Entscheidungsstichwort (Thema)

Mutterschaftslohn und Verdiensterhöhung durch Bereitschaftsdienst

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ist mit einer Arbeitnehmerin vor Eintritt der Schwangerschaft vereinbart worden, daß sie von einem bestimmten Zeitpunkt ab fortlaufend Nacht- und Sonntagsdienste zu leisten hat, können diese Tätigkeiten aber wegen der Beschäftigungsverbote des § 8 Abs 1 MuSchG nicht aufgenommen werden, so steht der Arbeitnehmerin wegen der ausgefallenen Arbeitsvergütung Anspruch auf Mutterschutzlohn zu (§ 11 Abs 2 MuSchG).

2. Wenn wegen der Beschäftigungsverbote keiner der verabredeten Nacht- und Sonntagsdienste geleistet werden konnte, kann der Verdienstausfall nicht nach § 11 Abs 1 MuSchG ermittelt werden. Es greift dann jedoch § 11 Abs 2 MuSchG ein, wonach bei Verdiensterhöhungen nicht nur vorübergehender Natur, die nach Ablauf des Berechnungszeitraumes des § 11 Abs 1 MuSchG ohne das Beschäftigungsverbot eingetreten wären, von dem erhöhten Verdienst auszugehen ist.

 

Normenkette

MuSchG § 8 Abs. 1, § 11 Abs. 1-2

 

Verfahrensgang

LAG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 27.09.1989; Aktenzeichen 3 Sa 55/89)

ArbG Stuttgart (Entscheidung vom 06.04.1989; Aktenzeichen 17 Ca 5951/88)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob der Klägerin ein Anspruch auf Mutterschutzlohn nach § 11 MuSchG zusteht.

Die Klägerin ist seit dem 1. April 1988 als Ärztin in der Anästhesieabteilung der Städtischen Krankenanstalten bei der beklagten Stadt beschäftigt. Im Arbeitsvertrag ist die Geltung des BAT vereinbart. Die Klägerin war verpflichtet, nach einer Einarbeitungszeit von zwei Monaten Bereitschaftsdienste und Wochenendbereitschaftsdienste zu leisten. Dementsprechend war sie für die Zeit ab 1. Juni 1988 für solche Dienste eingeteilt und in den Dienstplänen eingetragen.

Die Klägerin wurde am 3. April 1988 schwanger. Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 MuSchG dürfen werdende Mütter nicht mit Mehrarbeit, nicht in der Nacht zwischen 20.00 und 6.00 Uhr und nicht an Sonn- und Feiertagen beschäftigt werden. Wegen dieser Beschäftigungsverbote hat die Klägerin keine Bereitschaftsdienste geleistet. Es ist weder von der beklagten Stadt geltend gemacht noch vom Landesarbeitsgericht in Zweifel gezogen worden, daß Bereitschaftsdienst jeglicher Art wegen des in § 8 Abs. 1 Satz 1 MuSchG genannten Verbots nicht habe geleistet werden dürfen (vgl. dazu § 8 Abs. 4 MuSchG).

Die Klägerin hätte, wie zur Höhe zwischen den Parteien unstreitig ist, monatlich 1.712,87 DM brutto als Entgelt für die Bereitschaftsdienste erhalten. Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, die beklagte Stadt müsse diesen Verdienstausfall nach § 11 MuSchG durch Gewährung eines entsprechenden Mutterschutzlohnes ausgleichen. Zwar habe sie vor Beginn der Schwangerschaft keinen Bereitschaftsdienst geleistet, und deshalb könne der Mutterschutzlohn nicht nach § 11 Abs. 1 MuSchG in der Weise berechnet werden, daß auf den Verdienst eines Berechnungszeitraumes abgestellt werde. Die Vergütung für den Bereitschaftsdienst hätte jedoch eine Verdiensterhöhung nicht nur vorübergehender Natur im Sinne von § 11 Abs. 2 Satz 1 MuSchG dargestellt. Diese Verdiensterhöhung sei der Klägerin durch das Beschäftigungsverbot entgangen und von der Beklagten durch den Mutterschutzlohn auszugleichen.

Die Klägerin hat ihren Anspruch für die Zeit vom 1. April 1988 bis 15. November 1988 verfolgt und beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie

12.846,52 DM nebst Zinsen gemäß einer

von ihr angeführten Staffel zu zahlen.

Die beklagte Stadt hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, der von der Klägerin verfolgte Anspruch stünde ihr nur zu, wenn die Klägerin wenigstens einen Bereitschaftsdienst geleistet hätte. Denn die finanzielle Absicherung der werdenden Mutter verlange mindestens das Bestehen eines Anwartschaftsrechtes auf die erhöhte Vergütung.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht den Anspruch für die Zeit vom 1. Juni bis 15. November 1988 nebst zugehörigen Zinsen für begründet angesehen. Mit ihrer Revision erstrebt die beklagte Stadt die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils, das die Klage in vollem Umfange abgewiesen hatte.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Der Anspruch der Klägerin auf Ausgleich des Verdienstausfalls wegen nicht geleisteter Bereitschaftsdienste ist in dem vom Landesarbeitsgericht zuerkannten Umfange gerechtfertigt.

1. Nach dem unstreitigen und dem vom Landesarbeitsgericht festgestellten, mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen und daher den Senat bindenden Sachverhalt (§ 561 ZPO) war die Klägerin, die seit 1. April 1988 in einem Arbeitsverhältnis zu der beklagten Stadt stand, verpflichtet, ab 1. Juni 1988 Bereitschaftsdienste zu leisten. Durch diese Bereitschaftsdienste hätte sie ab 1. Juni 1988 eine zusätzliche monatliche Vergütung von 1.712,87 DM erzielt. Wegen der ab 3. April 1988 bestehenden Schwangerschaft durfte die Klägerin die Bereitschaftsdienste nicht leisten (§ 8 Abs. 1 Satz 1 MuSchG). Das hatte jedoch keine rechtlichen Auswirkungen auf die schon zuvor getroffene Absprache über die Bereitschaftsdienste (vgl. dazu BAGE 59, 285 = AP Nr. 1 zu § 8 MuSchG 1968; BAGE 3, 309, 311 = AP Nr. 2 zu § 4 MuSchG).

2. § 11 Abs. 1 MuSchG bestimmt, daß der in bestimmter Weise zu ermittelnde Durchschnittsverdienst vom Arbeitgeber zu gewähren ist, wenn eine Frau wegen des Mehr-, Nacht- oder Sonntagsarbeitsverbotes nach § 8 Abs. 1 MuSchG teilweise oder völlig mit der Arbeit aussetzen muß. Zweck dieser Regelung ist es, die Frau vor Verdiensteinbußen zu bewahren, die bei Einhaltung und Beachtung der Beschäftigungsverbote ohne die Regelung des § 11 MuSchG eintreten müßten, weil die für den Lohn zu erbringende Arbeitsleistung ausbleibt. Damit soll zugleich verhindert werden, daß die schwangere Frau gesundheitsgefährdende Arbeiten übernimmt und ausführt, um keine Lohneinbuße zu erfahren.

Von diesem Sinn und Zweck des Gesetzes her ist es dem Grunde nach geboten, den Verdienstausfall auszugleichen, der der Klägerin dadurch entstanden ist, daß sie keine Bereitschaftsdienste leisten durfte. Allerdings erweist sich, daß vorliegend bei Anwendung des § 11 Abs. 1 MuSchG ein Verdienstausfall nicht zu ermitteln ist. Denn die Klägerin hatte wegen ihres Eintritts bei der Beklagten am 1. April 1988, dem Beginn der Schwangerschaft am 3. April 1988 und dem erst ab 1. Juni 1988 vorgesehenen Bereitschaftsdienst einen solchen Dienst in einem der nach § 11 Abs. 1 MuSchG maßgebenden Berechnungszeiträume vor Einsetzen des Beschäftigungsverbotes noch nicht geleistet. Deshalb ist für die Klägerin keine Verdienstminderung eingetreten, wenn man nur die vom Gesetz vorgesehen Berechnungszeiträume betrachtet.

3. Das Landesarbeitsgericht hat jedoch zu Recht den Anspruch deshalb für begründet angesehen, weil § 11 Abs. 2 MuSchG mit heranzuziehen ist. Nach dieser Vorschrift ist bei Verdiensterhöhungen nicht nur vorübergehender Natur, die während oder nach Ablauf des Berechnungszeitraumes eintreten, von dem erhöhten Verdienst auszugehen. Diese Regelung ergänzt die in § 11 Abs. 1 MuSchG bei Eingreifen von Beschäftigungsverboten zunächst vorgesehene Bezugsmethode für die Errechnung von Verdienstausfällen durch ein unter den näher bezeichneten Voraussetzungen hinzutretendes Lohnausfallprinzip. Bei den Verdiensterhöhungen ist zunächst daran gedacht, daß der schon nach § 11 Abs. 1 MuSchG ermittelte Mutterschutzlohn aufzustocken ist, weil nach Ablauf des Berechnungszeitraumes tarifliche Lohnerhöhungen eintreten. Aber auch Verbesserungen des Arbeitsentgelts, die sich etwa aus einer nicht nur vorübergehenden Einführung von Mehrarbeit für die Frau ergeben hätten, wäre ihr die Mehrarbeit nicht wegen der Schwangerschaft verboten, rechnen zu den Verdiensterhöhungen im Sinne von § 11 Abs. 2 MuSchG (ebenso Bulla/Buchner, MuSchG, 5. Aufl., § 11 Rz 96; Meisel/Sowka, Mutterschutz, Mutterschaftshilfe und Erziehungsgeld, 3. Aufl., § 11 MuSchG Rz 66 d; Schmatz/Fischwasser, Vergütung der Arbeitnehmer bei Krankheit und Mutterschaft, 6. Aufl., § 11 MuSchG Rz 134, 135; Zmarzlik/Zipperer/Viethen, Mutterschutzgesetz, 5. Aufl., § 11 MuSchG Rz 27).

Die zwischen den Parteien vereinbarte Ableistung von Bereitschaftsdiensten mit dem daraus sich ergebenden Entgelt stellt ebenfalls eine Erhöhung des Verdienstes im Sinne von § 11 Abs. 2 MuSchG dar. Da die Bereitschaftsdienste ständig geleistet werden sollten, handelt es sich auch um daraus folgende Verdiensterhöhungen nicht nur vorübergehender Natur.

Soweit die beklagte Stadt geltend gemacht, der Anspruch stünde der Klägerin nur zu, wenn sie vor Eintritt des Beschäftigungsverbotes wenigstens einen Bereitschaftsdienst geleistet hätte, ist nicht ersichtlich, weshalb der Anspruch von dieser Zufälligkeit abhängen sollte.

Dr. Thomas Dr. Gehring Dr. Olderog

Dr. Krems Arntzen

 

Fundstellen

Haufe-Index 440314

BAGE 65, 337-341 (LT1-2)

BAGE, 337

BB 1990, 2491

BB 1990, 2491 (LT1-2)

DB 1990, 2328-2329 (LT1-2)

NJW 1991, 62

NJW 1991, 62-63 (LT1-2)

BuW 1991, 119-120 (KT)

EBE/BAG 1990, 171-172 (LT1)

AiB 1990, 521 (ST1)

ARST 1991, 8-13 (LT1-2)

DOK 1991, 453 (K)

EEK, III/098 (ST1)

NZA 1990, 974-975 (LT1-2)

RdA 1990, 383

USK, 9019 (LT1)

WzS 1991, 124 (K)

WzS 1992, 764 (L)

AP § 11 MuSchG 1968 (demnächst), Nr 13

AR-Blattei, ES 1220 Nr 97 (LT1-2)

ArztR 1991, 297 (KT)

EzA § 11 MuSchG nF, Nr 13 (LT1-2)

EzBAT § 36 BAT Vergütung bei Mutterschutz, Nr 1 (LT1-2)

SVFAng Nr 68, 17 (1991) (KT)

ZfPR 1991, 116 (S)

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