belastet worden ist, ist nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens und vom Senat nicht zu entscheiden.

Das somit zutreffende Urteil des SG mußte bestätigt und die angefochtene Entscheidung des LSG aufgehoben werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

 

Fundstellen

Haufe-Index 60308

BSGE 70, 93-99 (LT1)

BSGE, 93

DStR 1992, 1556-1556 (K)

RegNr, 20497 (BSG-Intern)

BR/Meuer SGB IV § 26, 06-02-92, 12 RK 14/90 (LT1)

USK, 9226 (LT1)

BdLKK, RdSchr KV 8/92 (LT1)

Breith 1993, 1-6 (LT1)

Die Beiträge 1993, 372-378 (LT1)

EzS, 60/89 (LT1)

HV-INFO 1993, 613-617 (LT1)

NZS 1993, 23-25 (LT1)

RdL 1993, 185-187 (LT)

SozR 3-1300 § 105, Nr 1 (L1)

SozR 3-1300 § 107, Nr 4 (L1)

SozR 3-1300 § 111, Nr 3 (L1)

SozR 3-2400 § 26, Nr 5 (LT1)

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