Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialverwaltungsverfahren. Aufteilung einer Witwenrente. Aufhebung eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung bei Änderung der Verhältnisse. Rechtswidrigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei der Beurteilung der "Rechtswidrigkeit" iS von § 45 SGB 10 ist ein streng objektiver Maßstab anzulegen; Gesichtspunkte des "Vertretenmüssens" des Fehlers durch die Behörde sind irrelevant.

2. Die Aufhebung eines Dauerverwaltungsakts gem § 48 SGB 10 setzt stets den nachträglichen Wegfall einer wirklichen oder beim Erlass des Dauerverwaltungsaktes irrtümlich angenommenen Leistungsvoraussetzung voraus (Abgrenzung zu BSG vom 7.2.1985 - 9a RVs 2/84 = SozR 1300 § 48 Nr 13 und vom 9.9.1986 - 5b RJ 66/85 = BSGE 60, 218 = SozR 1300 § 48 Nr 27).

 

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 10. März 2008 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin auch im Berufungsverfahren. Im Übrigen sind für das Berufungsverfahren Kosten nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Das Berufungsverfahren betrifft einen Anspruch auf eine große Witwenrente nach dem Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI).

Die Klägerin ist die Witwe des am 17.10.2004 verstorbenen Versicherten L. C. (K). Die Beigeladene ist dessen geschiedene erste Ehefrau. Die am 23.04.1955 zwischen K und der Beigeladenen geschlossene Ehe war durch rechtskräftiges Urteil des Landgerichts A. vom 22.04.1977 aus Verschulden des K geschieden worden. Das Oberlandesgericht N. hatte K am 04.04.1978 verurteilt, der Beigeladenen Geschiedenenunterhalt zu bezahlen. Am 17.10.1980 hatte K die Klägerin geheiratet.

Die Klägerin beantragte am 25.10.2004 die Gewährung einer großen Witwenrente. Die Beklagte bewilligte ihr diese mit Bescheid vom 28.01.2005 ab 01.11.2004. Die Beigeladene ihrerseits beantragte am 16.11.2004 eine Geschiedenenwitwenrente, welche die Beklagte mit Bescheid vom 29.07.2005 ab 01.12.2004 bewilligte.

Nach vorheriger Anhörung hob die Beklagte mit Bescheid vom 29.08.2005 den Bescheid vom 28.01.2005 und Folgebescheide hinsichtlich der Rentenhöhe gemäß § 48 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) mit Wirkung ab 01.09.2005 auf. Ab diesem Zeitpunkt, so die Regelung der Beklagten, betrage die Rente monatlich 10,68 EUR. Eine für den Monat September 2005 zwangsläufig entstehende Überzahlung in Höhe von 405,38 EUR forderte die Beklagte gemäß § 50 Abs. 1 SGB X zurück. Dagegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 27.09.2005 Widerspruch ein, wobei sie vortrug, sie habe auf die Auszahlung der vollen Witwenrente vertraut. Es gehe nicht an, dass die schon seit langer Zeit von K geschiedene Beigeladene eine Hinterbliebenenrente beanspruchen könne, zumal sie von diesem weder Unterhalt erhalten noch beansprucht hätte.

Am 22.12.2005 hat die Klägerin beim Sozialgericht Augsburg Klage erhoben, das die Streitsache mit Beschluss vom 18.01.2006 an das Sozialgericht München verwiesen hat. Mit Urteil vom 10.03.2008 hat dieses den Bescheid vom 29.08.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.11.2005 aufgehoben. Der Aufhebungsbescheid vom 29.08.2005, so das Sozialgericht zur Begründung, sei auf jeden Fall rechtswidrig. Dabei könne offen bleiben, ob der Beigeladenen tatsächlich eine Geschiedenenwitwenrente zustehe. Denn sollte das nicht der Fall sein, wäre der Aufhebungsbescheid deswegen falsch, weil für eine Aufteilung der Renten nach § 91 Satz 1 SGB VI kein Raum bestanden hätte; die mit Bescheid vom 28.01.2005 ausgesprochene Rentengewährung an die Klägerin hätte dann unangetastet bleiben müssen. Im anderen Fall, so das Sozialgericht weiter, wäre der Aufhebungsbescheid vom 29.08.2005 rechtswidrig, weil ein Fall des § 48 SGB X nicht vorgelegen hätte. Denn dann wäre der Rentenbescheid vom 28.01.2005 bereits von Anfang an rechtswidrig gewesen. Seine Aufhebung hätte dann nach § 45 SGB X erfolgen müssen. Bei einer Antragstellung der Beigeladenen im November 2004 hätte diese bereits ab 01.12.2004 einen konkreten Zahlungsanspruch auf Geschiedenenwitwenrente gehabt. Auch die Klägerin hätte ab 01.12.2004 einen konkreten Zahlungsanspruch auf Witwenrente gemäß § 46 SGB VI gehabt. Damit hätten die Voraussetzungen des § 91 Satz 1 SGB VI für eine Teilung der Renten bereits zum 01.12.2004 vorgelegen. Dem hätte die Beklagte im Bescheid vom 28.01.2005 Rechnung tragen müssen. § 48 SGB X dürfe auf von Anfang an rechtswidrige Bescheide nicht angewandt werden. Der Aufhebungsbescheid vom 29.08.2005 dürfe nicht in einen Rücknahmebescheid gemäß § 45 SGB X umgedeutet werden. Denn ein solcher wäre rechtswidrig. Aus dem Umstand, dass dem Aufhebungsbescheid vom 29.08.2005 nur Wirkung für die Zukunft beigelegt worden sei, dürfe nicht auf eine Ermessensausübung geschlossen werden; die Beklagte habe lediglich die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X für eine rückwirkende Aufhebung als nicht erfüllt angesehen.

Gegen das Urteil des Sozialgerichts hat die Beklagte am 22.04.2008 Berufung eingele...

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