Verfahrensgang

LSG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 31.01.2018; Aktenzeichen L 16 R 945/16)

SG Cottbus (Entscheidung vom 19.09.2016; Aktenzeichen S 5 R 190/15)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 31. Januar 2018 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.

 

Gründe

Mit Urteil vom 31.1.2018 hat das LSG Berlin-Brandenburg einen Anspruch der Klägerin auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht für ihre Beschäftigung bei dem Beigeladenen ab 1.4.2011 verneint.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin Beschwerde beim BSG eingelegt. Sie beruft sich auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und auf Rechtsprechungsabweichung (Divergenz).

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist.

Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG),

- das Urteil von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (aaO Nr 2) oder

- ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (aaO Nr 3).

Derartige Gründe werden in der Beschwerdebegründung nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des § 160a Abs 2 S 3 SGG dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.

Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so genannte Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Diesen Anforderungen wird die vorliegende Beschwerdebegründung nicht gerecht.

Die Klägerin hält als "Rechtsfragen" für grundsätzlich bedeutsam,

(1) "ob sich die einmal ausgesprochene Befreiung nur auf Nebentätigkeiten neben der die Befreiung rechtfertigen ≪richtig wohl: rechtfertigenden≫ Hauptbeschäftigung und auf vorübergehend unterbrechende Beschäftigungen der Hauptbeschäftigung oder auch auf eine allein ausgeübte neue Vollzeitbeschäftigung erstrecken kann" und

(2) "ob die Erstreckung einer Befreiung nach § 6 V S. 2 SGB VI eines Antrags bei Aufnahme der neuen Tätigkeit bedarf".

Die Klägerin wird hinsichtlich der ersten (indirekten) Frage bereits dem ersten Erfordernis nicht gerecht. Durch die Verwendung der Konjunktion "oder" wird jedenfalls kein Fragesatz erzeugt, der eindeutig mit "ja" oder "nein" beantwortet werden kann, was grundsätzlich erforderlich ist (vgl BSG, Beschuss vom 5.11.2008 - B 6 KA 24/07 B - sowie BAGE 121, 52 RdNr 5 f). Bei der Aussage auf S 3 unter I.3 der Begründung "Grundsätzliche Bedeutung hat auch …" handelt es sich schon semantisch nicht um einen Fragesatz. Zudem fehlt es an einem konkreten Bezug zum Tatbestand eines Rechtssatzes.

Es kann dahinstehen, ob die Klärungsbedürftigkeit der angesprochenen Probleme im erforderlichen Umfang dargelegt ist. Jedenfalls ist ihre Klärungsfähigkeit, dh Entscheidungserheblichkeit, nicht schlüssig dargetan.

Ob eine "Rechtsfrage" im angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig ist, kann generell nur auf der Grundlage bereits getroffener Feststellungen beantwortet werden. Dagegen kann die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung nicht zugelassen werden, wenn das Berufungsgericht eine Tatsache, die für die Entscheidung der mit der Nichtzulassungsbeschwerde angesprochenen Rechtsfrage erheblich sein würde, noch nicht festgestellt hat und damit nur die Möglichkeit besteht, dass sie nach Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht und nach weiterer Sachverhaltsaufklärung entscheidungserheblich werden kann (BSG Beschluss vom 10.11.2008 - B 12 R 14/08 B - Juris RdNr 6 mwN). Insofern hätte die Klägerin aufzeigen müssen, welchen Sachverhalt das LSG für das BSG bindend festgestellt hat (§ 163 SGG) und dass auf dieser Grundlage im angestrebten Revisionsverfahren notwendig über die mit der Beschwerde angesprochene Problematik entschieden werden muss. Die Klägerin gibt bereits nicht den der Berufungsentscheidung zugrunde liegenden, vom LSG festgestellten Sachverhalt wieder. Zwar schildert sie Bruchstücke eines Sachverhalts. Ob die dort angegebenen Einzelumstände auf Feststellungen des Berufungsgerichts beruhen, ist ihren Ausführungen nicht zu entnehmen. Fehlt jedoch die maßgebliche Sachverhaltsdarstellung, wird das Beschwerdegericht nicht in die Lage versetzt, allein anhand der jeweiligen Beschwerdebegründung zu beurteilen, ob die als grundsätzlich erachteten Rechtsfragen entscheidungserheblich sind, dh über sie im Fall der Revisionszulassung nach zulässiger Einlegung der Revision notwendig zu entscheiden ist. Keinesfalls gehört es zu den Aufgaben des Beschwerdegerichts, sich die maßgeblichen Tatsachen aus der angegriffenen Entscheidung selbst herauszusuchen (Senatsbeschlüsse vom 16.5.2012 - B 5 R 442/11 B - BeckRS 2012, 70568 RdNr 13 und vom 21.2.2012 - B 5 R 222/11 B - BeckRS 2012, 69065 RdNr 9).

Auch die Divergenzrüge hat keinen Erfolg (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG). Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG liegt vor, wenn die tragenden abstrakten Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zu Grunde gelegt worden sind, nicht übereinstimmen. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hat. Eine Abweichung liegt folglich nicht schon dann vor, wenn die Entscheidung des LSG nicht den Kriterien entspricht, die das BSG aufgestellt hat, sondern erst, wenn das LSG diesen Kriterien widersprochen, also eigene rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Abweichung. Darüber hinaus verlangt der Zulassungsgrund der Divergenz, dass der angefochtene Beschluss auf der Abweichung beruht. Bezogen auf die Darlegungspflicht bedeutet das vorstehend Gesagte, dass die Beschwerdebegründung erkennen lassen muss, welcher abstrakte Rechtssatz in der höchstrichterlichen Entscheidung enthalten ist und welcher im Beschluss des LSG enthaltene Rechtssatz dazu im Widerspruch steht; ferner muss aufgezeigt werden, dass auch das Revisionsgericht die oberstgerichtliche Rechtsprechung in einem künftigen Revisionsverfahren seiner Entscheidung zu Grunde zu legen haben wird (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 72 f mwN). Diesen Darlegungserfordernissen wird die Begründung nicht gerecht.

Die Klägerin trägt vor, das LSG stelle "die beiden Rechtssätze auf, wonach

- es eines Antrags für die Erstreckung nach § 6 V S. 2 SGB VI bedürfe und

- diese Erstreckung nur auf unterbrechende und Nebentätigkeiten möglich ist, solange die ursprüngliche Beschäftigung aufrecht erhalten bleibt."

Im Gegensatz dazu gehe das BSG in seinem Urteil vom 31.10.2013 (richtig wohl: 31.10.2012) - B 12 R 8/10 R - "von einer Erstreckung gem. § 6 V S. 2 SGB VI kraft Gesetzes" aus. Aus dem Urteil des BSG vom 7.12.2000 - B 12 KR 11/00 R - sei der Rechtssatz zu entnehmen, "dass sich die Versicherungsfreiheit nach § 6 V S. 2 SGB VI auch auf hauptberufliche Beschäftigungen anstelle der ursprünglich ausgeübten Hauptbeschäftigung" erstrecke.

Die Klägerin zeigt jedoch jedenfalls nicht auf, dass die Entscheidung des LSG auf der behaupteten Divergenz beruht. Denn die Beschwerdebegründung legt nicht dar, dass das BSG in der herangezogenen Entscheidungen auf der Grundlage des darin angeblich aufgestellten Rechtssatzes eine Fallkonstellation, die mit derjenigen der Klägerin vergleichbar ist, tragend anders entschieden hat als das LSG im angefochtenen Urteil. Dafür genügt es keinesfalls, den Entscheidungen des BSG isoliert einzelne Sätze zu entnehmen. Stattdessen ist der tatsächliche und rechtliche Kontext darzustellen, in dem die herangezogenen höchstrichterlichen Rechtssätze stehen (vgl hierzu zB BSG Beschluss vom 7.2.2007 - B 6 KA 56/06 B - BeckRS 2007, 41946 RdNr 10 mwN). Zum Kontext der Entscheidungen des BSG ist der Beschwerdebegründung aber schon deshalb nichts zu entnehmen, weil sie verschweigt, welchen Sachverhalt das BSG jeweils zu beurteilen hatte, sodass auch nicht deutlich wird, welche rechtlichen Aussagen es wirklich getroffen hat und welche Aussagen ggf auf einer Interpretation der Klägerin beruhen. Eine konkrete Sachverhaltsdarstellung auch der Entscheidungen des BSG gehört aber zu den Mindestvoraussetzungen, um die Entscheidungserheblichkeit der Divergenzrüge prüfen zu können. Denn eine die Rechtseinheit gefährdende Abweichung kann nur bei gleichem oder vergleichbarem Sachverhalt vorliegen, auf den dieselben Rechtsnormen anzuwenden sind.

Die Klägerin rügt weiter, das LSG habe Entscheidungen des BSG zitiert, denen abstrakte Rechtssätze zu entnehmen seien, "dass in Zweifelsfällen zu Gunsten des Bescheidempfängers auszulegen ist und dass der gesamte Inhalt eines Bescheides, also nicht nur der eigentliche, als solcher gekennzeichnete Verfügungssatz, zur Klärung von Unklarheiten oder Widersprüchen heranzuziehen ist." Von den beiden Rechtssätzen weiche das LSG "mit seiner verkürzten Auslegungsmethode von der anderslautenden Rechtsprechung des BSG ab." Es berücksichtige "allein einen Hinweis auf die Tätigkeitsbezogenheit im Bescheid und dies ohne auch nur zu erforschen, welche befreite Tätigkeit im Jahre 2004 wirklich gemeint" gewesen sei.

Damit verkennt die Klägerin, dass eine Divergenz nicht schon dann besteht, wenn das Berufungsgericht einen höchstrichterlichen Rechtssatz ggf missversteht oder aus sonstigen Gründen nicht oder falsch anwendet (BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 26 S 45 mwN). Eine Divergenz setzt vielmehr voraus, dass das LSG die höchstrichterliche Rechtsprechung infrage stellt, was indes nicht der Fall ist, wenn es eine höchstrichterliche Entscheidung in ihrer Tragweite für den entschiedenen Fall verkannt haben sollte (vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 73 mwN). Deshalb hätte die Klägerin vertieft darauf eingehen müssen, warum es sich bei der behaupteten Abweichung des Berufungsgerichts nicht lediglich um eine falsche Rechtsanwendung im Einzelfall handelt, in der ein eigener Rechtssatz des Berufungsgerichts gerade nicht zum Ausdruck kommt (vgl im Einzelnen BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 26 S 45).

Auch im Übrigen ist die von der Klägerin behauptete Unrichtigkeit der angegriffenen Entscheidung im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde unbeachtlich und kann dort nicht gerügt werden.

Von einer weiteren Begründung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI12038001

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