Beteiligte

…, Kläger und Revisionsbeklagter

…, Beklagte und Revisionsklägerin

 

Tatbestand

G r ü n d e :

I.

Die beklagte Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) wendet sich gegen ihre Verurteilung zur Neubescheidung eines Antrages des Klägers auf Gewährung berufsfördernder Leistungen zur Rehabilitation.

Der im Jahre 1944 geborene Kläger erlernte bis September 1962 den Beruf des Kraftfahrzeugmechanikers und war anschließend als Geselle in seinem erlernten Beruf beschäftigt. Im März 1975 legte er die Meisterprüfung ab. Ende 1980 mußte er aus gesundheitlichen Gründen seine Beschäftigung als Kraftfahrzeugmeister aufgeben. Nach vorübergehender Tätigkeit als Versicherungsvertreter und anschließender Arbeitslosigkeit war er im Rahmen einer befristeten Arbeitsbeschaffungsmaßnahme vom 9. November 1981 bis 31. Oktober 1982 als Werkstatt- bzw Gruppenleiterpraktikant in der Arbeitstherapie der Anstalt F. (Alkoholentwöhnungsklinik) der v. B. Anstalten B. beschäftigt. Mit Wirkung vom 1. November 1982 wurde er dort als Mitarbeiter in der Werktherapie unter Einstufung in die Vergütungsgruppe Vib des Bundesangestelltentarifes (BAT) fest angestellt.

Im Dezember 1980 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung berufsfördernder Leistungen zur Rehabilitation. In einem Eingliederungsvorschlag vom 26. August 1982 befürwortete das Arbeitsamt N. eine Ausbildung zum staatlich anerkannten "Erzieher am Arbeitsplatz" an der G. -V. -Schule - Fachschule für Arbeitserziehung und Arbeitstherapie - in W. (Baden-Württemberg). Nach einer der Beklagten erteilten Auskunft des Verbandes der Fachkrankenhäuser für Suchtkranke eV in K. vom 18. März 1983 und einem Schreiben dieses Verbandes an den Kläger vom 24. November 1983 sollte der im Frühjahr 1984 beginnende berufsbegleitende Lehrgang für Erzieher am Arbeitsplatz während eines dreijährigen Zeitraums mit jährlich zehn Wochen Unterricht in der Schule zu je 42 Unterrichtsstunden statt finden. In den zwischen den Kursen liegenden Zeiten würden Lehrbriefe versandt, Regionaltreffen abgehalten und die Teilnehmer kontinuierlich betreut.

Mit Bescheid vom 13. April 1983 lehnte die Beklagte eine Übernahme der Kosten für die berufsbegleitende Ausbildung zum Erzieher am Arbeitsplatz bei der G. -V. -Schule für die Dauer von drei Jahren ab, weil durch diese Maßnahme der gesetzliche Förderungszeitraum des § 14a Abs 3 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) überschritten werde. Der Widerspruch des Klägers wurde zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 11. Oktober 1983).

Das Sozialgericht (SG) Hannover hat nach Beiladung der Bundesanstalt für Arbeit (BA) unter Aufhebung des Bescheides vom 13. April 1983 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Oktober 1983 die Beklagte verurteilt, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden (Urteil vom 26. März 1985). Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 20. März 1986) und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt:

Die angefochtenen Bescheide der Beklagten seien rechtswidrig. Sie habe ihrer Verpflichtung, im Einzelfall Art, Umfang und Durchführung der Leistungen zur Rehabilitation sowie die Rehabilitationseinrichtung unter Beachtung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit nach pflichtgemäßem Ermessen zu bestimmen, nicht genügt, indem sie die Förderung der Ausbildung des Klägers mit der Begründung versagt habe, die Ausbildung überschreite den gesetzlichen Förderungsrahmen von zwei Jahren. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) dürfe eine Umschulung oder Fortbildung, die bei ganztägigem Unterricht länger als zwei Jahre dauere, nur gefördert werden, wenn der Versicherte bei Beachtung der in § 14a AVG enthaltenen Richtlinien nicht durch eine bis zu zweijährige Maßnahme eingegliedert werden könne. Diesen Rahmen überschreite die Ausbildung des Klägers zum Arbeitserzieher nicht. Zwar erstrecke sie sich über drei Jahre. Aber es könne nicht unbeachtet bleiben, daß sie berufsbegleitend durchgeführt und ganztägiger Unterricht in Blockform von Zeiten der Berufsausübung unterbrochen werde. Nach dem vorliegenden Material der G. -V. -Schule seien für die vom Kläger in den Jahren 1984 bis 1987 absolvierte Teilzeitausbildung insgesamt neun und je Schuljahr drei Unterrichtsblöcke vorgesehen, welche im ersten und dritten Unterrichtsjahr je zehn und im zweiten Unterrichtsjahr elf Wochen umfaßten. Nur auf diese Zeiträume entfalle ganztägiger Unterricht, dh Unterricht an mindestens fünf Werktagen im Umfange von wöchentlich mindestens 25 Unterrichtsstunden (Hinweis auf BSG SozR 4460 § 11 Nr 6). Allerdings werde diese Teilzeitausbildung durch Lehrbriefe, Regionaltreffen und Beratung durch Lehrkräfte der Schule und Mentoren der Fachbereiche ergänzt. Dem Kläger werde im Abstand von drei Wochen eine Hausaufgabe gestellt, die er in seiner Freizeit bearbeite. Zwischen den Unterrichtsblöcken finde je eine Lehrprobe statt, welche eine Unterrichtsstunde dauere, aber eine Vorbereitung von etwa 15 Stunden erfordere, für die der Kläger ebenfalls seine freie Zeit verwende. Lediglich die Regionaltreffen unter Teilnahme von etwa fünf Schülern und einem Mentor entfielen auf einen regulären Arbeitstag. Zwischen den Unterrichtsblöcken finde je ein Treffen statt. Dem Kläger werde auch für die Zeiten des Unterrichts sein volles Gehalt weitergezahlt. Auch unter Berücksichtigung der Betätigungen zwischen den Unterrichtsblöcken könne die Ausbildung des Klägers allenfalls einer zweijährigen Schulung gleichgesetzt werden. Nach der Verordnung der baden-württembergischen Landesregierung über die Schulen für Erzieher - Fachrichtung Jugend- und Heimerziehung -, Erziehungspflege, Arbeitserziehung und Heilerziehungshilfe vom 20. Januar 1981 (GBl S 50) dauere die Ausbildung an einer Schule für Erzieher der Fachrichtung Arbeitserziehung zwei Jahre, bei Teilzeitausbildung drei Jahre. Neben der erfolgreichen Ablegung der Prüfung sei für die staatliche Anerkennung als Arbeitserzieher die Ableistung eines einjährigen Berufspraktikums nachzuweisen. Dieses gelte nach der Verwaltungsvorschrift des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Sozialordnung über die staatliche Anerkennung ua von Arbeitserziehern vom 22. September 1981 (GABl S 1607) für Arbeitserzieher, die eine Teilzeitausbildung durchlaufen hätten, als abgeleistet, wenn sie während der Dauer der Ausbildung eine berufliche Tätigkeit nach Richtlinien der Schule in einer geeigneten Einrichtung abgeleistet und sich dabei bewährt hätten. Aufgrund seiner praktischen Tätigkeit in der Arbeitstherapie seit November 1981 werde der Kläger seine staatliche Anerkennung als Arbeitserzieher voraussichtlich ohne Ableistung eines Praktikums erlangen. Seine Teilzeitausbildung entspreche daher praktisch der zweijährigen unterrichtsmäßigen Ausbildung an der Fachschule. Die Förderung der berufsbegleitenden Ausbildung verstoße nicht gegen Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit. Die Ausbildung sei vielmehr kostengünstig, weil der Kläger Gehalt beziehe und deshalb Zahlungen von Übergangsgeld allenfalls in begrenztem Umfange anfielen.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 14a Abs 3 Satz 2 AVG. Die Umschulung des Klägers zum Erzieher übersteige die vorgeschriebene Höchstdauer von zwei Jahren. Das LSG habe verkannt, daß selbst bei Zusammenrechnung der Unterrichtsblöcke die Ausbildung zum Erzieher nicht zwei, sondern insgesamt drei Jahre betrage, weil neben der Prüfung für die staatliche Anerkennung als Arbeitserzieher ein einjähriges Berufspraktikum abzuleisten sei. Auch bei der Teilzeitausbildung reiche der Blockunterricht allein für die Abschlußprüfung nicht aus. Es bedürfe ebenfalls einer begleitenden praktischen Tätigkeit, die bei der Berechnung der Ausbildungsdauer nicht außer acht gelassen werden dürfe. Ohne die begleitende praktische Tätigkeit sei der insgesamt zweijährige Blockunterricht für das abschließende Examen unzureichend und damit die vorgeschriebene Höchstförderungsdauer nicht eingehalten. Im übrigen könne keineswegs als sicher vorausgesetzt werden, daß dem Kläger die staatliche Anerkennung als Arbeitserzieher ohne Ableistung eines Praktikums erteilt werde, so daß bei Beginn der Maßnahme die Einhaltung der Frist von zwei Jahren für die Ausbildung nicht gewährleistet sei. Das LSG habe weiterhin nicht geprüft, ob der Kläger nicht durch eine kürzere Ausbildung von zwei Jahren beruflich eingegliedert werden könne. Es treffe nicht zu, daß die Ausbildung des Klägers zum Erzieher kostengünstig sei. Die Gehaltszahlung an ihn beruhe auf der Förderung nach dem 4. Schwerbehindertensonderprogramm des Bundes und der Länder. Der danach dem Arbeitgeber zu zahlende Zuschuß zum Arbeitsentgelt bei Beschäftigung eines Schwerbehinderten werde nur subsidiär im Verhältnis zu den vorrangig verpflichteten Leistungsträgern gewährt, so daß dem Kläger gegen sie (Beklagte) dem Grunde nach ein Anspruch auf Eingliederungshilfe oder auf Übergangsgeld auch für die zwischen den Ausbildungsblöcken liegenden Zeiträume und somit insgesamt länger als zwei Jahre zustehen würde. Im Falle einer Förderung des Klägers müsse sie (Beklagte) unter Beachtung des Gleichheitsgrundsatzes auch solche Versicherte fördern, die nicht bei einem Arbeitgeber angestellt wären, der für sie Arbeitsentgelt entrichte oder aufgrund eines Sonderprogramms einen Gehaltszuschuß erhalte. Es sei sachfremd, bei der Förderung einer längerdauernden Maßnahme danach zu unterscheiden, ob der Versicherte von dritter Seite notwendige Mittel zum Lebensunterhalt erhalte, die gegebenenfalls ihr (der Beklagten) erspart blieben.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,die Urteile des Sozialgerichts Hannover vom 26. März 1985 und des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 20. März 1986 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragtnach dem Sinn seines Vorbringens, die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Die Beklagte habe ermessensfehlerhaft alternative Umschulungsmaßnahmen zur Diskussion gestellt und die Förderung der Ausbildung zum Arbeitserzieher versagt. Diese Ausbildung berücksichtige seine (des Klägers) Neigungen und Fähigkeiten, bewirke offensichtlich eine dauerhafte Eingliederung, bewahre Renten- und Arbeitslosenversicherung vor Belastungen und sei preisgünstiger als alle anderen Maßnahmen.

Die Beigeladene hat von einer Stellungnahme abgesehen.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) erteilt.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die durch Zulassung statthafte Revision der Beklagten ist zulässig, aber nicht begründet.

Die Vorinstanzen haben zutreffend den Bescheid der Beklagten vom 13. April 1983 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Oktober 1983 als rechtswidrig angesehen und die Beklagte verpflichtet, dem Kläger auf seinen Antrag auf Förderung seiner Ausbildung zum Erzieher am Arbeitsplatz an der G. -V. -Schule einen neuen Bescheid zu erteilen.

Nach § 13 Abs 1 AVG in seiner ab 1. Januar 1982 geltenden Fassung des Art 12 Nr 1 des Zweiten Gesetzes zur Verbesserung der Haushaltsstruktur (2. Haushaltsstrukturgesetz -2. HStruktG-) vom 22. Dezember 1981 (BGBl I S 1523) kann, wenn die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten wegen Krankheit oder körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung erheblich gefährdet oder wenn sie gemindert ist, die BfA Leistungen zur Rehabilitation erbringen, wenn die Erwerbsfähigkeit durch diese Leistungen wesentlich gebessert oder wiederhergestellt werden kann oder wenn bei einer bereits geminderten Erwerbsfähigkeit durch diese Leistungen der Eintritt von Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit abgewendet werden kann (Satz 1). Der Umfang der Leistungen zur Rehabilitation richtet sich nach §§ 14 bis 14b AVG (Satz 4). Die BfA bestimmt im Einzelfall Art, Umfang und Durchführung der Leistungen zur Rehabilitation sowie die Rehabilitationseinrichtung unter Beachtung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit nach pflichtgemäßem Ermessen (Satz 5). § 13 Abs 1 AVG ist in der bis zum 31. Dezember 1981 geltenden Fassung anzuwenden, wenn die Leistungen vor dem 1. Januar 1982 bewilligt oder in Anspruch genommen worden sind (§ 13 Abs 4 AVG idF des Art 12 Nr 1 Buchst b des 2. HStruktG). Versicherter ist bei berufsfördernden Maßnahmen zur Rehabilitation, wer im Zeitpunkt der Antragstellung eine Versicherungszeit von 180 Kalendermonaten zurückgelegt hat oder Rente wegen Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit bezieht (§ 13 Abs 1a Satz 1 Halbsatz 2 AVG idF des Art 2 § 2 Nr 4 Buchst b des Zwanzigsten Rentenanpassungsgesetzes -20. RAG- vom 27. Juni 1977; BGBl I S 1040). Die berufsfördernden Leistungen zur Rehabilitation umfassen ua berufliche Anpassung, Fortbildung, Ausbildung und Umschulung einschließlich eines zur Teilnahme an diesen Maßnahmen erforderlichen Abschlusses. Berufsfördernde Leistungen zur Rehabilitation sollen für die Zeit erbracht werden, die vorgeschrieben oder allgemein üblich ist, um das angestrebte Berufsziel zu erreichen. Leistungen für die berufliche Umschulung und Fortbildung sollen in der Regel nur erbracht werden, wenn die Maßnahme bei ganztägigem Unterricht nicht länger als zwei Jahre dauert, es sei denn, daß der Betreute nur durch eine längerdauernde Maßnahme eingegliedert werden kann (§ 14a Abs 1 Satz 1 Nr 3 und Abs 3 AVG idF des § 22 Nr 7 des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation vom 7. August 1974, BGBl I S 1881; = RehaAnglG).

Das Rehabilitationsbegehren des Klägers richtet sich nach § 13 Abs 1 AVG idF des 2. HStruktG, 13 Abs 1a AVG idF des 21. RAG und § 14a AVG idF des RehaAnglG. Der Anwendbarkeit des § 13 Abs 1 AVG idF des 2. HStruktG steht nicht entgegen, daß der Kläger bereits im Dezember 1980 und somit vor dem Inkrafttreten des 2. HStruktG bei der Beklagten die Gewährung berufsfördernder Leistungen zur Rehabilitation beantragt hat. Zwar richtet sich der zeitliche Anwendungsbereich einer Norm, die eine Leistung zur Rehabilitation durch den Träger der gesetzlichen Rentenversicherung vorsieht, danach, wann die Rehabilitationsmaßnahme aus den im Gesetz genannten Gründen geboten war (vgl Urteile des erkennenden Senats in BSGE 55, 120, 122 = SozR 2200 § 1237 Nr 19 S 40; BSG SozR 2200 § 1236 Nr 42 S 91f; BSGE 58, 263, 266f = SozR 2200 § 1237 Nr 20 S 48; jeweils mwN). Das gilt jedoch nur, soweit nicht im Einzelfall später in Kraft gesetztes neues Recht ausdrücklich oder sinngemäß etwas anderes bestimmt (BSGE 45, 212, 214 = SozR 2200 § 182 Nr 29 S 50). Das ist bezüglich der Anwendbarkeit des § 13 Abs 1 AVG in seiner bis zum 31. Dezember 1981 geltenden Fassung (aF) durch § 13 Abs 4 AVG idF des 2. HStruktG geschehen. Danach ist § 13 Abs 1 AVG aF in der Zeit ab 1. Januar 1982 nur noch dann anzuwenden, wenn die Leistungen vor diesem Zeitpunkt bewilligt oder in Anspruch genommen worden sind. Die Beklagte hat vor dem 1. Januar 1982 weder dem Kläger eine berufsfördernde Leistung zur Rehabilitation bewilligt noch überhaupt über dessen Antrag entschieden. Der Kläger hat auch vor diesem Zeitpunkt nicht eine Leistung "in Anspruch genommen". Dabei ist unter "Inanspruchnahme" einer Leistung nicht deren Beantragung zu verstehen (so aber offenbar BSG SozR 2200 § 1237a Nr 24 S 67). Vielmehr bedeutet Inanspruchnahme den tatsächlichen Beginn oder Antritt einer Rehabilitationsmaßnahme (vgl Kommentar zum 4. und 5. Buch der Reichsversicherungsordnung, herausgegeben vom Verband Deutscher Rentenversicherungsträger, Stand 1. Januar 1987, § 1236 RVO, Rdn 30; Zweng/Scheerer/Buschmann, Handbuch der Rentenversicherung, 2. Aufl, Stand September 1986, § 1236 RVO, Anm VI). Der Kläger hat vor dem 1. Januar 1982 eine Rehabilitationsmaßnahme nicht angetreten.

Die von ihm beantragte Leistung ist eine solche zur Rehabilitation (vgl BSG SozR 2200 § 1237a Nr 17 S 43; BSGE 52, 123, 126f SozR aaO Nr 19 S 55f, jeweils mwN) mittels beruflicher Förderung (dazu BSGE 50, 156, 159 = SozR 2200 § 1237 Nr 15 S 21). Der Kläger erfüllt die leistungsrechtlichen (§ 13 Abs 1 Satz 1 AVG) und versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (§ 13 Abs 1a Satz 1 Halbsatz 2 AVG) für die Gewährung der Leistung. Das ist unter den Beteiligten nicht streitig. Streitig ist allein, ob die negative Leistungsvoraussetzung (vgl BSGE 46, 198, 201 = SozR 2200 § 1237a Nr 3 S 4) des § 14a Abs 3 Satz 2 AVG erfüllt ist und die Beklagte wegen des in dieser Vorschrift statuierten grundsätzlichen Verbotes einer Gewährung bzw Förderung längerer als zwei Jahre dauernder Umschulungen (vgl BSGE 49, 263, 265 = SozR aaO Nr 10 S 16) den Antrag des Klägers hat ablehnen müssen oder dürfen. Das ist zu verneinen.

§ 14a Abs 3.Satz 2 AVG hat seine geltende Fassung durch das RehaAnglG erhalten. Ihm entsprechen im Bereich des Unfallversicherungsrechts § 567 Abs 3 Satz 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) und für die von der BA zu gewährenden berufsfördernden Leistungen zur Rehabilitation § 56 Abs 4 Satz 2 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG), ebenfalls in den Fassungen des RehaAnglG. Die Vorschriften gehen zurück auf § 11 Abs 3 Halbsatz 2 (jetzt Satz 1 Halbsatz 2) RehaAnglG, wonach Leistungen für die berufliche Umschulung und Fortbildung in der Regel nur erbracht werden sollen, wenn die Maßnahme bei ganztägigem Unterricht nicht länger als zwei Jahre dauert, es sei denn, daß der Behinderte nur über eine längerdauernde Maßnahme eingegliedert werden kann. Zu dieser Bestimmung heißt es im Regierungsentwurf des RehaAnglG (BT-Drucks 7/1237, S 58; abgedruckt bei Jung/Preuß, Rehabilitation, Die Angleichung der Leistungen, 2. Aufl 1975, S 166), die berufsfördernden Maßnahmen zur Rehabilitation seien zügig durchzuführen. Dies gelte insbesondere für erwachsene Behinderte. Das bedeute, daß grundsätzlich eine Vollzeitausbildung, verbunden mit internatsmäßiger Unterbringung der Behinderten, in Betracht komme. Die Erfahrungen in modernden Berufsbildungswerken hätten gezeigt, daß unter diesen Voraussetzungen die Maßnahmen der Umschulung und Fortbildung bei Erwachsenen in zwei Jahren erfolgreich abgeschlossen werden könnten. Berufsfördernde Maßnahmen dieser Art sollten daher im allgemeinen zwei Jahre nicht überschreiten.

Schon der Wortlaut des § 11 Abs 3 Halbsatz 2 RehaAnglG und des ihm entsprechenden § 14a Abs 3 Satz 2 AVG läßt erkennen, daß die Maßnahme der beruflichen Umschulung oder Fortbildung als solche grundsätzlich einen Zeitraum von zwei Jahren nicht überschreiten darf. Die Vorschriften greifen also nicht bereits dann ein, wenn eine Maßnahme mit zeitlichen Unterbrechungen über eine Zeitspanne von mehr als zwei Jahren durchgeführt wird. Sie sind vielmehr erst und nur dann anwendbar, wenn die Maßnahme selbst von ihrem Beginn bis zur Erreichung des angestrebten Berufsziels (vgl § 11 Abs 3 Halbsatz 1 RehaAnglG, § 14a Abs 3 Satz 2 AVG) zusammenhängend länger als zwei Jahre dauert. Überdies erweisen die Gesetzesmotive, daß eine Maßnahme der beruflichen Umschulung oder Fortbildung im Umfange von mehr als zwei Jahren nur dann im Regelfall nicht bewilligt werden darf, wenn sie den Versicherten zeitlich voll in Anspruch nimmt und er während ihrer Durchführung in einem Berufsbildungswerk oder einer ähnlichen Rehabilitationseinrichtung internatsmäßig untergebracht ist. Allerdings zeigt die Gesetzesbegründung nicht auf, was unter "ganztägigem Unterricht" oder einer "Vollzeitausbildung" zu verstehen ist. Indes legt bereits der natürliche Sprachgebrauch die Schlußfolgerung nahe, daß es sich dabei um einen Unterricht oder eine in sonstiger Form durchgeführte Ausbildung handeln muß, die den Rehabilitanden unter Berücksichtigung der für eine eventuelle Vorbereitung, Nacharbeit und Wiederholung des Unterrichts- oder Lehrstoffs erforderlichen Zeit in annähernd demselben Umfange zeitlich beansprucht wie eine in Vollzeit ausgeübte Erwerbstätigkeit. Zu Recht hat das LSG im Zusammenhang hiermit auf das Urteil des 7. Senats des BSG vom 17. Februar 1981 (BSG SozR 4460 § 11 Nr 6) hingewiesen. Danach kann § 11 Abs 2 Satz 1 der Anordnung des Verwaltungsrates der BA über die individuelle Förderung der beruflichen Fortbildung und Umschulung (AFuU) vom 9. September 1971 idF vom 19. Dezember 1973 (ANBA 1974, 493), wonach eine Maßnahme im ganztägigen Unterricht durchgeführt wird, wenn der Unterricht in jeder Woche an mindestens fünf Werktagen stattfindet und wenigstens 25 Unterrichtsstunden umfaßt, lediglich dahin verstanden werden, daß er eine Vermutung dafür aufstellt, wann auf jeden Fall ganztägiger Unterricht vorliegt. Damit liegt ein solcher Unterricht jedenfalls vor, wenn er sich über die in der Vorschrift bestimmten Grenzen erstreckt. Die Bestimmung besagt jedoch nicht, daß dies unter anderen als den dort normierten Voraussetzungen nicht der Fall ist. Vielmehr ist insoweit darauf abzustellen, ob der Bildungswillige wegen der Teilnahme an der Maßnahme durch die Unterrichtszeit sowie durch Vor- und Nacharbeit, Hausaufgaben und Wegezeiten daran gehindert ist, einer Beschäftigung nachzugehen. Dieser Gedanke läßt sich schon unter dem Gesichtspunkt der Einheitlichkeit der Rechtsordnung auch für den vorliegenden Fall nutzbar machen. Der Begriff des "ganztägigen Unterrichts" iS des § 14a Abs 3 Satz 2 AVG ist deswegen dahin auszulegen, daß darunter Lehrveranstaltungen oder praktische Ausbildungen zu verstehen sind, die einschließlich der dafür erforderlichen Vorbereitung, Nacharbeit, Wiederholungen und Wegezeiten den Rehabilitanden zeitlich derart beanspruchen, daß er daneben einer Erwerbstätigkeit nicht nachgehen kann.

Die Umschulung des Klägers zum Erzieher am Arbeitsplatz bei der G. -V. -Schule ist unter Anlegung dieser Kriterien nicht iS des § 14a Abs 3 Satz 2 AVG eine "Maßnahme bei ganztägigem Unterricht" von einer längeren als zweijährigen Dauer. Zwar erstreckt sie sich nach den mit der Revision nicht angefochtenen und damit für den Senat bindenden (§ 163 SGG) tatsächlichen Feststellungen des LSG auf die Zeit von September 1984 bis Juli 1987 und damit auf eine Zeitspanne von über zwei Jahren. Die Dauer der Umschulung selbst ist jedoch geringer. Innerhalb des knapp dreijährigen Zeitraums wird ganztägiger Unterricht lediglich während dreier Unterrichtsblöcke mit zusammen 31 Wochen entsprechend etwa sieben Monaten erteilt. Allerdings erschöpft sich darin die Umschulungsmaßnahme nicht. Dem Kläger wird vielmehr nach den Feststellungen des Berufungsgerichts im Abstand von drei Wochen eine schriftlich zu bearbeitende Hausaufgabe gestellt. Er hat überdies zwischen den Unterrichtsblöcken je eine Lehrprobe von der Dauer einer Unterrichtsstunde abzulegen, welche eine Vorbereitung von etwa 15 Stunden erfordert. Schließlich hat er ebenfalls je einmal zwischen den Unterrichtsblöcken an einem ganztägigen und auf einen regulären Arbeitstag fallenden Regionaltreffen zwischen Schülern der G. -V. -Schule und einem Mentor teilzunehmen. Aber selbst unter Einbeziehung dieser neben den Blockunterricht tretenden begleitenden Ausbildungstätigkeiten beansprucht die Umschulung insgesamt eine Dauer von weniger als zwei Jahren. Denn dafür, daß neben dem Blockunterricht von ca sieben Monaten die begleitenden Tätigkeiten eine zeitliche Inanspruchnahme von insgesamt mehr als 17 Monaten mit sich bringen, bestehen keine Anhaltspunkte. Das ist um so weniger der Fall, als der Kläger mit Ausnahme der Unterrichtsblöcke und der Regionaltreffen seine Umschulung neben seiner beruflichen Tätigkeit als Mitarbeiter in der Werktherapie betreibt.

Das LSG hat bei der Feststellung der Dauer der Umschulung des Klägers zutreffend die Zeit eines Praktikums nicht einbezogen. Zwar ist nach ständiger Rechtsprechung des BSG ein zur Erreichung des angestrebten Berufszieles erforderliches Berufspraktikum als Teil der Umschulung zu berücksichtigen (vgl BSGE 48, 92, 97f = SozR 2200 § 1236 Nr 15 S 33; BSG SozR aaO Nr 16 S 38f; BSGE 49, 263, 265 = SozR 2200 § 1237a Nr 10 S 16). Beim Kläger ist jedoch ein Berufspraktikum nicht erforderlich, weil er nach den Feststellungen des Berufungsgerichts bereits seit November 1981 in der Arbeitstherapie praktisch tätig ist und deswegen die staatliche Anerkennung als Arbeitserzieher voraussichtlich ohne Ableistung eines Berufspraktikums erlangen wird. Auf diese prognostische Beurteilung hat sich das LSG beschränken dürfen. § 14a Abs 3 Satz 2 AVG gebietet nicht, daß von vornherein die "Garantie" für eine Beendigung der Umschulung innerhalb der Regelförderungszeit von zwei Jahren gegeben ist. Es reicht aus, daß unter Berücksichtigung der im Zeitpunkt der vorausschauenden Betrachtung erkennbaren Umstände des Einzelfalles mit hinreichender Sicherheit eine Überschreitung des Zweijahreszeitraums nicht zu erwarten ist (vgl BSGE 50, 184, 186 = SozR 2200 § 1237a Nr 15 S 34). Diese hinreichende Sicherheit hat sich das LSG durch Heranziehung der Verwaltungsvorschrift des baden-württembergischen Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Sozialordnung über die staatliche Anerkennung ua von Arbeitserziehern vom 22. September 1981 (GABl S 1607) rechtsfehlerfrei verschafft.

Soweit die Revision den Ausführungen des Berufungsgerichts, die berufsbegleitende Ausbildung des Klägers stelle sich als kostengünstig dar, mit der Begründung entgegentritt, die Gehaltszahlung an den Kläger beruhe auf einer Förderung nach dem 4. Schwerbehindertensonderprogramm des Bundes und der Länder und sei daher gegenüber Leistungen der vorrangig verpflichteten Leistungsträger nur subsidiär, so daß dem Kläger dem Grunde nach ein Anspruch auf Eingliederungshilfe oder auf Übergangsgeld zustehe, kann dem der Senat nicht nachgehen. Insofern handelt es sich bezüglich des Grundes der Gehaltszahlung an den Kläger um neues tatsächliches Vorbringen. Dieses darf im Revisionsverfahren nicht beachtet werden.

Soweit es die Beklagte schließlich für sachfremd hält, bei der Förderung einer längerdauernden Maßnahme danach zu unterscheiden, ob der Versicherte von dritter Seite notwendige Mittel zum Lebensunterhalt erhalte, die gegebenenfalls ihr (der Beklagten) erspart blieben, ist dem entgegenzuhalten, daß das LSG eine solche Differenzierung nicht vorgenommen hat. Es hat lediglich ausgeführt, unter Berücksichtigung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit stelle sich die berufsbegleitende Ausbildung des Klägers als kostengünstig dar, weil ihm während der Ausbildung mit Ausnahme der Zeiten des Blockunterrichts Gehalt gezahlt werde und deshalb Zahlungen von Übergangsgeld wenn überhaupt, so nur in ganz begrenztem Umfang anfallen dürften. Das ist eine Feststellung und Würdigung von Tatsachen, gegen welche die Beklagte zulässige und begründete Revisionsrügen (vgl § 164 Abs 2 Satz 3 SGG) nicht vorgebracht hat.

Die Beklagte hat nach alledem rechtsfehlerhaft die negative Anspruchsvoraussetzung des § 14a Abs 3 Satz 2 AVG als erfüllt angesehen. Allein mit dieser Erwägung hat sie den Antrag des Klägers auf Übernahme der Kosten seiner berufsbegleitenden Ausbildung an der G. -V. -Schule nicht ablehnen dürfen. Das gestattet aber nicht ihre Verurteilung zur Übernahme dieser Kosten. Über die Gewährung von Leistungen zur Rehabilitation hat der Rentenversicherungsträger gegenüber dem Versicherten nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden (vgl Urteil des erkennenden Senats in BSGE 58, 263, 269f = SozR 2200 § 1237 Nr 20 S 50f mwN). Demzufolge darf im Falle einer rechtswidrigen Versagung dieser Leistungen der Versicherungsträger lediglich zur Erteilung eines neuen Bescheides verurteilt werden. Das haben die Vorinstanzen zutreffend erkannt. Die Revision erweist sich somit als unbegründet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI518020

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