Entscheidungsstichwort (Thema)

Heimarbeiterlohn bei Änderung der Vorgabezeiten

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ist das Mindeststundenentgelt eines Heimarbeiters durch eine bindende Festsetzung bestimmt, so erfaßt die Klagebefugnis des Landes gemäß § 25 HAG auch den Streit darüber, ob die Vorgabezeiten für die Berechnung des vom Arbeitgeber vergüteten Stücklohns wirksam festgesetzt sind.

2. Werden Vorgabezeiten so kurz bemessen, daß die Normalleistung nicht ausreicht, um ein bindend festgesetztes Mindeststundenentgelt zu erzielen, so ist die entsprechende Regelung unwirksam. Der Heimarbeiter hat Anspruch auf den Minderbetrag.

3. Vorgabezeiten können zum Inhalt des Heimarbeitsvertrages werden, insbesondere wenn sie lange Zeit gegolten haben. Sollen sie dann gekürzt werden, ohne daß sich die Produktionsbedingungen geändert haben, so bedarf es dazu eines Änderungsvertrages. Dem Betriebsrat steht ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs 1 Nr 11 BetrVG zu.

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Entscheidung vom 06.09.1979; Aktenzeichen 9 Sa 369/79)

ArbG Dortmund (Entscheidung vom 01.02.1979; Aktenzeichen 3 Ca 426/78)

 

Tatbestand

Das klagende Land verfolgt in gesetzlicher Prozeßstandschaft Ansprüche der Heimarbeiterin Brigitte B auf Zahlung eines zusätzlichen Entgelts. Das Land macht geltend, die Auftraggeberin, die Firma S, habe seit 1975 eine Erhöhung der Stundenentgelte nicht an die Heimarbeiter weitergegeben. Über das Vermögen der zunächst beklagten Firma S ist durch Beschluß des Amtsgerichts Dortmund vom 21. Februar 1980 - 148 N 31/80 - das Konkursverfahren eröffnet worden. Das klagende Land hat den Rechtsstreit gegen den Konkursverwalter aufgenommen.

Frau B war vom 3. November 1971 bis zum 30. November 1977 als Heimarbeiterin für die Gemeinschuldnerin beschäftigt. Ihre monatlichen Einkünfte aus dieser Tätigkeit lagen zwischen 1.100,-- DM und 1.300,-- DM. Sie führte folgende Arbeiten aus:

a) Blitzschutz mit 14er Spule montieren und löten

b) Blitzschutz ohne Spule montieren und löten

c) Verbindungsbrücke Minivariant montieren und löten

d) Erdungslasche mit Abschirmblech montieren und löten

e) Lötösen für Filter (Doppellötöse) - eine Zylinder-

schraube eindrehen.

Die Firma S hatte für diese Arbeiten bis zum 31. Oktober 1975 folgende Fertigungszeiten als Vorgabezeiten pro 1.000 Stück angesetzt:

Für die Arbeit a) 1.960 Minuten

" " " b) 730 Minuten

" " " c) 780 Minuten

" " " d) 420 Minuten

" " " e) 450 Minuten.

Hiervon ausgehend wurde das einzelne Stückentgelt durch Multiplikation des Zeitfaktors mit dem Geldfaktor berechnet. Der Geldfaktor beträgt 1/60 des Mindeststundenentgelts der jeweils geltenden bindenden Festsetzung nebst den gesetzlichen Zuschlägen. Bis 28. Februar 1975 betrug das Mindeststundengehalt aufgrund einer bindenden Festsetzung aus dem Jahre 1974 3,30 DM, hinzu kamen 20,4 % Gesamtzuschläge, zusammen also 3,98 DM. Daraus errechnete sich der Geldfaktor von 0,0663 DM pro Minute. Für die Zeit bis 28. Februar 1975 ergab sich hiernach für die Arbeit a) ein Stücklohn von 1. 960 Minuten x 0,0663 = 129,95 DM/1000 Stück. Ebenso wurde bei den anderen Arbeiten gerechnet.

In der Folgezeit wurde das Mindeststundenentgelt durch bindende Festsetzungen des zuständigen Heimarbeitsausschusses mehrfach erhöht, und zwar ab 1. März 1975 auf 4,25 DM (BAnz Nr. 127 vom 16.07.1975), ab 1. März 1976 auf 4,61 DM (BAnz Nr. 107 vom 10.06.1976) und ab 1. März 1977 auf 5,00 DM (BAnz Nr. 107 vom 11.06.1977).

Aufgrund der ab 1. März 1975 geltenden bindenden Festsetzung erhöhte sich der Geldfaktor von 0,0663 auf 0,0864 DM/Min. Bei unveränderter Vorgabezeit von 1.960 Minuten pro 1.000 Stück (Arbeit a) hätte sich das Stückentgelt von 129,95 DM auf 169,35 DM erhöht. Diesen Betrag zahlte die Gemeinschuldnerin zunächst auch aus. Ab 1. November 1975 kürzte sie jedoch die Vorgabezeiten in einem Umfang, der bei der Berechnung der Stückentgelte dazu führte, daß der frühere Stückpreis wiederhergestellt wurde und z. B. für die Arbeit a) einen Preis von 129,-- DM pro 1.000 Stück ergab. / Die Firma S verkürzte die Vorgabezeiten ab 1. November 1975

für die Arbeit a) von 1.960 auf 1.494 Minuten

" " " b) von 730 auf 556 Minuten

" " " c) von 780 auf 598 Minuten

" " " d) von 420 auf 324 Minuten

" " " e) von 450 auf 345 Minuten.

Das klagende Land sieht in der geänderten Berechnung der Stückentgelte eine unzulässige Manipulation mit dem Ziel der Umgehung der bindenden Festsetzung. Dies folge daraus, daß die Gemeinschuldnerin die Vorgabezeiten um genau den Prozentsatz gekürzt habe, in dem das Mindeststundenentgelt angehoben worden sei. Die Gemeinschuldnerin habe zwar, um das zu verdecken, ab 1. November 1975 die Entgeltregelung als "Zeitentgelt" bezeichnet und nach dem 1. November 1975 nicht mehr die Vorgabezeiten, sondern nur noch die Stückentgelte in den Entgeltbüchern nachgewiesen, in Wahrheit habe sie aber die alte Regelung beibehalten und nur die Fertigungszeiten verändert. Sie habe bei deren Neufestsetzung keine Zeiterhebungen vorgenommen, sondern diese willkürlich herabgesetzt. Die Verkürzung der Vorgabezeiten sei unwirksam. Die Gemeinschuldnerin habe auch das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nicht beachtet und versucht, die Neuregelung der Vorgabezeiten durch Änderungskündigungen durchzusetzen. Hierbei handele es sich um einen Verstoß gegen § 19 Abs. 3 Satz 2 HAG. Soweit die Vertragsänderungsangebote von den Heimarbeitern überhaupt angenommen worden seien, liege darin ein Verzicht auf die Mindestentgelte der bindenden Festsetzung. Dieser Verzicht sei unwirksam.

Das klagende Land hat die seiner Ansicht nach der Heimarbeiterin B in der Zeit vom 1. März 1975 bis zum 31. August 1977 zu wenig gezahlten Entgelte unter Zugrundelegung der alten Vorgabezeiten berechnet und ist nach Abzug von Nachzahlungen zu einem Betrag von 8.283,80 DM gelangt.

Das klagende Land hat in der ersten Instanz beantragt,

die seinerzeit beklagte Gemeinschuldnerin

zu verurteilen, an die Heimarbeiterin B

8.283,80 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 18. Mai

1978 zu zahlen.

Die zunächst beklagte Gemeinschuldnerin hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen, das klagende Land sei wegen des hier geltend gemachten Anspruchs nicht klagebefugt. Es könne die Änderung der Vorgabezeiten nicht beanstanden. Diese seien auch ordnungsgemäß eingeführt worden. Bei den ursprünglichen Vorgabezeiten habe es sich um Schätzungen gehandelt. Später vorgenommene Überprüfungen hätten eine Überhöhung von etwa 30 % ergeben. Die Anhebung der Mindeststundenentgelte zum 1. März 1975 habe nur den Anstoß zur Änderung der Vorgabezeiten gegeben. Die Änderung sei sachlich berechtigt. Der Betriebsrat habe seine Zustimmung erklärt. Sodann seien, wiederum mit Zustimmung des Betriebsrats, allen Heimarbeitern Änderungskündigungen ausgesprochen worden. Frau B habe das neue Angebot ausdrücklich bei einer Vorsprache im Heimarbeiterbüro angenommen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Mit der Revision erstrebt das klagende Land die Wiederherstellung des Urteils des Arbeitsgerichts.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht.

I. Das klagende Land hat den durch die Eröffnung des Konkurses unterbrochenen Rechtsstreit (§ 240 ZPO) wirksam gegen den Konkursverwalter aufgenommen (§ 146 Abs. 3 KO). Gegenstand des Rechtsstreits sind rückständige Entgeltansprüche einer Heimarbeiterin aus der Zeit vom 1. März 1975 bis zum 31. August 1977. Mithin handelt es sich weder um Masseschulden nach § 59 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a) KO noch um bevorrechtigte Konkursforderungen nach § 61 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) KO, sondern um einfache Konkursforderungen nach § 61 Abs. 1 Nr. 6 KO. In der Verhandlung vor dem Senat haben die Parteien klargestellt, daß die Forderungen zur Konkurstabelle angemeldet und vom Konkursverwalter bestritten worden sind. Das klagende Land hat seinen Sachantrag umgestellt auf Feststellung der Klageforderung zur Konkurstabelle. Das ist noch in der Revisionsinstanz zulässig (BGH LM Nr. 5 zu § 146 KO).

II. Das klagende Land stützt sich mit Recht auf seine gesetzliche Prozeßstandschaft.

1. Gemäß § 25 HAG kann das Land, vertreten durch die oberste Arbeitsbehörde oder die von ihr bestimmte Stelle (hier das Gewerbeaufsichtsamt Hagen: Nr. 6.774 der Zehnten Verordnung zur Änderung der Verordnung zur Regelung der Zuständigkeiten auf dem Gebiet des Arbeits-, Immissions- und technischen Gefahrenschutzes vom 22. März 1977, GVBl NRW 1977 S. 140, 141), im eigenen Namen darauf klagen, daß der behauptete Minderbetrag an den berechtigten Heimarbeiter gezahlt wird. Das Berufungsgericht hat angenommen, hierfür reiche die Behauptung aus, die Firma S habe seit November 1975 die bindend festgesetzten Mindestentgelte nicht gezahlt. Das geht sehr weit (vgl. Maus/Schmidt, HAG, 3. Aufl. 1976, § 25 Rz 10). Richtig ist jedenfalls, daß das Land nicht die Tatsachen beweisen muß, die zur Begründung seiner Prozeßführungsbefugnis führen (Brecht, HAG, 1977, § 25 Rz 9), denn damit würde zugleich über die Begründetheit des geltend gemachten Anspruchs entschieden. Vielmehr genügt es, daß der Sachvortrag des Landes schlüssig seine Klagebefugnis ergibt. Die Anforderungen sind denen vergleichbar, die bei der Prüfung der Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen gelten (vgl. dazu Urteil des Senats vom 8. Dezember 1959 - 3 AZR 323/56 - BAG 8, 260 ff. = AP Nr. 18 zu § 2 ArbGG 1953 Zuständigkeitsprüfung mit Anm. von Pohle).

2. Das Land hat seine Klagebefugnis schlüssig dargelegt. Es hat vorgetragen und im einzelnen erläutert, die Firma S habe seit 1975 die bindend festgesetzten Mindestentgelte nicht gezahlt, sondern durch Manipulation der Vorgabezeiten niedrigere Entgelte berechnet.

a) Die Klagebefugnis des Landes nach § 25 HAG ist allerdings dem Umfang nach begrenzt auf die Geltendmachung des "Minderbetrags". Die Vorschrift steht im Zusammenhang mit § 24 HAG und klärt die prozessualen Befugnisse des Landes, wenn es darum geht, die Aufforderungen der staatlichen Entgeltprüfer nach § 24 HAG durchzusetzen (Maus/Schmidt, aaO, § 25 Rz 15). Mithin erfaßt § 25 HAG nur das in § 24 HAG genannte Entgelt, "das niedriger ist als das in einer Entgeltregelung gemäß den §§ 17 bis 19 (HAG) festgesetzte oder das in § 29 Abs. 5 oder 6 (HAG) bestimmte...".

Die Gemeinschuldnerin hat vorgetragen, Gegenstand des Rechtsstreits sei kein Minderbetrag, der sich aus einer Entgeltregelung nach den §§ 17 ff. HAG ergäbe. Das Land behaupte nicht, die jeweils geltenden bindenden Festsetzungen seien außer Betracht geblieben, es wende sich vielmehr gegen die Verkürzung der Vorgabezeiten; ob das rechtmäßig sei, könne aber nur in einem Verfahren nach § 28 HAG geprüft werden. Diese Auffassung wird der Klagebegründung nicht gerecht. Das Land sieht eine Umgehung der bindenden Festsetzungen durch Unterschreiten der Mindestentgelte darin, daß die Gemeinschuldnerin die Mindeststundensätze zwar formal in ihre Berechnungen einbezogen, zugleich aber die Vorgabezeiten ohne Rücksicht auf die Gegebenheiten des Arbeitsablaufs geändert und um genau den Anteil gekürzt habe, um den die Mindeststundenentgelte im Jahre 1975 heraufgesetzt worden sind. Das ist die schlüssige Behauptung eines Minderentgelts im Sinne der §§ 24, 25 HAG. Ob die Darstellung des klagenden Landes zutrifft, ist eine Frage der Begründetheit.

b) Ferner ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts auch im Rechtsstreits nach § 25 HAG die Prüfung der Vorgabezeiten nicht ausgeschlossen. § 28 HAG sieht kein besonderes Verfahren vor, sondern räumt den staatlichen Stellen das Recht ein, vom Auftraggeber Auskunft zu verlangen und Arbeitszeiterhebungen anzustellen. Was in § 28 HAG als Gegenstand besonderer Pflichten des Auftraggebers und als Befugnis der mit dem Entgeltschutz befaßten staatlichen Stellen geregelt ist, betrifft einen unentbehrlichen Teil der Prüfung, ob die Mindestentgelte gezahlt sind. Diese Prüfung erfaßt zudem nicht nur die Frage, ob die Vorgabezeiten angemessen oder etwa aus arbeitsphysiologischen Gründen zu kurz bemessen sind, sie erstreckt sich auch darauf, ob die Vorgabezeiten in einem rechtlich einwandfreien Verfahren festgesetzt wurden. All dies kann zu einer Klage nach § 25 HAG führen.

III. Das Berufungsgericht hat nicht geprüft, ob die neuen Vorgabezeiten wirksam sind. Diese Prüfung ist erforderlich. Es kommt darauf an, ob die Gemeinschuldnerin den Heimarbeitsvertrag mit der Berechtigten einseitig oder einvernehmlich geändert hat, ob die geltenden bindenden Festsetzungen beachtet sind und ob das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats gewahrt ist. Da das diesbezügliche Parteivorbringen streitig ist, muß das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur weiteren Sachaufklärung an die Vorinstanz zurückverwiesen werden.

1. a) Die Verkürzung der Vorgabezeiten bewirkte eine Änderung des bisherigen Lohnes der Heimarbeiter. Eine solche Änderung kann nicht einseitig durch den Auftraggeber vorgenommen werden, soweit die Vorgabezeiten Vertragsinhalt waren. Eine vertragliche Bindung kann sich daraus ergeben, daß die alten Vorgabezeiten lange Zeit gegolten haben. Die gegenseitigen Rechte und Pflichten aus dem Vertrag können sich dann - solange sich die Produktionsbedingungen nicht ändern - auf die entsprechende Entgeltberechnung konkretisiert haben. Möglich ist andererseits, daß sich die Vergütung nur nach den abstrakten Merkmalen einer "Normalleistung" richten sollte, so daß bei fehlerhafter Ermittlung Korrekturen der Vorgabezeiten zulässig blieben. Da die Gemeinschuldnerin jedoch Änderungskündigungen ausgesprochen hat und - nach ihrem Vortrag - Wert darauf legte, sich des Einverständnisses der Heimarbeiter zu versichern, scheint sie selbst davon ausgegangen zu sein, daß die alten Vorgabezeiten Vertragsinhalt waren.

b) Weder bei einseitiger noch bei einvernehmlicher Änderung der Vorgabezeiten durften zwingende Schutzvorschriften verletzt werden. Die bindenden Festsetzungen nach § 19 HAG sind stets zu beachten.

Gemäß § 19 Abs. 3 HAG haben bindende Festsetzungen die Wirkungen eines allgemeinverbindlichen Tarifvertrages; von ihnen kann nur zugunsten der Heimarbeiter abgewichen werden. Ein Verzicht auf die Rechte aus einer bindenden Festsetzung ist nur in einem von der obersten Arbeitsbehörde des Landes oder der von ihr bestimmten Stelle gebilligten Vergleich zulässig. Werden Stückentgelte gezahlt, was die Regel ist (§ 20 HAG), so müssen die Stückzeiten so bemessen sein, daß die festgesetzten Entgelte regelmäßig erreicht werden. Die Entgelte dürfen nicht "unzulänglich" sein (§ 19 Abs. 1 Satz 2 HAG), wobei die Arbeitsbedingungen eines vergleichbaren Betriebsarbeiters einen Maßstab abgeben. Die bei einer Normalleistung erforderlichen Zeiten dienen als Maßstab (BAG 35, 233, 238 = AP Nr. 1 zu § 8 HAG, zu 3 der Gründe). Hierüber bestimmt die bindende Festsetzung vom 22. April 1971 (BAnz Nr. 95 vom 25. Mai 1971):

"Die Fertigungszeiten sind so festzusetzen, daß

der in Heimarbeit Beschäftigte bei normaler Leistung

das der Stückentgeltberechnung zugrunde zu legende

Stundenentgelt als Mindestverdienst erzielt.

Nomalleistung ist diejenige Leistung, die ein ein-

gearbeiteter Heimarbeiter mit durchschnittlicher

Leistungsfähigkeit auf die Dauer ohne Gesundheits-

schädigung vollbringen kann."

Welcher Feststellungen es bedarf, um die so beschriebene Normalleistung zu ermitteln, läßt sich nicht abstrakt entscheiden. In erster Linie kommen Arbeitszeiterhebungen in Betracht, es kann aber auch Erfahrungswissen genügen, um zu zuverlässigen Ergebnissen zu gelangen (vgl. zu der vergleichbaren Problematik bei Akkordvergütung Hilger in Dietz/Gaul/Hilger, Akkord und Prämie, 2. Aufl. 1967, S. 199 sowie Gaul, aaO, S. 58 f.).

Nähere Richtwerte zur Ermittlung der Fertigungszeiten enthält die bindende Festsetzung nicht. Festgesetzt ist nur das Mindeststundenentgelt einschließlich der gesetzlichen Zuschläge, also der Betrag, der als Geldfaktor pro Minute in die Entgeltberechnung eingehen soll. Wird aber kein Zeitlohn, sondern entsprechend der Regel des § 20 HAG Stücklohn gezahlt, dann ist eine Entgeltberechnung allein auf der Grundlage des Mindeststundenlohnes nicht möglich. Die Umrechnung des bindend vorgegebenen Zeitlohns in den daraus folgenden Stücklohn setzt voraus, daß der Zeitaufwand für die Fertigung des Werkstücks berücksichtigt wird. Der Quotient aus Stückentgelt und Fertigungszeit darf pro Stunde das Mindeststundenentgelt nicht unterschreiten; beträgt z. B. die Vorgabezeit für die Fertigung eines Werkstücks 60 Minuten, dann darf das Stückentgelt nicht niedriger sein als das festgesetzte Mindeststundenentgelt. Demzufolge erstreckt sich der Entgeltschutz der bindenden Festsetzung auch auf die Angemessenheit der vorgegebenen Fertigungszeit.

c) Das Berufungsgericht durfte auch nicht offen lassen, ob der Betriebsrat den neuen Vorgabezeiten zugestimmt hat. Dem Betriebsrat steht in jedem Falle ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 11 BetrVG zu. Mitbestimmungspflichtig ist danach die Festsetzung der Akkord- und Prämiensätze und vergleichbarer leistungsbezogener Entgelte einschließlich der Geldfaktoren. Der Stücklohn des Heimarbeiters ist ein leistungsbezogenes Entgelt im Sinne dieser Vorschrift. Da zu den vom Betriebsrat repräsentierten Arbeitnehmern diejenigen Heimarbeiter rechnen, die in der Hauptsache für den Betrieb tätig sind (§ 6 BetrVG), fällt auch die Festsetzung der Vergütungsfaktoren für deren Arbeit in die Kompetenz des Betriebsrats (zur Einstellung und Kündigung von Heimarbeitern vgl. Fitting/Auffahrth/Kaiser, BetrVG, 13. Aufl. 1980, § 99 Rz 7 a und § 102 Rz 2; Dietz/Richardi, BetrVG, 6. Aufl. 1982, Bd. 2, § 99 Rz 12; Galperin/Löwisch, BetrVG, 6. Aufl. 1982, Bd. II, § 102 Rz 20).

Fehlt es an der Zustimmung des Betriebsrats, so gelten die alten Vorgabezeiten weiter. Hat der Betriebsrat der Neuregelung zugestimmt, so sind die geänderten Vorgabezeiten dennoch ungültig, wenn sie die geltenden bindenden Festsetzungen umgehen und deshalb zu einem Minderentgelt im Sinne der §§ 24, 25 HAG führen. Die Prüfung einer denkbaren Umgehung liegt hier aus zwei Gründen nahe: Einmal ermöglicht es das Berechnungssystem für Stückentgelte ohne Schwierigkeiten, die Berechnungsgrundlagen zu verschleiern (BAG 35, 233, 238 = AP Nr. 1 zu § 8 HAG, zu 3 der Gründe). Zum anderen fällt auf, daß die Gemeinschuldnerin die alten Stückpreise wiederhergestellt hat, indem sie rechnerisch die Vorgabezeiten um das Ausmaß der Erhöhung der Mindestentgelte nach der bindenden Festsetzung aus dem Jahre 1975 kürzte. Das schließt aber nicht aus, daß ihr Vortrag zutreffen kann, die alten Vorgaben seien völlig überhöht gewesen, die neuen sachgerecht.

2. Bei der Prüfung der Frage, ob die neuen Vorgabezeiten den Anforderungen an eine Normalleistung genügen (vgl. oben zu III 1 b der Gründe), wird das Berufungsgericht nicht davon ausgehen können, das klagende Land habe die Richtigkeit der neuen Vorgabezeiten nicht bestritten. Das Berufungsgericht hat den diesbezüglichen Vortrag mißverstanden. Das klagende Land wollte ersichtlich nur geltend machen, es sei nicht seine Sache, die Richtigkeit bestimmter Vorgabezeiten zu beweisen. Der Prozeßbevollmächtigte des Landes hat dies in der Verhandlung vor dem Senat nochmals klargestellt. Diese Auffassung trifft auch zu.

Wenn der Auftraggeber die Vorgabezeiten ändert, muß er kraft seiner Sachnähe beweisen, daß die Änderung gerechtfertigt ist und zu richtigen Ergebnissen führt. Er hat die Kosten eines Werkstücks kalkuliert, er hat sich hierüber mit dem Betriebsrat auseinandersetzen müssen und er allein kennt die Gründe, die ihn berechtigen können, von einer eingeführten Vorgabezeit wieder abzugehen. Hingegen würde einem Heimarbeiter Unmögliches abverlangt, wollte man ihm hierzu die Darlegungs- und Beweislast aufbürden. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß im Streitfalle anstelle des Heimarbeiters das Land klagt, dem die Aufklärungsrechte nach § 28 Abs. 1 HAG zustehen. Die gesetzliche Prozeßstandschaft nach § 25 HAG räumt dem Land lediglich die Befugnis ein, die Rechte des Heimarbeiters im eigenen Namen geltend zu machen. Eine Änderung der Beweislastverteilung ergibt sich daraus nicht.

IV. Das Berufungsgericht hat angenommen, aus der Zusammenstellung der Gemeinschuldnerin über die geleisteten Nachzahlungen (offenbar in Höhe von 3.382,32 DM) ergebe sich, daß rückwirkend wieder die ursprünglich günstigeren Vorgabezeiten angesetzt worden seien. Diese Begründung könnte allenfalls die Annahme einer Teilerfüllung rechtfertigen, sie hält aber einer Nachprüfung nicht stand: Das klagende Land hat die nach den Angaben der Gemeinschuldnerin nachgezahlten Beträge bereits von der ursprünglichen Klageforderung in Höhe von 11.494,04 DM abgesetzt und nur noch einen Restbetrag von 8.283,80 DM verlangt. Aus der Begründung des Berufungsurteils wird nicht erkennbar, inwiefern diese Restforderung erfüllt sein könnte.

Dr. Dieterich Dr. Steckhan Griebeling

Dr. Bächle Wax

 

Fundstellen

Haufe-Index 438523

BAGE 44, 132-140 (LT1-3)

BAGE, 132

DB 1984, 2047-2048 (LT1-3)

NZA 1984, 41-42 (LT1-3)

AP § 18 HAG (LT1-3), Nr 11

AR-Blattei, ES 910 Nr 23 (LT1-3)

AR-Blattei, Heimarbeit Entsch 23 (LT1-3)

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