Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Müssen wegen grober Verstöße gegen die steuerlichen Pflichten Umsätze und Gewinne im Wege der Schätzung gegenüber den Erklärungen erheblich erhöht werden, so ist das FA im allgemeinen nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet, in dem gegebenen Schätzungsrahmen an die oberste Grenze zu gehen. Die Besteuerungsgrundlagen müssen also nach dem für den Stpfl. ungünstigsten, aber noch möglichen Sachverhalt festgestellt werden.

 

Normenkette

AO § 217

 

Tatbestand

Die Revisionsbeklagten sind die Erben der 1955 verstorbenen Steuerpflichtigen (Stpfl.), die in den Streitjahren 1952 bis 1955 jeweils im Sommer eine Eisdiele und im Winter den Einzelhandel mit Wild und Geflügel betrieb. Auf Grund einer Betriebsprüfung, die zur Verneinung der Ordnungsmäßigkeit der Buchführung führte, wurden zu den Umsätzen und Gewinnen erhebliche Zuschätzungen vorgenommen, weil der Betriebsprüfer ein auffallend niedriges Rohgewinnergebnis feststellte. Es wurde ausgehend von dem verbuchten Wareneinsatz ein Rohaufschlag von 20 v. H. auf Wild, Geflügel, Wurstwaren und Konserven und von 150 v. H. auf Eiszutaten einschließlich Sahne zugrunde gelegt. Die Privatentnahmen wurden um die zu den Umsätzen hinzugeschätzten Beträge erhöht. Es ergaben sich danach folgende Umsatz- und Gewinnerhöhungen:

1952: 35.028 DM 1953: 40.572 DM 1954: 29.229 DM 1955: 29.800 DM.

Die Einsprüche gegen die nach den Vorschlägen des Betriebsprüfers ergangenen Berichtigungsbescheide, mit denen die Schätzungen nicht dem Grunde, sondern nur in einzelnen Punkten der Höhe nach angegriffen wurden, blieben erfolglos.

Die Berufung hatte teilweise Erfolg. Die Vorinstanz ermäßigte die Schätzung. Sie wandte auf den Sahneeinkauf nur einen Aufschlag von 100 v. H. an und ermäßigte den Aufschlag auf den Wareneinsatz für die Eisherstellung auf 130 v. H. Zur Begründung dieser Maßnahmen wurde ausgeführt, die Vorinstanz habe den Angaben der Revisionsbeklagten soweit Glauben geschenkt, als in den Streitjahren ein qualitativ hochwertiges Speiseeis hergestellt worden und bei der Abgabe der Eisportionen mit den Portionierern großzügig verfahren worden sei. Das Gericht sei unter Berücksichtigung dieser Umstände davon ausgegangen, daß der erzielte Aufschlag bei Speiseeis mindestens 130 v. H. betragen habe.

Mit der als Revision zu behandelnden Rb. machte der Revisionskläger (Finanzamt - FA -) geltend:

Die Nichtberücksichtigung des Waffeleinkaufs bei der Umsatzkalkulation beruhe auf einem Denkfehler. Der vom Betriebsprüfer festgestellte Rohaufschlagsatz für Speiseeis von 150 v. H., der von der Vorinstanz auf 130 v. H. gemindert worden sei, ergebe sich nur nach Einbeziehung der Aufwendungen für den Waffeleinkauf in den Wareneinsatz. Bei Ausscheiden dieser Aufwendungen hätte ein entsprechend höherer Aufschlag angesetzt werden müssen.

Das FA beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise die Sache zur anderweitigen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.

Die Revisionsbeklagten beantragen Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung an das Finanzgericht (FG), weil die von der Vorinstanz vorgenommene änderung der vom FA zugrunde gelegten Kalkulation wahrscheinlich auf einem Rechtsirrtum beruht. Die Ermäßigung des Aufschlagsatzes aus den von der Vorinstanz angenommenen Gründen beruht auf einer vom BFH nicht nachprüfbaren Würdigung der tatsächlichen betrieblichen Verhältnisse durch die Vorinstanz. Die Vorinstanz hat anscheinend übersehen, daß durch die zugleich vorgenommene änderung der Schätzungsmethode, die in dem Ausscheiden des Waffeleinkaufs liegt, eine weitere Minderung der zu schätzenden Umsätze und Gewinne eingetreten ist. Der vom FA angewandte Aufschlagsatz von 150 v. H. auf den Wareneinsatz für die Eisherstellung einschließlich Waffeleinkauf und der von der Vorinstanz angewandte verminderte Aufschlagsatz von 130 v. H. auf den Wareneinsatz ohne Waffeleinkauf sind miteinander nicht vergleichbare Größen, weil sie von verschiedenartigen Wareneinsätzen ausgehen. Die Folge ist, daß der Unterschied zwischen den beiden Aufschlagsätzen (FA 150 v. H., Vorinstanz 130 v. H.) in Wahrheit erheblich größer ist als 20 Punkte. Hierfür fehlt es in der Vorentscheidung an einer ausreichenden Begründung. Es ist auch zu vermuten, daß der Vorinstanz diese größere Ermäßigung nicht bewußt geworden ist. Wenn die Vorinstanz von der Schätzungsmethode des FA abweichen und den Waffeleinkauf aus dem Wareneinsatz ausscheiden wollte mit der Begründung, die Waffeln seien ohne Berechnung abgegeben worden, so ist dagegen grundsätzlich nichts einzuwenden. Sie hätte dann aber zunächst den vom FA bei seiner Kalkulationsmethode (Wareneinsatz mit Waffeleinkauf) angewandten Aufschlag von 150 v. H. in den sich bei ihrer Methode (Wareneinsatz ohne Waffeleinkauf) ergebenden Aufschlag umrechnen müssen, um erst dann zu entscheiden, wieweit dieser - höhere - Aufschlagsatz aus den von ihr angeführten Gründen (Herstellung eines qualitativ hochwertigen Speiseeises, großzügige Portionierung) herabzusetzen war.

Bei der erneuten Entscheidung hat das FG folgendes zu beachten. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH (vgl. Urteile V 5/57 U vom 23. Oktober 1958, BFH 68, 41, BStBl III 1959, 16, und IV 87/59 vom 12. Oktober 1961, HFR 1962, 235) geht bei gröblicher Verletzung steuerlicher Verpflichtungen, vor allem auch hinsichtlich der Buchführung, die einer jeden Schätzung anhaftende Unsicherheit zu Lasten des Steuerpflichtigen. Es ist zwar richtig, daß das FA auch bei schwerwiegenden Pflichtverletzungen des Steuerpflichtigen bestrebt sein muß, die Besteuerungsgrundlagen so zu schätzen, daß für ihre Richtigkeit die größte Wahrscheinlichkeit spricht. Die Anwendung dieses Grundsatzes führt indessen bei groben Verstößen gegen die steuerlichen Pflichten in der Regel nicht zur Abgrenzung eines sehr engen Schätzungsrahmens. Im allgemeinen ist das FA nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet, in diesem Schätzungsrahmen an die oberste Grenze zu gehen, um im Interesse der steuerlichen Gerechtigkeit und zum Schutz der ihre steuerlichen Pflichten erfüllenden Staatsbürger in jedem Fall auszuschließen, daß Steuerpflichtige durch gröbliche Verletzung ihrer Pflichten im Ergebnis bessergestellt werden als pflichtgetreue Steuerpflichtige. Die Besteuerungsgrundlagen müssen also nach dem für den Steuerpflichtigen ungünstigsten, aber nach möglichem Sachverhalt festgestellt werden (Urteil des Senats IV 96/60 vom 13. August 1964, HFR 1964, 436).

Das FG hat bei der erneuten Schätzung diese Grundsätze zu beachten. Danach erscheint es aber zweifelhaft, ob der Aufschlagsatz von 150 v. H. (auf Eiszutaten einschließlich Waffeln) ausreichend war. Eine Verminderung dieses Satzes (bzw. des an seine Stelle tretenden höheren Satzes bei Ausscheiden der Aufwendungen für den Waffeleinkauf) erscheint nur gerechtfertigt, wenn hierfür eine eingehende Begründung gegeben wird.

Die vom FG für die weitere Herabsetzung gegebene Begründung (besonders gute Zutaten, großzügige Portionierung) dürfte hierfür nicht ausreichen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 412521

BStBl III 1967, 349

BFHE 1967, 212

BFHE 88, 212

StRK, AO:217 R 81

NJW 1967, 2380

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