Entscheidungsstichwort (Thema)

Rückwirkender Tarifvertrag nach Betriebsübergang

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Rechtsnormen eines Tarifvertrages (§ 4 Abs 1 Satz 1 TVG) gelten nur dann unmittelbar und zwingend in einem Arbeitsverhältnis, wenn beide Parteien des Arbeitsvertrages im Zeitpunkt des Abschlusses des Tarifvertrages tarifgebunden (§ 3 Abs 1 TVG) sind. Die Tarifvertragsparteien können nicht dadurch, daß sie die von ihnen geschaffenen Rechtsnormen rückwirkend in Kraft setzen, ihre Regelungsbefugnis auf nicht tarifgebundene Arbeitgeber ausdehnen.

2. § 613a Abs 1 Satz 2 BGB sorgt, ausgehend von den Verhältnissen im Zeitpunkt des Betriebsübergangs, für eine Besitzstandswahrung auf arbeitsvertraglicher Ebene. Die tarifvertraglichen Regelungen werden mit dem Inhalt, den sie im Zeitpunkt des Betriebsübergangs haben, Bestandteil des Arbeitsvertrages. Spätere tarifvertragliche Änderungen werden auch dann nicht mehr erfaßt, wenn sie rückwirkend gelten sollen (im Anschluß an BAG Urteil vom 13.11.1985 - 4 AZR 309/84 = BAGE 50, 158 = AP Nr 46 zu § 613a BGB, BAG Urteil vom 1.4.1987 - 4 AZR 77/86 = BAGE 55, 154 = AP Nr 64 zu § 613a BGB und BAG Urteil vom 10. November 1993 - 4 AZR 375/92 - DB 1994, 2638 = NZA 1994, 948 ff).

 

Orientierungssatz

Auslegung der §§ 1, 3, § 4 Abs 1 und 5 und § 5 des Tarifvertrages zur Neuordnung der Beschäftigungsstruktur für die der Treuhandanstalt unterstellten volkseigenen Staatsgüter idF vom 9. August 1991.

 

Normenkette

TVG § 1; BGB § 613a Abs. 1 S. 2

 

Verfahrensgang

LAG Mecklenburg-Vorpommern (Entscheidung vom 25.11.1993; Aktenzeichen 1 Sa 741/92)

ArbG Schwerin (Entscheidung vom 27.10.1992; Aktenzeichen 6 Ca 517/91)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darum, ob dem Kläger nach dem Tarifvertrag zur Neuordnung der Beschäftigungsstruktur für die der Treuhandanstalt unterstellten volkseigenen Staatsgüter vom 9. August 1991 ein Anspruch auf Anpassungsgeld zusteht.

Der am 10. März 1949 geborene Kläger war seit November 1975 beim ehemaligen volkseigenen Gut Tierzucht G und dessen Rechtsnachfolgerin, der Tierzucht G GmbH i. A. als Ausbilder in der Polytechnik beschäftigt. Ab 1. Januar 1991 führte die beklagte Gemeinde die polytechnische Ausbildung in demselben Gebäude, mit denselben Lehrmitteln und denselben Lehrkräften fort. Im Überleitungsvertrag vom 7. Februar 1991 vereinbarten die Tierzucht G GmbH, der Rat der Beklagten und der Kläger:

"1.

Der zwischen der Tierzucht G GmbH

i. A. und S bestehende Arbeitsver-

trag vom 4.11.75 wird hiermit gemäß §§ 51, 53 AGB

zum 31.12.90 aufgelöst.

Grund: Übernahme der Polytechnik durch den Rat

der Gemeinde G

2.

S beginnt am 1.1.91 die Tätigkeit

als Ausbilder im Rat der Gemeinde G .

...

4.

Zusätzliche Vereinbarungen (z. B. Teilbeschäfti-

gung, Dauer des befristeten Arbeitsvertrages, be-

sondere Kündigungsfristen, Regelungen für Heimar-

beiter, Werkwohnung, übernommene Ansprüche):

Betriebszugehörigkeit der Tierzucht G

GmbH wird vom Rat der Gemeinde übernommen.

..."

Nachdem der Kläger eine neue Arbeitsstelle gefunden hatte, schlossen die Parteien am 26. August 1991 einen Aufhebungsvertrag, "da die Abteilung Polytechnik nicht weitergeführt wird".

Der zwischen der Gewerkschaft Gartenbau, Land- und Forstwirtschaft und dem Gesamtverband der Deutschen Land- und Forstwirtschaftlichen Arbeitgeberverbände e. V. abgeschlossene Tarifvertrag zur Neuordnung der Beschäftigungsstruktur für die der Treuhand unterstellten volkseigenen Güter (VEG) einschließlich der VEG der Agromax AG und der Deutschen Saatzucht AG vom 20. Februar 1991, der rückwirkend zum 1. September 1990 in Kraft trat, sah u. a. bei Entlassungen von Arbeitnehmern aus betriebswirtschaftlichen Gründen im Zuge des Strukturwandels oder im Zuge von Rationalisierungsmaßnahmen die Zahlung eines Anpassungsgeldes vor, sofern die Entlassungen zwischen dem 1. September 1990 und dem 31. Dezember 1991 erfolgten. Die "Neufassung und Klarstellung" dieses Tarifvertrages vom 9. August 1991 enthält u. a. folgende Regelungen:

"§ 1 Grundsätze

(1) ...

(2) Ansprüche aus diesem Tarifvertrag entstehen,

wenn Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen im Rahmen

einer Betriebsänderung im Sinne des § 111 BetrVG

oder betriebsbedingt aus Rationalisierungsgründen

durch Kündigung oder betrieblich veranlaßten Auf-

hebungsvertrag entlassen werden.

...

§ 3 Anpassungsgeld

(1) Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, die im

Rahmen einer Maßnahme gemäß § 1 Abs. 2 entlassen

werden, erhalten als Abfindung für den Verlust

des Arbeitsplatzes ein betriebliches Anpassungs-

geld, dessen Höhe sich in Abhängigkeit von Bran-

chenzugehörigkeit oder Lebensalter (unter Beach-

tung der Absätze 2 bis 8) aus folgender Tabelle

ergibt.

...

§ 5 Inkrafttreten, Geltungsbereich, Schlußbestim-

mungen

(1) Dieser Tarifvertrag tritt mit Unterzeichnung

in Kraft. Er tritt an die Stelle des Tarifvertra-

ges vom 20. Februar 1991. ...

(2) Der Tarifvertrag gilt persönlich für alle Ar-

beitnehmer und Arbeitnehmerinnen, die nach dem

1. Juli 1990 im Sinne des § 1 Abs. 2 entlassen

worden sind oder werden. ...

..."

Die Tierzucht G GmbH gehörte dem tarifschließenden Arbeitgeberverband an. Dagegen ist die Beklagte nicht tarifgebunden.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, der Tarifvertrag zur Neuordnung der Beschäftigungsstruktur vom 9. August 1991 sei rückwirkend zum 1. Juli 1990 in Kraft getreten und wegen des Übergangs des Arbeitsverhältnisses nach § 613 a BGB auch auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anzuwenden. Die tarifvertraglichen Voraussetzungen für den geltend gemachten Anspruch auf Anpassungsgeld seien erfüllt, denn der Aufhebungsvertrag sei betrieblich veranlaßt gewesen.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 10.514,19 DM

nebst 4 % Zinsen seit dem 1. Sepember 1991 zu

zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, der Kläger habe keinen Anspruch auf Anpassungsgeld. Ein Betriebsübergang im Sinne des § 613 a BGB liege nicht vor. Der Tarifvertrag, auf den sich der Kläger berufe, sei erst nach dem angeblichen Betriebsübergang geschlossen und auch deshalb nicht Inhalt des Arbeitsverhältnisses der Parteien geworden. Im übrigen seien die Anspruchsvoraussetzungen nicht erfüllt. Der Aufhebungsvertrag sei nicht betrieblich veranlaßt gewesen. Der Kläger habe diesen Vertrag gewollt, weil er eine andere Arbeitsstelle gefunden habe.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen. Mit der Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

1. Der Kläger hat keinen tarifvertraglichen Anspruch auf Anpassungsgeld.

a) Weder der Tarifvertrag zur Neuordnung der Beschäftigungsstruktur vom 20. Februar 1991 noch die Neufassung vom 9. August 1991 gelten nach §§ 4 Abs. 1, 3 Abs. 1 TVG kraft Tarifbindung. Da die beklagte Gemeinde dem tarifschließenden Gesamtverband der Deutschen Land- und Forstwirtschaftlichen Arbeitgeberverbände e.V. nicht angehört, ist sie nicht tarifgebunden.

b) § 5 Abs. 2 des Tarifvertrags zur Neuordnung der Beschäftigungsstruktur in der Fassung vom 9. August 1991 ist zwar als rückwirkende Tarifnorm anzusehen. Die Rückwirkung ändert jedoch nichts an der fehlenden Tarifbindung im Zeitpunkt des Abschlusses des Tarifvertrages. Die Tarifvertragsparteien können nicht dadurch, daß sie die von ihnen geschaffenen Rechtsnormen rückwirkend in Kraft setzen, ihre Regelungsbefugnis auf nicht tarifgebundene Betriebserwerber ausdehnen (vgl. Hagemeier/Kempen/Zachert/Zilius, TVG, 2. Aufl., § 3 Rz 6; Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rz 56; LAG Brandenburg Urteil vom 10. März 1992 - 3 Sa 272/91 - DB 1992, 1145 f.).

Die Legitimation zur Normsetzung muß im Zeitpunkt des Abschlusses des Tarifvertrages vorhanden sein. Nur dann ist der Verband berechtigt, auch noch für einen früheren Zeitraum Normen zu setzen (BAG Urteil vom 20. Juni 1958 - 1 AZR 245/57 - AP Nr. 2 zu § 1 TVG Rückwirkung; Urteil vom 30. April 1969 - 4 AZR 335/68 - AP Nr. 6 zu § 1 TVG Rückwirkung). Eine Rückwirkung von Tarifnormen scheidet aus, soweit beim Abschluß des Tarifvertrages keine Tarifgebundenheit mehr besteht. Ein Verlust der Tarifbindung kann z. B. eintreten durch Austritt aus dem Verband, durch den Tod des Betroffenen oder den Übertritt zu einem anderen Verband (BAG Urteil vom 30. April 1969 - 4 AZR 335/68 - AP Nr. 6 zu § 1 TVG Rückwirkung). Die Tarifgebundenheit entfällt aber auch beim Übergang eines Arbeitsverhältnisses auf einen nicht tarifgebundenen Arbeitgeber (vgl. Däubler, Tarifvertragsrecht, 3. Aufl., Rz 1533; Hagemeier/Kempen/Zachert/Zilius, TVG, 2. Aufl., § 3 Rz 44; Wiedemann/Stumpf, TVG, 5. Aufl., § 3 Rz 78 ff.; Staudinger/Richardi, BGB, 12. Aufl., § 613 a Rz 163; LAG Brandenburg Urteil vom 10. März 1992, aaO).

2. Ebensowenig ist die Beklagte nach § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB zur Zahlung des verlangten Anpassungsgeldes verpflichtet. Ein Betriebsübergang im Sinne dieser Vorschrift liegt zwar vor. Regelungen eines Tarifvertrages, die erst nach dem Betriebsübergang geschaffen und rückwirkend in Kraft gesetzt worden sind, werden jedoch nicht Inhalt des Arbeitsverhältnisses mit dem neuen, nicht tarifgebundenen Arbeitgeber.

a) Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht die Voraussetzungen eines Betriebsübergangs im Sinne des § 613 a Abs. 1 BGB bejaht.

aa) Die Beklagte hat den Bereich Polytechnik, in dem der Kläger beschäftigt war, zum 1. Januar 1991 von der Tierzucht G GmbH übernommen. Dieser Bereich war ein Betriebsteil im Sinne von § 613 a Abs. 1 BGB. Dazu zählen nicht nur die nach § 4 BetrVG verselbständigten Betriebsteile. Vielmehr ist § 613 a BGB bei einer sinn- und zweckgerechten Auslegung immer dann anzuwenden, wenn es sich um einen Anteil an Betriebsmitteln handelt, die bestimmten betriebstechnischen Teilzwecken dienen und Gegenstand einer rechtsgeschäftlichen Veräußerung sein können (vgl. BAGE 26, 301, 303 = AP Nr. 1 zu § 613 a BGB, zu I der Gründe). Es genügt, daß die übernommenen Betriebsmittel bereits beim früheren Betriebsinhaber die Grundlage einer betrieblichen Teilorganisation bildeten, auch wenn sich der innerhalb des betrieblichen Gesamtzwecks verfolgte Teilzweck auf eine untergeordnete Hilfsfunktion beschränkte (vgl. BAG Urteil vom 4. März 1993 - 2 AZR 507/92 - AP Nr. 101 zu § 613 a BGB, zu C II 3 a der Gründe, m.w.N.).

bb) Die Beklagte hat die für die Fortführung der polytechnischen Ausbildung erforderlichen Betriebsmittel durch Rechtsgeschäft übernommen. Zutreffend hat das Berufungsgericht ausgeführt, daß es unerheblich ist, ob und wann der notarielle Vertrag über die Übertragung des Polytechnikgebäudes formwirksam geschlossen worden ist. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist für den Betriebsübergang der Zeitpunkt maßgeblich, in dem der Erwerber die Leitungsmacht im Betrieb im Einvernehmen mit dem Veräußerer ausüben kann (vgl. zuletzt Urteil vom 16. Februar 1993 - 3 AZR 347/92 - AP Nr. 15 zu § 1 BetrAVG Betriebsveräußerung, zu 2 der Gründe, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen).

cc) Zu Recht hat es das Landesarbeitsgericht auch als unerheblich angesehen, daß die Beklagte die polytechnische Ausbildung nur vorübergehend bis zum Schuljahresende fortführen wollte. Der Zweck, der mit einer Betriebsübernahme verfolgt wird, spielt keine Rolle. Selbst wenn der Erwerb in der Absicht erfolgt, den Betrieb stillzulegen, ändert dies an einem Betriebsübergang im Sinne des § 613 a BGB nichts (BAG Urteil vom 29. November 1988 - 3 AZR 250/87 - AP Nr. 7 zu § 1 BetrAVG Betriebsveräußerung, zu I 3 b der Gründe, und Urteil vom 18. Februar 1993 - 2 AZR 518/92 -, n.v., zu B II 2 c cc der Gründe, jeweils m.w.N.).

3. Nach § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB ist jedoch ein nicht tarifgebundener Arbeitgeber nicht verpflichtet, Ansprüche aus einem Tarifvertrag zu erfüllen, der zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs noch nicht abgeschlossen war (vgl. BAG Urteil vom 13. November 1985 BAGE 50, 158, 162 ff. = AP Nr. 46 zu § 613 a BGB und Urteil vom 1. April 1987 BAGE 55, 154, 167 = AP Nr. 64 zu § 613 a BGB; Erman/Hanau, BGB, 9. Aufl., § 613 a Rz 89; RGRK-Ascheid, BGB, 12. Aufl., § 613 a Rz 207).

a) Der Tarifvertrag zur Neuordnung der Beschäftigungsstruktur vom 20. Februar 1991 und die Neufassung vom 9. August 1991 stammen aus der Zeit nach dem Übergang des Arbeitsverhältnisses des Klägers auf die Beklagte. Tarifvertragliche Vorschriften gelten jedoch nach § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB nur dann fort, wenn sie bereits zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs kraft Tarifbindung gegolten haben. Tarifverträge, die erst nach Betriebsübergang zustandekommen, werden nicht nach § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB Inhalt des Arbeitsverhältnisses zwischen dem Arbeitnehmer und dem nicht tarifgebundenen Betriebserwerber (BAG Urteil des Vierten Senats vom 10. November 1993 - 4 AZR 375/92 - DB 1994, 2638, 2640 = NZA 1994, 948, 951, zu B III der Gründe).

b) Es ist unerheblich, ob der später abgeschlossene Tarifvertrag auf einen Zeitpunkt vor dem Betriebsübergang zurückwirken soll (vgl. RGRK-Ascheid, BGB, 12. Aufl., § 613 a Rz 207; Erman/Hanau, BGB, 9. Aufl., § 613 a Rz 89; Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rz 56; LAG Brandenburg Urteil vom 10. März 1992, aaO). Dem Arbeitnehmer werden lediglich die im Zeitpunkt des Betriebsübergangs bestehenden tariflichen Rechte erhalten, indem sie auf der arbeitsvertraglichen Ebene fortgelten. An einer tariflichen Weiterentwicklung nimmt der Arbeitnehmer jedoch nicht mehr teil. Eine dynamische Verweisung auf tarifvertragliche Änderungen läßt sich weder dem Gesetzeswortlaut noch dem Gesetzeszweck entnehmen (vgl. hierzu bereits BAG Urteil vom 13. November 1985 BAGE 50, 158, 162 ff. = AP Nr. 46 zu § 613 a BGB und Urteil vom 1. April 1987 BAGE 55, 154, 167 = AP Nr. 64 zu § 613 a BGB; Hagemeier/Kempen/Zachert/Zilius, TVG, 2. Aufl., § 3 Rz 44 a; Däubler, Tarifvertragsrecht, 3. Aufl., Rz 1546; Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rz 56; Wank, NZA 1987, 505, 506).

aa) Nach § 613 a Abs. 1 Satz 1 und 2 BGB tritt der neue Betriebserwerber in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Betriebsübergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen ein, wobei die durch Rechtsnormen eines Tarifvertrages geregelten Rechte und Pflichten Inhalt des Arbeitsverhältnisses zwischen dem neuen Inhaber und dem Arbeitnehmer werden und dann vor Ablauf eines Jahres nach dem Zeitpunkt des Betriebsübergangs zum Nachteil des Arbeitnehmers nicht mehr geändert werden dürfen. Dieser gesetzliche Schutz stellt auf die Verhältnisse beim Betriebsübergang ab. Dementsprechend kommt es auf den Inhalt der tarifvertraglichen Rechte und Pflichten zu diesem Zeitpunkt an.

bb) Nach § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB wirken die tarifvertraglichen Regelungen nicht normativ auf das Arbeitsverhältnis bei einem nicht tarifgebundenen Betriebserwerber ein, sondern werden Bestandteil des Arbeitsvertrages. Der Inhalt des Arbeitsvertrages mit einem nicht tarifgebundenen Arbeitgeber ist dem Einflußbereich der Tarifvertragsparteien entzogen. Sie haben nur die Regelungsbefugnis, durch kollektivrechtliche Normen die Arbeitsverhältnisse Tarifgebundener zu gestalten.

cc) Die Bindung nicht tarifgebundener Betriebserwerber nach § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB ist nicht stärker als die eines bisher tarifgebundenen Arbeitgebers bei seinem Austritt aus dem Arbeitgeberverband nach § 3 Abs. 3 TVG. Im Gegenteil: Wie der Vierte Senat bereits in seinem Urteil vom 13. November 1985 (BAGE 50, 158, 163 = AP Nr. 46 zu § 613 a BGB) ausgeführt hat, wird eine Einwirkung späterer Tarifnormen durch § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB noch stärker ausgeschlossen als durch die Regelungen in § 3 Abs. 2 und 3, § 4 Abs. 5 und § 5 TVG.

dd) § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB sorgt, ausgehend von den Verhältnissen im Zeitpunkt des Betriebsübergangs, für eine Besitzstandswahrung auf arbeitsvertraglicher Ebene. Eine weitergehende, dynamisierte Übernahme tarifvertraglicher Regelungen hat der Gesetzgeber nicht vorgeschrieben. Der lediglich statische Bestandsschutz ermöglicht es dem Betriebserwerber, die mit dem Betriebsübergang verbundenen wirtschaftlichen Belastungen ausreichend zu kalkulieren und vermeidet verfassungsrechtliche Bedenken, die sich bei einer Bindung nicht tarifgebundener Arbeitgeber an künftige Tarifverträge aus Art. 9 Abs. 3 GG (negative Koalitionsfreiheit) ergeben könnten.

4. Da die tariflichen Regelungen über die Zahlung von Anpassungsgeld nicht Inhalt des Arbeitsverhältnisses der Parteien geworden sind, kommt es nicht darauf an, ob die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind. Ebenso kann offenbleiben, ob die Ausschlußfrist des § 23 des Manteltarifvertrags der Agromax auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anzuwenden war und der Kläger diese Ausschlußfrist eingehalten hat.

Dr. Heither Kremhelmer Bepler

Jesse Hofmann

 

Fundstellen

Haufe-Index 438347

BAGE 77, 353-360 (LT1-2)

BAGE, 353

BB 1995, 675

BB 1995, 675-676 (LT1-2)

DB 1995, 1133-1134 (LT1-2)

BuW 1995, 292 (K)

EWiR 1995, 439 (L1-2)

NZA 1995, 740

NZA 1995, 740-742 (LT1-2)

ZIP 1995, 673

ZIP 1995, 673-676 (LT)

AP § 1 TVG Rückwirkung (LT1-2), Nr 11

AR-Blattei, ES 500 Nr 107 (LT1-2)

EzA-SD 1995, Nr 6, 8-11 (LT1-2)

EzA § 3 TVG, Nr 12 (L1-2)

EzA § 613a BGB, Nr 125 (LT1-2)

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