Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Das "Kennenmüssen" des Finanzamts ist im Falle des § 222 Abs. 1 Ziff. 2 AO der Kenntnis des Finanzamts nicht gleichzusetzen.

 

Normenkette

AO § 222 Abs. 1 Nrn. 1-2

 

Gründe

Der Streitfall betrifft u. a. die Frage, ob eine Umsatzsteuerveranlagung nach § 222 Abs. 1 Ziff. 2 AO berichtigt werden kann, weil das Finanzamt (FA) das Bestehen einer Unternehmereinheit zwischen der Steuerpflichtigen (Stpfl.) und einer anderen Gesellschaft, und zwar insbesondere das Bestehen eines Nebenordnungsverhältnisses, nicht gekannt hat. Der nachstehend veröffentlichte Teil des Urteils setzt sich mit der Auffassung des Finanzgerichts (FG) auseinander, das "Kennenmüssen" des FA sei auch im Falle der Ziff. 2 des § 222 Abs. 1 AO der Kenntnis des FA gleichzusetzen. Der Bundesfinanzhof (BFH) führt hierzu folgendes aus:

Die fehlende Kenntnis des FA von der Nebenordnung der Stpfl. und der VP-GmbH kann - entgegen der Ansicht des FG - nicht durch die Erwägung ersetzt werden, die Frage nach dem Bestehen einer Unternehmereinheit habe sich geradezu aufgedrängt, das FA hätte daher bei der unterschiedlichen Auswirkung einer Unternehmereinheit und einer Organschaft die tatsächlichen Verhältnisse aufklären müssen. Der Grundsatz, daß eine Tatsache für das FA dann nicht neu ist, wenn sie sich zwar nicht ausdrücklich aus den Akten ergibt, das FA aber bei ausreichender Erfüllung der amtlichen Ermittlungspflicht davon hätte Kenntnis erlangen können, ist für die Ziffer 1 des § 222 Abs. 1 AO (Berichtigung zuungunsten des Steuerpflichtigen) aufgestellt worden. Er kann auf den Fall der Ziffer 2 dieser Vorschrift (Berichtigung zugunsten des Steuerpflichtigen) nicht ausgedehnt werden. Denn dieser Grundsatz ist zum Schutze des Steuerpflichtigen entwickelt worden, um ihn vor Berichtigungsveranlagungen zu seinen Ungunsten zu bewahren, die durch ein pflichtwidriges Verhalten des FA verursacht worden sind. Eines solchen Schutzes bedarf es nicht, wenn es sich um eine Berichtigung zugunsten des Steuerpflichtigen handelt. Die vom FA vertretene Auffassung würde darauf hinauslaufen, daß sich das FA zum Nachteil des Steuerpflichtigen auf ein pflichtwidriges Verhalten (Nichterfüllen der Ermittlungspflichten) berufen könnte; dies wäre mit dem Grundsatz von Treu und Glauben unvereinbar.

 

Fundstellen

BStBl III 1967, 519

BFHE 1967, 540

BFHE 88, 540

StRK, AO:222/1/2 R 3

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